Die Gruppe sollte untersuchen, welche Rückwirkungen sich aus den jüngsten Entscheidungen — Annahme des Binnenmarktprogramms und Erweiterung durch den Beitritt Spaniens und Portugals — für das Wirtschaftssystem der Gemeinschaft ergeben.
Aufgabe der Gruppe war es, die Strategie der Gemeinschaft für den weiteren Prozeß der Wirtschaftsintegration im Lichte der jüngsten Entwicklungen zu überprüfen. Zu diesen Entwicklungen zählen der Beschluß des Europäischen Rates aus dem Jahre 1985, den Binnenmarkt bis 1992 zu vollenden, und die dritte Erweiterung durch den Beitritt Portugals und Spaniens im Jahre 1986.
Obgleich dieser Bericht nicht theoretischer Natur ist, müssen doch bestimmte Begriffe von Anfang an geklärt werden, da immer wieder darauf Bezug genommen wird.
Historiker werden die Darstellung auf den folgenden Seiten zwar sicherlich für allzu stark vereinfacht halten, doch vermitteln frühere historische Erfahrungen gleichwohl einige wichtige Erkenntnisse, die man sich in Erinnerung rufen sollte. So deutet manches darauf hin, daß die vorstehend dargelegten theoretischen Erkenntnisse auch für die konkreten Erfahrungen der Nationen von großer Bedeutung waren. Drei Arten von Erfahrungen können unterschieden werden: Erfahrungen im Zusammenhang mit (I) der Wirtschaftsintegration, (II) Währungsunionen und -systemen und (III) den Unterschieden zwischen Wirtschaftsgemeinschaften und politischen Gemeinschaften.
Jüngste wirtschaftliche Analysen, sowohl theoretischer als auch empirischer Art, untermauern die dem Binnenmarkt-Programm zugrundeliegende Idee, daß die Öffnung der Märkte große Wohlstandsgewinne für die Wirtschaft ermöglicht. (Verteilungsfragen bleiben dabei zunächst unberücksichtigt.) Empirische Schätzungen der Vorteile, die aus einer stärkeren Marktintegration erwachsen, sind allerdings, vor allem im Falle der Europäischen Gemeinschaft, sehr unvollständig. Es ist deshalb zu begrüßen, daß die Kommission kürzlich ein umfassendes Studienprogramm über diese Fragen in Auftrag gegeben hat. Diese Untersuchungen sollen eine genauere Vorstellung von dem erbringen, was man als „die Kosten des Nicht-Europa“ bezeichnet hat. Mit den Ergebnissen ist erst im weiteren Verlauf dieses Jahres zu rechnen. Ohne ihnen vorgreifen zu wollen, können wir schon jetzt skizzieren, welche Art von Vorteilen ein verstärkter Handel mit sich bringt und welche Schlußfolgerungen sich aus einer Reihe empirischer Studien ziehen lassen.
Die Verfasser des Römischen Vertrags, der in einer Zeit der Quasi-Vollbeschäftigung ausgearbeitet wurde, sahen die Arbeitsmärkte im wesentlichen im Kontext des Gemeinsamen Marktes und haben deshalb für Staatsangehörige der Gemeinschaft das Recht niedergelegt, in jedem Mitgliedstaat eine unselbständige oder selbständige Tätigkeit auszuüben. Auch die Umschulung von Arbeitskräften, die wegen des mit zunehmendem Handel zusammenhängenden Strukturwandels erforderlich wird, ist im Vertrag vorgesehen, wozu der Spezialfonds eingerichtet wurde.
Offene, unter Wettbewerbsbedingungen funktionierende Kapitalmärkte bilden einen integrierenden Bestandteil einer effizienten Ressourcenallokation. Den Unternehmen muß es möglich sein, über ihre Investitions- und Geschäftsstrategien zu entscheiden, ohne durch zersplitterte und somit lokal begrenzte Kapitalmärkte behindert zu werden. Die Sparer müssen ihre rentabelsten Investitionsstrategien quer durch die gesamte Volkswirtschaft wählen können. Einzig und allein ein offener Kapitalmarkt kann die Informationen liefern, die für eine effiziente Ressourcenallokation in einer bestimmten Wirtschaftsregion notwendig sind.
Der erste Ansatz der Gemeinschaft zu monetärer Integration konnte sich in einem stürmischen internationalen Wirtschaftsumfeld nicht behaupten. Nachdem man sich auf dem EG-Gipfel vom März 1972 auf das Ziel einer Wirtschafts- und Währungsunion festgelegt hatte, wurde im April des gleichen Jahres ein gemeinschaftliches Wechselkurssystem eingeführt. Dies war die sogenannte „Schlange im Tunnel“, ein System, das für die Gemeinschaftswährungen untereinander eine Bandbreite von 2,25 % vorsah, während gegenüber dem Dollar größere Schwankungen zulässig waren. Als der Dollar 1973 anfing zu floaten, funktionierte das System der Schlange für sich allein weiter. Kurz darauf verließen das Pfund, die Lira und der französische Franc die Schlange, wobei der französische Franc sich später wieder anschloß und dann erneut austrat. Die wirtschaftspolitischen Strategien nach dem ersten Ölschock waren sehr unterschiedlich, was auch darin seinen Niederschlag fand, daß die Schlange auf die Währungen einiger kleiner Länder, die sich um die Deutsche Mark gruppierten, zusammenschrumpfte.
Der Haushalt der Gemeinschaft für 1987 beläuft sich auf 37 Milliarden ECU und damit 1% des BIP. Zwei Drittel der Ausgaben dienen der gemeinsamen Agrarpolitik. Den Rest teilen sich eine Reihe anderer Politiken (Regional-, Sozial-, Energie-, Industrie-, Forschungs-, Fischerei- und Entwicklungshilfepolitik), die zum größten Teil, verglichen mit den nationalen Haushalten, nur in geringem Grade von der Gemeinschaft finanziert werden. Umfassende Schilderungen der Haushaltsmechanismen sind anderen Quellen zu entnehmen (20, 21).
Tommaso Padoa-Schioppa
Wege zu einer ausgeglichenen Entwicklung des Gemeinschaftssystems
Die vorangegangen Kapitel boten einen Überblick über die wichtigsten Gemeinschaftspolitiken, unterteilt nach den bekannten Sektoren. Dabei ergab sich ein recht gemischtes Bild, zusammengesetzt aus Erfolgen und Rückschritten, aus Erneuerung und Stagnation, aus erfolgreicher und weniger erfolgreicher Anpassung der Institutionen an die sich ändernden Verhältnisse.
Im folgenden soll auf einige spezielle Problembereiche eingegangen werden, die direkt mit dem Programm für die Vollendung des Binnenmarktes in Zusammenhang stehen. Die Vollendung des Binnenmarktes bis 1992 ist nämlich eine politische Prämisse für die Arbeit der Gruppe. Darüber hinaus unterstützt die Gruppe das Programm jedoch auch als Ganzes, da es große wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen dürfte. Das Jahr 1992 als Fixpunkt sollte nicht in Zweifel gezogen werden.
Die geldpolitische Strategie der Gemeinschaft besteht darin, die Öffnung der Kapitalmärkte mit einer zunehmenden geldpolitischen Konvergenz zu kombinieren und schließlich eine Währungsunion zu schaffen.
Dieses Kapitel ist der Verteilungsfunktion der Gemeinschaftspolitiken und dem Gemeinschaftshaushalt gewidmet. Da sich beide Bereiche überschneiden, erschien es zweckmäßiger, sie gemeinsam zu behandeln. Verteilungseffekte gehen jedoch nicht nur vom Haushalt aus. So hat beispielsweise auch die Handelspolitik einen Verteilungseffekt. Andererseits hat der Haushalt nicht ausschließlich Verteilungsfunktionen. Im Landwirtschaftsfonds (EAGFL) und im Regionalfonds beispielsweise sind Allokations- und Verteilungsfunktionen kombiniert. Haushaltssubventionen für Forschung und Entwicklung haben ihrem Zweck nach eine reine Allokationsfunktion. Diese Einschränkungen sind bei der weiteren Betrachtung zu berücksichtigen.
Nach den in den letzten drei Kapiteln behandelten institutionellen und systembedingten Fragen wenden wir uns nun kurz einigen Aspekten der makroökonomischen Politik für die Zeit bis 1992, wenn der Binnenmarkt vollendet sein wird, zu, da wir eine befriedigende Wachstumsrate als unerläßliche Voraussetzung für den Erfolg der Globalstrategie der Gemeinschaft ansehen. Die Frage ist, ob dieses befriedigende Wachstum von selbst eintreten wird oder besonderer Anreize über die Politik bedarf.
Tommaso Padoa-Schioppa
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Metadaten
Titel
Effizienz, Stabilität und Verteilungsgerechtigkeit