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2024 | Buch

Krisengeprüftes Europa

Die EU auf dem Weg zu einer neuen Identität

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Über dieses Buch

Das Integrationsprojekt der Europäischen Union ist über seine wirtschaftlichen Erfolge noch nicht weit hinausgekommen, die ursprüngliche Idee einer politischen Union nach den Krisen des vergangenen Jahrzehnts in weite Ferne gerückt. Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist eine Krise hinzugekommen, die Europa vor enorme innere und äußere Herausforderungen stellt und eine Neubewertung der geopolitischen sowie wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Europäischen Union erforderlich macht. Für die 2. Auflage wurden die Inhalte entsprechend überarbeitet und aktualisiert. Neu sind die beiden Kapitel über den Ukrainekrieg und dessen Einfluss auf die Bemühungen der Europäischen Union, die Energiekrise und den Klimawandel zu bewältigen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Krisen formen Europa
Zusammenfassung
Europa befindet sich seit eineinhalb Jahrzehnten im Modus der Krisenbewältigung: Der globalen Finanzkrise (2008/09) folgten die Eurokrise (2010–2012), die Flüchtlings- und Migrationskrise (2015/16), die Schritte zum Brexit (2016–2020), die weltweite Coronakrise ab 2020 und schließlich der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine (2022). Die dadurch ausgelöste Energiekrise hat das Bewusstsein für den drohenden Klimawandel geschärft. Im Spiegel der Krisen verlaufen Schwankungen im Bekenntnis zu einer nationenübergreifenden Europaidee, die für die Zukunft der Europäischen Union (EU) unterschiedliche Entwicklungspfade – von einer auf wenige Mitglieder reduzierten „Kernunion“ bis zur Annäherung aller Mitglieder an eine volle politische Gemeinschaft – als möglich erscheinen lassen.
Heinz Handler
2. Von der Finanzkrise zur Eurokrise
Zusammenfassung
Mit dem Gesellschaftsmodell der EU wurde zwar das frühere wirtschaftliche Ziel verfehlt, im Einkommensniveau zu den USA aufzuschließen, doch kann die EU für sich beanspruchen, zur „Lifestyle Superpower“ (Rachman, 2010) aufgestiegen zu sein. Die Marke „Made in Europe“ steht in der Welt für Güter, die hohe technische Standards mit anspruchsvollem Design kombinieren. Die EU hat sich als „Konvergenzmaschine“ (Gill & Raiser, 2012) bewährt, die in der Lage ist, ärmere Länder hereinzuholen und sie dann über die Zeit wohlhabender zu machen. Doch ist die euphorische Phase der EU, gekennzeichnet durch die stufenweise Erweiterung der Gemeinschaft, ins Stocken geraten. Die von außen kommende Finanzkrise traf auf innere Schwächen der Union und hielt sie mit den Maßnahmen zur Bewältigung der Eurokrise mehr als ein Jahrzehnt in einem Zustand schwacher wirtschaftlicher und sozialer Dynamik.
Heinz Handler
3. Globalisierung und Migration im Wechselspiel
Zusammenfassung
Historisch haben Globalisierungsschübe den Austausch von Gütern und kulturellen Errungenschaften begünstigt und sie haben dazu beigetragen, die Neugier der Menschen nach Erforschung der unbekannten Ferne anzufachen. Zwischen Globalisierung und Völkerwanderungen besteht somit eine enge Wechselbeziehung, die in beide Richtungen wirkt. Jüngere Beispiele sind die koloniale Expansion im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sowie die kriegsbedingten Wanderungen im Laufe des 20. Jahrhunderts. In diesem Kapitel wird auf wichtige Globalisierungswellen hingewiesen, es werden markante Beispiele für Wanderungsströme angeführt und die Probleme erörtert, die Auswanderer in Herkunfts- und Zielländern auslösen bzw. selbst erleben.
Heinz Handler
4. Migrationspolitik der EU zwischen Abwehr und Integration
Zusammenfassung
In den letzten zwei Jahrzehnten haben Wanderungsbewegungen merklich auf die Bevölkerungsstruktur in Europa eingewirkt. Zunächst hat die Personenfreizügigkeit in der EU in Verbindung mit der Osterweiterung eine Bewegung von Ost nach West ausgelöst. Ab 2015 kam es zu einer massiven Zuwanderung aus Drittländern, für die es in der Union zu wenige Aufnahmekapazitäten gab. In der Bevölkerung hat sich eine Abwehrhaltung entwickelt, die von nationalistischen Populisten genützt und verstärkt wurde. Die folgenden Abschnitte widmen sich zunächst der Einstellung der Bevölkerung in Europa zur Einwanderung und behandeln dann die tatsächlichen und möglichen Maßnahmen im Rahmen der Migrationspolitik. Daran schließt eine Diskussion der Politik zur Integration von Zuwanderern im Zielland.
Heinz Handler
5. Gibt es eine „europäische Identität“?
Zusammenfassung
Jede Einzelperson verfügt über eine Identität, die sich aus der Verschränkung von vertikalen Elementen (Familie, Gemeinde, Nation, Europa) und horizontalen Faktoren (Sprache, Religion und Bildungsniveau) ergibt. Kollektive Identität von großen Personengruppen, die über gemeinsame Merkmale miteinander verbunden sind, existiert auf unterschiedlichen Ebenen, deren bedeutendste die Nation ist. Demgegenüber ist die „europäische Identität“ ein vielschichtiger, schwammiger Begriff geblieben, dem kein einheitliches Konzept zugrunde liegt und der sich noch dazu an den Wandel der inneren und äußeren Rahmenbedingungen laufend anpasst. Regionale und nationale Identitäten sind stärker verankert als das Bewusstsein, zu einem europäischen Kollektiv zu gehören. Dies muss aber kein Nachteil sein, weil nationale Identitäten – sofern sie nicht in Chauvinismus ausarten – als Vorbedingung und Vorbild für eine europäische Identität dienen können.
Heinz Handler
6. Nationaler Populismus als Ideologie und Methode
Zusammenfassung
Der gemeinsame Wunsch aller Initiatoren des europäischen Integrationsprojekts war es, Auseinandersetzungen auf dem Kontinent in Zukunft nicht durch Weltkriege, sondern in Verhandlungen zu lösen. Bei aller Kritik an den mangelhaften demokratischen Einrichtungen auf Gemeinschaftsebene kann sich das Ergebnis sehen lassen. Es dient als Vorbild für das friedliche Miteinander unterschiedlicher Länder mit nicht deckungsgleichen Kulturen. Zu einer übergreifenden „europäischen Identität“ ist es nur in Ansätzen gekommen, die Rechtspopulisten lehnen eine Einschränkung der nationalen Souveränität und Identität ohnehin ab. Im Folgenden wird auf die Ursachen von Populismus, das Spannungsverhältnis zwischen Populismus und Demokratie sowie auf den Zusammenhang mit der europäischen Identität eingegangen.
Heinz Handler
7. Die EU auf dem Weg zur Konsolidierung?
Zusammenfassung
Als die EWG 1958 Wirklichkeit wurde, herrschte Euphorie unter den sechs Mitgliedern. Es gab berechtigte Hoffnung, dass die damals bestehenden wirtschaftlichen Unterschiede (insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich) im Laufe der Zeit einem homogenen Gebilde Platz machen würden. Die erste Erweiterung der EU im Jahr 1973 (um das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark) wurde für alle Seiten als politischer und wirtschaftlicher Erfolg verbucht. In den folgenden Jahrzehnten ist das UK stets gegen eine Vertiefung der Integration aufgetreten und hat sich in entscheidenden Bereichen eine Sonderstellung erarbeitet. Nach dem knapp erfolgreichen Austrittvotum vom Juni 2016 endete seine Mitgliedschaft nach 47 Jahren am 31. Januar 2020. Die Zeit dazwischen wurde genützt, um die künftigen Beziehungen zu regeln, nur in der Nordirlandfrage (mit oder ohne harte Grenze zur Republik Irland) konnte erst 2023 eine von den Verhandlungspartnern als fair bewertete Lösung gefunden werden, deren Bestand sich erst bewähren muss.
Heinz Handler
8. COVID-19 deckt viele Schwächen der EU auf
Zusammenfassung
Die EU wurde von der COVID-19-Pandemie in einem Zeitpunkt getroffen, als sie gerade noch in der Bewältigung der Vorgängerkrisen verfangen war und eine neue Kommission ihre Pläne in Umsetzung bringen wollte. Im Unterschied zur Finanzkrise, die von wirtschaftlichen Ungleichgewichten ausgelöst wurde, waren Ungleichgewichte nun eine Folge der Krise. Im Vergleich zur Flüchtlingskrise, deren Bedrohung man in Zahlen erfassen konnte, bestand nun die Gefahr eines Kollapses des Gesundheitssystems. Zur Begrenzung der wirtschaftlichen Schäden der Pandemie waren auf nationaler und EU-Ebene enorme Mittel aufzuwenden, um Wachstum anzuregen, Arbeitslosigkeit einzudämmen und Verteilungsprobleme zu begrenzen. Insgesamt hat die Coronakrise den Wert der EU sowohl bei der Koordination der Gesundheitspolitik als auch der Finanzierung von Hilfsprogrammen hervorgehoben.
Heinz Handler
9. Europa in Trümmern – neue Identität gesucht
Zusammenfassung
Mit dem Ukrainekrieg hat der russische Präsident Wladimir Putin jene politischen und wirtschaftlichen Bande zerschnitten, die seit dem Zerfall der Sowjetunion zwischen Russland, den übrigen Nachfolgestaaten und dem restlichen Europa aufgebaut worden sind. Der Krieg und das Stopp-Signal des Westens in Form von Sanktionen ziehen nun eine tiefe politische und wirtschaftliche Furche durch Europa und bedingen dort neuerlich eine Grenze, die den Osten vom Westen trennt. Damit kommt zu dem noch lange nicht überwundenen Nord-Süd-Gefälle, das die Eurokrise charakterisierte, nun auch eine politische und wirtschaftliche Kluft zwischen West und Ost, also zwischen (halbwegs) demokratisch organisierten Ländern und Autokratien. Innerhalb der EU herrscht eine überwältigende Unterstützung der Ukraine in ihrem Überlebenskampf, gepaart mit dem Bewusstsein, dass eine glaubwürdige Sicherheitspolitik der Union auf die NATO-Partnerschaft angewiesen ist.
Heinz Handler
10. Langzeitkrise Klimawandel
Zusammenfassung
Im Gegensatz zu vielen früheren Krisen ist der Klimawandel ein globales endogenes Phänomen, das uns nicht von außen aufgezwungen wird, wir verursachen es vielmehr täglich selbst. Es ist kein Ereignis, das sich mit ein paar Eingriffen der Politik oder durch eine kleine Anpassung unserer Verhaltensweisen beenden lässt. Wissenschaftlich untermauerte Befunde weisen vielmehr auf die langfristig drohende Katastrophe hin, die erst von kommenden Generationen auszustehen sein wird. Die umfassenden Probleme des Klimawandels können hier nur rudimentär mitgedacht werden, soweit sie für das Gesamtbild der multiplen Krisen, denen Europa ausgesetzt ist, erforderlich erscheinen. Nach einem kurzen Überblick über den dramatischen Anstieg der weltweiten Emissionen von Treibhausgasen erörtern die folgenden Seiten die globalen und EU-spezifischen Lösungsansätze. Getrieben vom Ukrainekrieg steht die EU vor einer Reform des Energiebinnenmarktes, die kurzfristig die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas eindämmt und langfristig den Pariser Klimazielen Rechnung trägt.
Heinz Handler
11. Welche Zukunft hat die EU?
Zusammenfassung
Haben die wiederkehrenden Krisen den europäischen Integrationsprozess gestärkt oder geschwächt? Die immer noch nachwirkenden Folgen aller Krisen lassen kein endgültiges Urteil zu. Vom Idealfall der Vollintegration aller Mitgliedsländer, wie ihn die sechs Gründungsstaaten vorsahen und auch selbst vorzeigten, ist man im Zuge der EU-Erweiterungen bald abgegangen. Manche der von außen kommenden Herausforderungen (Finanzkrise, Pandemie, Ukrainekrieg) haben die gemeinschaftliche Identität gestärkt. Die Flüchtlingskrise und der Brexit zeigten aber die Grenzen eines Einheitsdaches über heterogene historische Erfahrungen und unterschiedliche gegenwärtige Interessen auf. Auch wenn angesichts der Klimakrise gemeinsames Ziehen an einem Strang optimal wäre, sollte man für die Weiterentwicklung der EU auch „zweitbeste Lösungen“ mitdenken. Dazu gehören mehrschalige Systeme mit einem Kerneuropa und umgebenden Ländergruppen, sei es in konzentrischen Kreisen oder einander überlappenden Clubs. Daran knüpft sich die Frage, wo die künftigen Außengrenzen der EU liegen werden und wie sich die gegenwärtige Neuordnung der globalen Einflusssphären in der geopolitischen Rolle der EU niederschlagen wird.
Heinz Handler
Backmatter
Metadaten
Titel
Krisengeprüftes Europa
verfasst von
Heinz Handler
Copyright-Jahr
2024
Electronic ISBN
978-3-658-42924-9
Print ISBN
978-3-658-42923-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-42924-9

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