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2023 | Buch

Landschaft zwischen Philosophie und Sozialwissenschaften

Eine Kritik

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Über dieses Buch

Die Befassung mit ‚Landschaft‘ hat in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit und den Wissenschaften an Bedeutung gewonnen. Verbunden war dies nicht vorwiegend mit den Konflikten, die sich in den letzten Jahren um physische Manifestationen der Verminderung von und Anpassung an den anthropogenen Klimawandel ergaben. In Philosophie und Sozialwissenschaften haben sich – nicht zuletzt ausgehend von einem gemeinsamen Bezugspunkt der ‚Philosophie der Landschaft‘ von Georg Simmel aus dem Jahre 1913 – unterschiedliche Traditionen im Umgang mit ‚Landschaft‘ entwickelt. Diese werden in dem vorliegenden Buch hinsichtlich ihrer Tauglichkeit einer Kritik unterzogen, Antworten auf die landschaftsbezogenen Herausforderungen der Gegenwart, sowohl in Bezug auf Wissenschaft, aber auch Gesellschaft zu leisten. Diese Kritik basiert auf einem eigens hierfür entwickelten kategorialen System, das sich zwischen den Dimensionen Konkretheit-Abstraktheit und wissenschaftsintern-wissenschaftsextern aufspannt. Zentrale herausgearbeitete Kritikpunkte sind neben einer unzureichenden Begriffsarbeit und einer ‚Individuenvergessenheit‘ beider Disziplinen auch die Reduzierung des Landschaftsbegriffs auf den Naturbegriff in der philosophischen Landschaftsforschung.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Einführung
Zusammenfassung
‚Landschaft‘ gewinnt an Relevanz. Dies drückt sich nicht zuletzt in Bezug auf die direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels im materiellen Raum aus, sowohl in Form der Veränderungen von Vegetation, den Folgen von Stürmen und Dürren, geänderter Abflussregime von Fließgewässern. Dies kommt auch zum Ausdruck in den physischen Manifestationen der Bemühungen, die Folgen des anthropogenen Klimawandels durch Anpassungsmaßnahmen zu vermindern und ihn durch Maßnahmen der Mitigation einzuschränken. Diese Veränderungen konfligieren in Teilen mit gesellschaftlichen Verständnissen von Landschaft, die sich im Lauf der Jahrhunderte entwickelt haben. Die Relevanz von ‚Landschaft‘ ist aber nicht allein lebensweltlich verankert. Unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen haben seit Jahrhunderten unterschiedliche
Olaf Kühne, Karsten Berr, Petra Lohmann
Kapitel 2. Eine gemeinsame Grundlage – das Landschaftsverständnis von Georg Simmel
Zusammenfassung
Eine Auseinandersetzung mit der Philosophie und Soziologie Simmels hinsichtlich des Themas Landschaft erscheint als Ausgangspunkt für eine Befassung mit den Landschaftsverständnissen in Sozialwissenschaften und Philosophie auch nach weit mehr als einem Jahrhundert nach deren Ersterscheinung relevant. So liefert Simmel, erstens, mit seinem Werk „Philosophie der Landschaft“ aus dem Jahre 1913 (Simmel, 2019c) eine zentrale Basis für einen Paradigmenwechsel (Kuhn, 1970) in der Landschaftsforschung. Zweitens, ist er ein später Repräsentant einer noch nicht in Gänze vollzogenen Trennung von Soziologie und Philosophie. Drittens, befasst er sich nicht zuletzt in seiner „Soziologie der Sinne“ (Simmel, 1907), wie auch in seiner „Soziologie“.
Olaf Kühne, Karsten Berr, Petra Lohmann
Kapitel 3. Sozialwissenschaftliche Landschaftsverständnisse
Zusammenfassung
Die aktuelle sozialwissenschaftliche Landschaftsforschung lässt sich – das wird aus dem im Vorangegangenen Dargestellten deutlich – in doppelter Weise an Simmel anschließen: zum einen direkt, denn das von Simmel vertretene Verständnis, Landschaft nicht ontologisch als Objekt, sondern ästhetisch als in den materiellen Raum hineininterpretiert zu verstehen, ist heute das dominante Verständnis von Landschaft; zum anderen schließt die aktuelle sozialwissenschaftliche Landschaftsforschung auch indirekt an Simmel an: Die von Peter Berger und Thomas Luckmann (1966) – vom Denken Simmels maßgeblich beeinflusste entwickelte Wissenssoziologie – stellt einen zentralen Bezugspunkt konstruktivistischer Landschaftsforschung dar, den wir zunächst knapp darstellen. Bevor wir uns weiter mit dem aktuellen Stand der sozialwissenschaftlichen Landschaftsforschung befassen, stellen wir die Theorie der Drei Landschaften vor, die auf der Drei-Welten-Theorie Karl Poppers (Popper, 1973; Popper, 1979; Popper & Eccles, 1977) basiert und als kategoriales System für die Analyse von Theorien zu Landschaft und den unterschiedlichen Ebenen von Landschaft dienen. Da die Theorie an anderer Stelle ausführlicher entwickelt, begründet und dargelegt ist (Koegst, 2022b; Kühne, 2018b, 2020a, 2023b), werden wir uns im Folgenden auf deren Grundzüge beschränken.
Olaf Kühne, Karsten Berr, Petra Lohmann
Kapitel 4. Philosophische Landschaftsverständnisse
Zusammenfassung
Es werden im Folgenden einige Haupt- und Nebenwege philosophischer Landschaftsverständnisse, insbesondere im Hinblick auf den neuzeitlichen ästhetischen Landschaftsbegriff rekonstruiert. Es zeigt sich, dass diese Verständnisse von ‚Landschaft‘ bis in die Gegenwart überwiegend ‚Landschaft‘ mit ‚Natur‘ oder dem ‚Naturschönem‘ gleichsetzen. Es zeichnen sich allerdings aktuell auch Entwicklungen ab, sich für Fragen des Naturschutzes, der Ökologie, der Hybridität von Stadtlandschaften sowie Fragen der Landschaftsgestaltung zu öffnen.
Olaf Kühne, Karsten Berr, Petra Lohmann
Kapitel 5. Das Verhältnis von Natur und Landschaft – eine Interpretation unter Rückgriff auf die Drei-Welten-Theorie Karl Poppers
Zusammenfassung
In den beiden vorangegangenen Kapiteln wurde deutlich, dass sich sozialwissenschaftliche und philosophische Landschaftsbegriffe – trotz des beiderseitigen Rückgriffs auf Simmel – durchaus fundamental unterscheiden. Im Kern lässt sich dieser Unterschied an der Bedeutung von ‚Natur‘ festmachen. Während in der Philosophie ‚Natur‘ noch immer den zentralen Bezugspunkt für die Entwicklung ihres Landschaftsverständnisses bildet, haben sich sozialwissenschaftliche Zugriffe diversifiziert.
Olaf Kühne, Karsten Berr, Petra Lohmann
Kapitel 6. Vorüberlegungen zu Dimensionen und Arten von Kritik
Zusammenfassung
Unsere Untersuchung zu Landschaftsbegriffen in Philosophie und Sozialwissenschaften umfasst nicht zuletzt deren Kritik. Insofern erscheint es vor dem Hintergrund des Anspruchs, die Grundlagen der eigenen wissenschaftlichen Zuwendung zum Thema für mögliche Kritik offenzulegen, erforderlich, unser Verständnis von Kritik zu umreißen. Dabei sind zwei traditionelle, in der Literatur behandelte Aspekte des Kritik-Begriffs zu berücksichtigen: erstens der Umstand, dass jede Kritik ein Kriterium ihrer Kritik benötigt, zweitens die Unterscheidung von interner (oder immanenter) und externer (oder transzendenter) Kritik (vgl. exemplarisch Stederoth, 2011). Kritik braucht einen Maßstab, mit dem das zu Kritisierende abgeglichen und bewertet werden kann.
Olaf Kühne, Karsten Berr, Petra Lohmann
Kapitel 7. Die Verständnisse von Landschaft in Sozialwissenschaften und Philosophie – ein Vergleich
Zusammenfassung
In den vorangegangenen Kapiteln haben wir uns – ausgehend von dem Landschaftsbegriff von Georg Simmel – mit den sozialwissenschaftlichen wie philosophischen Verständnissen befasst und insbesondere das in der Philosophie verbreitete Verständnis von Landschaft als Teil von Natur einer Kritik unterzogen. In diesem Kapitel werden wir die Begriffe von Landschaft in Sozialwissenschaften und Philosophie einem Vergleich unterziehen. Diesen Vergleich vollziehen wir – um ihn möglichst multiperspektivisch zu gestalten – anhand dreier Kategoriensysteme: Zunächst greifen wir auf die in Abschn. 3.2 eingeführte und im Folgenden genutzte Theorie der Drei Landschaften zurück. Im Anschluss daran erfolgt der Vergleich anhand der klassischen Teildisziplinen der Philosophie, Ontologie, Epistemologie, Ästhetik und Ethik. Den Abschluss dieses Kapitels bildet die Kategorisierung gemäß dem Abstraktionsgrad im Wissenschaftssystem, wie sie von Kühne und Berr (2022) entworfen wurde: Daten, Methoden, Methodologie, Theorien, Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie.
Olaf Kühne, Karsten Berr, Petra Lohmann
Kapitel 8. Das Problem unvollständiger Arbeit an c-modalen Landschaftsbegriffen
Zusammenfassung
Auch außerhalb von Philosophie und Sozialwissenschaften wird der Begriff der Landschaft als Quasi-Terminus verwendet. Als Quasi-Terminus bezeichnen wir ihn, weil der Begriff lebensweltlich, also vorwissenschaftlich gebildet wurde und dann zu einem wissenschaftlichen Terminus umdefiniert wurde. Je nach Fachdisziplin wurden Aspekte von Landschaft 1 oder Landschaft 3 betont.
Olaf Kühne, Karsten Berr, Petra Lohmann
Kapitel 9. Energiewende und Landschaftskonflikte
Zusammenfassung
Mit der Energiewende sind zahlreiche materielle Manifestationen in als Landschaft gedeutetem Raum 1 verbunden, die in großen Teilen a-, b- und c-modalen Landschaftsnormen widersprechen. Sie widersprechen der a-modalen Norm der Stabilität der Strukturen von Landschaft 1, sie widersprechen klassischen landschaftsästhetischen b-modalen Vorstellungen, wenngleich sie dem ökologischen Teil b-modaler Landschaftsvorstellungen entsprechen können, sie widersprechen c-modalen Vorstellungen, wenn diese etwa dem Paradigma der ‚Erhaltung historischer Kulturlandschaft‘ folgen oder auch dem Speziellen Artenschutz, entsprechen den c-modalen Normen an Landschaft indes, wenn diese auf die Mitigation des anthropogenen Klimawandels ausgerichtet sind (Eichenauer et al., 2018; Hoeft et al., 2017; Kühne, 2021a; Kühne et al., 2022). Das Ergebnis dieser ‚strukturellen Ausgangslage‘, wie Ralf Dahrendorf (1972) die erste Phase der Konfliktentwicklung nennt, ist, dass nicht allein im selben Raum 1 sehr unterschiedliche Landschaften 1a, 1b und 1c gebildet werden, sondern dass die jeweilig damit verbundenen Normvorstellungen deutlich divergieren.
Olaf Kühne, Karsten Berr, Petra Lohmann
Kapitel 10. Zum Ignorieren von Landschaft 2 und ein Pfad zurück zu Simmel
Zusammenfassung
Landschaft 2 stellt nicht allein das Bindeglied zwischen Landschaft 1 und 3 dar, Welt 2, und damit auch Landschaft 2, ist – wie Popper wiederholt feststellt – konstitutiv für die Verhältnisse zwischen den Welten. In diesem Kapitel werden wir uns mit der Frage befassen, inwiefern die sozialwissenschaftliche Forschung dieser zentralen Bedeutung keine Rechnung trägt und welche Chance hier der Philosophie zukommen könnte, zu einer Fokusverschiebung der Landschaftsforschung beizutragen. Zur Klärung der ‚Welt 2-Vergessenheit‘ der Sozialwissenschaften greifen wir erneut auf Ausführungen Georg Simmels zurück.
Olaf Kühne, Karsten Berr, Petra Lohmann
Kapitel 11. Fazit
Zusammenfassung
Die „Philosophie der Landschaft“ von Georg Simmel weist bis heute einen hohen Grad an Aktualität auf, wies sie doch den Weg zu einem Begriff von Landschaft, jenseits der essentialistischen Suche nach ihrem unverrückbaren und eindeutigen ‚Wesen‘ oder den positivistisch-empiristischen Repräsentationsvorstellungen, hin zu der sozialen Gebundenheit von Deutungen, Kategorisierungen und Bewertungen von Landschaft. Er legte damit eine bedeutsame Grundlage für die Entwicklung aktueller Landschaftsforschung, die – wie gezeigt – in Bezug auf die Integration a- und b-modaler Konstruktion ebenso wie in Bezug auf Multisensualität, Macht, der Integration anthropogener Objekte, aber auch die Entwicklung mehr-als-repräsentationaler Ansätze in sozialwissenschaftlicher Perspektive über Simmel hinausgeht. Hinsichtlich der Entwicklung des philosophischen Landschaftsverständnisses lässt sich die Persistenz der Rückführung des Begriffs der Landschaft auf den der Natur feststellen.
Olaf Kühne, Karsten Berr, Petra Lohmann
Backmatter
Metadaten
Titel
Landschaft zwischen Philosophie und Sozialwissenschaften
verfasst von
Olaf Kühne
Karsten Berr
Petra Lohmann
Copyright-Jahr
2023
Electronic ISBN
978-3-658-42880-8
Print ISBN
978-3-658-42879-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-42880-8