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2004 | Buch

Governance — Regieren in komplexen Regelsystemen

Eine Einführung

herausgegeben von: Arthur Benz

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Governance

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung. Governance — Modebegriff oder nützliches sozialwissenschaftliches Konzept?
Zusammenfassung
Governance — ist das wieder ein Anglizismus, mit dem Sozialwissenschaftler ihr Sprachrepertoire unnötig verkomplizieren? Liegt nicht wie bei allen aus dem angelsächsischen Sprachraum stammenden Begriffen auch bei diesem der Verdacht nahe, dass es sich hierbei um einen Modeausdruck handelt, der Altes lediglich in ein neues Gewand kleidet? Gibt es nicht geeignete deutsche Wörter, um das zu bezeichnen, was eigentlich gemeint ist? Diese Fragen liegen auf der Hand und sie haben ihre Berechtigung. Neuen Bezeichnungen sollte man mit Skepsis begegnen, vor allem dann, wenn sie plötzlich in aller Munde sind und in vielen Bereichen Verwendung finden, keiner aber so genau definieren kann, was eigentlich damit gemeint ist. Und all dies trifft für den Governance-Begriff zu.
Arthur Benz
Kapitel 1. Governance auf lokaler Ebene
Zusammenfassung
Der Begriff „Governance“hat zurzeit Konjunktur — auch in der lokalen Politikforschung. Auch wenn seine Entstehung auf verschiedene Wurzeln zurückzuführen sein mag und sich — zumindest im Detail — unterschiedliche Definitionen hinter ihm verbergen mögen (vgl. dazu etwa Kooiman 2002: 72–73), so sind doch Kernelemente des Begriffs unstrittig, die in folgenden Zitaten zum Ausdruck kommen. Mit Philippe Schmitter ist
„governance […] a method/mechanism for dealing with a broad range of problems/ conflicts in which actors regularly arrive at mutually satisfactory and binding decisions by negotiating with each other and cooperating in the implementation of these decisions“(Schmitter 2002: 53).
Hubert Heinelt
Kapitel 2. Regional Governance
Zusammenfassung
Regional governance“bezeichnet Formen der regionalen Selbststeuerung in Reaktion auf Defizite sowie als Ergänzung der marktlichen und der staatlichen Steuerung. Sie tritt dort auf, wo das Zusammenspiel staatlicher, kommunaler und privatwirtschaftlicher Akteure gefordert ist, um Probleme zu bearbeiten („intermediäre Steuerungsform“). Solche Steuerungsformen entwickeln sich, wenn die herkömmlichen Verfahren mit neuen Aufgaben nicht mehr ausreichend zurechtkommen oder wenn es für die Akteure vorteilhafter ist, herkömmliche Aufgaben anders als früher zu bearbeiten. Beides trifft auf regionaler Ebene zu, sei es, dass Rahmenbedingungen aufgetreten sind, welche die traditionellen Steuerungsstrukturen beeinträchtig1, sei es, dass sich soziale Innovationen und neue Verhaltensweisen entwickeln, die intermediäre Interaktionsformen erleichtern, oder dass neue Aufgaben auftreten, die in den bisherigen Strukturen nicht mehr adäquat bewältigt werden können.
Dietrich Fürst
Kapitel 3. Governance im modernen Staat
Zusammenfassung
Der anglo-amerikanische Begriff Governance wurde etwa seit Beginn der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts verbreitet in politikwissenschaftlichen Analysen benutzt und ersetzte schrittweise den bis dahin geläufigen Begriff der politischen Steuerung. Dieser Wandel der Semantik spiegelt eine tief greifende Veränderung des steuerungstheoretischen Paradigmas seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhundert wider (Mayntz 1996, 1998), eine Veränderung, die zumindest teilweise Ausdruck realer Veränderungen von Institutionen und Prozessen der Politikentwicklung und gesellschaftlichen Regelung im modernen westlichen Nationalstaat war. Governance ist auch im Englischen kein alltagssprachlicher Begriff. Lange Zeit wurde er lediglich zur Bezeichnung des Prozessaspekts von government (Regierung) benutzt, also gewissermaßen als Synonym zum deutschen Begriff der politischen Steuerung, der ebenfalls auf einen Prozess verweist. In den letzten zwei Dekaden des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff Governance dann jedoch zunehmend in zwei verschiedenen theoretischen Kontexten benutzt: im allgemein gesellschaftstheoretischen Kontext als Oberbegriff für die verschiedenen Formen sozialer Handlungskoordination (Hierarchie, Markt, Gemeinschaft, Organisationen), im Kontext internationaler und bald auch nationaler Politik zur Bezeichnung nicht-hierarchischer und nicht lediglich staatlicher Regelung.
Renate Mayntz
Kapitel 4. Governance in der Europäischen Union
Zusammenfassung
Bezogen auf die EU drängt sich zunächst die Frage auf, ob man überhaupt von Regieren in einem System sprechen kann, das keine Regierung kennt. Eine ältere, immer noch weit verbreitete Sichtweise bindet Regieren — so die hier durchgängig verwendete deutsche Übersetzung des Begriffes „Governance“ — an die Tätigkeit einer Regierung und damit an den Staat. Hierfür gibt es gute Gründe. Ganz allgemein sind enger gefasste Begriffe analytisch ertragreicher als weiter gefasste: Wenn in Deutschland ebenso wie bei Daimler-Crysler, der Mafia, der UNO oder Greenpeace regiert wird, dann werden dadurch zwar eventuell vorhandene Gemeinsamkeiten hervorgehoben, aber diese sind oft recht allgemeiner Art. Verloren geht dabei aber die Besonderheit des Regierens im Staat, wo allgemeinverbindliche (und nicht nur organisationsspezifische) Entscheidungen durch ein Gewaltmonopol abgesichert werden.
Markus Jachtenfuchs, Beate Kohler-Koch
Kapitel 5. Global Governance
Zusammenfassung
Der Begriff global governance erfreut sich seit Mitte der 1990er Jahre in wissenschaftlichen und politischen Debatten zunehmender Popularität. Was aber genau unter global governance zu verstehen ist, bleibt dabei offen, denn eine allgemein anerkannte Definition gibt es nicht. Vielmehr erklärt sich die Attraktivität des Begriffs gerade in seiner Offenheit und Vieldeutigkeit (Murphy 2000). Die begriffliche Unbestimmtheit drückt sich in ganz unterschiedlichen Verwendungen von global governance zur Beschreibung von Handlungsformen und -prozessen internationaler Politik aus, wobei systemische, empirisch-analytische oder normative Aspekte internationaler Politik betont werden.
Maria Behrens
Kapitel 6. Multilevel Governance — Governance in Mehrebenensystemen
Zusammenfassung
Die Vorstellung, dass politische Prozesse in Organisationen oder Regierungssystemen auf unterschiedlichen Ebenen ablaufen, scheint die Unterscheidung zwischen höheren und niedrigeren Ebenen vorauszusetzen. In gewisser Weise trifft dies auch zu, denn normalerweise finden wir in Organisationen oder politischen Systemen eine hierarchische Struktur. Die Einteilung in Ebenen bedeutet aber zunächst nur, dass Organisationseinheiten für größere oder kleinere Gebiete zuständig sind. Einen Vorrang der erstgenannten Einheiten impliziert dies aber noch nicht. Auch die Tatsache, dass diese für allgemeinere Angelegenheiten zuständig sind, rechtfertigt nicht ihre Überordnung, da das Allgemeine nicht zwingend über dem Besonderen steht. Governance in Mehrebenensystemen (multilevel governance) ist also nicht gleichzusetzen mit einer hierarchischen Ordnung.
Arthur Benz
Kapitel 7. Governance in der politischen Ökonomie
Zusammenfassung
Inwieweit sind wirtschaftliche Aktivitäten und Transaktionen sozial eingebettet? Welche Normen und Institutionen können dazu beitragen, spezifische Koordinationsprobleme von Wirtschaftsakteuren zu bearbeiten? Wie leistungsfähig sind unterschiedliche Governance-Typen? Durch welche Konfiguration von Gover-nance-Mechanismen sind Wirtschafts- und Produktionszusammenhänge gekennzeichnet? Dies sind die Fragen, denen die Diskussion um economic governance nachgeht. Im Kern geht es um Möglichkeiten und Grenzen „institutioneller Steuerung“ der Wirtschaft (Schneider/Kenis 1996: 11). Während für die staats-bzw. steuerungstheoretische Debatte der Ort politischer Intervention in aller Regel auf verschiedenen staatlichen Ebenen liegt, ist der Bezugspunkt der auf Steuerung von Wirtschaft ausgerichteten Diskussion das einzelne Unternehmen, seine Transaktionen mit der Umwelt, aber auch seine Binnenstrukturen. Je nach Art der Transaktion kann es sich hierbei um regionale Produktionscluster, branchenspezifische, aber auch branchenübergreifende Zusammenarbeit von Unternehmen oder nationale Konfigurationen einer Marktwirtschaft handeln. Die Ebenen solcher „sozialen Systeme der Produktion“ (Hollingsworth/Boyer 1997), „sozioökonomischer Regime“ (Hollingsworth u.a. 1994: 5) oder Formen „industrieller Ordnung“ (Herrigel 1996) sind damit je nach funktionaler Einheit eines Produktionszusammenhanges unterschiedlich.
Susanne Lütz
Kapitel 8. Organizational Governance — Governance in Organisationen
Zusammenfassung
Komplexe institutionelle Arrangements, die der Koordination und Regulierung von sozialen und wirtschaftlichen Sektoren dienen, sind in den vergangenen Jahren als „Governance-Strukturen“ diskutiert worden. Dabei hat dieses eher sperrige Konzept eine erstaunliche Karriere gemacht. Von sporadischem Gebrauch in einzelnen sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen ist es inzwischen zu einem allgemeinen theoretischen Gravitationspunkt avanciert. Politik- und Verwaltungswissenschaft, Soziologie, Ökonomie und selbst die Rechtswissenschaft haben das Konzept aufgegriffen und auf ganz unterschiedliche Bereiche und Kontexte angewandt. Eine gemeinsame Vorstellung ist jedoch, dass Governance für eine erweiterte Sicht gesellschaftlicher Steuerung steht, in der insbesondere hierarchische Steuerung um alternative, dezentrale Steuerungsarrangements erweitert wird.
Volker Schneider
Kapitel 9. Governance und Verwaltungspolitik
Zusammenfassung
Governance bezeichnet eine veränderte Sichtweise des Regierens, der Strukturen und Prozesse des „Politikmachens“ (policy making), der Politikformulierung und -Umsetzung. Neue Formen der Kooperation zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, der horizontalen Koordination und Integration, von Vertrauen und Legitimität geraten zunehmend in das Aufmerksamkeitsfeld der Forschung und gelten als Chance für die Gewinnung politischer Gestaltungsspielräume (und nicht mehr lediglich als Hindernis für die Durchsetzung gemeinwohlorientierter Politik). Governance als neuartiges Konzept des Regierens (und nicht nur als Kürzel für die Analyse von Regierungsstrukturen und -prozessen) stellt damit das traditionelle Verständnis und Instrumentarium politischer Verhaltensweisen und Steuerung zunehmend in Frage, und dies betrifft in besonderem Maße die öffentliche Verwaltung, der im traditionellen Verständnis des policy making die Rolle der zentralen Instanz für die Vorbereitung und Umsetzung (auch Durchsetzung) von Politik(-inhalten) zukommt.
Werner Jann, Kai Wegrich
Kapitel 10. Governance und Demokratie
Zusammenfassung
Politikwissenschaftler betonen zunehmend, dass politische Entscheidungen im öffentlichen Sektor in hohem Maße in Governance-Strukturen getroffen und umgesetzt werden. Der Begriff Governance wird oft auch in einem normativen Sinn verwendet, zuerst von der Weltbank, die vor einigen Jahren allgemeine Prinzipien von good governance zur Voraussetzung für die Vergabe von Finanzhilfen erklärte (Rechtsstaatlichkeit, unbestechliche Verwaltung, Marktwirtschaft, politischer Pluralismus und Zivilgesellschaft; World Bank 1989). Den folgenden Ausfuhrungen liegt ein engerer und analytischer Begriff von Governance zugrunde. Selbst mit dieser Einschränkung lassen sich in der Literatur noch ein Dutzend verschiedene Definitionen finden (Kooiman 2002). Ich verstehe hier Governance als besondere Form der politischen Steuerung, wobei im politisch-administrativen System keine souveräne Autorität existiert, die in der Lage wäre, effektive und legitime öffentliche Politiken in hierarchischen und vertikalen Strukturen durchzusetzen. Vielmehr müssen verschiedene Akteure aus Staat und Gesellschaft miteinander kooperieren, um diese Ziele zu erreichen.
Yannis Papadopoulos
Backmatter
Metadaten
Titel
Governance — Regieren in komplexen Regelsystemen
herausgegeben von
Arthur Benz
Copyright-Jahr
2004
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90171-8
Print ISBN
978-3-8100-3946-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90171-8