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2009 | Buch

Grundrechtliche Probleme der Allokation von CO2-Zertifikaten

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Über dieses Buch

Auf europäischer Ebene ist Haupt- und Vorzeigeinstitut des Klimaschutzes das 2005 neu eingeführte CO2-Zertifikatehandelssystem. Es ist eine Art Marktordnung, die auf der europäischen Emissionshandelsrichtlinie beruht, die jedoch eine Reihe wesentlicher Entscheidungen dezentral an die Mitgliedstaaten delegiert, allen voran die Allokation der Zertifikate. Diese Arbeit hat zum Ziel, die grundrechtlichen Vorgaben für den nationalen Gesetzgeber bei der Entscheidung über die Zu- und Aufteilung der Zertifikate zu analysieren. Hierzu nimmt sie auf Basis einer Untersuchung der naturwissenschaftlichen und ökonomischen Grundlagen den nationalen ebenso wie den europäischen Rechtsrahmen in den Blick. Ziel ist nicht, die Verfassungsmäßigkeit bestehender Regelungen zu diskutieren, sondern allgemeingültige Grundsätze zu entwickeln und so unter Einbeziehung aktueller Entwicklungen einen Handlungsspielraum des Gesetzgebers zu definieren.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einleitung
Je ernster der Klimaschutz als umweltpolitische Herausforderung genommen wird, desto gröβere Bedeutung kommt den Mitteln seiner Umsetzung zu. In dem Maβ, in dem die Eingriffswirkung der eingesetzten Instrumente zunimmt, wächst damit zugleich der Rechtfertigungsdruck. Auf europäischer Ebene ist Haupt— und Vorzeigeinstrument das 2005 neu eingeführte Zertifikatehandelssystem. Hierbei handelt es sich um eine Art Marktordnung für Treibhausgasemissionsrechte, in der jedoch eine Reihe wesentlicher Entscheidungen dezentral von den einzelnen Mitgliedstaaten gefällt werden, allen voran die Allokation der Zertifikate. Der-artige Marktordnungen wirken in liberalen Wirtschaftssystemen, wie sie sowohl in Deutschland als auch in der gesamten Europäischen Gemeinschaft bestehen, zu-nächst als Fremdkörper; dennoch sind sie nicht grundsätzlich unzulässig. Sie verursachen jedoch Reibungen mit dem bestehenden Wirtschaftssystem und geben so Anlass zur Überprüfung, inwieweit sie in ihrer konkreten Ausgestaltung grund-rechtskonform sind.
Das Zertifikatehandelssystem, das die Treibhausgasemissionen der gröβten Einzelverursacher als Ansatzpunkt für Reduktionsbestrebungen wählt und die Kosteneffizienz des Vorgehens gewährleisten soll, limitiert die absoluten Emissio-nen der ihm unterfallenden Anlagen. Treibhausgasemissionen müssen durch ent-sprechende Berechtigungen abgedeckt werden. Innerhalb dieses Systems stellen zwei Grundentscheidungen die wichtigsten Parameter dar: Einerseits die Festset-zung der zulässigen Gesamtemissionen, andererseits die Allokation als Verwaltung des Mangels. Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die grundrechtlichen Vorgaben für den nationalen Gesetzgeber bei der Entscheidung über die Allokation von CO2-Zertifikaten auszuloten. Mit der Regelung der Zuteilung der Zertifikate trifft der nationale Gesetzgeber eine Verteilungsentscheidung; sein Recht hierzu ergibt sich aus der freiheitlichen Verfassungsordnung. Allerdings korrespondiert diesem Recht die Pflicht, auf ein Verteilungsergebnis hinzuwirken, das den Grundrechten der betroffenen Unternehmen gerecht wird und auch kollidierende Verfassungswerte einbezieht. Was dies für den Fall der Allokation von CO2-Zertifikaten be-deutet, soll im Einzelnen analysiert werden.
2. Naturwissenschaftliche und ükonomische Grundlagen von Klimaschutz und Zertifikatehandel
Über die wesentlichen Tatsachen und Zusammenhänge der Erderwärmung besteht heute weitreichende Einigkeit. Zweifel daran, dass menschliche Emissionen in erheblichem Maβ zur Erderwärmung beitragen, scheinen nicht mehr angebracht. Wissenschaftliche Unklarheiten betreffen allenfalls noch Einzelfragen und Fragen des Zusammenwirkens der einzelnen Faktoren. Die wichtigsten Begriffe und Zu-sammenhänge sollen an dieser Stelle kurz dargestellt werden.
3. Stand und Zukunftsperspektiven des Zertifikatehandels im europäischen und deutschen Recht
Die deutschen Regelungen über die Allokation der Zertifikate stehen nicht im rechtsleeren Raum, sondern sind Teil eines europaweiten Handelssystems, das in den einzelnen Mitgliedstaaten jeweils spezifisch ausgestaltet ist. Daher ist es hilf-reich, zunächst die europarechtlichen Vorgaben, aber auch die Umsetzungsgesetz-gebung in Deutschland, insbesondere durch das Treibhausgasemissionshandelsge-setz, näher zu betrachten. Das deutsche Zuteilungsgesetz 2007 schlieβlich dient als exemplarischer Fall einer Allokationsregelung und als Ausgangspunkt der Diskus-sion. Daran anschlieβend ist auf neuere Tendenzen und Entwicklungen einzuge-hen, in erster Linie anhand der Regelungen für die zweite Handelsperiode.
4. Vorgaben der deutschen und europäischen Grundrechte für die Allokation von CO2-Zertifikaten
Die Allokation der Zertifikate ist als “zentraler Eingriffs- und Lenkungsakt” einer der bestimmenden Faktoren in jedem Emissionshandelssystem. Zwar wird die Obergrenze der abgegebenen Emissionen durch das Gesamtbudget an Zertifikaten weitestgehend vorgegeben, weswegen die ökologische Integrität des Systems vom Verteilungsmodus nahezu unberührt bleibt. Auβer dieser Gesamtbegrenzung der Emissionen, dem sog. Cap, ist aber kein weiterer Aspekt von ebenso groβer Be-deutung für die Auswirkungen eines Zertifikatehandelssystems. Die Wahl des Al-lokationsmodus hat gewaltige Auswirkungen auf die Effizienz und die Gesamt-kosten eines Zertifikatesystems. Die Bestimmungen über die Allokation an Alt-und Bestandsanlagen und bei Anlagenschlieβungen sind maβgeblich für Innova-tionsanreize und langfristiges Investitionsverhalten verantwortlich. In Deutsch-land führte das Bestreben nach einer möglichst sachgerechten Verteilung beim NAP I in letzter Konsequenz dazu, dass die Planungsfunktion des NAP gegenüber seiner marktwirtschaftlichen Ausrichtung in den Vordergrund trat. Neben den volkswirtschaftlichen Konsequenzen sind die Auswirkungen der Allokation auf die relativen Lasten der betroffenen Regionen, die Anlagen und die Verbraucher von ebenso groβer Bedeutung7. Sie bestimmen über die Verteilung von Gewinn und Verlust aus dem Zertifikatehandel und somit darüber, wie fair das neue System wahrgenommen wird und auf wie viel Akzeptanz es folglich stöβt. Entsprechend heftig sind und waren die Streitigkeiten zwischen den betroffenen Sektoren und zwischen den Sektoren und dem Bund darüber, nach welchen Kriterien die Allokation erfolgen soll und wie die mit dem Zertifikatehandel einher gehenden Reduktionslasten verteilt werden sollen.
Allerdings ist die Entscheidung über die Allokation nicht lediglich politisch von Bedeutung, sie hat vielmehr auch eine rechtliche Komponente: Gelingt eine vertretbare Verteilung der Zertifikate nicht, kann die Allokation Grundrechte der am Zertifikatehandel beteiligten Unternehmen verletzen. Relevant sind hier Berufs- und Eigentumsfreiheit sowie der Gleichheitssatz; der nationale Gesetzgeber ist, wie noch zu zeigen sein wird, dabei sowohl an die Gemeinschaftsgrundrechte als auch — im Falle Deutschlands — an die nationalen Grundrechte des Grundgesetzes gebunden.
Backmatter
Metadaten
Titel
Grundrechtliche Probleme der Allokation von CO2-Zertifikaten
verfasst von
Carolin Küll
Copyright-Jahr
2009
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-540-85832-4
Print ISBN
978-3-540-85831-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-540-85832-4