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2014 | Buch

Internetnutzung im häuslichen Alltag

Räumliche Arrangements zwischen Fragmentierung und Gemeinschaft

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Über dieses Buch

​Der Beitrag präsentiert aktuelle Befunde zur Internetnutzung im häuslichen Alltag. Die Autorinnen nehmen zunächst eine Systematisierung alltagsbezogener Rezeptionsforschung der Cultural Studies vor und führen den Domestizierungsansatz ein. Auf Basis ethnografisch orientierter Haushaltsstudien wird anschließend aufgezeigt, auf welche Weise Internetnutzung, räumliche Arrangements und häusliche Kommunikationsstrukturen miteinander interagieren. Abschließend werden verschiedene Arrangements beschrieben und deren Einflüsse auf die Herstellung von Gemeinschaft und Fragmentierung, auf geschlechtsgebundene Praktiken sowie auf Funktionen anderer Medien, insbesondere des Fernsehens, skizziert.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einleitung
Zusammenfassung
Unser Beitrag analysiert Umgangsweisen mit dem Internet im häuslichen Alltag. Grundsätzlich möchten wir zeigen, wie Praktiken der Internetnutzung, räumliche Arrangements und häusliche Kommunikationsstrukturen interagieren. Speziell nehmen wir ein neues Spannungsfeld in den Blick: Im Zuge der fortschreitenden Integration des Internets in den häuslichen Alltag und in Verbindung mit der bislang in Deutschland üblichen Platzierung von Computer und Internet entfaltet das Medium eine fragmentierende Wirkung und stört die Kommunikation und Interaktion in der Paarbeziehung. Manche Paare reagieren darauf mit neuen Arrangements, die wiederum häusliche Alltagskulturen und auch die Funktionen anderer Medien, insbesondere die des Fernsehens, verändern.
Jutta Röser, Corinna Peil
2. Alltag in der Medienaneignungsforschung
Zusammenfassung
Was für die Medien- und Kommunikationsforschung insgesamt gilt, trifft auch auf die Rezeptionsforschung zu: Der Begriff des Alltags wird oft intuitiv und mit vielfältigen impliziten Bedeutungen versehen verwandt (vgl. Röser et al., M&K Medien und Kommunikationswissenschaft, 58 (4): 481–502, 2010). Grundsätzlich lassen sich zwei Felder der Medienaneignungsforschung analytisch unterscheiden, in denen ein Bezug zum Alltag jeweils Unterschiedliches meint. Im ersten Feld geht es um die Rekonstruktion innerer Prozesse der Medienaneignung, also der Deutungen der Medientexte durch die Rezipierenden. Im zweiten Feld geht es um die Rekonstruktion von Situationen des Medienhandelns, um die raum-zeitlichen sowie sozialen Konstellationen als Kontext der Mediennutzung. David Morley (Media, Modernity and Technology. The Geography of the New. London, 2007, S. 52) hat die beiden Felder in Bezug auf das Fernsehen schlagwortartig mit den Begriffen „questions of ideology and power“ und „questions of ritual“ unterschieden und an anderer Stelle vom „decoding“ gegenüber dem „viewing context“ gesprochen (Morley, Television, Audiences and Cultural Studies, 1992, S. 133; Ben Bachmair (Qualitative Medienforschung. Ein Handbuch, 2005, S. 105) spricht von der subjektiven Innenwelt einerseits und den sozialen Räumen andererseits als Bezugspunkte der Rezeption; demnach „bieten Medien neben Fantasie-Räumen der subjektiven Innen-Welt auch soziale Räume, die z. B. durch die gemeinsamen Medien-Bilder entstehen“). Auf beiden Feldern haben insbesondere die britischen Cultural Studies die Frage nach Alltagsbezügen je spezifisch gestellt und ausgearbeitet.
Jutta Röser, Corinna Peil
3. Das Domestizierungskonzept: Medien- als Alltagshandeln
Zusammenfassung
Für den Alltag und speziell den häuslichen Alltag als situativen Kontext des Medienhandelns – und somit für das oben skizzierte zweite Feld – interessiert sich das Anfang der 1990er Jahre erarbeitete „Domestication of Information and Communication Technologies“-Konzept (Silverstone und Haddon 1996, Communication by Design. The Politics of Information and Communication Technologies, 1996, S. 44–74; Es entfaltet einen analytischen Zugriff, der sowohl historisch als auch bezogen auf aktuelle Entwicklungen wie die digitale Mediatisierung des Alltags (vgl. Krotz, Mediatisierung: Fallstudien zum Wandel von Kommunikation, 2007) weiterführende Einsichten erbringen kann. Mit Domestizierung wird hier der Prozess bezeichnet, in dem Medien und Kommunikationstechnologien in die Wohnungen einziehen, ins Häusliche eingefügt werden und im Aneignungsprozess Teil häuslicher Alltagsroutinen sowie Mittel sozialen Handelns werden. Dieser Prozess geht mit einer verstärkten Teilhabe breiterer Bevölkerungskreise einher, den Morley (Home Territories. Media, Mobility and Identity, 2000, S. 95) „democratisation“ genannt hat: Die Technologie wandert von den Insidern und Experten zu den Laien, von spezialisierten Teilöffentlichkeiten zu breiten Nutzerkreisen und es vermindern sich zugleich soziale Differenzen in Zugang und Nutzung.
Jutta Röser, Corinna Peil
4. Häuslicher Alltag mit dem Internet: Ethnografisch orientierte Fallanalysen
Zusammenfassung
Der Alltagsbezug im Hinblick auf die häusliche Sphäre als Kontext des Medienhandelns ist somit konstituierend für den Domestizierungsansatz. Wie sich der Einzug eines neuen Mediums in das Zuhause konkret ausgestaltet, wird durch Formen der Integration in alltägliche Zusammenhänge sichtbar. Dabei spielen unter anderem die räumlichen Arrangements eine wesentliche Rolle, die rund um die neue Medientechnologie getroffen werden und die sich mit ihrer zunehmenden Einbettung in häusliche Alltagsstrukturen verändern können (vgl. van Rompaey und Roe, Communications 26 (4): 351–370, 2001). Im Weiteren stellen wir dazu ausgewählte Befunde aus einer umfassenden Studie zur Domestizierung des Internets in Deutschland seit 1997 vor. Wir zeigen, dass räumliche Arrangements in Verbindung mit dem Internet in Bewegung geraten, weil sie im Spannungsfeld von tradierten Vorstellungen zur häuslichen Zimmeranordnung und dem damit oft konfligierenden Wunsch nach Gemeinschaft, Kommunikation und Nähe verhandelt werden.
Jutta Röser, Corinna Peil
5. Internetnutzung und Fragmentierung: Typ „Separierende Raumarrangements“
Zusammenfassung
Die erste hier genannte Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass die Befragten zuhause eine traditionelle Raumaufteilung mit Wohnzimmer, Esszimmer, Küche und – je nach Kapazitäten und Erfordernissen – Arbeits- und Kinderzimmer vorgenommen haben. In vielen Haushalten mit dieser Konstellation wurde dem Internet zunächst ein fester Platz im Arbeitszimmer zugewiesen, sofern ein solches vorhanden war. Diese Platzierung war insbesondere in Haushalten üblich, die bereits vor Anschaffung des Internets über einen PC verfügten und diesen als Arbeitsgerät in einem separaten Raum nutzten. Dabei herrschte oft Konsens darüber, dass das Internet als eine mit der Arbeitssphäre verbundene Technologie für eine Platzierung im Wohnzimmer ungeeignet sei.
Jutta Röser, Corinna Peil
6. Internetnutzung als Gemeinschaftszeit: Typ „Integrierende Raumarrangements“
Zusammenfassung
Von Spannungsfeldern zwischen medieninduzierter Fragmentierung und Gemeinschaft berichten rückblickend auch einige Paare aus Haushalten, in denen beide Partner oft online gehen und das Internet immer stärker in ihren Alltag integriert haben. Manche dieser Paare beginnen sich von traditionellen Raumvorstellungen zu lösen und greifen stattdessen auf neue und teils auch kreative Anordnungen des häuslichen Zusammenlebens zurück. Hier zeigen die Haushaltsstudien, dass ein Wandlungsprozess im Gang ist, im Zuge dessen räumliche Arrangements innerhalb des Zuhauses verändert werden.
Jutta Röser, Corinna Peil
7. Fazit
Zusammenfassung
Eine zunehmende Alltagsintegration des Internets verändert die Kommunikations- und Interaktionsbedingungen im häuslichen Zusammenleben. Dabei meinen wir mit Alltagsintegration eine sowohl zeitlich umfangreiche und rhythmisierte als auch inhaltlich vielfältige häusliche Nutzung des Internets, die private Interessen (z. B. Hobbys), tägliche Organisationsaufgaben im Haushalt (z. B. Onlinebanking, Fahrkartenkauf, Konsum/-recherchen) sowie alltägliche Kommunikation (z. B. E-Mail, Chat) umfasst. Im Zuge der fortschreitenden Integration des Internets in den häuslichen Alltag entfaltet das Medium eine fragmentierende Wirkung und stört die Kommunikation und Interaktion in der Paarbeziehung, sofern an dem in Deutschland üblichen Raumarrangement der separierten Platzierung von Computer/Internet festgehalten wird.
Jutta Röser, Corinna Peil
8. Ausblick
Zusammenfassung
Die zuletzt genannten Einsichten führen direkt zu aktuellen Entwicklungen der Raumarrangements, in denen sich die Schaffung temporärer Interneträume durch den Einsatz mobiler Technologien als Königsweg der Paare abzeichnet. Für die vorliegende Neuveröffentlichung unseres Artikels können gegenüber der Originalfassung von 2010 Einsichten zur weiteren Entwicklung bis 2013 herangezogen werden, denn unsere Studie wurde in Form einer qualitativen Panelstudie fortgeführt und es wurden dieselben Haushalte 2011 und 2013 erneut interviewt (vgl. Röser und Peil 2012; Peil und Röser 2014). Auch in diesen Untersuchungsphasen fanden wir beide Typen von Raumarrangements, wie sie hier vorgestellt wurden. Durch den zunehmenden Einsatz tragbarer Onlinetechnologien wie Notebooks und Smartphones wird das Internet jedoch mehr und mehr innerhäuslich mobil genutzt. Auf diese Weise findet es selbst in den Haushalten mit separierenden Arrangements immer häufiger den Weg ins Wohnzimmer, wo es nach Bedarf eingesetzt wird und nicht selten die eigene Fernsehnutzung und die des Partners bzw. der Partnerin begleitet. Ein solches Second-Screen-Setting, das von einer parallelen Fernseh- und Internetnutzung gekennzeichnet ist, stellt inzwischen für viele der von uns befragten Paare eine Möglichkeit dar, den Gegensatz von medieninduzierter Fragmentierung und Gemeinschaft aufzulösen.
Jutta Röser, Corinna Peil
Backmatter
Metadaten
Titel
Internetnutzung im häuslichen Alltag
verfasst von
Jutta Röser
Corinna Peil
Copyright-Jahr
2014
Electronic ISBN
978-3-658-04730-6
Print ISBN
978-3-658-04729-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-04730-6