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2011 | Buch

Die Macht moralischer Argumente

Produktionsverlagerungen zwischen wirtschaftlichen Interessen und gesellschaftlicher Verantwortung

verfasst von: Martin Schröder

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einleitung
Zusammenfassung
„The social responsibility of business is to increase its profits“, so der Titel des bekannten Aufsatzes des Nobelpreisträgers Milton Friedman (2001 [1970]). Man kann dieser Aussage kaum widersprechen, schließlich fasst sie die Grundidee des Kapitalismus zusammen: Unternehmen sollen Gewinn machen und damit Mehrwert schaffen. Es scheint daher zunächst abwegig, wirtschaftliches Handeln durch die moralischen Argumente erklären zu wollen, mit denen es konfrontiert wird. Doch genau darum geht es in dieser Arbeit: Sie untersucht, wie moralische Argumente wirtschaftliches Handeln beeinflussen.
Martin Schröder
2. Forschungsdesign
Zusammenfassung
Die Einflussmechanismen, mittels derer moralische Argumente wirken, lassen sich am zweckmäßigsten mit komparativen Fallstudien rekonstruieren. Diese vergleichen, unter welchen Umständen moralische Argumente in einem Unternehmen wirtschaftliches Handeln beeinflussten, während sie in einem anderen, ähnlichen Unternehmen keinen Einfluss ausübten. Dieses Kapitel beschreibt, nach welchen Kriterien die untersuchten Unternehmen ausgewählt, analysiert und verglichen wurden.
Martin Schröder
3. Ergebnisse einer Befragung zu moralischen Bedenken
Zusammenfassung
Bevor die Unternehmensanalysen zeigen, wie moralische Argumente wirtschaftliches Handeln beeinflussen, umreißt dieses Kapitel, wie stark und wo sie wirtschaftliches Handeln beeinflussen. Welche Unternehmen nennen moralische Bedenken? Geht dies mit geringerer Verlagerungswahrscheinlichkeit einher? Eine repräsentative Umfrage des Statistischen Bundesamts befragte Unternehmen, wie relevant „Wirtschaftsethische Probleme (zum Beispiel soziale Verantwortung, Corporate Citizenship)“ als „Barriere bei der Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten“ wirkten. 50 Prozent der befragten Unternehmen (n = 16.628) nannten wirtschaftsethische Probleme als „sehr relevante“ oder „relevante“ Verlagerungsbarriere. Moralische Bedenken wurden damit öfter als Verlagerungsbarriere genannt als etwa unzureichendes Know-how, die Abwesenheit geeigneter Zulieferer im Ausland, Zölle, Gefahr von Patentrechtsverletzungen und Unsicherheit über internationale Standards (Statistisches Bundesamt 2008: 10). Zumindest in anonymen Umfragen geben Unternehmen also an, dass moralische Argumente ihr wirtschaftliches Handeln beeinflussen. Eine logistische Regression zeigt, welche Unternehmen „wirtschaftsethische Probleme“ als „relevante“ oder „sehr relevante“ Verlagerungsbarriere angaben. Die folgenden Absätze beschreiben die in der Regression verwendeten Variablen.
Martin Schröder
4. Einführung in das Feld: Interessen, Rechte und Pflichten in Produktionsverlagerungsdiskussionen
Zusammenfassung
Dieses Kapitel legt dar, welche Interessen und Möglichkeiten zu deren Durchsetzung Geschäftsleitungen, Betriebsräte und Gewerkschaften in Produktionsverlagerungsdiskussionen haben. Es erklärt damit das institutionelle System industrieller Beziehungen, in dem in Deutschland moralische Argumente gemacht werden können. Leser, die sich mit der deutschen Corporate Governance auskennen (Aufgaben, Interessen und Durchsetzungsmöglichkeiten des Vorstands, Aufsichtsrats, des Betriebsrats und der Gewerkschaften), können dieses Kapitel überspringen.
Martin Schröder
5. Unternehmen Müller: Wie moralischer Einfluss zur Neuberechnung wirtschaftlicher Strategien führt
Zusammenfassung
Im Unternehmen Müller führten moralische Argumente gegenüber einer sozial eingebundenen Geschäftsleitung zur Änderung wirtschaftlicher Pläne. Alles begann damit, dass Peter Müller, patriarchischer Inhaber, Chef und Namensgeber des Unternehmens, von seinen einhundertvierzig Mitarbeitern Mehrarbeit forderte, da die Rendite zu gering sei. Sollte er keine Mehrarbeit bekommen, müsse er die Produktion verlagern. Nach langen Verhandlungen bewilligte die IG Metall nicht nur wirtschaftliche Konzessionen, sondern beeinflusste Müller auch durch moralische Argumente. Da der Erfolg einer Produktionsverlagerung ungewiss war, konnte die Gewerkschaft Müller von einer Option überzeugen, die alle Beteiligten moralisch vertretbarer fanden als eine Verlagerung.
Martin Schröder
6. Unternehmen Steche: Wie moralisch wirkendes Handeln Interessenverfolgung ermöglicht
Zusammenfassung
Im Unternehmen Steche spielten moralische Argumente anfangs keine Rolle. Denn die Rendite war so niedrig, dass auch Arbeitnehmervertreter Konzessionen der Beschäftigten befürworteten. Ob diese moralisch angebracht waren, stand nicht zur Debatte, denn zunächst musste Steches bevorstehender Konkurs vermieden werden. Als die Geschäftsleitung dann aber Produktion verlagern wollte, obwohl die Arbeitnehmer schon Konzessionen geleistet hatten und sie vorher das Gegenteil versprochen hatte, stimmte der Betriebsrat keinen Einschnitten mehr zu, obwohl das Unternehmen sie nötiger denn je hatte. Eher hätte der Betriebsrat nun eine Insolvenz in Kauf genommen, als weitere Zugeständnisse gegenüber dem wortbrüchigen Vorstand zu machen. Nachdem allerdings der unbeliebte Vorstand ausgetauscht worden war, stimmte der Betriebsrat den Konzessionen zu, die er vorher vehement bekämpft hatte. Der Fall Steche zeigt darum, dass Arbeitnehmervertreter nicht unbedingt dann Konzessionen zustimmen, wenn ein Unternehmen in einer schwierigen Situation ist, sondern wenn sie Konzessionen für moralisch vertretbar halten. Insofern kann eine Geschäftsleitung vor allem dann mit wirtschaftlich effizienter Kooperation rechnen, wenn sie ihre Forderungen als moralisch angemessen präsentiert.
Martin Schröder
7. Die Unternehmen Wolder und Tehnwolder: Wie moralische Argumente Unternehmensstrategien beeinflussen
Zusammenfassung
Während die beiden bisher analysierten Unternehmen keinen expliziten Vergleichspartner hatten, sind Wolder und Tehnwolder ideal, um im Sinne von John Stuart Mills (2004 [1843]) „method of disagreement“ darzulegen, wie moralische Argumente wirtschaftliches Handeln in unterschiedlichen sozialen Situationen auch unterschiedlich beeinflussen. Denn Wolder und Tehnwolder ähneln sich in jeder Hinsicht – mit der Ausnahme, dass Tehnwolders operatives Management soziale Bindungen an die Heimatregion des Unternehmens hatte, Wolders jedoch nicht. Amerikanische Investoren kauften beide Unternehmen, die daraufhin hohe Renditen erwirtschaften mussten. Bei Tehnwolder leitete die Eigentümerfamilie jedoch das operative Geschäft weiter. Dies führte trotz ähnlicher wirtschaftlicher Ausgangsbedingungen zu einer völlig anderen, aber genauso erfolgreichen Strategie wirtschaftlicher Interessenverfolgung. Wie noch gezeigt wird, lag der Grund hierfür darin, dass Tehnwolders Geschäftsleitung offen gegenüber moralischen Appellen war.
Martin Schröder
8. Die Unternehmen Fernlich und Kuhle: Wie sich traditionale und kapitalistische Wirtschaftsethik unterscheiden
Zusammenfassung
Wenn man Kuhle und Fernlich von den bisherigen Unternehmen abgrenzt, zeigt sich, worum es bei ihrem Vergleich geht (siehe zusammenfassend auch Tabelle 1). Im Gegensatz zu Wolder entschuldigte sich Fernlichs Vorstand nicht für Renditemaximierung und versteckte sich auch nicht vor Kritik dagegen. Er bezeichnete Renditemaximierung als per se gerechtfertigt und sah Verlagerungen und Kündigungen als probates Mittel, um sein Ziel zu erreichen. In dieser Hinsicht steht Fernlich für eine radikalere Position als Wolder. Kuhle dagegen unterscheidet sich von Tehnwolder, da Kuhles Geschäftsleitung tatsächlich aus moralischen Erwägungen darauf verzichtete, eine hohe Rendite zu erwirtschaften, während Tehnwolder moralische Rücksichtnahme als Vorbedingung einer hohen Rendite definierte. Insofern beeinflussten bei Kuhle moralische Appelle nicht nur, wie die Geschäftsleitung Gewinn erzielte, sondern sie verhinderten, dass überhaupt mehr als ein „Normalgewinn“ erzielt werden sollte. Ebenso wie Fernlich eine extremere Version von Wolder ist, ist Kuhle eine extremere Version von Tehnwolder.
Martin Schröder
9. Wie Interessen und moralische Argumente sich beeinflussen
Zusammenfassung
Eine Typologie, wie moralische Argumente und wirtschaftliche Interessen sich beeinflussen, fasst im Folgenden die zerstreuten Befunde der letzten Kapitel zusammen. Die untersuchten Unternehmen verdeutlichen, dass eine Geschäftsleitung nicht mit absoluter Gewissheit kalkulieren kann, ob eine Entscheidung ihre Interessen realisieren wird, da die Zukunft prinzipiell offen ist und die Effekte eigenen Handelns nicht vollständig vorhersehbar sind. Zwar können Geschäftsleitungen und Arbeitnehmervertreter wirtschaftliche Rahmendaten berechnen und in die Zukunft projizieren. Doch wie die Diskussionen, die hier analysiert wurden zeigen, können Befürworter und Gegner einer Unternehmensstrategie so lange Annahmen in ihre wirtschaftliche Kalkulation integrieren, bis ihre Präferenz rational begründbar erscheint. Wenn sich Geschäftsleitungen daraufhin entscheiden, zu verlagern oder zu bleiben, kann dies deswegen niemals aus einem gänzlich rationalen Optimierungskalkül erklärt werden. Zwar müssen Entscheidungen rational begründet werden, das bedeutet aber nicht, dass sie tatsächlich aus rationalem Kalkül getroffen werden können. Genauer betrachtet wird klar, dass das, was wirtschaftliche Akteure als wirtschaftlich rational „entdecken“, vorher auch immer erst als solches konstruiert wurde. In diesem Konstruktionsprozess beeinflussen moralische Argumente das, was überhaupt als rational gilt (vgl. Etzioni 1996: 170). Durch dieses Einfallstor können Arbeitnehmervertreter und soziale Bewegungen versuchen, Unternehmen in ihren Entscheidungen zu beeinflussen.
Martin Schröder
10. Wie Moral und Interessen zusammenspielen – Antworten auf Forschungsfragen
Zusammenfassung
Die aufgedeckten Mechanismen, mittels derer sich moralische Argumente und wirtschaftlichen Interessen beeinflussen, gestatten es, die in der Einleitung aufgeworfenen wirtschaftswissenschaftlichen, soziologischen und politökonomischen Fragen zu beantworten. Abschließend fasst diese Studie alle Ergebnisse zusammen, um die Bedeutung von Moral im Kapitalismus zu konzeptualisieren.
Martin Schröder
Backmatter
Metadaten
Titel
Die Macht moralischer Argumente
verfasst von
Martin Schröder
Copyright-Jahr
2011
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-93196-8
Print ISBN
978-3-531-18058-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-93196-8

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