Skip to main content
Top

10-02-2023 | Personalmanagement | Gastbeitrag | Article

Professionalisiert endlich die Besetzung von Vorständen

Author: Sabine Thiemann

4 min reading time

Activate our intelligent search to find suitable subject content or patents.

search-config
loading …

Besetzungsprozesse auf zweiter und dritter Führungsebene verlaufen oft strukturiert durch Case Studies, kompetenzbasierte Interviews sowie kognitive Leistungs- und Persönlichkeitstests. Nicht so auf Vorstandsebene. Hier regieren im Recruiting noch immer Vitamin B und Netzwerke.

Ungünstigste Besetzungen auf oberster Ebene können für ganze Organisationen und Teams fatale Folgen haben. "Wenn Sie Mitarbeitende aus größeren Organisationen fragen, in welchem Umfang sie der Geschäftsleitung, dem Top-Management, dem Vorstand vertrauen, dann bekommen sie – wenn Ehrlichkeit möglich ist – nicht selten katastrophale Reaktionen", warnte der Eignungsdiagnostiker Rüdiger Hossiep bereits 2016 in einem Interview. 

Editor's recommendation

2020 | Book

Digitalisierung der Management-Diagnostik

Aktuelle Instrumente, Trends, Herausforderungen

In kurzer Zeit hat die Corona-Zäsur die Digitalisierung in vielen Lebensbereichen spürbar vorangetrieben, auch in der Personalwirtschaft. In diesem Herausgeberband beschreiben dazu HR-Praktiker und Wissenschaftler ihre jeweilige Lösung, um die Management-Diagnostik an die fortschreitende Entwicklung anzupassen.

Führungskräftemangel trifft auf unprofessionelle Besetzungen

Seitdem hat sich wenig geändert. 2020 mahnt der Psychologe der Ruhr Universität Bochum in einem eigenen Beitrag für HR Consulting Review erneut. "Die Besetzung der Spitzen von Organisationen erfolgt gefährlich unterkomplex." Noch immer bleiben facettenreiche Instrumente außen vor, die die Wahrscheinlichkeit einer passgenauen oder "weniger defizitären" – um es mit Hossieps Worten zu sagen – Besetzung erhöhen. Die Gründe dafür?

Nicht nur der Fachkräftemangel, auch der Führungskräftemangel ist in aller Munde. Trotz Rezession, Krieg und Wirtschaftskrise bewegen wir uns noch immer, in einem Kandidatenmarkt. Diese Knappheit an Bewerbern steigert in Organisationen die Furcht, den Lieblingskandidaten, auf Vorstandsebene deutlich seltener die Lieblingskandidatin, zu verschrecken. 

Zu viele Organisationen schieben vor diesem Hintergrund die Professionalisierung der Besetzungsprozesse auf Vorstandsebene auf die lange Bank. Solche Präferenzen für bestimmte Kandidaten verhindern bereits im Vorfeld vielerorts die Einführung eines strukturierten und professionellen Auswahlprozesses. Denn erfüllen die seitens der Entscheider von vornherein bevorzugten Anwärter in einem der Tests die Anforderungen nicht, scheidet sie oder er aus.

Anforderungen und Passung auf Vorstandseben prüfen

Angesichts der Tragweite der Besetzung von Vorstandspositionen ist es dennoch verwunderlich, dass Organisationen gerade dort öfter auf Vitamin B setzen als bei Management-Positionen oder beim Besetzen der zweiten und dritten Führungsebene. Denn das ausschließliche persönliche Interview birgt das Risiko der Wahrnehmungsverzerrung, Stichwort 'Unconscious Bias'.

Der Einsatz des gesamten professionellen Instrumenten-Kits erhöht zudem die beiderseitige Wahrscheinlichkeit, dass Aspiranten den Anforderungen eines Vorstandsposten de facto auch gewachsen sind und Organisationen dabei helfen können, sich zukunftsfähig aufzustellen. Zumal ein professioneller Auswahlprozess auch wertvolle Erkenntnisse für Kandidaten liefert, wie sie in ihre eigene Entwicklung investieren können, um den Anforderungen angestrebter Positionen zukünftig gerecht zu werden, falls dies im aktuellen Prozess noch nicht der Fall ist. 

So profitieren sowohl Bewerber als auch Organisation davon, wenn durch einen strukturierten und professionellen Auswahlprozess im Vorfeld die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass Persönlichkeit, Mindset und Fähigkeiten tatsächlich dem Anforderungsprofil entsprechen. Und nicht nur Entscheider das Gefühl haben, den Richtigen gefunden zu haben, der ihnen sympathisch oder ähnlich ist.

Ziel eines Auswahlprozesses muss immer ein Maximum an Objektivität, Genauigkeit und Treffsicherheit sein. Zugegeben existiert die eine Standardlösung dabei nicht. Der Methodenmix hängt schlussendlich von den spezifischen Anforderungen der Organisation und der Position ab. Zumindest sollte jede Organisation die gesamte Palette möglicher Optionen auch für Vorstandspositionen in Erwägung ziehen und nicht partout bereits im Vorfeld gegen bestimmte Methoden votieren. 

Persönlichkeitsverfahren als Unterstützung

Hossiep verweist darauf, dass Persönlichkeitsfaktoren relativ stabil bleiben. Zusätzlich zum Gespräch könnten Organisationen bei der Auswahl von Top-Managern seines Erachtens daher valide Persönlichkeitsverfahren hinzuziehen. In seinem Beitrag plädiert er 2020 für eine "multimethodale Herangehensweise in der Management-Diagnostik". Diese liefere jenseits subjektiver Abwägungen objektivierbare Kriterien für Personalentscheidungen.

Das Herzstück einer jeden Vorstandsbesetzung bleibt das strukturierte Interview. Case Studies, kognitive Leistungstests und Persönlichkeitsverfahren sollten weitere Mosaiksteinchen bilden.

Mehr Diversität im Management

Eine solche Professionalisierung der Besetzungsprozesses maximiert übrigens nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass Kandidaten dem Anforderungsprofil entsprechen. Weniger Vitamin B, mehr Objektivität kann auch für mehr Diversität sorgen. So sind die kürzlich publizierten Zahlen der Allbright-Stiftung ernüchternd. Der Frauenanteil in den Vorständen der 160 Dax, M-Dax und S-Dax notierten Unternehmen beträgt gerade mal 14,2 Prozent. Wissenschaftlich belegt ist, dass Menschen sich im Zweifelsfall für Ähnlichkeiten entscheiden, auch als "Thomas-Prinzip" bekannt. Zugespitzt formuliert entscheiden sich die aktuell männerdominierten Vorstände bei Besetzungen aus dem eigenen Netzwerk ganz unbewusst eher für einen weiteren Mann als für eine Frau.

Es ist Zeit für einen Sinneswandel sowohl in bestehenden Vorständen als auch bei Bewerbern. Glücklicherweise erleben wir bei Führungspersönlichkeiten eine wachsende Akzeptanz für den Einsatz valider Diagnostikmethoden. Denn der professionelle Besetzungsprozess gibt auch Kandidaten Gewissheit, dass sie aufgrund ihrer Kompetenzen, ihres Mindsets und ihrer Persönlichkeit eine bestimmte Position erhalten haben – nicht aufgrund der Sympathien bestehender Entscheider.

Related topics

Background information for this content

Related content