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2007 | Buch

Beschwerdeverhalten und Kundenwert

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Beschwerdeführer als wertvolle Kunden
Auszug
Sowohl der Kundenwert als auch das Beschwerdeverhalten von Käufern beschäftigen Wirtschaftswissenschaftler und Praktiker bereits seit geraumer Zeit. Allerdings werden Beschwerdeführer bislang nur selten als „wertvolle Kunden“ betrachtet, sondern zumeist als Querulanten verkannt. Dabei ist ein Abnehmer, der einen Anbieter auf einen Mangel im Produkt oder im Service hinweist, in mehrerer Hinsicht attraktiv für das Unternehmen. Falls es daher gelingt, Beschwerdeverhalten in das Konstrukt „Kundenwert“ zu integrieren, würde dies maßgeblich zur umfassenden Operationalisierung dieses wertorientierten Entscheidungskriteriums beitragen.
2. Stand der Forschung zum Kundenwert
Auszug
Obwohl sich angloamerikanische Autoren seit den achtziger Jahren intensiv mit dem Wert bzw. der Bewertung von Kunden auseinander gesetzt haben (vgl. Boyce 2000, S. 649) und auch deutsche Veröffentlichungen bereits Sammelbände füllen (vgl. Günter/Helm 2003), hat sich bislang kein einvernehmlicher Sprachgebrauch entwickelt. Viele Forscher verzichteten darauf, den Begriff „Kundenwert“ eindeutig zu definieren (z.B. Gründling 1999; Hughes/Wang 1995). Andere schlugen Definitionen vor, ohne sie hinreichend theoretisch zu fundieren und empirisch zu überprüfen (z.B. Venkatesan/Kumar 2004, S. 119). Stattdessen begnügten sie sich häufig damit, zahlreiche Messmodelle zu zitieren bzw. neue zu entwickeln (vgl. Krüger 1997, S. 113f). Bevor sich das Konstrukt „Beschwerdeverhalten“ in die Diskussion um den Kundenwert integrieren lässt, muss der bislang vorrangig betriebenen operationalen Diskussion daher ein theoretisches Fundament geschaffen werden.
3. Stand der Forschung zum Beschwerdeverhalten
Auszug
Im Zuge der Konsumerismus-Bewegung der siebziger Jahre begannen Vertreter der Zufriedenheitsforschung, sich mit dem Beschwerdeverhalten von Käufern theoretisch und empirisch auseinander zu setzen (z.B. Day/Landon 1977; Forneil 1976; Hirschman 1970). Ausgehend von einer erweiterten Definition von „Kundenbeschwerde“ erwies sich in diesem Zusammenhang ein Vorschlag von Singh (1988, S. 94) als besonders einflussreich: Beschwerdeverhalten umfasst alle Reaktionen eines Käufers auf das Gefühl der wahrgenommenen Unzufriedenheit mit einer Leistung. Im Unterschied zu z.B. Bearden/Teel (1983) konzipierte Singh (1988, S. 96ff.) das Konstrukt nicht eindimensional, sondern — wie bereits Day (1980) und Day/Landon (1977) vor ihm — mehrdimensional (vgl. Abb. 34, S. 70):
  • • Bei manchen unzufriedenen Kunden lässt sich demnach keine Verhaltensreaktion feststellen. So hielt es Singh (1988, S. 94) für möglich, dass sich der Abnehmer später nicht mehr an das negativ-kritische Ereignis erinnert und somit Konsequenzen ausbleiben. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass ein (einmaliger) Fehler des Unternehmens nicht ausreicht, die Beschwerdebereitschaft über die subjektive Toleranzschwelle einiger Kunden zu heben, und damit „lediglich“ das Zufriedenheitsniveau senkt. Wie bereits das Modell der Arbeitszufriedenheit von Bruggemann et al. (1975, S. 132) lehrt, sind auch kognitive, nach außen häufig nicht sichtbare Reaktionen möglich: Etwa kann ein Käufer, um Dissonanzen zu vermeiden, sein Anspruchsniveau senken (= resignative Zufriedenheit) oder die erlebte Situation nachträglich als unwichtig oder gar zufrieden stellend interpretieren (= Pseudozufriedenheit; vgl. Müller 1998, S. 205f.).
4. Beschwerdeverhalten als Kundenmerkmal: eine persönlichkeitstheoretische Perspektive
Auszug
Lässt sich das Beschwerdeverhalten in das mehrdimensionale Modell des Kundenwerts einbeziehen? Zu dem Konstrukt „Kundenwert“ zählen sinnvollerweise nur kundenindividuell variable, zeitlich stabile und exogene, d.h. vom Unternehmen nicht direkt beeinflussbare Beiträge eines Abnehmers. Beschwerdeverhalten lässt sich demzufolge nur dann in den Kundenwert integrieren, wenn man es durch ein messbares Merkmal abbilden kann, welches diese drei Kriterien erfüllt. Erkenntnisse der Persönlichkeitspsychologie und insbesondere der dort geführten sog. Person-Situation Debatte regen dazu an, die weitere Diskussion nicht in erster Linie auf Beschwerdeverhalten, sondern auf ein dahinter liegendes, in der Persönlichkeit verankertes Konstrukt zu fokussieren.
5. Konzeption der empirischen Untersuchung
Auszug
Wie die bisher angestellten Überlegungen gezeigt haben, ist das Persönlichkeitsmerkmal „Beschwerdeführerschaft“ in das Konstrukt „Kundenwert“ integrierbar. Aus der Persönlichkeitstheorie lassen sich nun die Anforderungen ableiten, die ein Messmodell der Beschwerdeführerschaft erfüllen muss. Demnach gilt es, drei grundsätzliche Fragen zu beantworten, die im Folgenden näher erläutert werden:
  • • Wie lässt sich Beschwerdeführerschaft messen (vgl. Kap. 5.1.1)?
  • • Prognostiziert das gemessene Merkmal das Beschwerdeverhalten in verschiedenen Situationen (vgl. Kap. 5.1.2, S. 139)?
  • • Kann man das Messmodell der Beschwerdefuhrerschaft durch andere Persönlichkeitsmerkmale in hinreichendem Maße erklären (vgl. Kap. 5.1.3, S. 142)? Hierzu werden die in Abb. 64 genannten Methoden eingesetzt, wobei der Strukturgleichungsanalyse aufgrund ihres methodischen Anspruchs und der uneinheitlichen Anwendungsempfehlungen in der Literatur auch in konzeptioneller Hinsicht besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird (vgl. Kap. 5.1.3, S. 142).
6. Beschwerdeführerschaft als Gegenstand einer empirischen Studie
Auszug
Aus messtheoretischer Sicht müssen die Indikatoren des Konstrukts „Beschwerdeführerschaft“ eine Dimension bilden. Wie die Kreuztabelle zeigt, bewerten 65,6% aller Probanden beide Beschwerdefälle (Kleidung und Lebensmittel) mit demselben Skalenwert (z.B. entscheiden sich 73 Probanden für +1 = „stimme eher zu“; vgl. Abb. 81). Bei weiteren 22,6% weichen die Aussagen nur um eine Skalenstufe voneinander ab. Diese interne Konsistenz lässt sich ebenso an der Inter-Item-Korrelation (nach Pearson) ablesen. Sie weist einen sehr zufrieden stellenden Wert von, 730 auf. Auch Cronbachs Alpha belegt, dass beide Items dasselbe Konstrukt beschreiben. Mit, 855 liegt der Reliabilitätsindex deutlich über dem von Nunnally (1978, S. 245) definierten Grenzwert von, 700 und weit über der an eine neue Skala zu stellenden Minimalforderung (>, 500; vgl. Churchill 1979, S. 68). Schließlich lässt sich die interne Konsistenz auch faktorenanalytisch nachweisen. Der gemeinsame Faktor erklärt 87,3% der Varianz.
7. Konsequenzen für Forschung und Praxis
Auszug
Die bisherige Forschung zum Beschwerdeverhalten sowie die in dieser Arbeit gewonnenen empirischen Ergebnisse zeigen, dass alle zentralen Voraussetzungen erfüllt sind, um das Beschwerdeverhalten von Käufern in das Konstrukt „Kundenwert“ zu integrieren:
  • • Es liegen überzeugende Nachweise dafür vor, dass Beschwerden von Kunden zum Erfolg eines Unternehmens beitragen können (vgl. Kap. 3.2, S. 71): Zum einen profitiert ein Anbieter, wenn er die Hinweise als Input für Qualitätsmanagement und Produktentwicklung nutzt (= Informationspotenzial). Zum anderen verhält sich ein zufriedener Beschwerdeführer dem Unternehmen gegenüber überproportional loyal (= Loyalitätspotenzial) und empfiehlt es häufig an potenzielle Kunden weiter (= Referenzpotenzial).
  • • Dem Beschwerdeverhalten liegt mit dem Persönlichkeitsmerkmal „Beschwerdeführerschaft“ ein messbares, interindividuell variables, zeitlich relativ stabiles und weitgehend exogenes bzw. vom Anbieter nicht direkt beeinflussbares Kundenmerkmal zugrunde. Demzufolge lassen sich Abnehmer anhand dieses Kriteriums differenzieren und deren zukünftiges Beschwerdeverhalten zuverlässig prognostizieren.
Backmatter
Metadaten
Titel
Beschwerdeverhalten und Kundenwert
verfasst von
Stefan Wünschmann
Copyright-Jahr
2007
Verlag
DUV
Electronic ISBN
978-3-8350-9557-1
Print ISBN
978-3-8350-0727-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-8350-9557-1