Der Strukturwandel macht der Autobranche seit Jahren zu schaffen. Im Komplexitätswahnsinn der Digitalisierung, technologischer und umweltpolitischer Entwicklungen sowie selbstgebackener Dieselskandale vergessen Verantwortliche entscheidende Punkte: Den Kundenfokus und die Unternehmenskultur.
Auch ohne die Corona-Krise kämpft die Automobilbranche mit den Herausforderungen des Strukturwandels. Die Technologie verändert sich – weil die Kundenerwartungen sich verändern. Konsumenten erwarten technologischen Fortschritt. Die Autobauer versuchen, diesen zu liefern, was ihnen auch gelingt. Doch benötigt der Kunde wirklich für jedes Modell eine neue Navigationssoftware, die es mit dem Equipment des iPhone eh nicht aufnehmen kann? Muss jede Marke ein eigenes Navi haben? Ist das wirklich kundenfokussiert, wenn sich Autofahrer immer wieder an ein anderes mittelmäßiges System gewöhnen müssen?
Kundenfokus bei Autobauern verzweifelt gesucht
Anstatt vergleichbare Produkte anzubieten, sollten sich Autohersteller fragen:
- Wie kümmern wir uns um den Kunden?
- Wie machen wir ihm unsere Produkte schmackhaft?
- Wie verkaufen wir eigentlich unsere Modelle?
- Ist es gewollt, dass Verkäufer ihren Interessenten den E-Motor ausreden und auf die Vorzüge des Diesels verweisen?
- Und warum müssen Kunden den Angeboten hinterherrennen, die Sie per E-Mail erhalten?
- Warum meldet sich nach der E-Mail niemand?
Es hat den Anschein, Kunden müssten sich die Autos selber "verkaufen" und deutsche Automarken kümmerten sich nur um ihre Großkunden. Dabei ist Deutschland doch ein Land der kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die meisten Autofahrer arbeiten nicht in Konzernen. Mit dieser Arroganz verprellen deutsche Autohersteller eine breite Kundenmasse. Das kann ihnen irgendwann mal auf die Füße fallen, wenn die Konzerne umschwenken, C02-neutral werden und keine Dienstreisen mehr machen. Dann bricht diese Zielgruppe weg. Die verprellte Masse fährt dann aber schon Tesla und Co.
Servicewüste auch in der Automobilindustrie
Service und Kundenfokus gehen Hand in Hand. Ein guter Service "beyond the product" ist Zeichen einer Strategie mit klarem Kundenfokus. Deutschland wird im internationalen Vergleich oftmals als Servicewüste bezeichnet. Dabei können wir hierzulande doch Kundendienst. Ein Blick auf diverse Internetanbieter hat gezeigt, wie sich Service in einem extrem dynamischen Marktumfeld mit schnellen technologischen Änderungen entwickeln kann: Der Internetanschluss muss immer 100 Prozent laufen, sonst wechseln Kunden den Anbieter. Aus diesem Druck heraus hat sich die Telekommunikationsbranche die letzten Jahre sehr stark auf Service ausgerichtet, enorm verbessert – und ist zum Service-Vorbild für andere Branchen geworden.
Für Autohersteller ist es nicht anders. Kunden erwarten einen produktbegleitenden Service, der über die Mindesterwartung hinausgeht. Klar, Material und Bedienbarkeit müssen stimmen. Auch die Leistungsanforderung muss passen. Da, wo Zehn-Liter-Verbrauch pro 100 Kilometer draufsteht, dürfen keine 15 Liter verbraucht werden. Mindest- und Leistungsanforderung befriedigen aber nur rationale Kundenbedürfnisse – den absoluten Standard, den auch die Konkurrenz bietet.
Auf Kunden hören, heißt Begeisterung wecken
Begeisterung und positive Emotionen lösen Anbieter aber nur aus, wenn sie darüber hinaus einen einwandfreien, vorausschauenden Service liefern. Am Ende bleibt die Serviceleistung länger in den Köpfen verankert, als die Mindest- und Leistungsanforderung. Somit zahlt Service als Geschäftsmodell auch immer in das Marketing und den Vertrieb ein.
Wie kann ein Unternehmen mit kundenfokussiertem Top-Service seine Kunden wieder begeistern? Indem es mit den Kunden spricht. Kundenfeedback geht weit darüber hinaus, nach der Inspektion in der Werkstatt einen Bewertungsbogen auszufüllen. Es geht auch nicht darum, "schnellere Pferde" (Henry Ford) zu entwickeln. Wer sich nicht bereits beim Kauf nachfragt, wie der Kunde den Prozess empfunden hat, kann auch später seine Services nicht verbessern.
Autobranche muss Unternehmenskultur neu denken
Vergangenes Jahr sagte Bernd Osterloh, Betriebsratsvorsitzender bei VW, in einem Interview: "Wir haben ein Problem mit der Führungskultur. Wir haben einen Vorstand, der sagt, dass sich etwas ändern muss. Und wir haben eine Mannschaft, die darauf wartet." Doch nur, weil Vorstände und Geschäftsführer ins Silicon Valley reisen, um die Amazons und Co. zu besuchen, heißt das noch lange nicht, dass, wenn sie mit ihrem agilen Mindset zurück ins Autoland Deutschland kommen, plötzlich die ganze Belegschaft einen Sinneswandel durchmacht.
Von anderen Branchen zu lernen, ist ja sinnvoll und wichtig. Aber was bringt es, wenn dann doch wieder nur aus demselben Topf eingestellt wird – Automanager vom Wettbewerb? Anstatt nach Übersee zu fliegen, sollten Verantwortliche gleich in ihre Führungsentwicklung investieren und die Strukturen und die Kultur im eignen Haus hinterfragen und erneuern. Denn Haltungs- und Verhaltenswandel beginnt immer von innen. Wer jetzt in der Krise den Fehler macht, nur auf Effizienzsteigerung von Prozessen und Supply-Chain-Optimierung zu setzen, hat nicht verstanden, was Zukunft bedeutet.
Zeitgemäße Führungskultur à la Tesla etablieren
Viele Unternehmen aus der Automobilindustrie müssen ihre Unternehmenskultur erneuern – angefangen in den Führungsetagen. Wer im Strukturwandel, bei veränderten Kundenanforderungen und dynamischen Märkten weiter auf eine Führungs- und Unternehmenskultur aus der alten Welt setzt, wird in naher Zukunft von der Konkurrenz überholt – Tesla lässt grüßen. Als Interim Manager mit Erfahrung in krisenerprobten Branchen sind wir sicher: Strukturwandel erfordert Kulturwandel. Egal, ob es um Einzelhandel, die Telekommunikationsbranche, den Tourismussektor oder die verarbeitenden Industrie geht. Verantwortliche, die das verstehen, umsetzen und bereit sind, von anderen Branchen zu lernen, sind im Vorteil.
Deutsche Autobauer können mehr
Deutschland kann stolz sein auf seine Autobauer. Doch diese sollten ihre Kunden nicht im Stich lassen. Auch oder gerade im langen Transformationsprozess einer Branche, zeigt sich der wahre Charakter der betroffenen Unternehmen und ihrer Marken. Die deutsche Automobilindustrie ist stark. Sie kann, daran glauben wir fest, viel mehr für das Vertrauen ihrer Kunden und für einen wahren internen Kulturwandel tun, als bisher. Dann hat sie wieder die Power, um auf dem Weltmarkt langfristig die Nummer Eins zu bleiben.