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2013 | Buch

50 Schlüsselideen Politik

verfasst von: Ben Dupré

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Eine Entdeckungsreise durch die Welt der politischen Theorien und Strömungen, Staatsformen und gesellschaftlichen Herausforderungen

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In einer Zeit weitverbreiteter Politikverdrossenheit und vielfältiger internationaler Verwerfungen ist die Notwendigkeit, die grundlegenden politischen Konzepte zu verstehen, größer denn je. 50 Schlüsselideen Politik ist der ideale Einstieg in dieses Themenfeld.

Die Welt ist zusammengewachsen – und zugleich unüberschaubar komplex geworden. In allen Sphären der Politik wirken vielfältige Einflüsse, auf regionaler wie globaler Ebene. Fundamentalistische Kräfte bedrohen unsere Freiheit und Sicherheit – und provozieren Gegenreaktionen von Regierungen, die ihrerseits Persönlichkeits- und Menschenrechte wie auch die Demokratie insgesamt einschneidend gefährden können. Kriege und diktatorische Regime, Betrug und Korruption lösen Proteste und öffentliche Entrüstung aus, die oftmals durch Propaganda, parteipolitische Einflussnahme und interessengeleitete Medienaktivitäten geschürt wird. Die angemessenen Handlungsgrenzen des Staates, die Legitimität von Revolution und politischer Gewalt, die ideologischen Gegensätze und Spannungen zwischen Sozialismus, Liberalismus und Kapitalismus, die Herausforderungen, vor die uns Armut, Kriminalität und Rassismus stellen: Solche und andere Mechanismen sind grundlegend für das Verständnis aktueller politischer Debatten und staatlicher Handlungsweisen.

Klar und prägnant geschrieben, veranschaulicht 50 Schlüsselideen Politik Vorstellungen und Konzepte, die uns alle betreffen. Ben Dupré wendet sich mit diesem Buch an Leser, die wissen wollen, wie das fortwährende Ringen um Macht die Welt und unseren Alltag prägt.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung

Einleitung

„Politik ist angeblich das Zweitälteste Gewerbe, und mir ist klar geworden, dass es eine sehr große Ähnlichkeit mit dem ältesten besitzt“, witzelte Ronald Reagan 1977. Der spätere 40. Präsident der Vereinigten Staaten — und die Hüter der Logik — mögen mir verzeihen, aber es könnte sein, dass die Zweitälteste Profession in Wahrheit älter ist als die erste. Sich politisch zu verhalten, könnte man argumentieren, ist untrennbar mit dem Menschsein verbunden. Aristoteles’ Definition der Menschen als

zōa politika

(„politische Wesen“) ging auf seine Beobachtung zurück, dass sie sich in den Verhältnissen des griechischen Stadtstaates oder der

polis

— wovon der Begriff „Politik“ abgeleitet ist — am vollkommensten und charakteristischsten entfalteten. Die

polis

ist demnach der natürliche Lebensraum politischer Wesen, hier agieren sie im wechselseitigen Miteinander und schaffen so die Regeln und Institutionen, von denen gesellschaftliche Ordnung und soziale Gerechtigkeit abhängen. Und wenn der Mensch von Natur aus ein politisches Wesen ist, folgt daraus, dass es ein Leben ohne Politik nicht geben kann.

Ben Dupré

Politische Theorie

01. Freiheit

In den westlichen Demokratien gilt die Freiheit weithin als das höchste Menschenrecht: ein Ideal, für das es sich zu kämpfen und notfalls auch zu sterben lohnt. Der hohe Stellenwert der Freiheit ist ein Maß für die vielen erbitterten Kämpfe, die ausgefochten wurden, um sie zu erringen: gegen Kirchen, die ihre Glaubenslehre auch um den Preis von Menschenleben verteidigten; gegen die absolute Macht von Monarchen, die Unterdrückung der Frau und politisch Andersdenkender; gegen Sklaverei, Vorurteile, Ignoranz und vieles andere mehr.

Ben Dupré
02. Gerechtigkeit

Wir alle können das krasse Unrecht sklavenartiger Kinderarbeit in Ausbeuterbetrieben erkennen, oder auch das hungernder Kinder, für die eigentlich genug Nahrung vorhanden wäre. Wir wissen um die Ungerechtigkeit, dass HIV-Infizierte wegen maßlos überteuerter Medikamentenpreise an Aids sterben oder andere Folter erleiden müssen und ohne Gerichtsverfahren eingesperrt sind. Wir scheinen einen natürlichen Sinn für Gerechtigkeit oder vielmehr ein Bewusstsein von Ungerechtigkeit zu besitzen: Es mag nicht leicht sein, Gerechtigkeit zu definieren, doch im konkreten Fall scheinen wir sie — oder ihre Abwesenheit — fast instinktiv zu erkennen.

Ben Dupré
03. Gleichheit

Kaum ein Politiker, egal welcher inneren Überzeugung, würde heute aufstehen und für Ungleichheit eintreten. Neben seinen revolutionären Begleitern Freiheit und Brüderlichkeit ist das Gleichheitsprinzip heutzutage praktisch unantastbar und wird als unverzichtbarer Bestandteil einer gerechten Gesellschaft angesehen. In einem Schreiben an George Washington im Jahr 1784 bemerkte Thomas Jefferson, dass „die naturgegebene Gleichheit des Menschen“ die konstitutionelle Basis der Vereinigten Staaten von Amerika bildet. Am hohen Stellenwert der Gleichheit als Grundpfeiler des politischen und sozialen Denkens hat sich seitdem nichts geändert.

Ben Dupré
04. Menschenrechte

Die Menschenrechte sind tief in unserem politischen Bewusstsein verwurzelt. Es gilt heute als selbstverständlich, dass es gute Dinge gibt, auf die Menschen ein Anrecht haben, und schlechte Dinge, die wir vermeiden können oder versuchen können zu vermeiden. Eine große und weiter wachsende Zahl solcher Ansprüche und Sicherheiten werden heute jedem überall und jederzeit zuerkannt, und zwar schlicht aufgrund unserer Humanität — der Würde und des Respekts, die uns als Menschen zustehen.

Ben Dupré
05. Der Gesellschaftsvertrag

Der Staat maßt sich an, unser Leben auf vielfältige Weise zu kontrollieren. Die Vertreter der Staatsmacht nehmen unser Geld in Form von Steuern und führen in unserem Namen Kriege. Sie erlegen uns Geld- oder Gefängnisstrafen auf, wenn wir die von ihnen aufgestellten Regeln brechen. Sie überwachen unsere Bewegungen und sagen uns, was wir essen sollen und wo wir rauchen dürfen … und vieles andere mehr.

Ben Dupré
06. Demokratie

Im vergangenen Jahrhundert wurde die Demokratie zunehmend als ideale Regierungsform betrachtet: ein höchst gerechtes System, das für politische und gesellschaftliche Strukturen sorgt, innerhalb derer die Menschen ein glückliches, erfülltes und verantwortliches Leben führen können. Einer der Gründe, weshalb Woodrow Wilson 1917 zu der Überzeugung gelangte, die Welt müsse „sicher für die Demokratie“ gemacht werden, war, dass sie allein das Potenzial hat, „die Energien jedes einzelnen Menschen“ freizu — setzen.

Ben Dupré
07. Monarchie

Nur wenig Sympathie genießt im 21. Jahrhundert ein Regierungssystem, bei dem die Staatsmacht in den Händen einer einzelnen Person liegt, und dies aus dem einzigen Grund, weil schon der Vater ein ähnliches Privileg genossen hat. Wer dazu erzogen wurde, Kompetenz und Charakterstärke höher zu bewerten als adlige Abstammung und gepflegte Umgangsformen, hat in der Regel nicht viel übrig für Könige, Königinnen, Kaiser und Sultane, die das Recht zu regieren geerbt und nicht durch Verdienst erworben haben.

Ben Dupré
08. Tyrannei

Im Verlauf von mehr als 2500 Jahren seines Gebrauchs hat der Begriff „Tyrannei“ einen so abstoßenden Beigeschmack bekommen, dass er heute seinen festen Platz im Lexikon der politischen Rhetorik hat. Als Schimpfwort in politischen Debatten oder Angriffen eingesetzt, beschwört er augenblicklich das Bild einer unterdrückerischen und rücksichtslosen Regierungsform herauf.

Ben Dupré
09. Utopien

„Ich möchte etwa 20 Seelen versammeln“, schrieb D. H. Lawrence im Januar 1915 in einem Brief, „und von dieser Welt voller Krieg und Elend fortsegeln und eine kleine Kolonie gründen, in der es kein Geld geben soll, aber eine Art von Kommunismus soweit es die Lebensbedürfnisse erfordern, und ein bisschen wahren Anstand.“ Mit seiner Sehnsucht, in eine einfachere und anständigere Welt zu entfliehen, steht der Schriftsteller in einer langen Tradition von Visionären und Mystikern (und nicht wenigen wunderlichen Käuzen), die alle von einer schönen neuen Welt träumten, in welcher der Mensch von seinen Fehlern und Schwächen geheilt wäre und neue Hoffnung schöpfen könnte.

Ben Dupré
10. Revolution

Die Idee einer als Revolution bezeichneten Umwälzung der Welt durch das schlagartige Beseitigen ihrer Mängel übte lange Zeit eine große Faszination auf die Menschen aus. Es war die Aussicht auf einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit, herbeigeführt durch die Französische Revolution, die den romantischen Dichter William Wordsworth berauschte: „Glück war es, jene Morgendämmerung selbst mitzuerleben, doch jung zu sein, war unser wahrer Himmel.“ Ein anderer Bewunderer der Kämpfer für die Französische Revolution, der walisische Minister und Querdenker Richard Price, schwärmte von der Aufbruchsstimmung jener Tage und der glühenden Leidenschaft der Revolutionäre: „Der Wille, die Freiheit zu erlangen und zu verbreiten, eine allgemeine Besserung der menschlichen Existenz; die Herrschaft der Könige ersetzt durch die Macht der Gesetze.“

Ben Dupré

Weltanschauungen

11. Anarchie

In der Vorstellung des Karikaturisten ist der Anarchist eine finstere, verwahrloste Gestalt mit Hut und Bart, ein gesellschaftlicher Außenseiter, bewaffnet mit einer Bombenkugel und fest entschlossen, wahllos denen den Tod zu bringen, die das Pech haben, ihm auf seinem Weg der Zerstörung zufällig in die Quere zu kommen. Einige anarchistische Anschläge in der Vergangenheit mögen dazu beigetragen haben, diese Karikatur als zutreffend erscheinen zu lassen. Doch mit Sicherheit hat kein anderes als dieses unter dem Begriff der Anarchie zusammengefasste Bündel politischer Vorstellungen zu mehr Verwirrung und Missverständnissen geführt.

Ben Dupré
12. Säkularismus

„Die Vermengung von Staat und Religion kann die öffentliche Freiheit gefährden … Wenn eine Regierung einer bestimmten Religion den Vorzug gibt, dann sendet sie damit ein Signal der Exklusion an diejenigen, die nicht der favorisierten Glaubensrichtung angehören. Ein Staat kann nicht auf der Grundüberzeugung aufbauen, dass alle Menschen gleich geschaffen wurden, wenn er behauptet, dass Gott einige von ihnen bevorzugt … Wenn der Staat sich eine Rolle in religiösen Angelegenheiten anmaßt, verstößt er als Garant der Demokratie gegen seine Verpflichtung.“

Ben Dupré
13. Republikanismus

„Die wahre und einzig wahre Definition“ einer Republik, schrieb 1787 der spätere zweite Präsident der Vereinigten Staaten, John Adams, ist „eine Staatsform, in der alle Menschen, Reiche und Arme, Regierende und Regierte, Herren und Diener, Amtsinhaber und … der höchste und der niedrigste Bürger, vor dem Gesetz gleich sind“.

Ben Dupré
14. Kapitalismus

In der Euphorie, die auf den Zusammenbruch der staatlichen gelenkten Ökonomien des Ostblocks 1989 folgte, sprachen manche Kommentatoren von einem Sieg der liberalen Demokratie und des kapitalistischen Systems der sozialen Marktwirtschaft, das diese untermauerte. Die Überheblichkeit einer solchen Einschätzung wurde durch die weltweite Bankenkrise im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts auf schmerzhafte Weise deutlich.

Ben Dupré
15. Konservatismus

„Wenn es nicht nötig ist zu wechseln, ist es nötig, nicht zu wechseln.“ Oder, wie wir heute sagen würden: „Man soll nicht reparieren, was nicht kaputt ist.“ Diese simple Maxime, die (in ihrer eleganteren Form) erstmals der englische Staatsmann Viscount Falkland im 17. Jahrhundert formuliert haben soll, reflektiert einen uralten menschlichen Instinkt, der im konservativen Denken eine zentrale Rolle spielt.

Ben Dupré
16. Liberalismus

Aus einer Reihe historischer Gründe hat der Begriff „liberal“ heute auf beiden Seiten des Atlantiks ganz unterschiedliche Bedeutungen. In Europa wird er meist als Lob verstanden und auf Politiker angewendet, die sozial fortschrittlich sind und sich für den Schutz der Bürgerrechte einsetzen. In den USA ist der Begriff viel stärker politisch aufgeladen und wird oft auch als Schimpfwort gebraucht.

Ben Dupré
17. Sozialismus

Im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte wurde eine verblüffende Vielfalt höchst unterschiedlicher sozialistischer Ideen und Programme erdacht: von den idealistischen Plänen der utopischen Frühsozialisten über die revolutionären Entwürfe von Marx und Engels bis zu den gemäßigteren Vorhaben der Sozialdemokraten. Während viele dieser Projekte ein Traum blieben, wurden manche von ihnen Wirklichkeit: Einige brachten große Fortschritte hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit und Gleichbehandlung, andere zerstörten Leben und ganze Gesellschaften.

Ben Dupré
18. Kommunismus

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Mit dieser bekannten Äußerung, niedergeschrieben 1845, machte der Radikalsozialist Karl Marx deutlich, dass er mit seinem Werk über die Theorie hinaus auf reales Handeln abzielt — sein eigentliches Anliegen sind konkrete revolutionäre Veränderungen.

Ben Dupré
19. Sozialdemokratie

Die drei Säulen, auf denen die ideale zukünftige Gesellschaft nach Marx’ Vision ruhen sollte — kollektive Solidarität statt Individualismus, Freiheit von Ausbeutung und Gleichheit aller statt partikularer Interessen —, blieben fest im sozialistischen Denken verankert. Wie diese Ziele erreicht werden konnten, war jedoch heftig umstritten und führte zu tiefen Brüchen innerhalb des sozialistischen Lagers.

Ben Dupré
20. Multikulturalismus

Menschen hielten sich zu keiner Zeit dauerhaft an ein und demselben Ort auf. Über Jahrtausende bewegten sich unzählige Gruppen, von einzelnen Familien bis zu ganzen Bevölkerungen, ständig von einem Gebiet in ein anderes. Häufig erfolgten solche Wanderungen mehr oder wenig unfreiwillig: Menschen wurden gewaltsam entwurzelt und als Sklaven oder Gefangene gehalten oder durch Kriegsverheerungen oder Naturkatastrophen zur Flucht gezwungen. Andere Migrationsbewegungen geschahen aus freien Stücken, meist um nach Lebensbedingungen zu suchen, die mehr Sicherheit boten oder bessere ökonomische Möglichkeiten versprachen.

Ben Dupré
21. Arbeiterbewegung

„Die Arbeiterbewegung war die wesentliche Kraft, die Elend und Verzweiflung in Hoffnung und Fortschritt verwandelt hat. Ihr mutiger Kampf hat die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformen hervorgebracht, denen wir Arbeitslosenversicherung, Altersbezüge, Sozialhilfe und vor allem ein neues Lohnniveau verdanken, das nicht nur Überleben, sondern ein annehmbares Leben bedeutet. Die Industriekapitäne haben diese Umgestaltung nicht angeführt; sie widersetzten sich ihr, bis ihr Widerstand schließlich gebrochen wurde.“

Ben Dupré
22. Feminismus

In der bisherigen Geschichte standen die Frauen die meiste Zeit eindeutig an zweiter Stelle, ihr fester Platz war im Haushalt. Erst in den letzten 150 Jahren wurden Bestimmungen, welche die untergeordnete Stellung der Frauen festschrieben, aus den Gesetzbüchern westlicher Gesellschaften getilgt. Zuvor hatten Frauen nur begrenzten Zugang zu Bildung, waren von den meisten Berufen ausgeschlossen und durften nicht wählen oder sich für Ämter zur Wahl stellen. Verheiratete Frauen galten vielfach als ungeeignet, eigene Geschäfte zu führen oder uneingeschränkt persönlichen Besitz zu verwalten. Ehefrauen wurden in mancher Beziehung sogar wie das Eigentum ihrer Männer behandelt.

Ben Dupré
23. Umweltbewegung

Es gibt nur eine Erde. Für absehbare Zeit wird dieser Planet unsere einzige Heimat sein, und unser Überleben wird von seiner Fähigkeit abhängen, uns mit Nahrung und anderen Ressourcen zu versorgen und mit den von uns produzierten Abfallstoffen zurechtzukommen. Die Erde ist diesen Anforderungen seit vielen Zehntausend Jahren gerecht geworden, doch in der jüngeren Vergangenheit haben die Belastungen, die wir ihr zumuten, dramatisch zugenommen. Auf jeden Erdbewohner im frühen 18. Jahrhundert kommen heute schätzungsweise mehr als zehn Menschen, von denen jeder ein Vielfaches der endlichen Ressourcen in Anspruch nimmt.

Ben Dupré
24. Faschismus

Gelegentlich wurden Vergleiche gezogen zwischen den brutalen faschistischen Regimen, die in Europa in den 1920er- und 1930er-Jahren aufkamen, und der stalinistischen Diktatur, die Russland in ungefähr demselben Zeitraum terrorisierte. Eine klare moralische Unterscheidung fällt schwer, denn sowohl unter den kommunistischen Regimen wie auch unter der faschistischen Herrschaft mussten Millionen von Menschen unvorstellbares Leid erdulden oder verloren ihr Leben.

Ben Dupré
25. Fundamentalismus

Das hervorstechende Merkmal des Fundamentalismus ist seine völlige Selbstgewissheit. Aufgrund einer Art göttlicher Offenbarung glauben Fundamentalisten gleich welcher Couleur, dass sie einen privilegierten Zugang zu bestimmten elementaren, unverrückbaren Wahrheiten haben; und weil ihre Überzeugungen richtig und über jeden Zweifel erhaben sind, müssen andere Überzeugungen, die zu ihren im Widerspruch stehen, notwendigerweise falsch sein. Außerdem sind die betreffenden Gewissheiten so außerordentlich wichtig für diejenigen, die sie besitzen, dass diese sie in der Regel als moralisch gerechtfertigt ansehen, und mehr noch, dass sie sich verpflichtet fühlen, sie denen aufzunötigen, die sie nicht teilen. Toleranz ist keine Tugend, wenn man recht hat und Gottes Wille missachtet wird.

Ben Dupré
26. Islamismus

Als Folge der verheerenden Selbstmordattentaten, die am 11. September 2001 in New York und Washington verübt wurden, überspülte eine Woge der Islamfeindlichkeit die Vereinigten Staaten und große Teile der westlichen Welt. Als Antwort auf die von Panik und Empörung geprägte Stimmung verkündete George W. Bush einen „Krieg gegen den Terror“, der nicht eher zu Ende sein würde, „bis jede weltweit tätige terroristische Gruppe gefunden, am weiteren Vorgehen gehindert und besiegt worden ist“.

Ben Dupré

Der politische Apparat

27. Der Staat

Der Staat ist allgegenwärtig. Wir werden in seinem Schoß geboren und in ihm sterben wir, und sein langer Arm reicht bis in jeden Bereich unseres Lebens. Wie der Goldfisch in seiner Glaskugel sind wir von ihm umfangen, und das so sehr, dass wir uns seiner Anwesenheit nur selten bewusst sind. Allerdings würden wir sehr rasch bemerken, wenn es den Staat nicht gäbe: Es gäbe keine Gesetze, die uns sagen, was wir nicht tun dürfen, wir müssten keine Steuern zahlen — und hätten keine Straße, auf der wir fahren können, keine Renten, um uns im Alter zu unterhalten, und niemand würde den Müll entsorgen.

Ben Dupré
28. Verfassungen

„Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Inneren zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, das allgemeine Wohl zu fördern und das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika.“

Ben Dupré
29. Präsidialsystem

Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Willkürherrschaft und Demokratie ergibt sich aus der Frage der Verantwortung. Heutige Politiker mögen mit sehr weitgehenden Befugnissen ausgestattet sein, doch in einer Demokratie ist ihre Macht nicht unbegrenzt. Während ein absoluter Herrscher oder Autokrat tun und lassen kann, was er will, ohne sich vor irgendjemandem rechtfertigen zu müssen, sind diejenigen, die gewählt wurden, ein Land zu regieren, verantwortlich für ihr Tun; zumindest sind sie ihren Wählern Rechenschaft über die Korrektheit ihres Handelns schuldig.

Ben Dupré
30. Parlamente

Parlamente werden gelegentlich abschätzig als „Schwatzbuden“ bezeichnet. Dahinter steckt der Vorwurf, dass sie Orte unfruchtbarer Debatten statt entschlossener Maßnahmen sind. Diese Kritik ist insofern merkwürdig, als ein Parlament genau das und nichts anderes ist: eine Quasselbude — oder weniger abwertend, ein Forum für Debatten. Nur Autokraten regieren, ohne den Rat anderer einzuholen; die Debatte ist das Kennzeichen einer offenen Regierung.

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31. Politische Parteien

„Der Einsatz für religiöse, politische und andere Überzeugungen in Wort und Tat, die Bindung an verschiedene Führer, die voller Ehrgeiz um Vorherrschaft und Macht ringen, oder an andere Persönlichkeiten, deren Schicksal die menschlichen Leidenschaften erregt hat — all dies hat die Menschheit immer wieder in Parteien gespalten, sie mit Feindseligkeit gegeneinander erfüllt und sie dazu gebracht, einander eher zu peinigen und zu unter — drücken, als um des gemeinsamen Wohls willen zusammenzuarbeiten.“

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32. Öffentliche Verwaltung

Die öffentliche Verwaltung ist der Motor, der den modernen Staat am Laufen hält. Von den höchsten Beamten, die Minister beraten und die Umsetzung der Regierungspolitik begleiten, bis hinunter zum einfachen Finanzbeamten bilden die Staatsbediensteten — der riesige Beamtenapparat, der für die öffentliche Verwaltung zuständig ist — den Lebenssaft, der den Sauerstoff des öffentlichen Lebens transportiert.

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33. Medien

Am 11. April 1992, zwei Tage nachdem die Konservative Partei entgegen aller Vorhersagen ihren vierten Wahlsieg in Folge verbuchen konnte, veröffentlichte Englands meistverkaufte Tageszeitung

The Sun

auf der Titelseite eine ihrer berühmtesten — und seither berüchtigten — Schlagzeilen:

IT’S THE SUN WOT WON IT

Ben Dupré
34. Propaganda

Wahlkampfmanager versuchen, die öffentliche Meinung zugunsten ihres Kandidaten zu beeinflussen. Gewählte Politiker verfügen über Pressestellen, welche die Nachrichten „aufbereiten“ und dafür sorgen, dass Ereignisse in einem günstigen Licht erscheinen. In Kriegszeiten versuchen sie, die Bevölkerung auf Patriotismus und das Gefühl einer gemeinsamen Sache einzustimmen, um so für die nötige Opferbereitschaft und den erforderlichen Siegeswillen zu sorgen. Ein Militärführer bemüht sich, eine gegnerische Armee einzuschüchtern, indem er deren Moral untergräbt und gleichzeitig die Stärke der eigenen Streitkräfte aufbauscht. Geschäftsleute werben für das Image ihres Unternehmens, um Kunden davon zu überzeugen, dass ihre Produkte besser sind als die der Konkurrenz.

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Handlungsräume der Politik

35. Armut

Armut gibt es, weil die grundlegenden Ressourcen — die Dinge, die das Leben lebenswert machen oder gelegentlich überhaupt erst ermöglichen — nicht gleichmäßig verteilt sind. Ob diese Ressourcen gleich beziehungsweise weniger ungleich verteilt sein könnten oder sollten, ist eine grundlegende Frage der sozialen Gerechtigkeit. Und da es Aufgabe der Politik ist, eine gerechte Gesellschaftsordnung zu schaffen, ist und war Armut zu jeder Zeit ein zentrales Problem in der politischen Theorie und Praxis.

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36. Kriminalität

„Verbrechen ist nichts anderes als fehlgeleitete Energie. Solange jede bestehende Institution insgeheim dazu beiträgt, menschlichen Tatendrang wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich und moralisch in falsche Bahnen zu lenken; solange die meisten Menschen am falschen Platz Dinge tun, die sie nicht ausstehen können, ein Leben führen, das sie verabscheuen, werden Verbrechen unvermeidlich sein, und all die Vorschriften in den Gesetzesblättern können die Kriminalität nur erhöhen, sie aber niemals beseitigen.“

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37. Sicherheit

Salus populi suprema est lex

“, verkündete der große römische Staatsmann Cicero um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr., „Das Wohl des Volkes soll das oberste Gesetz sein!“ Die Sicherheit des Staates und seiner Bürger sowie die Wahrung seiner Interessen sind bis heute ein Anliegen von zentraler Bedeutung — manche würden sagen,

das

wichtigste Anliegen -, und zwar sowohl in der Theorie als auch in der Praxis.

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38. Nachrichtendienste

„Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von 100 Schlachten nicht zu fürchten.“ Der Leitsatz, den der chinesische General und Militärstratege Sunzi vor mehr als 2300 Jahren formulierte, beschreibt nach wie vor zutreffend die zentrale Erkenntnis, die der Arbeit heutiger Nachrichten- oder Geheimdienste zugrunde liegt. Verlässliche Informationen über diejenigen, die den Staat angreifen oder ihm und seinen Interessen schaden wollen, können bei der Abwehr potenzieller Gefahren und der Erhaltung der nationalen Sicherheit von entscheidender Bedeutung sein.

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39. Politische Gewalt

Politik hat Gewalt zur Voraussetzung. Gewalt, oder die Bedrohung durch Gewalt, ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb Menschen Gesellschaften bilden, in welchen die Regierung einer zentralen Autorität — dem Staat — anvertraut wird. Und aus genau diesem Grund beansprucht der Staat ein „Monopol über den legitimen Einsatz von Gewalt“ — ein exklusives Recht, physische Zwangsmittel gegen äußere Feinde wie auch die eigenen Bürger einzusetzen, wenn diese gegen die von ihm aufgestellten Regeln verstoßen.

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40. Staatliche Wohlfahrt

„Denn nicht genug, dem Schwachen aufzuhelfen, auch stützen muss man ihn“, lässt Shakespeare seinen Timon von Athen sagen, und dies könnte auch als Motto für den Wohlfahrtsstaat dienen. Nur der wahrhaft Gesegnete kommt durchs Leben, ohne je Hilfe von anderen zu benötigen. Arbeitslosigkeit, Familienzerrüttung, Gewalt und Missbrauch, Krankheit und körperliche oder geistige Behinderung, Straffälligkeit und Drogensucht, Alter: Fast jeder kommt irgendwann einmal in eine Situation, in der er mit den Problemen, vor die das Leben ihn stellt, nicht mehr allein fertig wird. Was könnte also segensreicher sein als die Idee eines staatlichen Sicherheitsnetzes, das uns auffängt, wenn wir in Schwierigkeiten oder Not geraten?

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41. Rassismus

Gegen manche Vorstellungen ist kein Kraut gewachsen, so falsch sie auch sein mögen. Kaum eine Haltung wurde von gebildeten Menschen so kategorisch zurückgewiesen wie der Rassismus. Die Wissenschaft hat gezeigt, dass er jeglicher vernünftigen Grundlage entbehrt, und die Geschichte hat bewiesen, dass er keinen Platz in einer zivilisierten Gesellschaft hat. Doch der Nachweis seiner biologischen Irrelevanz konnte nicht verhindern, dass Rassismus sich fest im politischen Denken eingenistet hat.

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42. Korruption

„Korruption ist kein neues Problem … Sie ist ein menschliches Problem, und sie hat in der einen oder anderen Form in nahezu jeder Gesellschaft existiert … Es wird schmerzhaft deutlich, dass Korruption Entwicklung im Keim erstickt — sie schöpft die knappen Ressourcen ab, die zum Ausbau von Infrastruktur und Bildungseinrichtungen und zur Stärkung des Gesundheitswesens eingesetzt werden könnten … Wenn das Volk nicht darauf vertrauen kann, dass seine Regierung die Aufgaben erledigt, für die sie da ist, ist letztlich alles verloren. Deshalb ist der Kampf gegen die Korruption einer der wichtigsten Kämpfe unserer Zeit.“

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43. Political Correctness

Mehrere britische Zeitungen berichteten 2006 mit spöttischem Unterton über zwei Spielgruppen, die sich bar jeder kindlichen Unbefangenheit die Zwangsjacke der politischen Korrektheit übergestreift hatten. Aus übertriebener Angst, die Gefühle von Menschen mit dunkler Hautfarbe zu verletzen, hatten sie den traditionellen Kinderspruch „Bäh, bäh, schwarzes Schaf“ umgeschrieben und „schwarz“ durch „Regenbogen“ ersetzt. Ebenfalls ohne jeden Sinn für Humor, so schrieben die Blätter, sei das niederschmetternde Schicksal von Humpty Dumpty (eine Figur aus einem englischen Kinderreim) abgeändert worden, um zu verhindern, dass junge Menschen ein Trauma erleiden könnten, derweil die sieben Zwerge aus Rücksicht auf die Sensibilität der Kleinwüchsigen aus Schneewittchen verbannt wurden.

Ben Dupré

Die ganze Welt ist Bühne

44. Politischer Realismus

„Wir [die Athener] haben nichts Auffallendes oder dem menschlichen Geiste Fernliegendes getan, wenn wir die angebotene Herrschaft annahmen und dieselbe nicht wieder aufgaben, da wir von den wichtigsten Motiven bewogen sind, von Ehre, Furcht und Nutzen, auch nicht zuerst ein solches Verfahren eingeführt haben, sondern es für alle Zeiten feststeht, dass der Schwächere von dem Mächtigeren niedergehalten wird. Wir glauben unserer Herrschaft würdig zu sein, und auch ihr, Spartaner, hieltet uns bis jetzt dafür, bis ihr jetzt euren Vorteil berechnend den rechtlichen Gesichtspunkt gelten macht; den noch niemand, wenn sich Gelegenheit bot, durch Gewalt etwas zu erwerben, voranstellte und dadurch sich von Übergriffen abhalten ließ.“

Ben Dupré
45. Krieg

„Im Menschen ist ein Drang zur Vernichtung, ein Drang zum Totschlagen, zum Morden und Wüten, und solange die ganze Menschheit, ohne Ausnahme, keine Metamorphose durchläuft, wird Krieg wüten, wird alles, was gebaut, gepflegt und gewachsen ist, wieder abgeschnitten und vernichtet, und dann fängt es wieder von vorn an.“ Mit diesen im Mai 1944 niedergeschriebenen Worten drückt das 14-jährige deutsch-jüdische Mädchen Anne Frank eine von vielen geteilte Hoffnungslosigkeit aus. Von allen Geschöpfen scheint der Mensch als einzige Spezies darauf versessen zu sein, seinesgleichen umzubringen. Kriege hat es in wiederkehrenden Zeitabständen und fast überall gegeben, man könnte also mit der jungen Tagebuchschreiberin versucht sein zu glauben, dass er ein tief in der Natur des Menschen verwurzeltes Element ist.

Ben Dupré
46. Nationalismus

„Das Vaterland ist kein Territorium, das Territorium ist lediglich dessen Grundlage. Das Vaterland ist die Idee, die dieser Grundlage entspringt; es ist das Gefühl der Liebe und der Gemeinschaft, das alle Söhne dieses Territoriums miteinander verbindet.“ So beschrieb der italienische Politiker Giuseppe Mazzini 1860 das Gefühl des Patriotismus — die Liebe zum Vaterland -, von dem er so sehr beseelt war, dass er zu einem der Architekten des italienischen Einigungsprozesses wurde.

Ben Dupré
47. Imperialismus

Der Begriff ist historisch gesehen relativ jung, doch imperialistische Praktiken sind fast so alt wie die Geschichte selbst. Seit frühester Zeit streben Menschen, die erfolgreich ein starkes politisches Gemeinwesen geformt haben, danach, die Kontrolle über schwächere Gemeinschaften — in der Regel durch Waffengewalt — zu gewinnen und deren Land, Arbeitskräfte und andere Ressourcen auszubeuten.

Ben Dupré
48. Isolationismus

Sich einzumischen bringt meist nur Ärger. Für die Führung eines Landes ist es immer ratsam, sich —

ceteris paribus

— aus den Problemen anderer Länder herauszuhalten. Und der sicherste Weg, nicht in fremde Querelen hineingezogen zu werden, ist der, keine Verpflichtungen einzugehen, die die eigene Handlungsfreiheit einschränken könnten und einen zu Entscheidungen zwingen, die man normalerweise nicht getroffen hätte.

Ben Dupré
49. Globalisierung

Die Welt ist enger zusammengerückt. Mobiltelefone, SMS, E-Mail, soziale Netzwerke, Banküberweisungen auf Knopfdruck, Satelliteninformationssysteme: Jede dieser technologische Entwicklungen hat uns der Realität einer uneingeschränkten, schnellen und weltweiten Kommunikation ein Stück nähergebracht. Und dieses Schrumpfen des virtuellen Raumes hat auch Orte im realen Raum einander angenähert. Eine Reise auf die andere Seite des Globus, die vor einem Jahrhundert noch Wochen dauerte, ist heute eine Angelegenheit von Stunden. Orte, die einst unmöglich zu erreichen waren, wurden durch billige Fernflüge für Millionen von Touristen erschlossen. Egal wohin wir gehen, wir tragen die gleiche Kleidung, nehmen das gleiche Essen zu uns, sehen dieselben Sportarten und Fernsehprogramme. Wir bekommen sogar dieselben Krankheiten.

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50. Vereinte Nationen

Die Vereinten Nationen (UNO) sind die größte und erfolgreichste internationale Organisation, die jemals existierte. Ihr natürlich größter Triumph ist, dass es seit mehr als 50 Jahren keinen globalen Konflikt — keinen Dritten Weltkrieg — gegeben hat. Doch sie hat noch mehr erreicht: Bei der Einhaltung der Menschenrechte wurden weltweit Fortschritte erzielt; die Folgen verheerender Krankheiten konnten abgemildert werden; die sozialen und ökonomischen Systeme der Entwicklungsländer wurden gefördert; die derzeit drängendsten Probleme — internationaler Terrorismus, Drogenhandel, internationales organisiertes Verbrechen, Klimawandel — wurden angesprochen und als Daueraufgaben auf die Agenda gesetzt.

Ben Dupré
Backmatter
Metadaten
Titel
50 Schlüsselideen Politik
verfasst von
Ben Dupré
Copyright-Jahr
2013
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-8274-3109-7
Print ISBN
978-3-8274-3108-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-8274-3109-7