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Erschienen in: MTZ - Motortechnische Zeitschrift 7-8/2022

01.07.2022 | Titelthema

"Jede Effizienzsteigerung im Mobilitätssektor ist prinzipiell sinnvoll"

verfasst von: Marc Ziegler, Thomas Schneider

Erschienen in: MTZ - Motortechnische Zeitschrift | Ausgabe 7-8/2022

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Sowohl bei verbrennungsmotorischen als auch bei elektrischen Antrieben sind weitere Effizienzsteigerungen notwendig und auch realisierbar. Neben dem reinen Wirkungsgrad des Energiewandlers sind jedoch auch die Gesamtemissionen über den Lebenszyklus sowie die Verwendung umweltfreundlicher und verfügbarer Materialien zentral. IAV-Geschäftsführer Matthias Kratzsch schätzt die Wirkungsgradpotenziale ein und äußert sich zur Bedeutung der verwendeten Rohstoffe.
MTZ _ Welche Wirkungsgradpotenziale sehen Sie noch beim Verbrennungsmotor, und ist die dahingehende Optimierung in Ihren Augen wirtschaftlich und technisch noch sinnvoll?
Kratzsch _ Bei der Verbrauchsoptimierung bietet der Verbrennungsmotor durchaus noch Potenzial. Im mittleren Betriebsbereich sind durch den Einsatz geeigneter Technologien wie einer aktiven Vorkammerzündung und einem optimierten Kühlsystem - zum Beispiel mit einer Phasenwechselkühlung - Wirkungsgradsteigerungen zwischen 5 und 10 % im Zyklus möglich. Durch die Einführung einer Abwärmerückgewinnung sind abhängig vom Antriebskonzept zusätzlich noch einmal zwischen 2 und 5 % Steigerung möglich. Um den Energieverbrauch des Gesamtsystems zu minimieren, sollte man diese Synergien auch heben. Zudem gibt es Märkte, in denen noch lange rein verbrennungsmotorisch oder mit leichter Hybridisierung gefahren werden wird. Auch dort muss eine deutliche Reduktion des Energieverbrauchs das Ziel sein. Entscheidend ist, was aus technologischer Sicht der beste Weg ist, um das höchste Einsparpotenzial bei den CO2-Emissionen zu erzielen. Wir müssen uns also weiterhin damit beschäftigen, wie der Wirkungsgrad von Verbrennungsmotoren erhöht werden kann, um im globalen Kontext den CO2-Beitrag des Verkehrssektors zu reduzieren.
Sind durch den Einsatz synthetischer Kraftstoffe in Verbrennungsmotoren relevante Effizienzsteigerungen realisierbar?
Prinzipiell sind hier Effizienzsteigerungen möglich. Das ist abhängig von der Formulierung des Kraftstoffs selbst sowie von der Frage, ob der Kraftstoff in eine vorhandene Kraftstoffnorm passen muss oder neue, abweichende Kraftstoffnormen zugelassen werden. Zumindest bietet der Einsatz von synthetischen Kraftstoffen die Möglichkeit, neben dem Verkauf von batterieelektrischen Neufahrzeugen auch den CO2-Ausstoß der vorhandenen Fahrzeugflotte signifikant zu senken.
Hat die geopolitische Situation Auswirkungen auf die Bereitschaft, synthetische Energieträger oder Wasserstoff bereitzustellen?
Natürlich hat die derzeitige Geopolitik massive Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit und damit sicherlich auf die zukünftigen Kosten für fossile Energieträger. Aus diesem Grund rücken auch Diskussionen über eine Wasserstoffwirtschaft und damit verbunden synthetische Kraftstoffe aktuell verstärkt ins Blickfeld. Gerade Wasserstoff und seine Derivate - Methan, Methanol und andere - bieten uns die Möglichkeit, zukünftig unabhängiger von Öl- und Gaslieferungen zu werden.
Wie effizient sind aktuelle elektrische Antriebsstränge in der Praxis?
Elektrische Antriebe sind im Fahrbetrieb sehr effizient und bieten einen wichtigen Hebel, die CO2-Ziele im Verkehrssektor zu erreichen. Unter optimalen Umgebungsbedingungen, zum Beispiel einer passenden Außentemperatur, erreichen E-Antriebe Systemwirkungsgrade im Batteriefahrzeug von bis zu 90 %. Durch gezielte Verbesserungen beim Thermomanagement lässt sich für die Komponenten unter allen Praxisbedingungen das optimale Temperaturfenster erreichen, wodurch sich Wirkungsgradsteigerungen erzielen lassen. Weitere Fortschritte sind etwa durch den Einsatz von Siliziumkarbid mit variabler Taktfrequenz, durch Getriebeübersetzungen sowie effizienzoptimierte und auf Permanentmagnete ausgelegte Rotortopologien möglich, ebenso im Bereich Reibung durch Beölung und Lagerung sowie bei den Nebenverbrauchern wie Kühl- und Schmiermittelpumpen. Zu der Frage, wie wir die Wärmeströme im Antrieb so effizient wie möglich gestalten können, haben wir auf dem diesjährigen Wiener Motorensymposium Vorschläge gemacht.
Muss der Nutzer mit einem E-Fahrzeug anders umgehen als mit einem verbrennungsmotorisch angetriebenen, um effizient zu fahren?
Natürlich liegt der optimale Wirkungsgrad bei einer E-Maschine eher im niedrigeren Lastbereich. Wegen des kubischen Einflusses der Geschwindigkeit auf den Energiebedarf wird man im E-Fahrzeug eher niedrigere Geschwindigkeiten fahren, um einen gravierenden Verlust von Reichweite zu vermeiden.
Die E-Maschinen mit den höchsten Wirkungsgraden enthalten Seltenerdmagnete, die wegen der Umweltbelastung bei der Materialförderung in Verruf stehen. Ist es daher sinnvoll, auf andere Technologien mit geringeren Wirkungsgraden zu setzen?
Mit dem Einsatz von Permanentmagneten können beim Wirkungsgrad in der Spitze etwa 1 bis 1,5 % Verbesserung gegenüber Asynchronmaschinen erreicht werden. In jedem Fall ist sehr genau zwischen Effizienz und Emissionen über die Lebensdauer abzuwägen. Der Einsatz von Seltenerdmagneten kann einen höheren CO2-Fußabdruck bewirken. Generell gibt es aber eine Tendenz, dass sich der technologische Invest in Komponenteneffizienz über den gesamten Lebenszyklus meistens auszahlt.
In welchen Lastbereichen sind elektrische Antriebe am effizientesten?
Der Elektroantrieb eignet sich generell sehr gut, um in unteren Teillastbereichen sehr effizient zu fahren. Das gilt besonders für Antriebe mit Permanentmagneten, die ihren Sweetspot eher bei geringen bis mittleren Leistungen haben und damit bestens für urbane Fahrsituationen geeignet sind. Asynchronmaschinen erreichen ihre maximale Effizienz bei höheren Drehzahlen und kleinen Lasten. Im Gegensatz dazu nutzen fremderregte Maschinen den Freiheitsgrad der variablen Rotorerregung aus, um den Wirkungsgradbereich auf hohe Lasten bei mittleren bis hohen Drehzahlen auszudehnen.
Sind fremderregte Synchronmaschinen eine echte Alternative zu Maschinen mit Permanentmagneten?
Aus technischer Sicht kann man dies absolut bejahen, weil fremderregte Synchronmaschinen ein ähnliches Wirkungsgradniveau über einen sehr weiten Bereich gewährleisten können, ohne Seltene Erden zu verwenden. Letztendlich ist es eher eine Kosten-Nutzen-Abwägung verbunden mit der Frage, ob sich der Zusatzaufwand der aktiven Rotorerregung angesichts der stark schwankenden Magnetpreise rechnet. Perspektivisch macht man sich damit auf jeden Fall unabhängiger von kritischen Lieferketten.
Welche Verlustleistungen gibt es im Gesamtsystem des elektrischen Antriebs?
Die wichtigsten Verlustquellen sind die E-Maschine, das Getriebe, der Inverter und Hilfsaggregate wie Öl- und Kühlmittelpumpen. Die Batterieverluste sind im normalen Fahrbetrieb oft sehr gering, anders dagegen bei Ladevorgängen - dort verursacht das integrierte Ladegerät die höchsten Verluste. Hier ist es wichtig, die insbesondere beim Hochleistungsladen entstehende Abwärme sinnvoll und effizient zu verwerten, beispielsweise zur Vorkonditionierung oder in thermischen Speichern für spätere Anwendungen im Fahrzeug. Auch daran arbeiten wir im Rahmen von Optimierungen des Thermomanagements.
Können Mehrganggetriebe die Effizienz von elektrischen Antrieben nennenswert steigern?
Grundsätzlich ja, aber das Ausmaß der Verbesserung hängt stark von der Fahrzeugklasse ab. Beim Pkw der Kompaktklasse liegt der reine Effizienzgewinn bezogen auf den Energieverbrauch bei bis zu 5 % im WLTP. Allerdings lohnen sich die Mehrkosten für das Zweiganggetriebe hier nur selten. Bei schweren SUVs, leichten Nutzfahrzeugen und Sportwagen lohnt sich das Zweiganggetriebe eher, da die größeren Batterien dank des Effizienzgewinns deutlich verkleinert werden können. Darüber hinaus ist es bei diesen Fahrzeugen von Vorteil, wenn es sowohl für das Anfahren am Berg als auch für das Fahren bei Höchstgeschwindigkeit jeweils eine eigene Gangstufe zur Optimierung gibt. Bei mittleren bis schweren Nutzfahrzeugen werden Mehrganggetriebe mit bis zu vier Gängen zum Standard gehören.
Mit steigenden C-Raten könnten Batterien kleiner werden. Aber wirken sich die hohen Ladegeschwindigkeiten nicht sehr negativ auf die Lebensdauer aus?
Höhere Ladeleistungen stellen eine Herausforderung für die Batterien dar. Durch die gezielte Reduktion der Innenwiderstände in den Batterien sind diese aber beherrschbar. Weiterhin arbeiten wir stetig an homogenen Konditionierungskonzepten für Batterien. Als Beispiel ist hier die Tauchkühlung zu nennen, bei der das Kühlmedium die Zellen direkt umschließt. Dadurch lassen sich sowohl die Dauerbelastbarkeit als auch die Lebensdauer der Batterie verbessern. Wir haben kürzlich eine Methodik vorgestellt, um die Alterung der Batterie über Simulation und den Einfluss des Temperaturfensters zu verzögern. Die Ergebnisse unserer Untersuchung waren eindeutig positiv. Der stärkeren Alterung der Batterie kann man also rein systemisch entsprechend entgegenwirken.
Ist ein Streben nach maximaler Effizienz unter Umweltgesichtspunkten sinnvoll?
Es wird zunehmend deutlich, dass wir ohne weitere Verbesserungen bei der Energieeffizienz - nicht nur im Verkehrssektor - unsere CO2-Reduktionsziele beziehungsweise Temperaturanstiegsziele niemals werden erreichen können. Insofern ist jede Effizienzsteigerung im Mobilitätssektor prinzipiell sinnvoll. Zu beachten ist dabei, dass die Effizienz des globalen Energiesystems wichtiger ist als die Effizienz des Mobilitätssystems an sich. Umwandlungsverluste zwischen den einzelnen Energieträgern, zum Beispiel von Strom in Wasserstoff und zurück, haben oft einen höheren Einfluss auf die Gesamteffizienz als punktuelle Verbesserungen von einzelnen Antriebstechnologien.
Herr Kratzsch, vielen Dank für das interessante Interview.
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Metadaten
Titel
"Jede Effizienzsteigerung im Mobilitätssektor ist prinzipiell sinnvoll"
verfasst von
Marc Ziegler
Thomas Schneider
Publikationsdatum
01.07.2022
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
MTZ - Motortechnische Zeitschrift / Ausgabe 7-8/2022
Print ISSN: 0024-8525
Elektronische ISSN: 2192-8843
DOI
https://doi.org/10.1007/s35146-022-0843-5

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