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2017 | Buch

Kasimir Twardowski

Gesammelte deutsche Werke

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Über dieses Buch

Kasimir Twardowski (geb. 1866 in Wien, gestorben 1938 in Lemberg) war einerseits eine der wichtigsten Figuren der Brentanoschule und andererseits der Begründer der Lemberg-Warschau-Schule der Philosophie. Der Band enthält sämtliche Schriften, die Twardowski auf Deutsch verfasst hat. Die meisten davon wurden veröffentlicht, bevor Twardowski 1895 zum Professor für Philosophie an der Universität Lemberg ernannt wurde. Danach publizierte er fast ausschließlich in polnischer Sprache. Als Lehrer von Kazimierz Ajdukiewicz, Tadeusz Kotarbiński, Stanisław Leśniewski, Jan Łukasiewicz und vielen anderen regte Twardowski eine ganze Generation bedeutender junger polnischer Philosophen zu ihren Leistungen in der Logik und ihren Anwendungen an.

Twardowskis 1892 veröffentlichte Habilitationsschrift „Zur Lehre vom Inhalt und Gegenstand der Vorstellung“ hatte großen Einfluss auf Edmund Husserl, auf Alexius Meinong und, durch George Stout, auch auf die frühe englische analytische Bewegung. Neben Dissertation und Habilitationsschrift enthält der Band auch kleinere Schriften Twardowskis. Dazu gehören Buchrezensionen, in denen er sich als herausragender Kritiker philosophischer Werke zeigt, ebenso wie Konzertkritiken und journalistische Arbeiten – darunter eine zur Geschichte der Universität Lemberg. Der Band dokumentiert darüber hinaus Material aus dem Archiv der Wiener Universität im Zusammenhang mit seiner Promotion und Habilitation.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Selbstdarstellung
Zusammenfassung
Meine Wiege stand in Wien, wo ich am 20. Oktober 1866 als Sohn eines im österreichischen Staatsdienst stehenden Polen namens Pius und seiner Frau Malwine, geborene Kuhn, ebenfalls einer Polin, geboren wurde. Die Grundstimmung meines Elternhauses lässt sich kurz als eine gemäßigt religiöse und glühend patriotische charakterisieren – ihren Ausdruck fand die Verbindung dieser zwei Elemente sowohl in dem regelmäßigen üblichen unter Führung der Eltern unternommenen sonntägigen Besuch der damals in Wien der polnischen Kolonie überlassenen und von einem polnischen Geistlichen verwalteten St. Ruprechtskirche als auch in den äußerst tätigen Bestrebungen meines Vaters, die Erinnerung an die Befreiung Wiens von den Türken durch Johann Sobieski in der Wiener Bevölkerung lebhaft zu erhalten, was uns jährlich am Gedenktage dieser Befreiung in die Kirche auf den Kahlenberg führte und meinen Vater mit der Zeit veranlasste, gemeinsam mit einem Kreis von Wiener Bürgern den „Kahlenberger Kirchenverein“ zu gründen.
Anna Brożek, Jacek Jadacki, Friedrich Stadler

AUFSÄTZE

Frontmatter
Kapitel 2. Idee und Perzeption. Eine erkenntnis-theoretische Untersuchung aus Descartes
Zusammenfassung
Die Wahrheit des Satzes cogito ergo sum, des Prinzips der cartesianischen Erkenntnistheorie, beruht darauf, dass in diesem Satz nichts anderes behauptet wird, als etwas, das klar und deutlich perzipiert wird. Aber nicht nur diese, sondern fast alle Erkenntnisse sind nach Descartes eben deshalb Erkenntnisse, das heißt Urteile, welche mit der Überzeugung, dass es wahre seien, gefällt werden, weil in ihnen nur das für wahr gehalten wird, was klar und deutlich perzipiert wird. Würde man sich auf jene Urteile beschränken, deren Gegenstand klar und deutlich perzipiert wird, so würde man vor jedem Irrtum bewahrt bleiben.
Anna Brożek, Jacek Jadacki, Friedrich Stadler
Kapitel 3. Zur Lehre vom Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen. Eine psychologische Untersuchung
Zusammenfassung
Es ist einer der bestgekannten und wohl von niemand bestrittenen Sätze der Psychologie, dass sich jedes psychische Phänomen auf einen immanenten Gegenstand beziehe. Das Vorhandensein einer derartigen Beziehung ist ein charakteristisches Kennzeichen der psychischen Phänomene, die sich durch dasselbe von den physischen Phänomenen unterscheiden. Den psychischen Phänomenen des Vorstellens, des Urteilens, des Begehrens und Verabscheuens entspricht stets ein Vorgestelltes, Beurteiltes, Begehrtes und Verabscheutes, und die ersteren wären ohne die letzteren ein Unding. Dieser von den Scholastikern, ja schon früher von Aristoteles erwähnte Umstand ist in jüngster Zeit in seiner großen Wichtigkeit von Brentano gewürdigt worden, welcher unter anderem die Klassifikation der psychischen Phänomene auf die Arten der Beziehungen, wie sie zwischen Vorstellen und Vorgestelltem u.s.w. bestehen, gegründet hat.
Anna Brożek, Jacek Jadacki, Friedrich Stadler
Kapitel 4. Über sogenannte relative Wahrheiten
Zusammenfassung
Absolute Wahrheiten heißen diejenigen Urteile, welche unbedingt, ohne irgendwelchen Vorbehalt, ohne Rücksicht auf irgendwelche Umstände, also immer und überall wahr sind. Relative Wahrheiten heißen dagegen solche Urteile, die wahr sind nur unter bestimmten Bedingungen, mit einem bestimmten Vorbehalt, dank bestimmter Umständen; solche Urteile sind also nicht immer und nicht überall wahr.
Anna Brożek, Jacek Jadacki, Friedrich Stadler
Kapitel 5. Über begriffliche Vorstellungen
Zusammenfassung
I. Die Unterscheidung anschaulicher und unanschaulicher oder begrifflicher Vorstellungen ist seit jeher üblich und anerkannt. Bereits Aristoteles hat den Gegensatz zwischen dem, was sich anschaulich, und dem, was sich bloß unanschaulich vorstellen lässt, in den Ausdrücken τα αισθετα und τα νoετα festgelegt (z. B. [Aristoteles 1884: II. 8. 432 a 12–14], oder [Aristoteles 1886: I. 8. 990 a 31–32]). Denselben Gegensatz charakterisiert Descartes in den Meditationen folgendermaßen: „Wenn ich mir ein Dreieck bildlich vorstelle (imaginor), sehe ich nicht nur ein, dass dasselbe eine von drei Linien eingeschlossene Figur ist, sondern ich sehe zugleich jene drei Linien mit meinem geistigen Blicke gleichsam vor mir, und das ist es eben, was ich anschaulich vorstellen (imaginari) nenne. Wenn ich dagegen an ein Tausendeck denken will, so sehe ich zwar eben so gut ein, dass dasselbe eine von tausend Seiten gebildete Figur ist, wie ich einsehe, dass ein Dreieck aus drei Seiten besteht, aber ich stelle mir nicht in der gleichen Weise jene tausend Seiten anschaulich vor (imaginor), oder mit anderen Worten, ich sehe sie nicht gleichsam vor mir; und obgleich ich in diesem Falle infolge der Gewohnheit, immer etwas anschaulich vorzustellen (imaginandi), so oft ich an ein körperliches Ding denke, mir wohl irgendeine Figur in verschwommener Weise vergegenwärtige, so ist doch dieselbe offenbar nicht ein Tausendeck, da sie sich in keiner Weise von jener Figur unterscheidet, die ich mir ebenfalls vergegenwärtigen würde, wenn ich an ein Zehntausendeck oder an eine beliebige andere Figur von recht vielen Seiten dächte; auch trägt sie nichts bei zur Erkenntnis jener Eigenschaften, welche ein Tausendeck von anderen Vielecken unterscheiden. Wenn dagegen vom Fünfeck die Rede ist, so kann ich zwar seine Gestalt ebenso wie jene des Tausendecks begreifen (intelligere), ohne das anschauliche Vorstellen (imaginari) zu Hilfe zu nehmen; aber ich kann mir dieselbe auch anschaulich vorstellen (imaginari), indem ich nämlich mein geistiges Auge auf die fünf Seiten sowie auf die von denselben umschlossene Fläche wende. Und ganz klar bemerke ich hierbei, dass es einer ganz eigenartigen Anstrengung meines Geistes bedarf, um etwas anschaulich vorzustellen (ad imaginandum), welche ich beim Begreifen (ad intelligendum) nicht anwende; eben diese hinzukommende Anstrengung charakterisiert klar den Unterschied zwischen anschaulichem Vorstellen (imaginationem) und rein begrifflichem Denken (intellectionem puram)” [Descartes 1641: VI]. Es wäre überflüssig, entsprechende Stellen aus Philosophen späterer Jahrhunderte anzuführen; fiele doch hierbei, eben wegen der fast unübersehbaren Zahl derartiger Stellen, die Wahl äußerst schwer. Sogar außerhalb der Philosophie ist der Unterschied anschaulichen und unanschaulichen Vorstellens wenigstens indirekt bezeugt, indem man gar häufig davon hört, dass man sich dieses oder jenes (Gott, ein Atom, den Lichtäther, eine Billion u.dgl.) „nicht vorstellen könne”, dass diese oder jene Vorstellung, z. B. jene eines runden Vierecks, „unvollziehbar” sei – Wendungen, welche nichts anderes bedeuten können, als dass man sich Gott, ein Atom u.s.w. nicht anschaulich vorstellen könne (vgl. [Höfler und Meinong 1890: § 15. IV]).
Anna Brożek, Jacek Jadacki, Friedrich Stadler
Kapitel 6. Funktionen und Gebilde
Zusammenfassung
1. Um Missverständnissen und Enttäuschungen vorzubeugen, will ich gleich eingangs bemerken, dass ich nicht glaube, mit meinen Ausführungen, Ihnen, Hochverehrte Anwesende, etwas ganz Neues zu bieten. Im Gegenteil, die Dinge, die ich zur Sprache zu bringen beabsichtige, gehören zu denjenigen, die nicht nur sozusagen seit langem in der Luft liegen, sondern geradezu die philosophische Atmosphäre erfüllen. Meine Absicht ist also darauf gerichtet, die Dinge aufzuweisen, und in einen Zusammenhang zu rücken, der sowohl das Verständnis dieser Dinge selbst als auch manch anderer mit ihnen zusammenhängender Erscheinungen erleichtern kann.
Anna Brożek, Jacek Jadacki, Friedrich Stadler

KLEINE SCHRIFTEN

Frontmatter
Kapitel 7. Zusammenfassungen und Aussagen
Zusammenfassung
Eine gedrängte Darstellung der wichtigsten Richtungen der mittelalterlichen Philos. unter steter Betonung ihres Zusammenhanges mit der des Altertums u. Hervorhebung der für die einzelnen Strömungen charakteristischen Persönlichkeiten u. Lehren. Synchronistische Tabellen sowie eine Karte Europas, welche die für die Geschichte der mittelalterlichen Philos. in Betracht kommenden Städte in nach den einzelnen Perioden verschiedenen Farben verzeichnet, sollen die Übersicht über das behandelte Gebiet erleichtern. Rz.: [Zieleńczyk 1910], [Gabryl 1910], [Wais 1910].
Anna Brożek, Jacek Jadacki, Friedrich Stadler
Kapitel 8. Philosophische Rezensionen
Zusammenfassung
Zu den interessantesten Problemen der Psychologie gehört zweifelsohne die Frage nach der Natur des künstlerischen Schaffens. Dieses Problem ist zugleich eines derjenigen, welche nicht nur den Fachmann fesseln. Zwar wird der Künstler selbst aus eigenem Antrieb nur ausnahmsweise zum Nachdenken über die Art und Weise geführt werden, in welcher er all das Schöne aus sich und doch gleichsam aus Nichts hervorbringt, das nicht nur ihm selbst der Gegenstand höchster Begeisterung, sondern auch beim Genießenden die Quelle lauterster Freude ist. Nur gelegentlich, wenn ihn ein neugieriger Kunstfreund fragt, „wie er es denn mache, dass er so schöne Bilder male oder so schöne Quartette komponiere“, äußert er sich über das, was in ihm in Augenblicken künstlerischer Produktion wohl vorgehe. Aber die Auskunft, die uns der Künstler gibt, scheint rätselhaft und zwingt uns zu neuen Fragen, auf die uns jedoch unser Gewährsmann keinen Bescheid weiß, denn im Grunde genommen weiß er es selbst nicht, wie er es macht, ein schönes Bild zu malen, ein schönes Quartett zu komponieren. Das komme eben von selbst.
Anna Brożek, Jacek Jadacki, Friedrich Stadler
Kapitel 9. Musikrezensionen
Zusammenfassung
Mit großem Vergnügen lauschten wir am 14. d.M. den Klavier-Vorträgen des Frl. Marie von Timoni. Ein mit viel Geschmack zusammengesetztes Programm gab der Pianistin Gelegenheit, sich uns von mehr als einer Seite zu zeigen. Ihre stärkste Seite bildet die graziöse Ausführung solcher Kompositionen, welche weder große physische Kraft noch leidenschaftliches Spiel erfordern, sondern nur, wo es gilt, zart und innig zu sein, da ist Frl. v. Timoni am Platze und es ist nicht ihr geringstes Verdienst, dass sie in vollständiger Selbsterkenntnis ihr Programm danach einrichtete. Eine trefflich ausgebildete Technik, ein wunderbarer Anschlag und ein stramm rhythmisches Spiel trugen der Pianistin stürmischen Beifall ein, den sie wohl verdiente.
Anna Brożek, Jacek Jadacki, Friedrich Stadler
Kapitel 10. Publizistik
Zusammenfassung
Zwei Meilen westlich von Radautz in dem nach Osten geöffneten Talkessel der Bukowinaer Karpaten steht das Kloster der „Schwarzen Mönche“ (Czarńce). Schon aus der Ferne sehen wir die hohen Mauern und Bastionen, die es umringen, und es schien, als nahten wir einer jener mittelalterlichen Burgfesten, von denen die umwohnende Bevölkerung geheimnisvolle Überlieferungen zu erzählen weiß. Wir schreiten durch das Tor zu dem sicher einst eine Zugbrücke geführt hatte, in den Hof. Da erhebt sich vor uns ein von einem Turm überragter weiß getünchter Bau, welcher der neuesten Zeit anzugehören scheint. Bei näherer Betrachtung aber nimmt man wahr, dass dieses Bauwerk nur ein neumodisches Gewand angenommen und es bereits zahlreiche Geschlechter überdauert hat. Durch das eisenbeschlagene Tor, das Spuren von Axthieben aufweist, gelangt man in den zweiten Hofraum. Hier gewahrt man nichts Mittelalterliches mehr; ein unverkennbar Bild des Orients bietet sich den Blicken dar. Die Schwarzen Mönche mit den langen dunklen Bärten, in ihren langen schwarzen Kutten, eine Art Kolpak auf dem Haupt, standen und wandelten im Gespräch vor der inmitten des Hofviereckes erbauten griechischen Kirche.
Anna Brożek, Jacek Jadacki, Friedrich Stadler
Kapitel 11. Varia
Zusammenfassung
Hohes Dekanat!
Der Gefertigte, absolvierte Hörer der Philosophie, wendet sich an das Hohe Dekanat mit der Bitte um Zulassung zu den für die Erlangung des Doktorgrades vorgeschriebenen strengen Prüfungen [aus dem Hauptfach Philosophie].
Anna Brożek, Jacek Jadacki, Friedrich Stadler
Backmatter
Metadaten
Titel
Kasimir Twardowski
herausgegeben von
Anna Brożek
Jacek Jadacki
Friedrich Stadler
Copyright-Jahr
2017
Electronic ISBN
978-3-319-44474-1
Print ISBN
978-3-319-44473-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-319-44474-1