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2003 | Buch

Wählerwandel und Wechselwahl

Eine vergleichende Untersuchung

verfasst von: Harald Schoen

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Studien zur Politikwissenschaft

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einleitung
Zusammenfassung
Wechselwähler sind das Salz in der Suppe des politischen Wettbewerbs in der Demokratie. Denn ohne Bürger, die bei einer Wahl für eine andere Partei votieren als für diejenige, der sie ihre Stimme beim vorangegangenen Urnengang gegeben haben, könnten lediglich Schwankungen in der Wahlbeteiligung sowie natürliche Bevölkerungsbewegungen, etwa der Generationswechsel, für Veränderungen im Kräfteverhältnis zwischen den Parteien sorgen. Der zuletzt genannte Faktor wirkt zwar kontinuierlich, bringt aber nur relativ kleine und allmähliche Verschiebungen der Gewichte zwischen den Parteien mit sich (siehe Rattinger 1994a). Im Vergleich dazu können Variationen in der Mobilisierungsleistung am Wahltag beträchtliche Ausmaße annehmen; gleichwohl wirken auch die daraus resultierenden Schwankungen in der Wahlbeteiligung auf die Stimmenverteilung weniger unmittelbar als direkte Wanderungen zwischen den Parteien. Diese bringen einer Partei eine zusätzliche Stimme auf Kosten einer konkurrierenden Gruppierung ein: ein Wechselwähler fügt einer Partei einen Schaden zu und verschafft einer Rivalin — mit ein und derselben Handlung — einen Gewinn. Wie kein anderes Segment des Elektorats führen somit die Wechselwähler den verschiedenen Parteien und Kandidaten vor Augen, wie sehr sie miteinander in einem direkten Wettbewerb stehen.
Harald Schoen
2. Wechselwähler im demokratischen Wettbewerb
Zusammenfassung
Wie kaum einer anderen Figur aus der empirischen Wahlforsehung ist es dem ‚Wechselwähler‘ gelungen, in die alltägliche politische Publizistik und Rhetorik vorzudringen. Besonders deutlich läßt sich dies daran ablesen, daß er gleichsam zum Titelhelden der mittlerweile neuaufgelegten politischen Streitschrift „Überlegungen eines Wechselwählers“ (Haffner 1980) avancierte. Parteipolitiker bemühen in ihrer Argumentation ebenfalls immer wieder die Wechselwähler und betonen dabei, welche wichtige Rolle dieses Wählersegment in ihren Überlegungen spiele (siehe etwa Feldmeyer 2002: 1; Kornelius 2002: 4; Lohse 2002: 3). Und auch die Wechselwähler selbst weisen durchaus selbstbewußt darauf hin, daß sie für den politischen Wettbewerb und das politische System sehr wichtige Funktionen übernähmen (Strasser 2002: 6). In der politischen Diskussion finden Wechselwähler also große Aufmerksamkeit und werden einhellig als eminent wichtig gewürdigt.
Harald Schoen
3. Dealignment und Wechselwahl — Theoretische Analyse
Zusammenfassung
In zahlreichen westlichen Demokratien erodieren seit geraumer Zeit die langfristig stabilen Parteiidentifikationen in der Bevölkerung (siehe Dalton et al. 1984a; Dalton 1996, 1999: 65–66; 2000b; Schmitt/Holmberg 1995). Dieser über Staatsgrenzen hinweg verbreiteten Entwicklung wird in der wissenschaftlichen Diskussion große Aufmerksamkeit geschenkt. Ablesen läßt sich dies daran, daß für den Prozeß des Abschmelzens langfristig stabiler affektiver Parteibindungen eigens der Begriff „Dealignment“ (Inglehart/Hochstein 1972) geprägt wurde.15 Ein noch deutlicherer Anhaltspunkt für den diesem Trend beigemessenen Stellenwert ist darin zu sehen, daß er in der wissenschaftlichen Diskussion immer wieder zum Gegenstand detaillierter Analysen gemacht wird sowie zahlreichen Spekulationen und Prognosen zur Entwicklung des politischen Geschehens als Ausgangsprämisse und Interpretationsfolie dient, aber auch als Topos in die politische Publizistik Eingang gefunden hat (siehe für die Bundesrepublik etwa von Alemann 1999; Korte 2000; Walter/Dürr 2000; Neugebauer 2001).
Harald Schoen
4. Zur Messung der Wechselwahl
Zusammenfassung
Um Fragen nach den Wirkungen eines Dealignments auf die Häufigkeit und die Eigenschaften der Wechselwähler angemessen beantworten zu können, ist ein Instrument unabdingbar, das die Stabilität des individuellen Stimmverhaltens bei zwei aufeinanderfolgenden Wahlen valide mißt. Zusätzlich muß es sich um eine Technik handeln, die in den ausgewählten Ländern auf eine möglichst lange Serie von Wahlen angewendet werden kann, da nur eine Analyse auf einer solchen Grundlage der Prozeßhaftigkeit eines Dealignments gerecht werden kann. Wie die theoretische Diskussion gezeigt hat, handelt es sich bei der Erosion von Parteiloyalitäten zwar um ein auf der Aggregatebene angesiedeltes Phänomen, doch liegt der Schlüssel für die Antwort auf die Frage nach den wechselwahlbezogenen Wirkungen eines solchen Prozesses in der Mikroanalyse der Motive für wechselndes Wahlverhalten. Daher kommt eine Datenbasis zudem nur dann in Betracht, wenn sie derartige Untersuchungen auf der Individualebene gestattet. Mit diesen Anforderungen sind die drei Kriterien formuliert, die es anzulegen gilt, wenn aus den vorliegenden Methoden zur Messung wechselnden Wahlverhaltens ein geeignetes Verfahren ausgewählt werden soll.
Harald Schoen
5. Dealignment und Wechselwahl — Empirische Befunde auf der Aggregatebene
Zusammenfassung
Den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung bildete der Befund, daß in zahlreichen westlichen Demokratien langfristig stabile Parteibindungen abschmelzen. An diese Beobachtung werden in der Literatur einige Vermutungen über daraus resultierende Veränderungen des Wählerverhaltens und der politischen Auseinandersetzung auf der Eliteebene geknüpft; es wird also auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene argumentiert. Obgleich in der Diskussion herausgearbeitet wurde, daß der analytische Kern der Frage nach der Zwangsläufigkeit von Wirkungen eines Dealignments auf das Wählerverhalten auf der Mikroebene liegt, wird daher die empirische Analyse in einem ersten Schritt für die drei ausgewählten Nationen untersuchen, wie sich die Parteiloyalitäten im Aggregat entwickelt haben und welchen Verlauf die Wechselaktivität bei nationalen Hauptwahlen genommen hat.
Harald Schoen
6. Die Bestimmungsgründe der Wechselwahl im Michigan-Modell — Empirische Befunde auf der Individualebene
Zusammenfassung
Aussagen, die dem Abschmelzen von Parteibindungen ganz bestimmte unausweichliche Wirkungen auf die Stabilität des Wahlverhaltens in einer Gesellschaft zuschreiben, gehen wenigstens implizit von einer monokausalen Erklärung wechselnden Wahlverhaltens aus: eine (starke) Parteiloyalität führe zu stabilem Stimmverhalten, während parteipolitische Bindungslosigkeit mit fluktuierendem Wahlverhalten einhergehe. Der logischen Struktur dieser Aussagen kann eine empirische Analyse nur gerecht werden, wenn sie bei den Wählermotiven auf der Individualebene ansetzt. Sollte sich die Parteiidentifikation auf der Mikroebene empirisch als einzig bedeutsame Einflußgröße erweisen, wäre es gerechtfertigt, einen Anstieg der Wechselaktivität als unvermeidliche Begleiterscheinung eines Dealignments aufzufassen. Das politische Angebot, etwa in Form von Parteiprogrammen und Kandidaten, spielte in diesem Szenario keine Rolle für die Entwicklung der Wechselrate. Erst wenn sich auf der Individualebene eine Wirkung von Einstellungskonflikten oder -änderungen nachweisen ließe, also der flexiblen Komponenten des sozialpsychologischen Mikromodells, die unmittelbar auf das politische Angebot reagieren können, wären die Aktivitäten auf der Angebotsseite als ein Faktor aufzufassen, der nicht nur Wähler, die ohnedies wechselten, in eine bestimmte Richtung lenkt, sondern die Verbreitung der Wechselwahl eigenständig beeinflussen kann, indem er parteigebundene Personen zum Wechsel bewegt und Parteilosen stabiles Stimmverhalten nahelegt.
Harald Schoen
7. Dealignment und Wechselwahl — Empirische Befunde zur Prognosegüte des Parteibindungsmodells
Zusammenfassung
In zahlreichen westlichen Demokratien erodieren langfristige Parteibindungen. Diesem Prozeß werden gravierende Wirkungen auf das politische Geschehen zugeschrieben. Nicht zuletzt sieht man ihn unwillkürlich mit einem Anstieg der Wechselrate verbunden, und es wird spekuliert, er könne dafür sorgen, daß sich die Wechselwähler zusehends dem Ideal des unvoreingenommenen, selbständigen und kundigen Stimmbürgers annäherten. Beides zusammen steigere die Intensität des politischen Wettbewerbs unter Parteien und Kandidaten sowie dessen inhaltliches Niveau.
Harald Schoen
8. Schluß
Zusammenfassung
Wechselwähler sind ein bewegliches und bewegendes Element in der repräsentativen Demokratie. Sie entziehen einer Partei ihre Stimme und geben sie einer anderen, so daß sie einer Seite einen Schaden zufügen und gleichzeitig einer anderen einen Gewinn bescheren. Folglich kann eine Partei, so es ihr gelingt, einen Wechselwähler zu werben, im Wettbewerb mit ihrer Konkurrenz mehr Boden gutmachen,- als wenn sie erstmals Wahlberechtigte oder ehemalige Nichtwähler für sich gewinnt oder ihre bisherigen Wähler mobilisiert. Für die politische Elite erscheint es daher ausgesprochen attraktiv, um Wechselwähler zu werben, und zwar um so intensiver, je mehr Bürger von der einen zur nächsten Wahl die Partei wechseln, da mit wachsender Wechselrate die Erfolgswahrscheinlichkeit direkter Abwerbungsversuche steigt und deshalb zugleich Versuche dringlicher werden, bisherige Wähler vom Wechsel abzuhalten. Diese Bemühungen verleihen dem politischen Wettbewerb weitaus stärker den Charakter einer direkten Auseinandersetzung zwischen konkurrierenden Parteien und Kandidaten, als wenn beispielsweise reine Mobilisierungsstrategien eingesetzt würden. Wechselndes Wahlverhalten spornt somit die politische Elite an, den Wettbewerb auf der Angebotsseite am politischen Markt zu intensivieren.
Harald Schoen
Backmatter
Metadaten
Titel
Wählerwandel und Wechselwahl
verfasst von
Harald Schoen
Copyright-Jahr
2003
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-80478-5
Print ISBN
978-3-531-14066-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-80478-5