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Open Access 2015 | OriginalPaper | Buchkapitel

Arbeitssystemgestaltung im Spannungsfeld zwischen Organisation und Mensch–Technik-Interaktion – das Beispiel Robotik

verfasst von : Steffen Wischmann

Erschienen in: Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Die fortschreitende Automatisierung in der Produktion und Fertigung der zurückliegenden Jahrzehnte wurde unter anderem durch den vehementen Einsatz von Industrierobotern vorangetrieben.
Dabei existiert heute weitestgehend eine saubere Trennung, beispielsweise durch entsprechende Sicherheitszäune zwischen robotischen und menschlichen Arbeitsplätzen. Eine direkte Interaktion während der Arbeitsprozesse soll bewusst nicht stattfinden. Diese Trennung symbolisiert durchaus auch das Pardigma der industriellen Automatisierung. Gesamte Arbeitsschritte, wie das Schweißen oder Lackieren von Autoteilen, werden vollautomatisiert und die manuelle Arbeit komplett entfernt. Die Arbeiter besetzen die Automatisierunglücken, d. h. diejenigen Arbeitsprozesse, die entweder aufgrund ihrer Komplexität technologisch oder aufgrund der großen Variantenvielfalt der zu bearbeiten Werkstücke wirtschaftlich nicht zu automatisieren sind.
Dass Roboter und Arbeiter nicht nur nebeneinander co-existieren, sondern auch physisch miteinander, d. h. kooperativ, interagieren können, wird mit Hilfe von Beispielen aufgezeigt. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass neue technologische Entwicklungen das gesamte Spektrum von Mensch–Roboter-Interaktionen abdecken können, vom einfachen Instruieren über das physische Interagieren hin zu einer echten Kooperation
Hinweise
Der Originaltext dieses Beitrags wurde überarbeitet. Das vollständige Korrekturverzeichnis finden Sie am Ende des Buchs und online unter http://​dx.​doi.​org/​10.​1007/​978-3-662-45915-7_​16.

Einleitung

Die fortschreitende Automatisierung in der Produktion und Fertigung der zurückliegenden Jahrzehnte wurde unter anderem durch den vehementen Einsatz von Industrierobotern vorangetrieben. Deutschland ist mit Abstand der größte Markt in Europa was den Einsatz und Verkauf von Industrierobotern betrifft. Weltweit befinden sich nur in den USA und in Japan mehr Industrieroboter pro Arbeiter im Einsatz. Im Jahre 2012 erzielte die deutsche Automatisierungs- und Industrierobotikbranche einen Umsatz von ca. 10,5 Mrd €.1
Dabei existiert heute weitestgehend eine saubere Trennung, beispielsweise durch entsprechende Sicherheitszäune zwischen robotischen und menschlichen Arbeitsplätzen. Eine direkte Interaktion während der Arbeitsprozesse soll bewusst nicht stattfinden. Diese Trennung symbolisiert durchaus auch das Paradigma der industriellen Automatisierung. Gesamte Arbeitsschritte, wie das Schweißen oder Lackieren von Autoteilen, werden vollautomatisiert und die manuelle Arbeit komplett entfernt. Die Arbeiter besetzen die Automatisierunglücken, d. h. diejenigen Arbeitsprozesse, die entweder aufgrund ihrer Komplexität technologisch oder aufgrund der großen Variantenvielfalt der zu bearbeiten Werkstücke wirtschaftlich nicht zu automatisieren sind (siehe auch Beitrag von Ernst A. Hartmann „Arbeitsgestaltun​g für Industrie 4.​0:​ Alte Wahrheiten, neue Herausforderunge​n“). Das Dilemma eines solchen Vorgehens kann anhand des Beispiels Toyota sehr gut illustriert werden.
Toyota setzte sich 2014 zum Ziel 10 Mio Autos zu produzieren, mehr als je ein Automobilbauer zuvor. Um dieses Ziel zu erreichen, erhöhte Toyota seit der Jahrtausendwende seine Produktion um jährlich eine halbe Million Fahrzeuge. Diese enorme Produktionssteigerung konnte nur durch konsequente Automatisierung und dabei vor allem durch den verstärkten Einsatz von Industrierobotern realisiert werden. In den Fabriken verlagerte sich das menschliche Einsatzgebiet meist auf das Befüllen der Maschinen mit entsprechenden Werkstücken. Funktionieren die Maschinen nicht wie erwartet, kann kein Arbeiter die Probleme mehr selbst beheben. Die Arbeitsschritte sind komplex und die durchführenden Maschinen ebenfalls. Da der Arbeiter an den wesentlichen Produktionsschritten nicht mehr beteiligt, und damit nicht im Bilde ist, fehlt ihm einerseits die Kompetenz im Falle eines Maschinenfehlers einzugreifen. Anderseits kann er seine, gegenüber den Maschinen überlegenen, kognitiven Fähigkeiten auch nicht mehr dafür einsetzen, Optimierungspotentiale am Produktionsprozess zu erkennen.
Toyota, bislang für seine hohe Qualität bekannt, kämpfte in den letzten Jahren zunehmend mit Produktionsfehlern. So mussten 2009 nach 100 tödlichen Unfällen ca. 3,8 Mio. Autos wegen der Gefahr blockierender Bremspedale zurückgerufen werden.2 Toyota musste aus diesem Grund in den USA ca. 1,2 Mrd. Dollar Strafe zahlen.
2014 rief Toyota 6,4 Mio. Autos zurück, diesmal aufgrund des Verdachtes der mangelhaften Befestigung von Lenksäulen und Sitzschienen.3 Dies sind klare Produktionsmängel und beruhen nicht auf elektronischen oder Softwarefehlern. Auch vor diesem Hintergrund ändert sich nun die Produktionsstrategie. Toyota begann in den letzten Jahren verstärkt manuelle Arbeitsplätze wieder einzuführen, die zuvor durch den Einsatz von Industrierobotern komplett verschwanden. Die Schaffung manueller Arbeitsplätze bei Toyota bedeutet jedoch keine Rückkehr zur Fertigung im Sinne einer Manufaktur. Im Gegenteil, Toyota setzt weiterhin massiv auf Automatisierungslösungen. Es handelt sich dabei eher um Lernfabriken, die den Arbeiter in die Lage versetzen sollen, die Arbeitsschritte der Maschinen wieder besser zu verstehen (siehe dazu auch Beitrag von A. Kamper et al. „Die Rolle von lernenden Fabriken für Industrie 4.​0“). Denn erst durch das eigene Ausführen aller Produktionsschritte, ist der menschliche Arbeiter in der Lage die Prozesse zu verstehen, zu verbessern und im Falle von Fehlern einzuschreiten. Die bedeutet nicht die Abkehr vom Automatisierungsprozess, es soll vielmehr verloren gegangenes Wissen über alle Fertigungsprozesse wieder erlangt werden.
Das Roboter und Arbeiter nicht nur nebeneinander co-existieren, sondern auch physisch miteinander, d. h. kooperativ, interagieren können, soll mit Hilfe der folgenden Beispiele aufgezeigt werden. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass neue technologische Entwicklungen das gesamte Spektrum von Mensch–Roboter-Interaktionen abdecken können, vom einfachen Instruieren über das physische Interagieren hin zu einer echten Kooperation.

Der Roboter wird zum kooperierenden Partner

Insbesondere die rasanten technologischen Fortschritte auf den Gebieten der Sensorik, Aktuatorik und Navigation ermöglichen neue Einsatzgebiete von Robotern, die weit über die klassischen Anwendungen der Industrierobotik hinausgehen. Dabei zeichnet sich ein Trend ab, weg von der örtlich separierten Co-Existenz, hin zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter.
Wird der Roboter dabei zum kooperierenden, intelligenten Werkzeug des Menschen? Erlauben solche Systeme das Aufgabenspektrum der Arbeiter hin zu einer vollständigen Tätigkeit zu erweitern? Inwieweit passt sich der Roboter an den Menschen an und inwieweit muss sich der Mensch weiterhin an den Roboter anpassen? Welche neuen Interaktionsformen erlauben eine echte Kooperation zwischen Mensch und Maschine? Diese Fragen werden im Folgenden anhand von ausgewählten Beispielen diskutiert.

Der Mensch instruiert

Das Projekt RoboGasInspector (Abb. 1) aus dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Technologieprogramm Autonomik zeigt die deutlichen Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation durch (teil)autonome Roboter. Ziel des Projektes ist die frühzeitige Erkennung von Gas-Lecks in technischen Anlagen durch ein innovatives Mensch–Maschine-System mit intelligenten, kooperierenden und mit Gas-Fernmesstechnik ausgestatteten Inspektionsrobotern. Dabei sollen die Inspektionen von technischen Anlagen weitgehend autonom bewältigt werden. Die hierzu eingesetzte multimodale Fernmesstechnik sorgt dafür, dass selbst schwer zugängliche Orte effizient inspiziert werden können. Die Vernetzung mit dem Internet dient der Übermittlung von nicht lokal gemessenen oder gespeicherten Informationen, der Kommunikation mit der Anlagensteuerung und -überwachung sowie zum Informationsaustausch mit anderen Robotern und dem Anwender. Über GPS und Laserscanner erfolgt schließlich die Selbstlokalisation und Navigation der Roboter. Mittels Augmented Reality kann der Benutzer bei diesem Projekt über eine Karte das Inspektionsgebiet intuitiv festlegen, die Umgebung des Roboters aus dessen Perspektive wahrnehmen und sämtliche Sensorik überwachen.
Bei Bedarf lässt sich über gestenbasierte Interaktionskonzepte vom Nutzer zudem die Teleoperation und Telemanipulation des Roboters und seines Greifers übernehmen. Dies geschieht beispielsweise über eine Tool-Center-Point-Steuerung mit einer Space-Maus oder über optische Motion–Tracking-Systeme, bei der die Handbewegungen des Benutzers direkt in Roboterbewegungen umgesetzt werden. Feedback erhält der Operateur über ein Stereokamerasystem, das eine 3D-Visualisierung über stereoskopische Bildschirme oder VR-Kopfdisplays ermöglicht. Dadurch können Ventile teleoperativ geöffnet und geschlossen oder bestimmte Rohrstellen genauer untersucht werden.
Sämtliche Arbeiten werden zentral von einer Leitstelle ausgeführt, dies ändert das Aufgabenfeld der Trassenläufer deutlich: Die Vor-Ort-Begehung wird tendenziell verschwinden und durch Aufgaben wie Überwachung, Planung und Service ersetzt werden. Das impliziert einen Trend zu höher qualifizierten Tätigkeiten, welche eine andere Ausbildung erfordern als dies bisher notwendig war. Damit entfällt das bisherige Stellenprofil. Trotz der Ausgliederung des Menschen aus vielen Arbeitsprozessen (z. B. Messen und Navigieren) durch den Roboter übernimmt der Mensch zu einem gewissen Grad mehr als nur eine reine Überwachungstätigkeit ein. Er plant die Wege des Roboters und interagiert in bestimmten Situationen direkt mit dem System und wertet die vom Roboter gewonnen Daten aus.
Wie Roboter die Arbeit des Menschen erleichtern können, ohne diesen vollständig zu ersetzen, illustriert das Beispiel des Roboters der Firma Sabre Autonomous Solutions.
Sein Einsatzgebiet: das Sandstrahlen von Stahlstrukturen. Insbesondere große Stahl-Infrastrukturen, wie z. B. Brücken, müssen kontinuierlich von Korrosionen befreit werden. Diese Arbeit wird bislang manuell durchgeführt. Die rauen Arbeitsbedingungen der physisch äußerst anstrengenden Tätigkeit erfordern selbst bei erfahrenen Arbeitern bereits nach ca. 15–30 Minuten Einsatz eine längere Pause. Die Firma Sabre Autonomous Solutions entwickelte einen Roboter, der diese Arbeit erleichtert und zum größten Teil automatisiert. Der Roboter wird an dem zu bearbeitenden Teilsegment positioniert und die Arbeitsumgebung, genauso wie bei manueller Tätigkeit erforderlich, entsprechend gesichert. Mit seiner intelligenten Sensorik scannt der Roboter das zu bearbeitende Gebiet, eine Software identifiziert die zu bearbeitenden Bereiche und berechnet die Bewegungspläne des Roboterarms. Der Arbeiter überwacht den Roboter bei seiner autonomen Arbeit und unterbricht diesen, falls dies aus Sicherheitserwägungen erforderlich wird. Anschließend führt der Arbeiter eine Qualitätskontrolle durch und arbeitet gegebenenfalls manuell nach bzw. deckt die Bereiche ab, die für den Roboter schwer zugänglich sind.
Entscheidend bei der Entwicklung des Roboters war, dass die Arbeiter konsequent in den Entwicklungsprozess einbezogen wurden, unter anderem in die Gestaltung des Kontrollpanels. Spezialqualifikationen zur Bedienung des Roboters sind nicht notwendig. Nach einer kurzen Anlernphase ist der Arbeiter in der Lage den Roboter am Einsatzort zu positionieren, eventuelle Korrekturen an den vom Roboter vorgeschlagenen Trajektorien vorzunehmen, das System zu starten und jederzeit zu unterbrechen. Aktuell kann ein Arbeiter zwei Roboter parallel operieren und die notwendigen manuellen Arbeiten übernehmen für die vorher mindestens drei Arbeiter notwendig waren. Damit entfallen zwar Arbeitskräfte, das Arbeitsprofil hat sich jedoch nicht grundlegend verändert, sondern wurde um organisatorische und kontrollierende Aspekte erweitert. Angesichts fehlender Fachkräfte in diesem Bereich kommt es nicht zur Verdrängung von Arbeitsplätzen. Roboter und Mensch arbeiten jedoch weiterhin örtlich und zeitlich versetzt und interagieren nicht direkt physikalisch miteinander.

Der Mensch interagiert

Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Roboter und Mensch veranschaulicht das Projekt Rorarob (Abb. 3, siehe auch Beitrag von J. Deuse et al. „Gestaltung vonProduktionssy​stemen im Kontext von Industrie 4.​0“). Es zeigt auf, wie sich neue kollaborative Systeme in bestehende Arbeitsstrukturen integrieren lassen, ohne dass neue Qualifikationsprofile erforderlich sind. Konkret wurde ein Roboterassistenzsystem zur Bearbeitung von Schweißaufgaben in der Rohr- und Rahmenfertigung entwickelt. Ein wesentlicher Fokus lag hier auf der Interaktion zwischen Mensch und Maschine unter ergonomischen und ökonomischen Aspekten.
Ziel des Projektes war es nicht, die Schweißer zu ersetzen. Vielmehr ging es darum, Nebentätigkeiten wie etwa die Werkstückhandhabung, die für die Kernaufgabe „Schweißen“ nicht wesentlich sind, zu reduzieren. Einhergehen damit erhebliche ergonomische Entlastungen. Das heißt beispielsweise: Bauteile von etwa 80 kg müssen nicht mehr manuell bewegt und positioniert werden. Auch Zwangshaltungen werden vermieden. Dafür wurde ein digitales physisches Menschmodell (Abb. 3 rechts) von Anfang an in das System integriert und auf diese Weise die kinematischen Begrenzungen anforderungsgerecht abgebildet.
Über Kollisionsabfragen werden bei diesem Projekt optimale Bewegungsmuster für die werkstückführenden Handhabungsroboter abgeleitet, in Roboterprogramme umgewandelt und in das Gesamtsystem übernommen. Gleichzeitig wird an dem virtuellen Werker überprüft, ob dessen physische Belastung unterhalb der Belastungsgrenzen liegt. Im laufenden Betrieb kann der Arbeiter die Arbeitshöhe mit Hilfe eines innovativen Interaktionsinstruments (6D-Maus) anpassen. Entscheidend ist aber auch hier: Die Schweißer programmieren die Roboter nicht selbst. Dies erfolgt fast ausschließlich durch Offline-Programmierung.
Eine Aufgabenbereicherung für die Schweißer durch Integration von Programmieraufgaben ist in diesem Beispiel auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht naheliegend. Das bedeutet, dass sich die Tätigkeiten und das Qualifikationsprofil des Schweißers, im Gegensatz zum RoboGasInspector, nicht grundlegend ändern. Im Sinne einer positiven Arbeitsorganisation findet jedoch eine wesentliche Entlastung statt, der Arbeiter steht im Zentrum der Tätigkeiten und kann bereits zu einem gewissen Grad Einfluss auf die Assistenzfähigkeit des Roboters nehmen.

Der Mensch kooperiert

Das Ergebnis des Projektes JILAS, welches als Experiment im Rahmen des EU-Projektes ECHORD (Proj. No. 231143) finanziert und durchgeführt wurde, verdeutlicht, wie moderne Robotertechnologien vollständig zum Assistenten des Arbeiters werden können (Abb. 4). Die Anforderungen für die folgende Automatisierungslösung kamen von einem Schweizer Hersteller von Kleinstflugzeugen, die zum überwiegenden Teil Einzelanfertigungen sind. Daher erfolgte die Montage bisher ausschließlich manuell. Aufgrund der hohen Lohnkosten in der Schweiz musste die Produktion jedoch ausgelagert werden. Insbesondere das Anbringen der schweren Seiten- und Deckenteile erforderte das koordinierte Zusammenspiel von bis zu fünf Personen. Mit Hilfe eines kraftkontrollierten Roboterarms kann ein Arbeiter diese Tätigkeit nun selbstständig und völlig sicher ausführen. Der Roboterarm nimmt die schweren Teile auf und der Arbeiter kann dann, unterstützt durch den Roboter, das Seitenteil in nahe seiner finalen Position bewegen. Um die millimetergenaue Endpositionierung zu erleichtern, vermisst der Arbeiter die Endpunkte mit Hilfe eines einfach zu bedienenden Trackingsystems. Der Roboter führt die finale Positionierung dann weitestgehend autonom durch. Häufig wird das zu bewegende Teil jedoch durch hervorstehende Schrauben und Ösen blockiert. In diesem Fall kann der Mensch den Roboter unterstützen, in dem er an dem Teil in die Richtung zieht, die die Blockierung auflöst. Anschließend setzt der Roboter seine Bewegung fort und der Arbeiter übernimmt die Endmontage. Das System ist so ausgelegt, dass dessen Bedienung keinerlei Spezialkenntnisse erfordert. Der Arbeiter hantiert weiterhin mit den von ihm gewohnten Werkstücken, nur kann er dank der Roboterunterstützung dies nun weitaus präziser und vor allem ohne die Hilfe anderer Arbeiter durchführen. Das Halten und Bewegen schwerer Lasten, vorher eine hohe ergonomische Belastung, geht nun sprichwörtlich leicht von der Hand. Der gesamte Arbeitsprozess ist in der Hand des Werkers. Er plant seine Arbeiten selbständig, führt diese aus, kontrolliert das Ergebnis und korrigiert, wenn notwendig, Fehler. Dabei werden auch einfach Routineaufgaben, wie das Bewegen von Montageteilen nicht vollständig automatisiert. Es handelt sich hierbei also um eine nahezu vollständige Tätigkeit im Sinne guter Arbeit (siehe auch Beitrag von Ernst A. Hartmann „Arbeitsgestaltun​g für Industrie 4.​0:​ Alte Wahrheiten, neue Herausforderunge​n“).

Kollege Roboter

Derzeit maturieren mehr und mehr Robotersysteme, die eine hervorragende Assistenzfunktion für den Menschen aufweisen (Abb. 5). Insbesondere Leichtbauroboter spielen dabei eine besondere Rolle, wie etwa die des dänischen Herstellers Universal Robots. Die maximalen Kräfte und Geschwindigkeiten des Roboters sind so konzipiert, dass dieser keine Verletzungen verursacht und sofort seinen Betrieb stoppt, sobald ein Mensch in seinem Arbeitsbereich eingreift. Bereits nach kurzem Training können die Arbeiter den Roboter vollkommen autonom über die grafische Oberfläche eines Teach-in-Panels programmieren. Seit 2009 verkaufte Universal Robots mehr als 2.500 Roboter, 80 % davon arbeiten eng mit dem Menschen ohne physikalische Sicherheitsbarrieren zusammen.
Noch weiter vereinfacht ist die Programmierung, analog zum erwähnten JILAS Projekt, des Roboters Baxter von der Firma Rethink Robotics. Baxter wurde von Anfang an unter Einbeziehung potenzieller Anwender entwickelt. Neben Sicherheitsaspekten lag das Hauptaugenmerk dabei auf der einfachen Nutzbarkeit beziehungsweise Interaktion zwischen Roboter und Arbeiter. Programmierung und Training von Baxter erfolgen über intuitives Ziehen und Schieben des Roboterarmes und -greifers. Mittels eines Bildschirms erhält der Nutzer visuelles Feedback über den Trainingserfolg. Dieser Bildschirm dient zusätzlich auch der Interaktion während des laufenden Betriebes. Virtuelle Augen signalisieren, wenn der Roboter beispielsweise aufgrund fehlender Teile Hilfestellung benötigt, und schauen immer in die Richtung, in der der Roboter gerade motorisch aktiv ist. Somit kann der Arbeiter die Bewegungen des Roboters sehr leicht antizipieren. Baxter ist wie der UR5 intrinsisch sicher, sodass keine Sicherheitsbereiche definiert und gegenüber dem Arbeiter abgegrenzt werden müssen.
Damit erfüllen Roboter wie Baxter, UR5 und ähnliche Modelle anderer Hersteller (ABB, KUKA, FANUC, Epson, Yaskawa, Kawada, etc.) alle arbeitsorganisatorischen Anforderungen um als Werkzeug für die Realisierung einer vollständigen Tätigkeit zu dienen. Einerseits kann der Arbeiter die Aufgaben ohne fachspezifische Zusatzqualifikationen eigenständig planen, organisieren, durchführen und kontrollieren. Andererseits ist der Roboter auch in der Lage, seinen Istzustand für den Fall, dass die gewohnte Operabilität nicht mehr gewährleistet ist, an den Nutzer weiterzugeben. Der Nutzer kann dies intuitiv verstehen und ist fähig, das Problem selbstständig zu beheben. Zum einem setzt dies voraus, dass der Arbeiter in der Regel an allen Arbeitsschritten beteiligt ist und zum anderen sind intuitive Schnittstellen notwendig – nicht nur in Richtung vom Menschen zum Roboter, sondern auch in die andere Richtung. Dies ist bei den meisten heutigen Systemen jedoch noch nicht gegeben. Erreicht werden kann dies entweder durch entsprechende Visualisierungen, wie bei Baxter, oder dadurch, dass der Roboter die Bewegungen und Aktionen des Menschen lediglich unterstützt, wie im Beispiel JILAS. Letzteres bietet den Vorteil, dass der Mensch zu jederzeit im Bilde ist, da er die Tätigkeit selbst ausführt. Dadurch erkennt er Probleme intuitiv ohne dass besondere Maschine–Mensch-Schnittstellen notwendig wären.

Bidirektionale Interaktion zwischen Mensch und Maschine

Derzeitige Forschungsarbeiten im Bereich der Mensch–Maschine-Interaktion konzentrieren sich oft darauf, das Verhalten des Menschen vorherzusagen und daraus ein adaptives Roboterverhalten abzuleiten. Dabei wird oft vergessen, dass auch der Mensch hochgradig adaptiv reagieren kann – vorausgesetzt er ist in der Lage, die „Intentionen“ und Zustände eines Roboters intuitiv zu erfassen. Die große Herausforderung an zukünftige „kooperierende“ Robotersysteme wird damit deutlich. Der Roboter muss in der Lage sein seinen Istzustand für den Fall, dass die gewohnte Operabilität nicht mehr gewährleistet ist, an den Nutzer weiterzugeben. Der Nutzer muss dies verstehen können und in der Lage sein, das Problem selbständig zu beheben. Im Idealfall wird dieser Service für den Roboter dann nicht mehr, wie bislang, vom Hersteller übernommen, sondern vom Anwender selbst, wie es in Ansätzen im Falle von Baxter bereits realisiert wurde. Dies setzt intuitive bidirektionale Schnittstellen voraus.
Fraunhofer IFF zeigt, wie die Rückmeldung des Roboters an den Arbeiter weiter ausgestaltet werden kann (Abb. 6). Die Forscher entwickelten eine Sensorhaut, die sich flexibel an die unterschiedlichsten Geometrien anpassen kann (Abb. 6 links). Einerseits kann das resistive Messsystem Berührungen schnell und zuverlässig erkennen und damit die Sicherheit der Interaktion zwischen Mensch und Roboter erhöhen. Es signalisiert dem Roboter, dass sich der Arbeiter in unmittelbare Nähe befindet. Der Roboter kann seine Tätigkeit stoppen oder entsprechende Ausweichbewegungen durchführen. Anderseits kann das gleiche System auch als Eingabegerät, eine Art Touchpad am Roboterarm, zur Programmierung benutzt werden. Ein ähnliches System der Robert Bosch GmbH „APAS“ erhielt für die Sensorhaut kürzlich eine Zertifizierung durch die deutsche Berufsgenossenschaft und erlaubt die direkte Zusammenarbeit von Mensch und Roboter. Es handelt sich um eine hochsensitive kapazitative Sensorhaut, die die Annäherung eines Menschen zuverlässig detektiert bevor es zum Kontakt kommt und so den Roboter rechtzeitig vor einer Kollision stoppt. Diese Sicherheitssysteme helfen jedoch dem Menschen nicht direkt, das Verhalten eines Roboters besser zu antizipieren. Auch hier hat das Fraunhofer IFF Lösungen parat (Abb. 6 rechts). Über eine Kombination von Kamera- und Projektionstechnik lassen sich bei diesem Projekt nicht nur Sicherheitsbereiche dynamisch und für jeden Nutzer leicht verständlich visualisieren, sondern es wird auch das Eingreifen in die Sicherheitsbereiche registriert und entsprechende Aktionen beim Roboterarm ausgelöst (zum Beispiel Not-Stopp). Gleichzeitig kann ein solches System den Nutzer über zukünftige Aktionen des Roboters informieren; und zwar genau dort, wo diese Aktionen stattfinden werden. Damit handelt es sich um eine hochintuitive bidirektionale Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, die ein wesentlich effizienteres Zusammenarbeiten von Mensch und Roboter verspricht.

Fazit

Die vorangegangen Beispiele zeigen ein breites Spektrum an Auswirkungen auf die Arbeitssystemgestaltung, die mit neuester Robotertechnologie entstehen können. Tätigkeiten können, sowie bei der konventionellen Automatisierung, ganz entfallen und von Robotern übernommen werden, wie das Beispiel des Gasleitung-Inspekteurs zeigt. Der Sandstrahlroboter zeigt, dass körperlich anstrengende und hoch belastende Tätigkeiten zum Großteil von Robotern übernommen werden können und der Mensch nur noch nachbessert. In beiden Fällen kommuniziert der Mensch mit dem Roboter, er „sagt“ ihm was zu tun ist, physikalische Interaktionen sind auf das Aufstellen und Inbetriebnehmen beschränkt. Das Beispiel RoRaRob illustriert, wie der Arbeiter weiterhin seine gewohnte Tätigkeit ausführt, jedoch unter deutlich verbesserten ergonomischen Bedingungen. Der Roboter wird zum Assistent, mit dem der Arbeiter auch physisch interagiert. Das Roboterverhalten ist zwar an den Arbeiter angepasst, warum der Roboter aber tut, was er tut, erschließt sich dem Arbeiter nicht, da die Programmierung des Roboterverhaltens immer noch durch externe Experten durchgeführt wird. Auch im Falle eines Fehlers, kann der Arbeiter kaum mehr tun, als der Fabrikarbeiter bei Toyota.
Den Weg zu einer echten Mensch–Roboter-Kooperation veranschaulicht das Beispiel JILAS. Der Mensch steht im Mittelpunkt und hat immer die Kontrolle über das System. Arbeitsprozesse, die vom Roboter teilweise autonom übernommen werden, können jederzeit korrigiert werden. Der Roboter hilft dem Menschen und entlastet ihn. Umgekehrt kann der Mensch, gerade weil er auch physisch noch in alle Arbeitsschritte involviert ist, dem Roboter helfen, sollte dieser seine Aufgabe nicht autonom erfüllen können. Dieses Beispiel zeigte weiterhin, wie Effizienz und Produktivität mit Hilfe von Robotern deutlich gesteigert werden kann ohne dem Paradoxon der Automatisierung anheim zu fallen (siehe auch Beiträge von Ernst A. Hartmann „Arbeitsgestaltun​g für Industrie 4.​0:​ Alte Wahrheiten, neue Herausforderunge​n“ und Hartmut Hirsch-Kreinsen „Entwicklungspers​pektiven von Produktionsarbei​t“).
Über neuartige Benutzerschnittstellen kann der Mensch intuitiv verstehen, welchen Aufgaben der Roboter gerade nachgeht und womit er sich in naher Zukunft beschäftigen wird. Wir haben gesehen, dass die Bedienung und Programmierung von Robotern soweit vereinfacht wurde, dass auch Mitarbeiter ohne Spezialqualifikationen mit den Maschinen zusammen arbeiten können. Wie im Beitrag von Bernd Kärcher ausgeführt, haben die Unternehmen die Wahl auch mit Hilfe der Robotik entweder einen technikzentrierten Weg zu gehen (siehe Beispiel RoboGasInspector) oder Mensch und Technik in einer ausgewogenen Gesamtlösung zusammenzuführen (siehe Beispiel JILAS), man kann also menschliche Fähigkeiten ersetzen oder unterstützen.
Die Technik ist bereit. Roboter können ihren umzäunten Sicherheitsbereich verlassen und mit dem Menschen zusammenarbeiten. Neue Schnittstellen erlauben nicht nur eine einfache und sichere Bedienung sondern auch eine echte Kooperation, die auf wechselseitigem Informationsaustausch beruht. Wir können den Interaktionsgrad frei wählen. Kommunizieren wir nur, was zu tun ist? Interagieren wir physikalisch? Kooperieren wir?
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Metadaten
Titel
Arbeitssystemgestaltung im Spannungsfeld zwischen Organisation und Mensch–Technik-Interaktion – das Beispiel Robotik
verfasst von
Steffen Wischmann
Copyright-Jahr
2015
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-45915-7_14

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