Skip to main content

2000 | Buch

Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biosphäre

Jahresgutachten 1999

verfasst von: Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

Buchreihe : Welt im Wandel

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

Ausgehend von einer Analyse der Krise der globalen Biosphäre und ihrer Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung leiten die Wissenschaftler Prinzipien für eine erfolgreiche internationale "Biosphärenpolitik" ab. Der Beirat geht von dem Ansatz aus, daß Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biosphäre integriert betrachtet werden müssen. Es wird Politikberatung zu einer breiten Palette von Themen geboten: von der Bioprospektierung bis zu einer nachhaltigen Landnutzung, vom bioregionalen Management bis zum Naturschutz, von der Bekämpfung des Raubbaus an Naturressourcen bis zur Erdsystemanalyse. Besonderes Gewicht liegt auf Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Biodiversitätskonvention, der internationalen wissenschaftlichen Politikberatung, der Biosphärenforschung und der finanziellen Rahmenbedingungen für Biosphärenpolitik.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Zusammenfassung für Entscheidungsträger

Frontmatter
A. Zusammenfassung für Entscheidungsträger

Die Lebenswelt ist in eine tiefe Krise geraten: das natürliche Kapital unseres Planeten, die biologische Vielfalt, erleidet drastische Verluste. Wir erleben gegenwärtig die 6. Auslöschung der Gen- und Artenvielfalt. Sie könnte die letzte große Krise, bei der vor 65 Millionen Jahren u. a. die Saurier ausstarben, an Geschwindigkeit sogar noch übertreffen. Mit dem Verlust der Tier- and Pflanzenarten gehen ihre genetischen and physiologischen Bauplane verloren, die z. B. für die Medizinforschung von großem Wert sein können. Im Bereich der Landwirtschaft stehen pflanzengenetische Ressourcen auf dem Spiel, die durch traditionelle Bewirtschaftung in Jahrhunderten herangezüchtet wurden. Diese Gen- und Artenverluste wiegen um so schwerer, als es sich um irreversible Vorgänge handelt: Verlorenes bleibt verloren, verpalßte Chancen kehren niemals wieder.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)

Einleitung: Der zivilisatorische Umbau der Biosphäre oder Die drei Säulen der Torheit

Frontmatter
B. Einleitung: Der zivilisatorische Umbau der Biosphäre oder Die drei Säulen der Torheit

Im Frühjahr 1962 erschien das Buch „Der stumme Frühling“der amerikanischen Biologin Rachel Carson — ein schwarzes Zeichen an der scheinbar makellosen Fassade der agroindustriellen Revolution der Nachkriegszeit, ein Buch, das der zaghaft aufkeimenden Umweltbewegung Kraft und Orientierung verlieh und damit möglicherweise den Gang der modernen Menschheitsgeschichte veränderte. Carsons Werk zeigte in einer bezwingenden Verbindung von Analyse und Poesie erstmals die Bedrohungen für die natürliche Lebenswelt auf, welche vom gedankenlosen Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel ausgehen.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)

Die Biosphäre im Zentrum der Mensch-Umwelt-Beziehung

Frontmatter
C 1. Das biosphärenzentrierte Beziehungsgeflecht

Die Biosphäre dürfte wohl die am stärksten vom Globalen Wandel betroffene Umweltsphäre sein. Der Beirat versteht unter dem Globalen Wandel die Veränderung der Leitparameter des Systems Erde (z. B. die Temperatur der Atmosphäre oder die Bevölkerungszahl), die Verschiebung großräumiger Strukturen, Prozesse und Muster, die Abnahme von Naturgütern mit strategischer Funktion sowie die Modifikation der Zusammenhänge im System Erde (WBGU,1993). Von allen diesen Veränderungen ist die Biosphäre direkt und indirekt betroffen; sie prägt, modifiziert und stabilisiert die menschliche Umwelt in einem Ausmaß, das durch eine einfache reduktionistische Beschreibungsweise nicht ausreichend darstellbar ist.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
C 2. Die Wirkungsschleifen als Kernelemente der Syndrome

Die in den letzten Kapiteln dargestellten globalen Wirkungsschleifen, d.h. geschlossenen Wirkungsketten im biosphärenzentrierten Beziehungsgeflecht, verdeutlichen, warum eine schädliche Veränderung innerhalb der Biosphäre nicht losgelöst von den mit ihr verknüpften Trends betrachtet werden kann. Wirkungsschleifen illustrieren des weiteren in besonderer Weise die Eigendynamik dieser sich oft selbst verstärkenden Entwicklungen.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)

Genetische Vielfalt und Artenvielfalt

Frontmatter
D 1. Die Nutzung von Gen- und Artenvielfalt am Beispiel höherer Pflanzen

Die Problematik, die dem Schutz der Artenvielfalt zugrundeliegt, kann am Beispiel der Nadelbäume und der Orchideen anschaulich gemacht werden: Die Familie der Pinaceae besteht weltweit aus nur etwa 250 Arten (WCMC,1992), die auf 19 Mio. km2 der Landoberfläche die Vegetation dominant bestimmen, wie z. B. im borealen Nadelwald. Im Gegensatz dazu gibt es 25.000–35.000 Orchideenarten (WCMC, 1992), aber an keiner Stelle der Erde wird die Vegetation in ihrer Struktur oder in deren biogeochemischen Kreisläufen durch Orchideen geprägt. Die Frage liegt daher nahe: Braucht die Menschheit die 35.000ste Orchidee, und — sofern kein unmittelbarer Bedarf besteht — welche Gründe führen weltweit dazu, sich zu bemühen, auch these Art in Zukunft zu erhalten?

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
D 2. Ökologische Funktionen von Arten

Die Untersuchung der Pflanzenwelt hinsichtlich ihrer Nutzbarkeit durch den Menschen (Kap. D 1) kommt zu dem Schluß, daß ein erheblicher Anteil der Arten im Augenblick nicht direkt vom Menschen genutzt wird. Keineswegs darf aus dieser Feststellung der Umkehrschluß gezogen werden, daß auf diese Arten ohne Schaden für die Umwelt verzichtet werden könnte. Im folgenden Kapitel soll daher dargestellt werden, welche Bedeutung Arten und Artenvielfalt unabhängig von einer direkten menschlichen Nutzung haben. Ausgehend von der Rolle genetischer Vielfalt für die Anpassungsfähigkeit von Organismen werden die „Funktionen“ der Arten in den Ökosystemen beschrieben.Anschließend sollen Ökosystemare Prozesse geschildert werden, die auf die vielfältigen Wechselbeziehungen der Organismen untereinander und mit ihrer abiotischen Umwelt zurückzuführen sind. Schließlich werden — aus anthropozentrischer Sicht — aus diesen Ökosystemprozessen Produkte und Leistungen, die die Menschheit von der Biosphäre bezieht. Auf die ökologischen Funktionen biologischer Vielfalt für die Landwirtschaft wird in Kap. E 3.3.4 gesondert eingegangen.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
D 3. Schwerpunktthemen

Neben der Bedrohung der Ökosysteme aufgrund zunehmender Konversion und Fragmentierung bildet auch die wirtschaftliche Nutzung eine nicht unerhebliche Ursache für den Rückgang oder sogar das Aussterben von Arten. So macht z. B. der Anteil des Handels an der Bedrohung der Wirbeltiere nach Schätzungen ca. 40% aus (Hunter et al.,1998). Die Nachfrage nach seltenen Tier- oder Pflanzenprodukten wie Elfenbein, Rhinozeroshorn, Tigerknochen, Lederartikeln, Pelzen oder Tropenholz, aber auch das Verlangen nach lebenden Arten wie beispielsweise seltenen tropischen Zierpflanzen, Kakteen, Orchideen, exotischen Vögeln oder Napoleonfischen ist beträchtlich. Sie werden für Mode- und Nahrungsmittelindustrie sowie für medizinische und pharmazeutische Forschungszwecke, Ausstellungen und Sammlungen in den Industrieländern verwendet (Sand, 1997). Zum Schutz wildlebender Tier- und Pflanzenarten vor einer übermäßigen Ausbeutung durch den globalen Handel wurde 1973 das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (Kasten D 3.1–1; Washingtoner Artenschutzabkommen) geschlossen, das derzeit von 144 Staaten ratifiziert ist.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)

Vielfalt der Landschaften und Ökosysteme

Frontmatter
E 1. Natur- und Kulturlandschaften

Ökosysteme, also Wirkungsgefüge von Organismengesellschaften und unbelebter Umwelt (Kap. D 2.3), lassen sich als dreidimensionale Naturräume (Leser, 1997) unterschiedlichen Aggregationsniveaus beschreiben, deren Grenzen durch den Menschen definiert werden und nicht — wie bei den Organismen — scharf bestimmbar sind. Sie reichen von Ökotopen über Ökotopengefüge (Landschaften) und Ökoregionen (Biome) bis hin zu Kontinenten, dem Ozean und dem Globus. Wie Organismen verfügen sie über Strukturen sowie über Fähigkeiten zur Reproduktion und Mutabilität (Kap. D 2).

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
E 2. Entwicklung von Landschaften unter menschlichem Einfluß

Über Deutschland hat sich ein stabiles Hoch ausgebildet. Der Wetterbericht im Fernsehen sagt warme und sonnige Spätsommertage voraus, den Zuschauern wird ein erholsames Wochenende gewünscht. Zur Untermalung werden Bilder der blühenden Heide am Wilseder Berg mit weidenden Schafherden gezeigt. Am folgenden Tag setzen sich viele Menschen in den Ballungsgebieten um Hamburg, Bremen, Hannover und sogar im Ruhrgebiet in ihre Autos, um nach 1- bis 3stündiger Fahrt über die Autobahnen das „Naturschauspiel“ der Heideblüte in Deutschlands ältestem Naturschutzgebiet zu erleben. Bei der anschließenden Wanderung auf sandigen Wegen zwischen blühendem Heidekraut und dunkelgrünen Wacholderbüschen ist nur wenigen bewußt, daß es sich bei der unter Schutz gestellten Landschaft nicht um eine Naturlandschaft handelt, sondern um die Reste einer noch vor 150–200 Jahren in Nordwesteuropa weit verbreiteten Kulturlandschaft, die aufgrund einer Jahrhunderte bis Jahrtausende währenden Wirtschaftsweise — der Heidebauernwirtschaft — entstanden war.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
E 3. Schwerpunktthemen

Der Mensch gestaltet seit Jahrtausenden seine Umwelt und verändert natürliche Gegebenheiten nach seinen Bedürfnissen und Interessen. Wenn es angesichts der Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung um eine Reflexion und Veränderung des aktuellen Naturverhältnisses des Menschen geht, ist es notwendig, die Faktoren, die dieses Verhältnis bestimmen, genauer zu analysieren. Dabei zeigen sich zwei Dinge, die bei den Schutzbemühungen um die Biosphäre auf jeden Fall beachtet werden müssen: Es gibt kein einheitliches, universell geltendes Mensch-Natur-Verhältnis, sondern dieses ist regional und kulturspezifisch unterschiedlich ausgeprägt.Nicht nur (monetäre) Nutzungsinteressen spielen eine Rolle, sondern auch ideelle, symbolische und ästhetische Aspekte, die durch kulturelle Faktoren bestimmt werden.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)

Die Biosphäre im System Erde

Frontmatter
F 1. Von BIOSPHÄRE I zu BIOSPHÄREIII

Wenn man vom Weltraum aus einen fernen Blick auf die Planeten in unserem Sternsystem werfen könnte, würde ein wissenschaftlicher Sherlock Holmes sofort diagnostizieren können, welcher Planet Leben trägt und welcher nicht. James Lovelock entwickelte diese Vorstellung bereits als junger Wissenschaftler, als er im Rahmen des NASA Programms der frühen Mondflüge mit der Analyse oder Möglichkeit der Entdeckung von außerirdischem Leben konfrontiert wurde (Lovelock, 1998). Zur Beantwortung der Schlüsselfrage, was unseren Planeten so besonders macht, fand er in den bereits bekannten Fakten und Daten zu unserer Atmosphäre die Antwort. Die Zusammensetzung der Atmosphären der anderen Planeten scheinen sich sehr zu ähneln und befinden sich in einem bestimmten chemischem Gleichgewicht: Hohe Anteile von Kohlendioxid, geringe Mengen von Stickstoff und kein Methan oder Sauerstoff sind deutliche Indikatoren für unbelebte Welten. Auf der Erde jedoch sind die Verhältnisse umgekehrt.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
F 2. Globales Klima zwischen Wald und Wüste — zwei Extremszenarien

Durch ihre Kontrolle über die Prozesse an den Land- und Meeresoberflächen ist die Biosphäre ein zentraler Faktor im globalen Klimasystem. Die Biosphäre beeinflußt das Klima dadurch, daß sie die Wasserbilanz, die Wärmebilanz und die Bilanzen klimarelevanter Gase steuert (WBGU, 1998a). Im folgenden wird die Bedeutung der Biosphäre für die atmosphärische Zirkulation und das Klima der Erde durch zwei hypothetische, im Modell realisierte Extremszenarien veranschaulicht: Vollständig fehlende biosphärische Kontrolle der Landoberfläche wird durch das Szenario „Globale Wüste“ repräsentiert, während eine maximale Kontrolle der Biosphäre mit dem Szenario „Globaler Wald“ möglich ist.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
F 3. Die Biosphäre im Globalen Wandel

Der Mensch hat vor Jahrtausenden mit der Umgestaltung der Erde begonnen, kein Ökosystem ist heute mehr frei von menschlichem Einfluß (Vitousek et al., 1997). Diese Eingriffe erreichten mit der Industrialisierung eine globale Dimension und haben inzwischen natürliche biogeochemische und biogeophysische Kreisläufe verändert und die für das System Erde unerläßliche Regelungsfunktion der Biosphäre gestört (Kap. C). Auch früher haben die Menschen durch Landnutzungsänderungen tief in die Biosphäre eingegriffen und ganze Landstriche durch Entwaldung umgestaltet (z. B. Griechen und Römer im Mittelmeerraum, Aborigines in Australien). Die Klimarekonstruktionen weisen für diese Zeiträume regionalklimatische Modifikationen von Niederschlag und Temperatur, allerdings eine konstante C02-Konzentration aus. Andererseits beweisen δl8O-Werte aus Eisbohrkernen, die in Grönland gewonnen wurden, daß auch ohne menschlichen Einfluß während der vergangenen Eiszeiten in wenigen Jahrzehnten drastische Temperaturschwankungen auftraten und sich das Klima sprunghaft änderte.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
F 4. Anthropogene Klimaänderung: Folgen für Ökosysteme und Arten

Für die Biosphäre stellen menschliche Aktivitäten wie Ökosystemkonversionen und Landschaftsfragmentierungen, nichtstandortgerechte Bewirtschaftungsmethoden sowie die Etablierung nichtheimischer Arten direkte, lokale Eingriffe mit globalen Konsequenzen dar (Kap. C, E). Der Mensch kann auch durch indirekte Einflüsse wie die Veränderung der atmosphärischen Zusammensetzung und damit des Klimas die Artenvielfalt und die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen gefährden sowie die Verbreitung von Biomen global und regional modifizieren. Die indirekten Folgen der Klimaveränderung für die Biosphäre sind bei den internationalen politischen Verhandlungen der CBD und der UNFCCC bisher nur wenig beachtet worden (Markham, 1996). Inzwischen hat sich in der internationalen Klimafolgenforschung eine Untersuchungsrichtung etabliert, die diese Effekte näher quantifiziert. Insbesondere die für Agrar- und Forstwirtschaft relevanten Klimaeinflüsse sind durch Freilandexperimente und Modelle recht zuverlässig ermittelt worden (McGuire et al., 1995; Peterson et al., 1999).

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
F 5. Kritische Elemente der Biosphäre im Erdsystem

In der Erdgeschichte hat es nie eine vollkommen stabile Biosphäre gegeben: Allmähliche Veränderungen wurden in scheinbar unvorhersehbarer Weise durch unstetige, manchmal auch katastrophale Umbrüche abgelöst (Crowley, 1996). Kosmische Katastrophen allein, wie z. B. Meteoriteneinschläge, können dies nicht vollständig erklären. Abgesehen von den Mil-ankovic-Zyklen (z. B. Broecker und Denton, 1990), die die Mehrzahl der quasiperiodisch auftretenden Eiszeiten erklären, spielt die Variabilität der Sonneneinstrahlung in direkter Wirkung möglicherweise nur eine geringe Rolle. Obwohl sie im Laufe der Erdgeschichte um ca. 30% zugenommen hat und auch auf kürzeren Zeitskalen eine beachtliche Variabilität zeigt (Lean und Rind, 1996), wurden bisher nur Ähnlichkeiten zwischen den Veränderungen der Oberflächentemperatur der Meere und den Intensitätsschwankungen der Sonneneinstrahlung festgestellt. Zwischen der Einstrahlung und den Temperaturen auf dem Festland war dagegen ein derartiger Zusammenhang nicht erkennbar (Schönwiese, 1992b; Nisbet, 1994).

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)

Vernetzung von Bio- und Anthroposphäre: Das Raubbau-Syndrom

Frontmatter
G 1. „Raubbau“ als Syndrom des Globalen Wandels

Nachdem die Syndromanalyse (WBGU, 1994–1998) bereits an verschiedenen Stellen im Gutachten angesprochen wurde, wird in diesem Kapitel eine detaillierte Analyse eines typischen Musters nichtnachhaltiger Nutzung der Biosphäre vorgenommen. Wesentliches Charakteristikum dieser Forschungsmethode ist die Analyse der Vernetzung natürlicher und gesellschaftlicher Faktoren. Ausgewählt wurde das Raubbau-Syndrom.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
G 2. Der Mechanismus des Raubbau-Syndroms

Im Kern besteht die Problematik des Raubbau-Syndroms in der zeitlichen Diskrepanz zwischen menschlicher Nutzung und natürlichem (Nach-) Wachsen der Ressource (Abb. G 2.1–1). Die für dieses Syndrom charakteristischen Prozesse auf naturräumlicher Ebene sind einerseits durch die Trends Übernutzung biologischer Ressourcen und Schädigung bzw. Konversion des Ökosystems gekennzeichnet. Andererseits gibt es direkte und indirekte Schäden in weiteren Umweltbereichen: Bodenverdichtung oder Veränderung der lokalen Wasserbilanz sind Beispiele. Die Entnahme der Ressource erfolgt in einem Ausmaß, das die Reproduktionsfähigkeit übersteigt und im Extremfall mit der irrversiblen Vernichtung von Arten oder Ökosystemen verbunden ist. Damit bedroht dieses Syndrom die Funktionalität der Biosphäre insgesamt und verändert globale Regel- und Stoffkreisläufe. Eine Besonderheit des Raubbau-Syndroms besteht darin, daß es sich — das Weiterbestehen der Antriebskräfte vorausgesetzt — in einer Region B „fortpflanzt“, wenn es sich in Region A durch vollständige Übernutzung erschöpft hat („Wunderkerzeneffekt“; Abb. G 2.4–1).

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
G 3. Disposition von Waldökosystemen für das Raubbau-Syndrom

Für die Analyse der aktuellen Dynamik, aber vor allem auch zur Identifizierung zukünftig gefährdeter Regionen ist die Ermittlung der Disposition des Raubbau-Syndroms wichtig. Formal liefert das Konzept des Dispositionsraums eine Antwort auf die Frage nach den Bedingungen, unter denen die Wechselbeziehungen des Syndromkerns potentiell vorhanden sind (QUESTIONS, 1998). Praktisch ausgedrückt umfaßt der Dispositionsraum jene Flächen der Erde, auf denen die Wahrscheinlichkeit für ein zukünftiges Auftreten des Syndroms besonders hoch ist.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
G 4. Intensität des Raubbau-Syndroms

In diesem Kapitel wird versucht, die geographische Verteilung der verschiedenen Typen des Raubbau-Syndroms auf die Waldökosysteme zu bestimmen. Dabei stellt sich zunächst das Problem, daß die vorliegenden räumlich aufgelösten Daten zu Art, Umfang and Ursache der Entwaldung deutliche Defizite aufweisen. Bei Untersuchungen mit Hilfe von Satelliten- oder Luftbildern wird die Degradation von Waldökosystemen häufig unterschätzt, da hierbei kaum Aussagen über den Grad der Ausdünnung des Walds möglich sind. Auch sind hieraus keine Angaben hinsichtlich der Ursache für die Entwaldung, also etwa Konversion für Weidewirtschaft, Straßen- und Staudammbau oder Ackerbau, zu gewinnen. Dieses generelle Manko wird zur Zeit im Rahmen eines globalen Waldinventars zu beheben versucht, dessen Ergebnisse allerdings erst in den kommenden Jahren zu erwarten sind.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
G 5. Politische Implikationen der Syndromanalyse

Eine Bewertung der bisherigen Politik zur Bekämpfung des Raubbau-Syndroms hat ernüchternd die Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischen Bemühungen einerseits und konkreten Maßnahmen bzw. ökologischen Erfolgen andererseits festzustellen. Trotz zahlreicher Zustandsberichte (verwiesen sei beispielhaft auf die Jahresberichte der FAO, die Tropenwaldberichte der Bundesregierung oder die Arbeit der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“) sind nur wenige Politikerfolge zu verzeichnen, namentlich kann der vor rund einer Dekade ins Leben gerufene Tropical Forest Action Plan (TFAP) als gescheitert gelten. Politische Bemühungen erscheinen hier offensichtlich wie ein Wettlauf gegen die Zeit. Denkt man an die weitgehende Zerstörung der afrikanischen und ostasiatischen Tropenwälder, den unwiederbringlichen Verlust einzigartiger Ökosysteme wie Auenlandschaften in Deutschland, die Gefährdung fragiler Ökosysteme wie z. B. Küsten-, Fluß- und Berglandschaften, so ist offensichtlich, daß dieser Wettlauf bereits in vielen Fällen entschieden ist.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)

Bewertung der Biosphäre aus ethischer und ökonomischer Sicht

Frontmatter
H 1. Die grundlegende Fragestellung

Dürfen Menschen alles, was sie können? Dieser Frage begegnet man immer wieder, wenn es um den Einsatz von neuen Technologien, wie etwa der Gentechnik, oder um Eingriffe des Menschen in die Natur, wie etwa die Rodung von Urwäldern zum Zweck der landwirtschaftlichen Nutzung, geht. Intuitiv antwortet jeder auf diese Frage mit einem klaren „Nein“. Auf keinen Fall dürfen Menschen alles tun, was sie tun könnten. Das gilt auch für das Alltagshandeln. Viele Optionen des täglichen Lebens, vom Lügen bis zum kleinen Betrug, vom Bruch eines Versprechens bis zum Hintergehen eines Freundes, sind offensichtlich Handlungen, die von allen gutwilligen Betrachtern als nicht akzeptabel angesehen werden. Viel schwieriger zu beurteilen sind allerdings solche Handlungen, bei denen die Bewertung nicht so eindeutig auf der Hand liegt. Handlungen, bei denen Konflikte zwischen positiven und negativen Folgen auftreten oder bei denen eine Beurteilung mit guten Gründen so oder auch so ausfallen könnte, sind im Bereich der Umweltpolitik besonders häufig. Denn es gibt kaum jemanden, der mutwillig und ohne Grund die Umwelt verschandelt oder der giftige Schadstoffe freisetzt oder der Tiere aus purer Lust quält. Bewußte Umweltschänder handeln offensichtlich falsch, und jeder Gesetzgeber tut gut daran, solche Personen durch entsprechende Androhung von Strafen von ihrem Verhalten abzubringen. Klärungsbedarf besteht aber dort, wo Personen aus guter Absicht und mit guten Gründen eine Veränderung der Umwelt bewirken und dabei auch die Umwelt schädigen. In der Ethik spricht man hier von Zielkonflikten.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
H 2. Grundlagen der Ethik

Die Beantwortung der Frage nach dem richtigen Handeln ist das Betätigungsfeld der praktischen Philosophie, der Ethik. In Anlehnung an die in der Philosophie übliche Sichtweise bezeichnet Ethik die Lehre von der Begründung normativer, d. h. handlungsleitender Aussagen (Gethmann, 1991; Mittelstraß, 1992; Nida-Rümelin, 1996a; Revermann, 1998). Ein System normativer Aussagen wird als Moral bezeichnet. Ethische Urteile beziehen sich also auf die Begründbarkeit von moralischen Handlungsanweisungen, die von Individuum zu Individuum und von Kultur zu Kultur variieren können (Ott, 1999).

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
H 3. Grundlagen der Umweltethik

Im Umgang mit der Umwelt sind die traditionellen Grund- und Menschenrechte sowie die z. T. daraus abgeleiteten Bürgerrechte ebenso Grundlage der Betrachtung wie bei den übrigen Anwendungsbereichen der Ethik. Allerdings ergibt sich bei der Frage nach den Prinzipien eine für die Nutzung von Natur und Umwelt spezielle Übertragungsproblematik: Gilt das Grundpostulat des Lebenserhalts nur für Menschen oder auch für alle anderen Lebewesen? Diese Frage führt nicht zu einem neuen primären Prinzip, wie man vielleicht auf den ersten Blick vermuten könnte. Vielmehr geht es um die Frage der Abgrenzung des allseits anerkannten und bereits im Grundrechtskanon festgelegten Lebenserhaltungsprinzips. Sind in diesem Prinzip nur Menschen eingeschlossen (so die heute geltende kodifizierte Fassung) oder auch andere Lebewesen? Und wenn ja, welche?

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
H 4. Spezielle Prinzipien und Normen zur Nutzung der Biosphäre

Aus der Festlegung für einen moderaten Anthropozentrismus und der Gültigkeit der allgemein anerkannten primären Prinzipen des menschlichen Zusammenlebens lassen sich zwar schon einige wichtige Rückschlüsse für die ethische Beurteilung der Biosphärennutzung durch den Menschen ziehen, sie reichen aber noch lange nicht aus, konkurrierende Normen der Nutzung vergleichend miteinander zu beurteilen.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
H 5. Ökonomische Bewertung biosphärischer Leistungen

Auch die Ökonomie besitzt in Form des „sozialen Subjektivismus“ eine ethische Basis. Der „soziale Subjektivismus“ besteht im Kern aus einer utilitaristischen Werttheorie, nach der ausschließlich die Präferenzen der Individuen zur Ermittlung von Werten herangezogen werden (Marggraf und Streb, 1997). Ausgangsthese des Beirats bei der Behandlung ökonomischer Aspekte von Bewertungsfragen ist, daß sich ethische und ökonomische Bewertungsansätze nicht konträr gegenüberstehen, sondern in der Ökonomie die Ausprägung einer speziellen Bewertungsethik zu sehen ist. Es wird demnach nach ökonomischen Kriterien und Argumenten gesucht, die in einem übergeordneten ethischen Bewertungskonzept angewandt werden können. Die Ökonomie kann sowohl Kriterien für die Abgrenzung zwischen kategorischen und kompensationsfähigen Kriterien ableiten als auch Kriterien benennen, die bei einem nachvollziehbaren, konsistenten Abwägungsprozeß unterstützend herangezogen werden können. Mit Blick auf diese Argumentation strebt der Beirat zwar an, die Vorteile des ökonomischen Bewertungsansatzes herauszuarbeiten und eine stärkere Berücksichtigung ökonomischer Überlegungen beim Biosphärenschutz zu fordern. Jedoch spricht er sich nicht einseitig für den ökonomischen Bewertungsansatz aus und löst somit nicht den immer wieder angeführten Gegensatz von Ethik und Ökonomie zugunsten der Ökonomie auf.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
H 6. Die Ethik der Verhandlungsführung

Die Erläuterungen zu den ökonomischen Werten und ihrer Anwendung auf die Biosphäre haben gezeigt, daß sehr oft eine begründbare, eindeutige Bewertung von Handlungsoptionen nicht möglich ist. Wie also ist in diesen Fällen vorzugehen? Nach welchen Kriterien kann man dann eine Abwägung vornehmen? Konflikte bei Abwägungen lassen sich in der Regel (von dominanten, subdominanten oder Fällen mit absolut gleichen Wertverletzungen auf jeder Dimension einmal abgesehen) nicht durch ethische Überlegungen allein lösen. Die Ethik würde sich überfordern, wenn sie verspräche, konkrete Handlungsnormen oder Gewichtungen der relevanten Bewertungsdimensionen allein aus ethischen Wissensbeständen für alle verbindlich abzuleiten. In den Abwägungsprozeß selbst gehen stets subjektive Bewertungen ein, die zwar ethisch begründet werden können, die aber keine universelle Geltungskraft gegenüber Dritten beanspruchen oder eine eindeutige Prioritätensetzung für alle erzwingen.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
H 7. Folgerungen für den Biosphärenschutz

Was ist der Beitrag der Ethik zur Klärung der Möglichkeiten und Grenzen der Biosphärennutzung? Die Nutzung von (kultivierter) Natur ist eine anthropologische Notwendigkeit. Der Mensch verfügt über ein reflexiv wirkendes Bewußtsein und damit verbunden ein kausales Erkenntnisvermögen, das ihn befähigt, Ursache und Wirkungen antizipativ zu erfassen und produktiv in eigenes Handeln umzusetzen. Dieses Wissen ist die Triebfeder der kulturellen Evolution und der Entwicklung von Technik, Agrikultur und Städtebau. Mit der Herrschaft über ein immer größer werdendes Potential an Gestaltungs- und Interventionsmöglichkeiten in Natur und Sozialwesen ist im Lauf der Menschheitsgeschichte aber auch das Potential an Mißbrauchs- und Ausbeutungsmöglichkeiten angewachsen. Während dieses Potential im Bereich der Beziehungen der Menschen untereinander schon früh in den philosophischen Überlegungen und rechtlichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat, ist die Frage nach der Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur erst in jüngerer Zeit zum Gegenstand intensiver Überlegungen geworden. Bei diesen Überlegungen spielen zunehmend ethische Erwägungen eine wichtige Rolle. Sie bieten zum einen die Möglichkeit, auf der Basis verallgemeinerungsfähiger Kriterien konkrete Normen und Verhaltensoptionen zu überprüfen, und zum anderen vermitteln sie prozedurale Ratschläge, um eine rationale und faire Abwägung von zu erwartenden positiven und negativen Auswirkungen vorzunehmen.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)

Globale Biosphärenpolitik

Frontmatter
I 1. Leitplankenstrategie für die Bewahrung und Gestaltung der Biosphäre

Der Beirat hat im Zusammenhang mit der Diskussion um Nachhaltigkeit das Leitplankenkonzept entwickelt, das zu einer Operationalisierung dieses Begriffs beitragen soll (WBGU, 1996a, 1998a). In diesem Kapitel wird versucht, dieses Konzept auf die Biosphäre anzuwenden, indem aus den in Kap. C-H angestellten Überlegungen Prinzipien abgeleitet werden, welche die Entwicklung von Mensch und Gesellschaft als Teil der Biosphäre sichern helfen können.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
I 2. Elemente einer globalen Biosphärenpolitik

Die Forderung nach einer globalen Politik zur nachhaltigen Nutzung und zur Erhaltung der Biosphäre beruht gemäß bisheriger Argumentation des Beirats auf zwei Fundamenten: 1.Es werden für eine solche Politik moralisch-ethische Prinzipien geltend gemacht, die der Biosphäre einen intrinsischen Wert zuordnen und somit ein eigenständiges Existenzrecht einräumen (Kap. H).2.Es wird darauf hingewiesen, daß der Verlust biologischer Vielfalt und die Reduktion der biosphärischen Leistungen eine gravierende Einschränkung zukunftsfähiger Entwicklungspfade der Gesellschaft darstellen und darum, insbesondere mit Blick auf künftige Generationen, mit dem Risiko eines längerfristigen gesellschaftlichen Wohlfahrtsverlusts verbunden sind (Kap. C-F).

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
I 3. Die Biodiversitätskonvention: Umsetzung, Vernetzung und Finanzierung

Das komplexe Netzwerk an Organisationen, Konventionen, Plänen und Programmen für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung biologischer Vielfalt zeigt, daß die Biosphärenpolitik inzwischen ein wichtiges Handlungsfeld der internationalen Beziehungen ist. Vor dem Hintergrund des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung hat sich dabei ein Wandel von klassischen, sektoral oder regional fokussierten Konzepten des Arten- und Naturschutzes hin zu komple-xen Vereinbarungen über das Verhältnis Mensch- Biosphäre vollzogen. Neben den direkten Wirkungszusammenhängen, wie z. B. Übernutzung oder Raubbau, spielen zunehmend auch sozioökonomische Fragen bei der Nutzung biologischer Ressourcen eine Rolle.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)

Forschungsstrategie für die Biosphäre

Frontmatter
J 1. Forschung zu den fünf biologischen Imperativen

Der Beirat hat in Kap. 11 eine Leitplankenstrategie für die Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Biosphäre entwickelt, die auch als Anhaltspunkt für die Prioritätensetzung in der Forschung nützlich ist. Um die Leitplankenstrategie des Beirats in eine Forschungsstrategie umzusetzen, wird hier nach den biologischen Imperativen gegliedert (Kap. II). Neben den Forschungsfragen, die in diesem Gutachten aufgeworfen werden, bezieht sich dieses Kapitel auf eine Reihe von aktuellen Publikationen zum Thema (Solbrig, 1994; Holz und Kaule, 1995; GTZ, 1997; RMNO und NRLO, 1997; Ziegler et al., 1997; Barthlott und Gutmann, 1998; Catizzone et al., 1998; Linsenmair, 1998; Meyer et al., 1998; PCAST, 1998; Specht, 1998; Diversitas, 1998).

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
J 2. Methoden und Instrumente

Der Entwicklung von Indikatoren biologischer Vielfalt (vor allem Indikatorensysteme zur schnellen Erfassung der biologischen Vielfalt eines Raumes, aber auch zur Beschreibung der Rolle und der Mechanismen von Biodiversität für Ökosystemprozesse) muß eine zentrale Bedeutung innerhalb der Forschungsförderung zukommen. Indikatoren spielen bei allen Versuchen des Erfassens und Bewertens von Status und Trends biologischer Vielfalt auf den verschiedenen Ebenen (Gen, Art, Ökosystem) und Skalen (Biotop, Bioregion, Biom, Globus) eine große Rolle. Solche Indikatorensysteme sind daher unabdingbare Voraussetzung für das Monitoring biologischer Vielfalt und für Kritikalitätsanalysen.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
J 3. Biosphärische Grundlagenforschung

Die Inventarisierung, taxonomische Beschreibung und Klassifizierung der globalen Artenvielfalt ist weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein, insbesondere in tropischen Gebieten und im marinen Bereich (z. B. Mangroven, Korallen, Tiefsee; Kap. I 3.2.6). Hier wird noch für lange Zeit erheblicher Forschungsbedarf bestehen (vgl. Kernprogrammelement 3 von Diversitas). Stork (1997) merkt an, daß die Chance einer bislang unbeschriebenen Insektenart auf Entdeckung geringer sein könnte, als die Chance, auszusterben.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)

Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Biosphärenpolitik

Frontmatter
K 1. Grundlagen einer Handlungsstrategie

Die Strategie des Beirats für eine globale „Biosphärenpolitik“, die aufgrund ihrer Bezüge zum Klima- und Bodenschutz über die klassische Biodiversitätspolitik hinausreicht, orientiert sich zunächst an den in jedem Fall zu vermeidenden Entwicklungen in der Biosphäre (Kap. II). Dazu wurden biologische Imperative, Leitplanken und Leitlinien definiert. Wegen der großen Unsicherheiten und Wissensdefizite ist es nicht immer möglich, für den Biosphärenschutz exakte Leitplanken im Sinn von präzisen, quantifizierbaren Grenzen anzugeben. Zunächst wurden daher biologische Imperative formuliert, die Prinzipien vermitteln sollen, mit denen die Werte der Biosphäre für heutige und kommende Generationen erhalten und nachhaltig genutzt werden können. Dazu zählen 1.die Bewahrung der Integrität von Bioregionen,2.die Sicherung aktueller biologischer Ressourcen,3.die Erhaltung von Biopotentialen,4.die Bewahrung des globalen Naturerbes,5.die Erhaltung der globalen Regelungsfähigkeit der Biosphäre.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
K 2. Schwerpunkte der Umsetzung

Angesichts eines unzureichenden gesellschaftlichen Problemverständnisses für die Bedeutung und Gefährdung der Biosphäre dürfen die vom Beirat festgestellten wissenschaftlichen Defizite nicht zu einer Verzögerung in der Entwicklung von biosphärenspezifischen Bildungs- und Lernkonzepten führen. Im Gegenteil sollten diese kognitiven Defizite gerade als Anreiz dienen, sich für die Einbringung des Themas in das gesamte Bildungssystem einzusetzen. Umweltbildung und Umweltlernen umfassen hier die Vermittlung des—in der Öffentlichkeit nach wie vor weitgehend unbekannten—Konzepts biologischer Vielfalt sowie der Motivation und Bereitschaft, sich für die Erhaltung der Biosphäre einzusetzen und ihre Nutzung stets mit dem Kriterium der Nachhaltigkeit zu verknüpfen. Die Komplexität der Biosphäre birgt eine besondere Herausforderung für Um- weltbildungs- und -lernkonzepte, bietet aber gleichzeitig zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten für Programme und Curricula unterschiedlicher Einrichtungen. Die Empfehlung des Beirats richtet sich darauf, das Thema Biosphäre verstärkt in die Curricula von Schulen, Universitäten und Programmen einzubringen und in kommunalen Lernprozessen zu fördern.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
K 3. Finanzierung und internationale Zusammenarbeit

Die CBD fordert in Art. 10 die Vertragsstaaten auf, verstärkt soziale und ökonomische Anreizmaßnahmen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Biosphäre einzusetzen. Der Beirat unterstützt die mit Anreizsystemen verbundenen Informationsvorteile auf dezentraler Ebene, um ökologische Ziele möglichst effizient zu erreichen. Aufgrund der Komplexität der Problemlage sowohl hinsichtlich der ökologischen Zusammenhänge als auch hinsichtlich der Vielzahl der beteiligten Akteure, sollte eine breite Palette von Anreizinstrumenten eingeführt und kombiniert angewendet werden. Der kombinierte Einsatz von Anreizinstrumenten erfordert geeignete wissenschaftliche, technische und politische Kapazitäten.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
Backmatter
Metadaten
Titel
Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biosphäre
verfasst von
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderrungen (WBGU)
Copyright-Jahr
2000
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-642-59755-8
Print ISBN
978-3-642-64111-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-642-59755-8