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09-11-2021 | Personalentwicklung | Schwerpunkt | Article

Die klassische Belegschaft ist passé

Author: Annette Speck

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Immer mehr Firmen setzen nicht nur auf Festangestellte, sondern beschäftigen auch Freelancer, externe Arbeitskräfte oder Subunternehmen. Der Kosmos der Belegschaften wird damit größer. Eine Herausforderung nicht nur für die Personalarbeit.

Die Zusammenarbeit mit externen Fachkräften ohne feste Anstellung im Unternehmen liegt voll im Trend: Für einzelne Projekte oder wiederkehrende Aufgaben wird auf freie Mitarbeiter zurückgegriffen, Aufträge werden an Gig Worker vergeben oder über Crowdworking-Plattformen verteilt. Zudem beschäftigen viele Betriebe, etwa in der Hotellerie, der Bau- oder der Pflegebranche, Fach- und Hilfskräfte über Zeitarbeitsfirmen und spezialisierte Dienstleister. Von den vielen Freelancern im IT-Bereich ganz zu schweigen. Seit der Corona-Pandemie boomen darüber hinaus Lieferdienste, deren Fahrer vielfach als selbständige Unternehmer agieren. Und auch “digitale Kollegen“ sind auf dem Vormarsch, meist als Ergänzung in der Kundenberatung. 

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Externe Fachkräfte sind auch Leistungsträger

Die klassische Belegschaft aus fest angestellten Mitarbeitenden ist damit vielerorts passé. Eine aktuelle Studie von Deloitte und dem MIT Sloan Management Review nennt die modernen, erweiterten Belegschaften daher “Workforce Ecosystems“. Ausgehend von der Befragung von knapp 5.200 Managern und Führungskräften aus 114 Ländern im Herbst 2020 stellen sie fest, dass der Begriff der Belegschaft heute sehr weit gefasst wird: Demnach erkennen 87 Prozent der Befragten externe Arbeitskräfte als erfolgskritische Leistungsträger an und betrachten sie als festen Teil der Belegschaft.

Ein Drittel erwartet zudem, dass ihr Unternehmen mittelfristig die Zusammenarbeit mit Externen verstärkt. Ein Grund für die in den Industrienationen seit Jahren zunehmende Tendenz, Freiberufler und Selbständige zu beschäftigen, ist etwa, dass dies Unternehmen hilft, “Veränderungen und Unwägbarkeiten proaktiv zu bewältigen“, schreibt Teresa Shuk-Ching Poon in dem Beitrag “Independent Workers: Groth Trends, Categories, an Employee Relations Implications in the Emerging Gig Economy“. (Seite 64) Für manche Unternehmen bedeutet dies, sich die Kosten für Festanstellungen zu sparen. Andere holen sich hingegen Unterstützung von außen, weil es intern an Know-how oder Personal fehlt.

Die Kunst des Zusammenspiels

"Unternehmen arbeiten zunehmend in Netzwerken, in denen Experten aus unterschiedlichen Einheiten sich zu leistungsfähigen Teams zusammenfinden", erklärt Maren Hauptmann, Leiterin des Bereichs Organization Transformation & Talent bei Deloitte. Daher gehöre es zu den größten Herausforderungen der Führung, solche Workforce Ecoystems richtig zu steuern. Denn die Externen übernähmen künftig auch vielfältigere und anspruchsvollere Aufgaben. So entstünden in dem weitgefassten Arbeitskräftesystem Innovationen, kreative Leistungen und oftmals auch geschäftskritischer Mehrwert.

Für Hauptmann ist klar: “Wir müssen alle HR- und Steuerungssysteme daraufhin neu ausrichten." Allerdings bereiten sich der Studie zufolge nur 28 Prozent der Befragten ausreichend darauf vor, eine Belegschaft zu managen, die stärker auf Externe angewiesen sein wird. Das ist fatal, denn Workforce Ecosystems wirken sich unternehmensweit auf Prozesse und Vorgehensweisen aus. Insbesondere die Personalarbeit stehe vor einem Paradigmenwechsel, so die Studie. Fragen nach Mitarbeiter- und Karriereentwicklung, Bindung an den Arbeitgeber, die Förderung einer gemeinsamen Kultur und des Leistungsverständnisses müssten neu betrachtet werden. Ebenso seien Arbeitsrecht, Datenschutz und soziale Gerechtigkeit in strategische Überlegungen einzubeziehen.

Viel Kritik an Subunternehmer-Modellen

Wie schwer sich viele Firmen mit der ganzheitlichen Belegschaftsperspektive tun, zeigt das Beispiel Amazon. Der US-Onlineriese steht unter anderem wegen der Arbeitsbedingungen seiner bei Subunternehmen beschäftigten Paketboten in der Kritik, hält dies aber für Einzelfälle und sieht keine Verantwortung bei sich, wie etwa die Welt berichtet.

Beim Fahrdienstleister Uber, bei dem die Fahrer ihre Aufträge via App an Land ziehen, sei indessen nicht einmal der Beschäftigungsstatus eindeutig geklärt, stellt Teresa Shuk-Ching Poon fest. In der Regel würden sie nicht als Arbeitnehmer betrachtet, die mit den Unternehmen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen, in einem Arbeitsverhältnis stehen. Den selbständig Beschäftigen fehlt mithin auch das Gegenüber, das für ihre Arbeitsbedingungen Verantwortung übernimmt. Gleichzeitig hat die Macht der Gewerkschaften in den meisten Industrieländern abgenommen, was Teresa Shuk-Ching Poon “größtenteils auf erfolgreiche Managementstrategien zur Individualisierung des Arbeitsverhältnisses“ zurückführt. (Seite 67)

Handlungsbedarf beim Arbeitsrecht

Für Unternehmen, die ihre Workforce Ecysystems zur allseitigen Zufriedenheit managen wollen, gibt es also einiges zu tun. Der erste Schritt ist, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die eben auch den nicht-festangestellten Mitarbeitenden Wertschätzung entgegenbringt und psychologische Sicherheit und Teamgeist vermittelt. Jurist Joachim Heilmann erkennt außerdem dringenden “Änderungsbedarf im Arbeitsrecht“. Dessen Schutzfunktionen blieben angesichts der unterschiedlichen Arbeitsverhältnisse, die die Digitalisierung und Entgrenzung in der heutigen Arbeitswelt mit sich bringen, auf der Strecke. Das wirtschaftliche Risiko werde auf die “Auf-Abruf-Beschäftigten“ abgewälzt. (Seite 176)

Erfindungsreiche, teils Lobby-unterstützte Ausgliederungen und Diversifizierungen von Arbeitsvorgängen, Beschäftigungstypen und ganzen Wirtschaftssparten sind öffentlicher und sachlicher Kritik zugänglich zu machen.“ Joachim Heilmann, “Änderungsbedarf im Arbeitsrecht“ in “Zeitschrift für Arbeitswissenschaft“, Ausgabe 2/2021, Seite 178

Angesichts “abenteuerlichster Vertragskonstruktionen“ etwa bei Lieferdiensten, die im Lockdown nochmals zugenommen haben und weitere Prekarisierungen schaffen, fordert Heilmann, dass alle Beschäftigten vom Schutz des Arbeitsrechts erfasst werden müssen. Zudem müssten die wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechte der Interessenvertretungen gestärkt werden.

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