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Open Access 2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

12. Die Zukunft der Arbeit im demografischen Wandel

verfasst von : Wenke Apt, Marc Bovenschulte

Erschienen in: Zukunft der Arbeit – Eine praxisnahe Betrachtung

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Die Arbeitswelt von morgen wird anders sein. Neben technischen Neuerungen wird der demografische Wandel ausschlaggebend für die zukünftige Arbeitsgestaltung sein. Insbesondere die alternde und schrumpfende Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wird diesen Wandel verursachen. Rein quantitativ wird die menschliche Arbeitskraft als Produktionsfaktor zu einem knapperen Gut. Die konkreten Arbeitsmarkteffekte, Eintrittswahrscheinlichkeiten und Zeithorizonte lassen sich derzeit nicht mit Gewissheit bestimmen; sie können auch nach Branche, Anwendungskontext und regionalem Bezug variieren. Mit Blick auf die unmittelbaren Auswirkungen des demografischen Wandels stehen die mittel- bis langfristigen Automatisierungspotenziale hier nicht im Vordergrund. Vielmehr werden die Technologie, und allen voran technische Assistenzsysteme, als Ergänzung für eine Arbeitsgesellschaft im demografischen Wandel gesehen. Im Fokus dieses Beitrags stehen deshalb die arbeitsmarktrelevanten Veränderungen in der erwerbsfähigen Bevölkerung sowie die Potenziale technischer Systeme als assistive Fähigkeitsverstärker älter und heterogener werdender Belegschaften.

12.1 Einleitung

Die Arbeitswelt von morgen wird anders sein. Neben technischen Neuerungen wird der demografische Wandel ausschlaggebend für die zukünftige Arbeitsgestaltung sein. Insbesondere die alternde und schrumpfende Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wird diesen Wandel verursachen. Rein quantitativ wird die menschliche Arbeitskraft als Produktionsfaktor zu einem knapperen Gut. Bereits heute sind viele Unternehmen, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen in peripheren Wirtschaftsregionen, von Fachkräfteengpässen betroffen. Vor allem Berufe im Bereich Gesundheit und Soziales sowie Stellen mit ingenieurwissenschaftlichen bzw. technischem Hintergrund können nicht ausreichend besetzt werden (Bußmann und Seyda 2014). Dabei handelt es sich vor allem um Berufe mit einem geringen Substituierbarkeitspotenzial, die somit von schwer automatisierbaren und oft manuellen Tätigkeiten geprägt sind. Nach einer Studie arbeiten etwa 11,8 Millionen Personen bzw. 40 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland in Berufen mit einem niedrigen Substituierbarkeitspotenzial (Dengler und Matthes 2015). Entsprechend der Definition könnten in diesen Berufen nach heutiger Einschätzung maximal 30 % der Tätigkeiten mittels algorithmenbasierter Verfahren automatisiert werden. Demnach überwiegen die Tätigkeitsbestandteile, die (noch) nicht von Maschinen übernommen werden können. Selbst in hochtechnologisierten Branchen wird menschliche Arbeit weiterhin als wichtiger Bestandteil von Produktion und Wertschöpfung gesehen (Spath et al. 2013). Die konkreten Arbeitsmarkteffekte, Eintrittswahrscheinlichkeiten und Zeithorizonte lassen sich derzeit nicht mit Gewissheit bestimmen; sie können auch nach Branche, Anwendungskontext und regionalem Bezug variieren. Mit Blick auf die unmittelbaren Auswirkungen des demografischen Wandels stehen die mittel- bis langfristigen Automatisierungspotenziale hier nicht im Vordergrund. Vielmehr werden die Technologie, und allen voran technische Assistenzsysteme, als Ergänzung für eine Arbeitsgesellschaft im demografischen Wandel gesehen. Im Fokus dieses Beitrags stehen deshalb die arbeitsmarktrelevanten Veränderungen in der erwerbsfähigen Bevölkerung sowie die Potenziale technischer Systeme als assistive Fähigkeitsverstärker älter und heterogener werdender Belegschaften.

12.1.1 Alterung und Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung

Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland wird langfristig auch weiterhin von Alterung und Schrumpfung geprägt sein. Nach der 13. Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes wird die Gesamtbevölkerung demnach von 81,3 Millionen im Jahr 2015 auf 73,1 Millionen im Jahr 2060 zurückgehen (Statistisches Bundesamt 2015). Insbesondere die Alterung der stark besetzten mittleren Jahrgänge führt dabei zu tief greifenden Veränderungen in der Altersstruktur. Die prozentualen Anteile der Altersgruppen verschieben sich (Tab. 12.1). Vor allem die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter entwickelt sich rückläufig, während der Anteil älterer Menschen überproportional zunimmt. Die zunehmende Zahl der Hochbetagten spielt dabei eine wichtige Rolle. Während im Jahr 2015 die Zahl der 80-Jährigen und Älteren bei 4,7 Millionen und ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung bei 6 % lag, wird ihre Zahl kontinuierlich steigen und im Jahr 2050 mit knapp 10 Millionen Personen und einem Bevölkerungsanteil von 13 % ihren Höhepunkt erreichen (Statistisches Bundesamt 2015). Das Medianalter gilt dabei als allgemeine Kennzahl, um die Bevölkerungsalterung zu beschreiben. Es teilt die Bevölkerung nach dem Alter in zwei gleich große Gruppen; die eine Hälfte ist jünger und die andere älter als das Medianalter. Ein steigendes Medianalter bedeutet demnach einen zunehmenden Anteil an älteren Menschen in der Bevölkerung. In Deutschland wird das Medianalter von gegenwärtig 45,6 Jahren auf etwa 49,7 Jahre im Jahr 2045 ansteigen und anschließend auf diesem hohen Niveau verbleiben (Tab. 12.1).
Tab. 12.1
Entwicklung der Gesamtbevölkerung und Altersgruppen in Deutschland. Nach Statistisches Bundesamt (2015), Variante 2 „Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung“, eigene Darstellung
 
Gesamt-bevölkerung (Mio.)
<20 Jahre (%)
20–64 Jahre (%)
65+ Jahre (%)
Medianalter (Jahre)
2015
81,3
18
61
21
45,6
2030
80,9
18
55
27
47,1
2045
77,6
16
54
30
49,7
2060
73,1
16
52
32
49,7
Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 64 Jahren ist bereits seit dem Jahr 2005 in Deutschland rückläufig (Statistisches Bundesamt 2015).1 Im Jahr 2015 betrug die Bevölkerung im Erwerbsalter 49,1 Millionen Menschen und machte damit einen Anteil von 61 % an der Gesamtbevölkerung aus. Bis zum Jahr 2030 wird die Bevölkerung im Erwerbsalter auf 44,8 Millionen Personen und bis zum Jahr 2060 weiter auf 37,9 Millionen Personen bzw. einen Bevölkerungsanteil von 52 % zurückgehen (Abb. 12.1). Etwa die Hälfte der Bevölkerung befindet sich dann in einem potenziellen „Empfängeralter“, also unter 20 und über 65 Jahren, da die jüngere wie auch die ältere Bevölkerung Netto-Leistungen aus dem sozialen Sicherungssystem beziehen. Für beide Gruppen muss die mittlere, erwerbsfähige Altersgruppe im weitesten Sinne sorgen (Statistisches Bundesamt 2015, S. 7 und 24), ein Umstand, der im Zuge der Diskussion um die Zukunftsfestigkeit des umlagefinanzierten Rentensystems hinreichend bemüht wurde.
Auch innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung verschiebt sich die Altersstruktur. In früheren Projektionen des Erwerbspersonenpotenzials zeigte sich deutlich, dass die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nach 2020 deutlich schrumpft, dabei insbesondere die mittlere Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen zurückgeht und die erwerbsfähige Bevölkerung zu einem erheblichen Teil aus Menschen bestehen wird, die älter als 50 Jahre sind (Statistisches Bundesamt 2009). Die 13. Bevölkerungsberechnung des Statistischen Bundesamtes lässt die demografische Herausforderung für den deutschen Arbeitsmarkt jedoch weniger dramatisch erscheinen (Abb. 12.1). Annahmen über eine anhaltend hohen Nettozuwanderung führen zu einer mittelfristig fast ausgeglichenen Bevölkerungsbilanz (Deschermeier 2015).2
In der Vergangenheit ging das Statistische Bundesamt davon aus, dass sich der jährliche Wanderungssaldo auch zukünftig auf einem Niveau bewegen wird, das dem beobachteten langfristigen Durchschnitt entspricht und rechnete deshalb mit einer Nettozuwanderung von 100.000 und 200.000 Personen pro Jahr (Statistisches Bundesamt 2009). Allgemein gelten Zuzüge aus dem Ausland bei Bevölkerungsvorausberechnungen als kaum prognostizierbar und vorhandene Wanderungsszenarien deckten den Umfang der Asylzuwanderung nach Deutschland im Jahr 2015 nicht ab. Bei der Modellierung des erwarteten Bevölkerungszuzugs lag die Obergrenze bisher bei etwa 800.000 Menschen (Fuchs und Söhnlein 2013). Dieses Spektrum unterschiedlicher Annahmen zeigt das hohe Maß an Unsicherheit über die Eintrittswahrscheinlichkeit der Vorhersagen. Zudem bestehen Zweifel, ob sich das durch Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter hinzugewonnene Erwerbspersonenpotenzial tatsächlich in vergleichbarem Maße positiv auf die Erwerbsbevölkerung auswirkt. So nimmt etwa das Institut der deutschen Wirtschaft Köln in einer Prognose und auf Grundlage der existierenden Maßnahmen und Angebote an, das lediglich 100.000 Flüchtlinge im Jahr 2016 und etwa 130.000 Flüchtlinge im Jahr 2017 einen Arbeitsplatz finden werden (Schäfer 2016).
Vor diesem Hintergrund bleibt die Weiterbeschäftigung älterer Personen in Unternehmen und die Steigerung der Erwerbsquoten im höheren Erwerbsalter weiterhin wichtig. Seit 2004 ist die Erwerbsbeteiligung älterer Personen bereits signifikant gestiegen (OECD 2015). Insbesondere der Anteil der Erwerbstätigen in der Altersgruppe von 60–64 Jahren hat in Deutschland – auch im internationalen Vergleich – stark zugenommen (Tab. 12.2). Wenn der Anteil älterer Beschäftigter in der Erwerbsbevölkerung zunimmt, dürfte auch die Bedeutung einer aktiven Unterstützung zunehmen, um nachlassende Fähigkeiten auszugleichen bzw. ihrem vorzeitigen Verlust vorzubeugen.
Tab. 12.2
Erwerbsbeteiligung älterer Personen, 2004–2014. Nach OECD (2015), eigene Darstellung
Erwerbstätigenquote
2004
2007
2014
55–64 Jahre (%-Anteil in Altersgruppe)
41,8
51,3
65,6
davon 55–59 Jahre
61,9
66,7
77,2
davon 60–64 Jahre
25,1
32,9
52,6
65–69 Jahre (%-Anteil in Altersgruppe)
5,1
7,1
13,9

12.2 Kognitive Leistungsfähigkeit im Alter

Zahlreiche Studien zeigen, dass die Leistungswandlung älterer Beschäftigter grundsätzlich kein Hemmnis für die Arbeitsproduktivität und Innovationsfähigkeit darstellt (Dönitz 2010). Lediglich etwa 10 % der Unterschiede in der Arbeitsleistung lassen sich allein durch das Lebensalter erklären. Der Einfluss des Alters auf die Produktivität ist demnach „sehr gering“ (Conrads et al. 2008). Auch sind Alterungsprozesse individuell verschieden. Altern ist nicht gleich Altern. Dies bezieht sich auf den Vergleich von Person zu Person wie auch auf einzelne Körperfunktionen. Demnach erscheint das kalendarische Alter immer weniger aussagekräftig, und die Menschen weisen gewissermaßen zwei Alter auf – das Alter gemäß ihres Geburtsjahrgangs und das Alter gemäß ihrer tatsächlichen Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Lebensumstände: „Grob gesprochen ist ein heute 50-Jähriger so fit wie noch 1970 ein 40-Jähriger oder ein 65-Jähriger so gesund wie ein damals 55-Jähriger“ (Vaupel und Schwentker 2011).
Auch bleiben zahlreiche Einflussfaktoren auf kognitive Leistungen über den Lebensverlauf konstant und sind altersunabhängig, so beispielsweise die individuelle Motivation, Lernbereitschaft und Flexibilität (Conrads et al. 2008). Weiterhin verändern sich Gedächtnis, Intelligenz und kognitive Fähigkeiten im Laufe des Lebens höchst unterschiedlich. Das Gehirn ist dabei durch eine hohe Formbarkeit („Plastizität“) gekennzeichnet. Neben der „inter-individuellen Variabilität“ des Alterungsprozesses verändern sich innerhalb eines einzelnen Lebensverlaufs auch die einzelnen kognitiven Fähigkeiten in unterschiedlicher Weise. So haben Ältere im Durchschnitt weniger körperliche Kraft als Jüngere und einige kognitive Fähigkeiten nehmen mit dem Alter tendenziell ab. Die Präzision wie auch die Lern- und Konzentrationsfähigkeit lassen nach; Denk- und Reaktionsprozesse werden langsamer. Fähigkeiten wie schlussfolgerndes Denken, welche auf der Verknüpfung von Wissen und Erfahrung basieren, bleiben bis ins späte Lebensalter jedoch erhalten oder verbessern sich sogar noch (Korte 2012). Auch verfügen ältere Menschen oft über mehr Erfahrung und soziale Kompetenz.
Vielmehr als das Alter beeinflusst das Arbeitsumfeld die individuelle Leistungsfähigkeit. Untersuchungen haben ergeben, dass die Leistungsfähigkeit Älterer erheblich höher ist, wenn ihre Arbeitsplätze altersgerecht ausgestattet sind, die Arbeitsanforderungen und -inhalte ihre Stärken berücksichtigen und sie gemeinsam mit jüngeren Beschäftigten in altersgemischten Teams arbeiten (Göbel und Zwick 2010). Entsprechende Anpassungen des Arbeitsplatzes in Bezug auf Lichtverhältnisse oder Geräuschpegel erfordern beispielsweise wenig Aufwand und haben einen unmittelbar positiven Effekt auf die Arbeitsproduktivität älterer Menschen. Einen ungleich höheren positiven Einfluss auf den Arbeitsprozess können technische Assistenzsysteme haben.

12.3 Technische Assistenzsysteme für ältere Belegschaften

Die Schaffung altersgerechter Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen bildet seit etwa Mitte der 1990er Jahre einen Schwerpunkt in der betrieblichen Praxis und der Arbeitsforschung. Während sich die Fragestellungen anfangs noch im Sinne des betrieblichen Gesundheitsmanagements auf arbeitsergonomische und arbeitsmedizinische Aspekte konzentrierten, rückten mit der Zeit auch die Potenziale technischer Systeme zum Erhalt von Arbeitskraft und der Verbesserung der Leistungsfähigkeit in den Fokus.
Zentrale Fähigkeiten von technischen Assistenzsystemen auf dem aktuellen Stand der Technik sind die Umgebungswahrnehmung, reaktives Verhalten, Aufmerksamkeitssteuerung und Situationsinterpretation. Ziel ist die Schaffung von Synergieeffekten durch die optimale Kombination automatisierter Systeme mit der Flexibilität und der Adaptions- und Reaktionsfähigkeit der Beschäftigten. Um dies zu gewährleisten, müssen die technischen Systeme:
  • arbeitsprozessrelevante kognitive und/oder physische Fähigkeiten unterstützen und dabei insbesondere auf die Diversity-Dimensionen Alter, Geschlecht, Bildungsstand und kulturelle Zugehörigkeit in der Belegschaft eingehen
  • Arbeitsprozesse in einer Weise assistierend unterstützen, dass durch die Interaktion von Mensch und Technik ein deutlicher Mehrwert entsteht
  • die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht entmündigen, sondern in ihrer Selbstbestimmung fördern
  • zu einem erfüllenden Arbeitsumfeld beitragen, das sich begünstigend auf den langfristigen Erhalt der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit sowie auf die Arbeitsmotivation und die Arbeitszufriedenheit auswirkt3
Digital unterstützende, individualisierte Tutorensysteme ermöglichen in der Zukunft nicht nur eine schnellere Einarbeitung in neue Arbeitsabläufe, sie können auch zu einer stärkeren Inklusion und Partizipation an der Arbeitswelt beitragen. Ältere und leistungsgeminderte Beschäftigte können mit derartigen Systemen abgestimmt auf ihr jeweiliges Leistungsvermögen im Arbeitsprozess unterstützt und in die Lage versetzt werden, Arbeiten zu verrichten, die sie vorher gar nicht oder nur unter Schwierigkeiten übernehmen konnten. Gleichzeitig können die Systeme als informelle Weiterbildungswerkzeuge genutzt werden und damit das Lernen im Prozess der Arbeit zu einem festen Bestandteil der alltäglichen Tätigkeit einer breiten Mitarbeiterschicht werden lassen. Damit lässt sich die zukünftig notwendige Flexibilität und Fluidität hinsichtlich der individuellen Kompetenzprofile sehr viel effizienter erfüllen als mit den heute geläufigen formellen Weiterbildungsmaßnahmen.
Noch ohne über die entsprechenden technischen Möglichkeiten zu verfügen, formulierten Hartley und Sleeman (1973) die grundlegende Funktionsweise eines technischen Systems zur Unterstützung des individuellen Lernens mitsamt seinen dafür notwendigen Komponenten:
  • Wissen über eine Wissensdomäne
  • Wissen über die Lernenden und deren (Vor-)Wissen
  • Wissen über Strategien und Wege der Wissensvermittlung
Die Besonderheit eines solchen Systems liegt in der individuellen Anpassung an Wissensstand, Lernanforderungen und Lernfortschritt. Mit der Beantwortung der Fragen „Welches Wissen soll vermittelt, gelernt und angewendet werden?“ und „Auf welches Wissen kann aufgebaut werden?“ ergibt sich eine individuelle Strategie der Wissensvermittlung: „Wie kann das Wissen vermittelt, gelernt, angewendet werden?“ Dabei adressieren intelligente Tutorensysteme auf dem aktuellen Stand der Technik im Besonderen die Diversity-Dimensionen Alter, Geschlecht, Bildungsstand und kulturelle Zugehörigkeit und können damit individuelle Unterschiede hinsichtlich Fähigkeiten, Kompetenzen und Erfahrungen in heterogenen Belegschaften ausgleichen.
Mit dem digitalen Strukturwandel hat sich die Arbeitswelt in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Neben hoch standardisierten Prozessabläufen wird zunehmend eine erhöhte Flexibilität hinsichtlich der Arbeitstätigkeiten und -inhalte erwartet. Insbesondere müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heute verstärkt kompetent in elektronischen und datentechnischen Fragen sein, die zusätzlich einem ständigen und sich beschleunigenden Wandel unterliegen. Mit gelegentlichen Weiterbildungsseminaren ist dies nicht zu realisieren. Durch diese zunehmende Flexibilisierung von Arbeitsanforderungen und -abläufen ergeben sich neue Herausforderungen und Möglichkeiten für das Prozessmanagement. Es werden neue Wissensmanagement-Systeme benötigt, die Änderungen in den Prozessabläufen dynamisch erfassen, abbilden und auswerten können (Hartmann 2015).
Die IT-Unterstützung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern während ihrer Tätigkeit ist seit langem üblich. Assistenzsysteme zeigen bedarfsgerecht Informationen an, etwa eine Montageanleitung, oder sie kontrollieren das Arbeitsergebnis, z. B. eine Schweißnaht. Derzeit zielen die Entwicklungen jedoch in der Regel vor allem auf die Verbesserung der Benutzerschnittstelle. Während der eigentlichen Ausführung der Arbeitshandlung erhalten die Beschäftigten gegenwärtig kaum Unterstützung: Ist die Reihenfolge der Teilschritte richtig? Wurde eine Bewegung falsch ausgeführt? In diesem Punkt unterscheiden sich prozessorientierte Tutorensysteme von „einfachen“, IT-basierten Assistenzsystemen, indem sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter während einer Tätigkeit beobachten und Probleme oder Fehler direkt erkennen und eine wissensbasierte Unterstützung, aber keine technische Überkompensation von Wissens- oder Fähigkeitsdefiziten anbieten.
Intelligente Tutorensysteme sind in der Lage, Nutzer- bzw. Fähigkeitsprofile zu erstellen und sich in ihrer Unterstützungsleistung an die Bedürfnisse und konkreten Unterstützungswünsche der Nutzenden anzupassen. In diese Unterstützung können Lernsequenzen unterschiedlichen Umfangs und unterschiedlicher Komplexität eingebettet werden; die Übergänge zwischen Unterstützung und Lernen sind dabei fließend. Als Konsequenz daraus verschwimmen auch zunehmend die Grenzen zwischen Arbeiten und Lernen bzw. zwischen produktiver Arbeit und Weiterbildung („prozessimmanente Weiterbildung“). Dies hat weitere Auswirkungen, auch in den Bereichen der Organisation und Führung, weil immer weniger offensichtlich ist, was Weiterbildung substanziell ist, wo sie beginnt und aufhört und wer darüber entscheidet, ob und wie Weiterbildung stattfinden soll.
Bei der Entwicklung von technischen Assistenz- und Tutorensystemen spielen neben technischen Herausforderungen auch arbeits- und motivationspsychologische Aspekte eine entscheidende Rolle. Es darf weder eine Unter- noch eine Überforderung der Beschäftigten erfolgen. Individuelle Stärken und Schwächen müssen während der Tätigkeit über eine Analyse der Bewegungen und Emotionen erkannt werden und die Hinweise eines Tutorensystems sollten sich daran ausrichten. Einerseits soll es keine Bevormundung durch zu viele Meldungen geben, andererseits sollen unnötige Fehler vermieden werden. Hierbei können etablierte Modelle der Arbeitspsychologie die Grundlage für die Entwicklung bilden. Ganz zentral für die Akzeptanz zukünftiger Systeme ist die hinreichende Berücksichtigung und Bewahrung des Datenschutzes, der persönlichen Autonomie und der Privatheit am Arbeitsplatz.

12.4 Beispiele für Assistenz- und Tutorensysteme in der Arbeitswelt

Aktuelle Anwendungsbeispiele finden sich im Technologieprogramm „Autonomik für Industrie 4.0“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), in dem zuletzt moderne Informations- und Kommunikationstechnologien mit der industriellen Produktion verzahnt werden. Die Vision ist, dass softwarebasierte Assistenzsysteme mittels sensorischer Erfassung des Kontextes und des spezifischen Wissensstandes von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den jeweils angemessenen Unterstützungsbedarf leisten. Auf diese Weise könnten Unterstützungen und Lernprozesse für unterschiedlichste Aufgaben und Anforderungen automatisch erfolgen, etwa die Inbetriebnahme, der Betrieb, die Wartung, Reparatur und vorbeugende Instandhaltung von Maschinen und Anlagen. Beispielsweise entwickelte das Forschungsprojekt APPsist ein multimediales Assistenzsystem, das den Werker bei der Bedienung cyber-physikalischer Produktionssysteme und dem internen Wissensaustausch unterstützt. Dafür griffen die Forscherinnen und Forscher auf Methoden der künstlichen Intelligenz, der virtuellen Realität, des Wissensmanagements und der „Gamification“ (also spielerische Elemente und Anreize) zurück (BMWi 2015a). In ähnlicher Weise verfolgte das Autonomik-Projekt motionEAP eine kontextbewusste und prozessintegrierte Assistenz in Produktionsprozessen. Mittels Kamera und Abstandssensor wurden Arbeitsschritte der Werker erfasst und ausgewertet. Bei Montagefehlern, unergonomischen Körper- und Handhaltungen oder anderweitigen Abweichungen projiziert das System einen entsprechenden Hinweis in das Sichtfeld des Werkers (BMWi 2015b).
Unterdessen wurde in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekt PLuTO das Ziel verfolgt, das Erfahrungswissen älterer Beschäftigter im Reparaturbetrieb eines Verkehrsträgers zu sichern und das technische Wissen neuer bzw. jüngerer Beschäftigter in altersgemischten Technik-Teams und mittels mobiler Assistenten am Arbeitsort aufzunehmen und aktuell zu halten. Mithilfe multimedialer Wissensaufnahme und multimodalem Zugriff über Sprache oder Gesten steht das jeweils erforderliche Wissen am Arbeitseinsatz situationsangepasst und personalisierbar zur Verfügung. Der Wissenstransfer zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird über eine Wissensdatenbank organisiert. Damit integriert das Projekt bisher getrennte Ansätze wie E-Learning, mobiles Lernen, Wissensmanagement und Wissenskollaboration (BMBF 2015f).
Einen ähnlichen Ansatz verfolgte das ebenfalls vom BMBF geförderte Forschungsprojekt knowledge@all, das die Entwicklung eines Lehr- und Lernsystems für den generationenübergreifenden Wissensaustausch in der Logistik anstrebte Zentral dabei ist die Erfassung, Aufbereitung und Weitergabe von unterschiedlichem Fach- und Erfahrungswissen im Unternehmen mithilfe eines generationenübergreifenden Kooperations-, Lehr- und Lernsystems. Die Abspeicherung des Mitarbeiterwissens erfolgt in einer Datenbank. Die Wissensabfrage über Datenbrillen soll direkt im Arbeitsprozess ermöglicht werden. Begleitend wurde ein Schulungskonzept entwickelt (BMBF 2015d). Im Fokus des BMBF-Förderprojektes KANTATE standen kognitive Assistenztechnologien für ältere Beschäftigte an Telearbeitsplätzen mit dem Ziel von Verbesserungen im Sprachverstehen und Hörkomfort durch eine persönlich anpassbare Hörunterstützung. Zu diesem Zweck soll eine kontinuierliche Sprach- und Inhaltserkennung während eines Kundengesprächs erfolgen, um automatisch Informationen aus den bestehenden Wissensdatenbanken bereitzustellen (BMBF 2015c). Auch das Forschungsprojekt ALUBAR verfolgte die Entwicklung eines adaptiven Schulungs- und Unterstützungssystems für ältere Mitarbeiter, in diesem Fall basierend auf Sensorik, moderner Kommunikationstechnologie und zielgruppengerechter Visualisierung. Ziel war die Unterstützung der Beschäftigten bei der Erfassung neuer Inhalte durch Belastungsmessung und Darstellung der Inhalte auf zielgruppenangepassten Visualisierungssystemen, z. B. auf Basis von Tablet-PCs oder Augmented-Reality-Brillen. Ältere Wissensträger sollen dadurch gefördert und an ein Unternehmen gebunden werden (BMBF 2015b).
Mit Blick auf die physische Unterstützung älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zielte das BMBF-Projekt ORTAS auf die Entwicklung eines neuartigen tragbaren Systems (Orthese), das aus körpernahen Textil- oder leichtgewichtigen Hartschalen-Komponenten besteht und den Werker physisch unterstützt. Durch eine integrierte Sensorik werden gleichzeitig Bewegungen und Belastungen erfasst und analysiert, um dem Träger durch taktiles Feedback bei der Einhaltung einer ergonomisch günstigen Körperposition zu helfen. Der Anwendungsfokus liegt auf kritischen Belastungen des Hand-Arm-Schulter-Nacken-Komplexes und des Rumpf-Rücken-Bereiches (BMBF 2015e). In ähnlicher Weise wurde in dem Forschungsprojekt „3. Arm“ ein Assistenzsystem zur Unterstützung bei Arbeiten mit schweren Werkzeugen entwickelt. Ziel ist die Lastenreduktion bei hohen physischen Anforderungen, etwa bei der Positionierung von Bauteilen, wie auch die körpergerechte Arbeitsgestaltung und Verbesserung der Arbeitssicherheit. Grundlage ist dabei eine mechatronische Konstruktion, die am Körper des Nutzers über eine an- und ablegbare Tragekonstruktion befestigt ist. Anwendungsbereiche sind die Montage sowie Bau und Handwerk, wo die Arbeitsabläufe vielen Freiheitsgraden unterliegen, daher wenig standardisiert sind und technische Assistenzsysteme bisher kaum verbreitet sind (BMBF 2015a). Gerade mit Blick auf die Assistenz physischer Fähigkeiten und die Vermeidung körperlicher Belastungen, etwa beim Heben und Tragen von schweren Lasten, wird mit Blick auf altersgerechte Arbeitsplätze ein Beitrag zur Humanisierung der Arbeit geleistet, da derartige Systeme auch stets einen präventiven Anteil haben.
Mit der „Smart Service Welt“ hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Jahr 2014 einen Wettbewerb initiiert, in dem aufbauend auf dem Internet der Dinge und Cyber-Physischen Systemen datenbasierte Services entwickelt und angewendet werden sollen: „Entwicklungsarbeiten zur Intelligenz in SMART SERVICE WELTEN [Hervorhebungen im Original] zielen darauf ab, leistungsfähige Problemlösungsverfahren zu schaffen und einzusetzen, durch die Services sich besonders gut an die Nutzer, die Anwendungssituation oder das jeweilige Endgerät oder die IT-Umgebung anpassen. Grundlage für intelligente Dienste sind u. a. leistungsfähige Sensoren, Verfahren der Datenanalyse und semantische Technologien“ (BMWi 2014).
Im Sommer 2015 wurden insgesamt 16 Projekte für die Förderung mit insgesamt bis zu 50 Millionen Euro ausgewählt; diese untergliedern sich in die Anwendungsfelder Produktion, Mobilität, gutes Leben und Querschnittstechnologien. Auch wenn es bei den Projekten nicht in erster Linie um Inklusion und Erhöhung der Arbeitspartizipation geht, sondern vielmehr ganz allgemein um Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und datenbasierte Mehrwerte, dürfte mit Blick auf die Produktion insbesondere das zu entwickelnde Glass@Service für eine befähigende Arbeitsunterstützung infrage kommen. Es handelt sich um die interaktive personalisierte Visualisierung in Industrieprozessen am Beispiel der Digitalen Fabrik in der Elektronikfertigung (BMWi 21. Juli 2015).

12.5 Inklusion von Menschen mit Behinderungen

In Deutschland leben rund 9,6 Millionen Menschen mit Behinderung; das sind über 10 % der deutschen Wohnbevölkerung. Etwa 7,1 Millionen Menschen haben eine Schwerbehinderung, also einen anerkannten Grad der Behinderung von 50 % und mehr gemäß § 2 SGB IX. Ein großer Teil der Behinderungen wird erst im Lebensverlauf erworben, weshalb gut Dreiviertel der Menschen mit einer Behinderung 55 Jahre und älter sind. Die Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Teilhabe am Erwerbsleben von Menschen mit Behinderungen wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in der „Initiative Inklusion“ zusammengefasst. Mit insgesamt 100 Millionen Euro werden insbesondere vier Schwerpunkte adressiert:
  • Berufsorientierung schwerbehinderter Schülerinnen und Schüler
  • betriebliche Ausbildung schwerbehinderter Jugendlicher in anerkannten Ausbildungsberufen
  • Arbeitsplätze für ältere (über 50-Jährige) arbeitslose oder arbeitsuchende schwerbehinderte Menschen
  • Implementierung von Inklusionskompetenz bei Kammern (BMAS 2015)
Möglichkeiten der Digitalisierung als Mittel der Arbeitspartizipation und Inklusion werden in diesem Kontext nicht erwähnt. So stellt auch der Evaluationsbericht zum Fortschritt der Umsetzung des nationalen Aktionsplans fest: „Im Themenfeld ‚berufliche Rehabilitation‘ lassen sich keine Maßnahmen zur Förderung der Aus- und Fortbildung für Fachkräfte und Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen in Habilitations- und Rehabilitationsdiensten (Artikel 26, Abs. 2) oder zur Förderung der Verfügbarkeit, Kenntnis und Verwendung unterstützender Geräte und Technologien für Zwecke der Habilitation und Rehabilitation (Artikel 26, Abs. 3) zuordnen“ (BMAS 2011).
Auch über den nationalen Aktionsplan hinaus gibt es vergleichsweise wenige Vorhaben (ausgenommen sind hier technische Hilfsmittel zur Bedienbarkeit von bestimmten technischen Geräten wie etwa der PC und sonstige digitale Medien), die auf innovativen Technologien und der Digitalisierung beruhende Arbeitssysteme entwickeln und spezifisch die Inklusion adressieren. Zwar existieren technische Hilfen, die Barrierefreiheit und Jobintegration zum Ziel haben, doch nach einer Recherche in der REHADAT-Datenbank zur beruflichen Teilhabe und sozialen Inklusion behinderter Menschen konzentrieren sich derartige Vorhaben erkennbar auf die Unterstützung blinder und gehörloser Menschen. So verfolgt beispielsweise das vom BMAS geförderte Forschungsprojekt Work-by-Inclusion die Inklusion von Menschen mit einer Hörbehinderung in den Arbeitsprozess durch Bereitstellung moderner Arbeitshilfen“ (REHADAT 2015).
Angesichts der steigenden Leistungsfähigkeit technischer Systeme und des erhöhten Bewusstseins von behinderten Menschen als Beschäftigte – insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Großteil der Behinderungen im Leben erworben wird – ist zu erwarten, dass die technischen Potenziale für eine Inklusion und Arbeitspartizipation behinderter Menschen stärker genutzt werden.

12.6 Inklusion von Menschen mit Migrationshintergrund

Vor dem Eindruck der zuletzt hohen Asylzuwanderung nach Deutschland stellt sich auch für die digitalisierte Arbeitswelt die Frage, welchen Beitrag sie leisten kann, um die individuellen Kompetenzen und Qualifikationen von Flüchtlingen zu erfassen, zu entwickeln und zu nutzen und diesen einen Zugang zur Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Nachdem unter dem Eindruck des demografischen Wandels und der Alterung der Erwerbsbevölkerung schon frühzeitig ein Augenmerk auf „Diversity“ angesichts (alters-)heterogener Belegschaften gelegt wurde (siehe beispielsweise die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderte „Initiative Neue Qualität der Arbeit – INQA“), müssen Gesellschaft und Wirtschaft nun Formen des Umgangs mit einer sich zumindest in den Ballungszentren bildenden „Super-Diversity“ (Crul et al. 2013) finden, in der kulturelle Hegemonien verwischen und keine eindeutige „Leitkultur“ identifizierbar ist. Dabei bietet die Reibungsfläche der Kulturen gleichermaßen Potenzial für Konflikte wie auch für Kreativität und Innovationen. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass die Unterschiede in Wissen und Kompetenzen von Arbeitskräften mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen die Leistungsfähigkeit regionaler Forschung und Entwicklung erhöhen, insbesondere auch die Gründungstätigkeit von Technologiefirmen: Je höher das Bildungsniveau der einzelnen Gruppen war, desto größer ist dieser Effekt (Audretsch et al. 2010). Zudem wurde nachgewiesen, dass kulturelle Vielfalt einen signifikant positiven Effekt auf die Patentintensität hat. Regionen in Deutschland, in denen die Erwerbsbevölkerung vielfältige kulturelle Hintergründe aufweist, sind demnach erfolgreicher bei der Entwicklung neuer Produkte als Gebiete mit vergleichsweise homogenen Beschäftigten. Den stärksten Einfluss auf das Innovationsergebnis hatte der Anteil der Hochqualifizierten (Niebuhr 2007). In Übereinstimmung mit weiteren Untersuchungen tragen unterschiedliche kulturelle Erfahrungs- und Wissenshintergründe maßgeblich zu Innovationen bei; es kommt aber darauf an, diese Kombination und Rekombination von Unterschieden zu initiieren, zu unterstützen und gegebenenfalls zu strukturieren.
Auch mit Blick auf eine allgemeine Erleichterung der Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Migrationshintergrund gibt es bisher kaum Lösungen, die auf das Potenzial assistiver digitaler Systeme setzen. Zwar existieren vereinzelte Ansätze zur Unterstützung des Spracherwerbs wie etwa das vom BMBF geförderte Projekt noALIEN, das die Potenziale automatisierter Systeme für effiziente Sprachtrainings untersuchte. Umfassende assistive Systeme, die eine aktive und begleitende Eingliederung von Menschen mit Migrationshintergrund in das Erwerbsleben unterstützen – zum Beispiel bei der individuellen Kompetenzerfassung oder reale Arbeitsprozesse begleitende Mentoring-Systeme – sind selten. Exemplarisch beschäftigte sich das Forschungsprojekt DINTA damit, wie die berufliche Integration von Menschen mit Migrationshintergrund (in diesem Fall: europäische Fachkräfte) durch technische Assistenz unterstützt werden kann: „Ziel des Projekts ist die Erschließung des Forschungsfeldes Mensch-Technik-Interaktion im Bereich berufliche Integration ausländischer Fachkräfte. Dazu soll ein Modell […] in Form eines digitalen Integrationsassistenten entwickelt werden, der individualisierte Information, Beratung, Lernangebote, Mentoring enthält, auf mehreren technischen Plattformen nutzbar ist und den gesamten Prozess der Integration […] begleitet. Die wissenschaftliche Herausforderung dabei ist die Entwicklung einer interkulturell funktionierenden Usability“ (Minor 2014).

12.7 Ausblick: Der Wettlauf zwischen demografischem und digitalem Wandel

Der demografische Wandel in Deutschland wird gegenwärtig von Veränderungen in der Altersstruktur und der Bevölkerungszusammensetzung nach Herkunft und Geschlecht bestimmt. Angesichts der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und der ungeklärten Beschäftigungsperspektiven von Flüchtlingen wird deutlich, dass auch in Zukunft sorgsam mit dem Gut „Arbeitskraft“ umgegangen werden muss. Zwar erscheint ein „Herausforderungszeitraum“ von rund 15 Jahren sehr kurz, um die aufwendige Entwicklung von leistungsfähigen Assistenz- und Tutorensystemen zu rechtfertigen, doch hinter dem vermeintlichen Wettlauf zwischen demografischem und digitalem Wandel verbirgt sich eine zentrale und die Zukunftsfähigkeit Deutschlands maßgeblich bestimmende Frage: Wie kann langfristig die Innovationsfähigkeit in Deutschland gesichert werden? Eine wichtige Komponente sowohl für die Arbeitszufriedenheit als auch für die Innovationsfähigkeit ist die Aufgabenkomplexität. Diese Aufgabenkomplexität ist in Deutschland im europäischen Vergleich überdurchschnittlich ausgeprägt und ein wesentlicher „Erfolgsfaktor“ der Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Industrie.
Angesichts des gegenwärtigen Entwicklungsstandes technischer Assistenz- und Tutorensysteme in der Arbeitswelt ist zu erwarten, dass erst in 10 bis 15 Jahren ausgereifte Systeme weitgehend flächendeckend verfügbar sind und eingesetzt werden. Somit kann der Zeitraum bis etwa zum Jahr 2030 dazu genutzt werden, – parallel zum Rückgang der Erwerbsbevölkerung und der wahrscheinlichen Integration von Zuwanderern in den Arbeitsmarkt – Systeme zur technischen Unterstützung zu entwickeln, die das Ziel einer befähigenden Digitalisierung anstelle einer substituierenden Automatisierung haben. Mit diesem Entwicklungsparadigma wird es prinzipiell möglich sein, die Aufgabenkomplexität zu erhalten, sodass im demografischen Wandel auch die Innovationsfähigkeit gesichert werden kann. Kommt es dann zu einem deutlichen Abflachen der demografischen Entwicklung, hat sich das „befähigende Paradigma“ bereits fest als Teil der Arbeitsorganisation etabliert. Der demografische Wandel macht es also erforderlich, bei der Gestaltung der digitalen Arbeitswelt eine bewusste Entscheidung zugunsten des Menschen und seiner individuellen Fähigkeiten zu treffen.
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Fußnoten
1
Die altersmäßige Definition der erwerbsfähigen Bevölkerung variiert und reicht nach internationaler Benennung von 15 bis unter 75 Jahre. In Deutschland wird häufig eine Abgrenzung von 20 bis unter 60 Jahre bzw. von 20 bis unter 65 Jahre vorgenommen.
 
2
Die in diesem Beitrag abgebildete Variante 2 „Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung“ unterstellt einen stufenweisen Rückgang des Wanderungssaldos auf 200.000 Personen bis zum Jahr 2021.
 
3
In ähnlicher Weise wurden diese Bedingungen in der Förderbekanntmachung „Mit 60+ mitten im Arbeitsleben – Assistierte Arbeitsplätze im demografischen Wandel“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 09.05.2012 formuliert.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Die Zukunft der Arbeit im demografischen Wandel
verfasst von
Wenke Apt
Marc Bovenschulte
Copyright-Jahr
2018
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-49266-6_12

    Marktübersichten

    Die im Laufe eines Jahres in der „adhäsion“ veröffentlichten Marktübersichten helfen Anwendern verschiedenster Branchen, sich einen gezielten Überblick über Lieferantenangebote zu verschaffen.