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2006 | Buch

Handbuch Politikberatung

herausgegeben von: Svenja Falk, Dieter Rehfeld, Andrea Römmele, Martin Thunert

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

The Power of Ideas in Policy Research: A Critical Assessment

Einführung: Politikberatung — Themen, Fragestellungen, Begriffsdimensionen, Konzepte, Akteure, Institutionen und Politikfelder

Seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts ist die Frage nach der angemessenen Politikberatung wieder Thema geworden — sowohl in den Sozialwissenschaften als auch in der breiteren Öffentlichkeit (vgl. u.a. publizistisch

Grunenberg 2001

,

Albers/Hollstein 2003

, wissenschaftlich

Leschke/Pies 2005

,

Priddat/Theurl 2004

,

Fisch/Rudloff 2004

,

Thunert 2004

,

Jens/Romahn 2002

,

Kümmel 2002

,

Heinrichs 2002

,

Renn 1999

). Gleichzeitig wird deutlich, dass eine Politikberatung, die sich lediglich auf das Formulieren wissenschaftlicher Fachkenntnisse versteht, in der politischen Praxis zum Scheitern verurteilt ist (dazu u.a.

Priddat/Theurl 2004

,

Thunert 2003

,

Dagger et al. 2004

). Der neue Nachfrageschub nach einer Politikberatung, die nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis transferieren, sondern gleichzeitig Orientierung vermitteln und politische Handlungsperspektiven aufzeigen soll, hat mehrere Ursachen:

Svenja Falk, Dieter Rehfeld, Andrea Römmele, Martin Thunert

Theoretische Grundlagen und Zugangsweisen zum Thema Politikberatung

Frontmatter
Einführung: Theoretische Grundlagen und Zugangsweisen zum Thema Politikberatung

Der erste Teil des Handbuchs stellt die theoretischen Grundlagen der Politikberatung dar. Am Anfang stehen zwei übergreifende Beiträge: einer zur traditionellen Diskussion um wissenschaftliche Politikberatung, einen zu den wissen(schafts)theoretischen Grundlagen. Daran schließen sich Beiträge aus der Sicht unterschiedlicher Disziplinen an. Den Abschluss bilden Beiträge, die sich auf politikwissenschaftliche Kernfragen beziehen, die mit der Politikberatung zusammen hängen: Öffentlichkeit, Legitimation und Partizipation.

Dieter Rehfeld
Traditionelle Modelle der Politikberatung

Bei der Politikberatung im weitesten Sinne geht es vor allem um das Einbringen von „Sachverstand“ in den politischen Prozess. „Sachverständige“ (Experten) für die Lieferung von (wissenschaftlichen) Informationen findet man auf sehr unterschiedlichen Ebenen unserer großorganisatorisch strukturierten Gesellschaft: im Parlament, in der Administration, in den Interessenverbänden und vor allem in der Wissenschaft. Unter wissenschaftlicher Beratung der Politik im weiteren Sinne kann man die Beratung durch Personen verstehen, die wissenschaftliche Methoden und Denkweisen anzuwenden verstehen, im engeren Sinne die meist institutionalisierte Beratung in unterschiedlichen Formen durch diejenigen, die hauptberuflich in der Forschung stehen und auf Grund (neuer) wissenschaftlicher Erkenntnisse politische Instanzen beraten. Hier geht es um Begegnungsformen von zwei Aktionssystemen, die einander immer mehr durchdringen, prinzipiell aber durch unterschiedliche „Logiken“ und Wirkungsimperative gekennzeichnet sind, und deren Mitglieder meist von unterschiedlichen Rollenerwartungen bzw. Rollenverhalten bestimmt werden. Während das politische Handlungssystem in seiner demokratisch pluralistischen Form durch Begriffe wie Konflikt, Interesse, Macht, Konsens und letztlich Mehrheitsentscheidung gekennzeichnet ist, setzt das Wissenschaftssystem vor allem auf Erkenntnisfortschritt über „Wahrheitssuche“.

Klaus Lompe
Erst denken, dann handeln? Wissenschaftliche Politikberatung aus der Perspektive der Wissens(chaft)soziologie

Die Devise, der zufolge es besser sei, erst nachzudenken und dann zu handeln, warnt vor Unbedachtheiten und soll deren Kosten vermeiden. Diese sprichwörtliche Devise, in der die aufklärerische Überzeugung der Möglichkeit rationalisierbaren Handelns kommuniziert wird, ist für die individuelle Alltagspraxis ebenso plausibel und unbestreitbar wie einfach. Merkwürdigerweise scheint sie sich der Übertragung auf die Ebene politischen Handelns zu widersetzen. Wenn es darum geht, dass Regierende und Parlamente sich, bevor sie eine Entscheidung treffen, zunächst der Voraussetzungen und der möglichen Folgen dieser Entscheidung vergewissern, scheint sie nicht zu gelten. Politiker lassen sich zwar gern beraten, aber sie haben ein ambivalentes Verhältnis zu dem Wissen, das Berater ihnen offerieren. Für sie besteht ein Dilemma zwischen sachlich gebotenen und demokratisch vertretbaren Entscheidungen. Was demokratisch vertretbar ist, können sie kraft ihrer Rolle als gewählte Repräsentanten selbst sagen, was sachlich geboten ist, müssen sie sich von Beratern sagen lassen. Hören sie nur auf diese, verlieren sie möglicherweise die Stimmen ihrer Wähler, folgen sie nur den Interessen jener, entsprechen ihre Entscheidungen vielleicht nicht dem Stand des Wissens.

Peter Weingart
Von der Aufklärung über Defizite zur reflexiven Aufklärung?
Politikberatung aus politikwissenschaftlicher Perspektive

Gesellschaftliche Selbstzweifel sind das Signum der Moderne. Diese aufgeklärte Mentalitätslage fördert die Nachfrage nach Politikberatung. Sie nährt aber zugleich immer wieder Zweifel, ob der professionelle Rat an die Politik auch in der adäquaten Form erfolgt. So wird die anhaltende Konjunktur der Politikberatung seit Mitte der 90er Jahre begleitet von einer sich rasch ausbreitenden „Beratungsforschung“ welche Geschichte, Modelle, Institutionalisierungsformen, Funktionen, Strategien, Beratungsfelder usw. des institutionalisierten Lieferns von Informationen in den politischen Bereich aus wissenschaftlicher Perspektive analysiert. Politikwissenschaft als die Disziplin, welche sich mit „Politik“ d.h. der Frage nach dem Zustandekommen von kollektiv verbindlichen Entscheidungen befasst, ist von ihrer Gegenstandsbestimmung her die genuine Disziplin, die berufen scheint, profunde Analysen zum Phänomen „Politikberatung“ zu liefern. Auch Weingart (idB) geht offenbar von einer bisherigen (zumindest quantitativen) Sonderstellung des Fachs aus: „Traditionellerweise wird wissenschaftliche Politikberatung aus der Perspektive der Politikwissenschaften betrachtet.“ Indes macht der empirische Befund evident, dass sich die auf dem Feld der wissenschaftlichen Expertise beobachtbare, disziplinäre Konkurrenz auch auf der Ebene der Forschung über Beratung wieder findet — hier indes insbesondere mit sozialwissenschaftlicher Schwerpunktsetzung.

Renate Martinsen, Dieter Rehfeld
Soziologie und Politikberatung — Anmerkungen zu einem spannungsreichen Verhältnis

Politikberatung hat Konjunktur. Doch nicht nur diese, Beratung schlechthin scheint sich zu einem ubiquitären Phänomen in der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft entwickelt zu haben. Wie es Fuchs/Mahler treffend formulieren: „Die moderne Gesellschaft erzeugt in einem hohen Maße das Phänomen der Beratung. Zumindest in den Kern- und Schlüsselzonen funktionaler Differenzierung wird kaum jemand den Beratungsangeboten entkommen, die von Ernährungs- und Gesundheitsberatung über Klimakteriumsproblemberatung für Männer in den Endvierzigern, von Ehe— über Partnerschaftsberatung bis hin zu Unternehmens- und Politikberatung reichen und insofern längst reflexiv geworden sind, als die Beratung ihrerseits beraten werden kann durch eigens dafür installierte Beraterberatungen. (…) Unter diesen Bedingungen läßt sich die moderne Gesellschaft, wenn man auf summarische Kennzeichnungen Wert legt, als Beratungsgesellschaft beschreiben.“ (

Fuchs/Mahler 2000: 349

)

Rainer Fretschner, Josef Hubert
Politikberatung aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht

Das Thema wissenschafliche Politikberatung steht in regelmäßigen Abständen auf der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsagenda. In den 1950er und 1960er Jahren waren Wirtschaftswissenschaftler genauso wie Politiker davon überzeugt, die Wirtschaft lasse sich umfassend steuern und damit in die jeweils gewünschte Richtung bewegen. Diese Überzeugung wurde durch theoretische Konzepte wie das der keynesianisch inspirierten Globalsteuerung genährt. Der darin zum Ausdruck kommende „Machbarkeitsoptimismus“ verhalf auch der wirtschaftspolitischen Beratung zu einer Hochkonjunktur, und so war wissenschaftliche Politikberatung in dieser Zeit nicht nur in der praktischen Wirtschaftspolitik gefragt, sondern auch Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung.1 Dabei kreiste die wissenschaftliche Diskussion vor allem um die methodologische Frage nach Möglichkeiten und Grenzen der Werturteilsfreiheit. Es wurde intensiv darüber diskutiert, wie scharf die Trennung zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und politischer Entscheidung zu ziehen sei.

Susanne Cassel
Politikberatung aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive

„Beratung“ kommt von „Rat geben“ Diese kommunikative Tätigkeit kann bis in die Antike zurückverfolgt werden und ist so alt wie die Politik selbst (vgl.

Fisch/Rudloff 2004

). Etymologisch wird das Verb „raten“ „beraten“ im Althochdeutschen um 800 n. Chr. geläufig und bedeutete schon damals, jemandem etwas empfehlen, „das Richtige durch Überlegen herauszufinden“ (Etymologisches Wörterbuch des Deutschen 2003: 1086). Begriffsgeschichtlich steht die eher passive Beratungstätigkeit mit der aktiven Politik in enger Verbindung, da das Ratgeben häufig mit dem Wort „Tat“ assoziiert wird: „Mit Rat und Tat helfen: mit allen, einem zur Verfügung stehenden Mitteln helfen. Die Zwillingsformel ‚Rat und Tat’ meint eigentlich, mit materiellen und immateriellen Gütern zu Hilfe kommen. Denn ‚Rat’ war früher alles, was dem leiblichen Leben diente: Hausrat, Vorrat, Geräte, im Gegensatz zu Unrat’ i.S.v. Schaden, Verlust“ (

Röhrich 1992, 2: 1227

). Historisch gesehen sind damit die immateriellen mit den materiellen Aspekten der Politikberatung untrennbar verbunden. In der Darstellung männlicher Berater wurde das Ratgeben visuell meist durch das Attribut eines Buches symbolisiert (vgl.

Hennis 2000: 167f.

). Mittlerweile haben Laptop und Mobiltelefon das gebundene Papier als optische Signaturen des Beraterberufes ersetzt.

Marion G. Müller
Politikberatung aus juristischer Sicht — Zugleich ein wissenschaftskritischer Beitrag zu einigen Voraussetzungen erfolgreicher Beratungsdiskurse

„Politikberatung aus juristischer Sicht“ kann einmal denkbare juristische Aspekte im Verhältnis von Beratendem und Beratenem meinen. In diesem Zusammenhang könnten z.B. Fragen des der Beratung zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses erörtert werden, das i.d.R. durch einen Dienstoder Werkvertrag begründet wird. Hierbei könnten Fragen des Inhalts, Umfangs und der Umsetzungsreife der Beratungsleistung, Fragen der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung sowie Probleme der Leistungsstörung, der Mängelhaftung oder der positiven Vertragsverletzung erörtert werden.

Bernd Rebe
Politikberatung aus natur-und ingenieurwissenschaftlicher Sicht

In modernen Gesellschaften wird die Bedeutung von naturwissenschaftlichem und technischem Wissen für die Politik immer größer. Die Natur-und Ingenieurwissenschaften haben einen zunehmenden Einfluss auf zentrale politische Aufgaben. Gleichzeitig ist der Wissensbestand für die Politik nicht mehr überschaubar und es besteht Beratungsbedarf. Die Frage, wie Wissensbestände der Politik am besten zugänglich gemacht werden können, ist nicht eindeutig zu beantworten. Die Beziehungen zwischen der Politik und den beratenden Naturwissenschaftlern/-innen und Ingenieuren/innen sind komplex und spannungsreich.

Birgit Verworn, Bernhard Hausberg
Politikberatung aus Sicht der Geschlechterforschung

Die Geschlechterforschung untersucht die gesellschaftliche Prägung und den Wandel von Geschlechterverhältnissen sowie umgekehrt auch die geschlechtliche Verfasstheit von Gesellschaft. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive steht dabei vor allem die geschlechtliche Formierung von Politik und politischen Institutionen im Mittelpunkt. Vor diesem Hintergrund hat sich die (politikwissenschaftliche) Geschlechterforschung auch mit Politikberatung befasst und dabei vor allem drei Dimensionen dieses komplexen Themenfeldes fokussiert.

Julia Lepperhoff
Politikberatung und demokratische Legitimität

In neueren Untersuchungen wird zwischen „Politik- und der Politikerberatung“ unterschieden.1) Politikberatung ist öffentlichkeitsbezogen und will zur Aufklärung der Bürger/innen beitragen, damit sie ihre Interessen besser erkennen und bei Wahlen vertreten können. Diese Politikberatung wird gerne unter dem Deckmantel der „Gemeinwohlorientierung“ dargestellt, ist aber keinesfalls immer frei von Werturteilen und den Vorstellungen bestimmter Interessengruppen. Solange diese Art der Beratung aber in der Öffentlichkeit stattfindet, braucht ihre Legitimität wohl nicht hinterfragt zu werden. Es gibt eher zu wenig und nicht zu viel Aufklärung der Öffentlichkeit über gesellschaftspolitische und insbesondere ökonomische Zusammenhänge. Man muss sich nur immer ihres begrenzten Wahrheitsgehalts bewusst sein.

Uwe Jens
Partizipative Politikberatung — der Bürger als Experte

Partizipative Politikberatung stellt einen Spezialfall von

politischer Deliberation vor

— diese beinhaltet zunächst einmal in einem ganz allgemeinen Sinne die argumentative Auseinandersetzung über Probleme, Zielvorstellungen und Handlungsperspektiven konkreter Politiken, um „gemeinwohlverträgliche“ Lösungsoptionen zwischen unterschiedlichen Positionen auszuloten. Etymologisch verweist der Begriff der „Deliberation“ auf die Sinngehalte „Abwägen“ und „Beratschlagung“ —die auf „Begründungen“ fokussierende deliberative Entscheidungsfindung hebt sich hiermit grundsätzlich ab vom politischen Modus der Dezision, bei dem der (mit Willkürcharakter behaftete) Akt der Entscheidungssetzung im Vordergrund steht (vgl.

Lösch 2005

). Im Regelfall finden diese kollektiven Erörterungen von politischen Issues zwischen den gewählten Mandatsträgerinnen statt. Gegenwärtig wird das Deliberationskonzept indes zunehmend über den Raum des politisch-administrativen Systems hinaus ausgeweitet und auf die zivilgesellschaftliche Sphäre bezogen: In diesem weiten Wortsinn zielt es ab auf politische Kommunikationsprozesse unter Einbezug der Bürger und Bürgerinnen. In dem Maße wie diese bürgerschaftlich akzentuierte Variante von Deliberation in den Aufmerksamkeitsfokus von Repräsentanten des politischen Systems —sei es aus der Beobachteroder gar Teilnehmerperspektive —gerät, vermag sie sich als neue Form der Politikberatung zu etablieren.

Renate Martinsen
Deliberative Demokratie —Von der Politik-zur Gesellschaftsberatung (und zurück)

Zur Jahreswende 2005 machte das Bonmot die Runde, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV) sei „Dosenpfand plus Lkw-Maut in Potenz“ Die rot-grüne Bundesregierung stand im Ruf, serienweise handwerkliche Fehler zu begehen und damit nicht nur ihre Mehrheit, sondern auch die für Demokratien wichtige „Output-Legitimation“ zu riskieren, die sich an der Effizienz und Effektivität von Regierungshandeln bemisst. Bei den genannten Großprojekten haben nicht nur die Entscheider in Regierung und Verwaltung schlecht abgeschnitten, sondern vor allem auch die angeheuerten Politikberater. Gemeint ist nicht der auch in Beraterkreisen für dubios gehaltene PR-Berater Hunziger, der eine seltsame, aber anscheinend breit gestreute und übliche Beziehungspflege betrieben hat

(exit

Rudolf Scharping und Cem Özdemir), sondern hoch angesehene Beratungsunternehmen wie WMP und Roland Berger. Der mit Verve und Aplomb angetretene Arbeitsmarktreformer Florian Gerster stürzte über Beraterverträge, die nicht ordentlich ausgeschrieben worden waren, aber im Dunkel blieb, welche Dimensionen die

regulär

zustande gekommenen Beratungsdienstleistungen hatten, wie ihre genaue Aufgabenstellung lautete, was ihre Ergebnisse waren und wie diese angesichts der schweren Pannen evaluiert worden sind. Sind sie das überhaupt?

Claus Leggewie
Politikberatung und Öffentlichkeit

Politikberatung ist kein neues Phänomen (

Fisch, Rudioff 2004

). Beobachtbar ist jedoch ein wachsender Beratungsbedarf und eine zunehmende Nachfrage von Politikberatung einerseits und damit einhergehend eine Professionalisierungstendenz der Branche andererseits. Gewandelt haben sich dementsprechend auch die Beratungsverhältnisse und -formen. Dominierte in Deutschland lange Zeit die wissenschaftliche, in Beratungsgremien institutionalisierte Politikberatung, so bedient sich die Politik heute vielfach ad hoc berufener, gemischt besetzter Expertenkommissionen. Das Spektrum professioneller Politikberatung erstreckt sich inzwischen von Denkfabriken nach amerikanischem Vorbild (

Thunert 2003

) über Public Affairs-Agenturen bis hin zum individuellen Coaching (

Althaus 2004

). Politikberatung übernimmt neben „klassischen“ Analyse- und Beratungsfunktionen zunehmend auch „informelle“ Kommunikationsfunktionen (

Jaehrling 1999

). Von einer „neuen Unübersichtlichkeit“ (

Meister 2004

) der Politikberatung ist bereits die Rede. Die Ursachen des steigenden Beratungsbedarfs sind vielfältiger Natur und resultieren aus dem wachsenden Problemdruck, der auf der Politik lastet, bei gleichzeitig schwindenden Entscheidungsressourcen. Im Kern geht es darum, staatliche Steuerungsfähigkeit zu optimieren oder zumindest Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Manuela Glaab, Almut Metz

Ressourcen und Akteure der Politikberatung

Frontmatter
Einführung: Ressourcen und Akteure der politikberatung

Teil II des vorliegenden Handbuches stellt die unterschiedlichen Akteure sowie unterschiedliche Perspektiven der Politikberatung ins Zentrum. Grob unterscheiden wir hier die Beratung von innen und von außen. Übergreifende Darstellungen von politikberatenden Institutionen unterschiedlicher Provenienz werden ergänzt durch Einzeldarstellungen unterschiedlicher Akteure, die sich nach dem Grad der Verflechtung mit den politischen Institutionen, ihren jeweiligen Beratungsangeboten sowie ihrer jeweiligen Marktförmigkeit unterscheiden lassen. In diesem Kaleidoskop politikberatender Akteure wird nicht nur der Facettenreichtum von Politikberatung in der Bundesrepublik deutlich, sondern auch die Komplexität einer mehr und mehr netzwerkförmig verfassten Governance. Insgesamt unterteilt sich dieser Teil des Handbuches in vier Schritte.

Svenja Falk, Andrea Römmele
Politikberatung von innen: Beratung der Regierungszentralen-Bund

Beim Politikmanagement einer Regierungszentrale dreht es sich um die Steuerungsfähigkeit der wichtigen politischen Akteure (Kanzler, Bundesminister, Fraktion etc.) und gleichzeitig um die Steuerbarkeit des politischen Systems (Gang der Gesetzgebung, Koordination der politischen Institutionen mit Veto-Macht etc.). Dabei sind stets Sachund Machtfragen ineinander verwoben. Immer vermischen sich sachliche Überlegungen mit machtpolitischen Absichten und persönlichen Profilierungssüchten. Nur wer damit von Beginn an kalkulierend-intentional rechnet, kann Politikmanagement aktiv betreiben: Das ist der Stoff der Politik und gleichzeitig damit das Rohmaterial für eine Politikberatung in einer Regierungszentrale. Die Politikfähigkeit der Berater ist ausschlaggebend für ihre Qualität, dabei kommt es gerade darauf an, Verständnis und Kenntnis der Verwobenheit von Sach- und Machtfragen zu besitzen. Die jeweiligen Entscheidungen des Politikmanagements, das Tun und Lassen der Regierungen, sind abhängig von den Informationsgrundlagen der Regierenden. So wird die politische Lageanalyse in der Regierungszentrale zum Fundament jedweder Regierungssteuerung.

Karl-Rudolf Körte
Fraktionen und Ausschüsse

Die Inhaber von Führung s ämtern in den Fraktionen und Ausschüssen des Deutschen Bundestages und der Landtage, letztlich ein Stück weit die meisten ihre Mitglieder, gehören zum politischen Spitzenpersonal der Republik. Wenige Ämter und Funktionen sind thematisch so breit angelegt und vielschichtig, verlangen so viele Fähigkeiten in einem strukturell besonders schwierigen Umfeld: Nirgendwo dürfte konstruktives Mitwirken anderer so sehr Voraussetzung für Erfolg und gleichzeitig so wenig zu erzwingen sein. Wenige andere Führungskräfte in einer Großorganisation müssen einkalkulieren, dass annähernd jeder Zwischenschritt in fast jedem Entscheidungsprozess genauso wie ein nachlässig formulierter Brief oder ein unbedachter Halbsatz in der Öffentlichkeit bekannt und diskutiert wird.

Michael Eilfort
Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages

Wissenschaftliche Dienste in Parlamenten bilden eine institutionelle Antwort der Legislative auf die, mit der Ausdehnung der Staatstätigkeit verbundene, wachsende informationeile Überlegenheit der Exekutive. Ihre Aufgabe besteht darin, die Parlamentarier bei der Bewältigung eines ständig steigenden Informationsvolumens zu unterstützen und damit ein Gegengewicht zu dem konzentrierten Sachverstand der Ministerialbürokratie zu bilden. Wissenschaftliche Dienste erfüllen somit die Funktion eines Hilfsmittels bei der Bewältigung der parlamentarischen Kontrollfunktion.

1

Die Sorge, dass die Legislative ohne ausreichenden eigenen Sachverstand gegenüber der Exekutive immer mehr ins Hintertreffen geraten könnte, ist auch historisch das zentrale Argument der Befürworter eines Wissenschaftlichen Dienstes im Deutschen Bundestag gewesen.

2

Umgekehrt wird in neuerer Zeit im Zusammenhang mit Überlegungen zur Stärkung der parlamentarischen Institutionen gegenüber der Informationsmacht der Regierung häufig auch ein Ausbau der Politik beratenden wissenschaftlichen Einrichtungen gefordert.

3

.

Thomas von Winter
Expertenkommissionen der Bundesregierung

Über die Tätigkeit von Expertenkommissionen gibt es eine Vielzahl von Bewertungen, Vermutungen und umfassende Kritik aus verschiedenen politischen Lagern. Doch was für die Beschäftigung mit Expertenkommissionen in den Vereinigten Staaten von Amerika festgestellt wurde, gilt auch für die Bundesrepublik: „Scholars rarely specify exactly which kind of commission they are examining, leading to some confusion and at times to conclusions that may be premature“ (

Zegart 2004: 368

). Dieser Beitrag soll einen Weg aufzeigen, um auch in Deutschland zu fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Arbeit von Expertenkommissionen zu gelangen und erste Ergebnisse vorstellen.

Sven T. Siefken
Die zweite Reihe im Zentrum der Macht: Politikberatung durch Fraktionsreferentinnen und wissenschaftliche Mitarbeiter in Abgeordnetenbüros

Sie sitzen im Zentrum der Macht: Fraktionsreferentinnen und wissenschaftliche Mitarbeiter in Abgeordnetenbüros arbeiten in den Parlamentsgebäuden inmitten der gewählten Volksvertreter und sind hautnah und äußerst aktiv dabei, wenn Politik gemacht wird. Selbstverständlich stehen die gewählten Volksvertreterinnen und —Vertreter stets in der ersten Reihe. Ihnen allein obliegen die politischen Entscheidungen und im Plenarsaal ist kein Mitarbeiter zugelassen. Aber hinter den Abgeordneten, in der zweiten Reihe findet man die Fraktionsreferentinnen und wissenschaftlichen Mitarbeiter. Ganz konkret und nicht nur bildlich ist dies beispielsweise in Fraktions— und Ausschusssitzungen der Fall. Dort sitzen oft die Fraktionsreferentinnen hinter den Abgeordneten, stets parat für eine eilige Nachfrage. Die Fraktionsreferentinnen begleiten die Abgeordneten auch zu diversen Sitzungen und Gesprächen, die zum parlamentarischen Alltag gehören, und die Abgeordnetenmitarbeiter sind bei vielen individuellen Terminen ihrer Chefs mit dabei. Diese zweite Reihe in der Politik steht bislang nicht im Mittelpunkt von Forschung und Literatur zur Politikberatung in Deutschland. Es liegen fast keine speziellen Untersuchungen und Abhandlungen hierzu vor. Dieser Beitrag soll einen Einblick geben in Anforderungsprofile, Aufgaben und Einfluss dieser Politikberater, basierend auf den mehrjährigen Erfahrungen einer wissenschaftlichen Referentin bei der FDP—Bundestagsfraktion in der Rolle der Opposition. Die folgenden Beschreibungen und Analysen können zwangsläufig nicht repräsentativ sein — und die in diesem Beruf unerlässliche Loyalität und Geheimhaltungspflicht gebieten, dass sie auch nicht völlig umfassend und detailliert sein können. Doch, wenn Sie sich für die Rolle der zweiten Reihe im Politikprozess und Machtgefüge interessieren, wenn Sie besser mit diesen Akteuren zusammenarbeiten oder wenn Sie wissen möchten, ob diese Tätigkeit für Sie das Richtige sein könnte, dann könnten die folgenden Seiten dazu hilfreich sein.

Andrea Beck
Spitzenakteure der Parteien

Will man die Beratung analysieren, die Spitzenakteure politischer Parteien in Anspruch nehmen, stößt man sofort auf ein Abgrenzungsproblem: Nur die wenigsten von ihnen nämlich sind „nur“ als Parteiexponenten wahrzunehmen: Oft sind sie gleichzeitig Mitglieder oder sogar Chefs von Regierungen, denen erhebliche Beamtenapparate und hausinterner Sachverstand zur Verfügung stehen, über den chronisch unterfinanzierte Parteien in ihrer eigenen Organisationsstruktur oder auch in den Stäben von Fraktionen nie und nimmer gebieten können. Dies ist ja nicht umsonst einer der Nachteile, die gerade Oppositionsparteien im politischen Wettbewerb zu bewältigen haben. Ihn können sie, gerade wenn es um konkrete Gesetzesvorhaben und weitreichende Vorschläge geht, nur dadurch kompensieren, dass zum Beispiel die bundespolitische Minderheit auf Landes— und Kommunalebene Regierungsverantwortung trägt und den dortigen Sachverstand nutzen kann. Angesichts zunehmender Komplexität allerdings dürfte es heute nirgendwo möglich und sinnvoll sein, alle entscheidungsrelevanten Informationsressourcen im eigenen Hause zu versammeln. Think Tanks, Beratungsfirmen, Anwaltskanzleien und andere externe Spezialisten springen in die Bresche. Sogar der akademische Bereich hat vielerorts die „Phobie gegen Praxisnähe“ (Eberhard Sandschneider) abgelegt und konkurriert munter mit.

Frank Priess
Der Wissenschaftsrat

Als Institution der Politikberatung ist der Wissenschaftsrat in mehrfacher Hinsicht ein unwahrscheinlicher Fall. Gegründet 1957 von Bund und Ländern, ist der Wissenschaftsrat das älteste wissenschaftspolitische Beratungsgremium dieser Art in Europa. Es hat die Amtszeit von inzwischen (2006) acht unterschiedlichen Bundesregierungen und einer Vielzahl von Landesregierungen beratend begleitet, und das, obwohl das Verwaltungsabkommen über den Wissenschaftsrat, das die Fortsetzung seiner Arbeit sichert, im Turnus von 5 Jahren durch den Bund und alle 16 Länder neu unterzeichnet werden muss. Der Wissenschaftsrat ist damit der seltene Fall einer Bund—Länder— Einrichtung, die bei der immer wieder anschwellenden Kritik an den Blockadeeffekten des kooperativen Föderalismus in Deutschland, als Institution nicht in Frage gestellt worden ist. Das ist umso bemerkenswerter, als Struktur, Arbeitsweise und Verfahren des Wissenschaftsrates einer austarierten und nicht einfach herstellbaren Balance zwischen den drei Akteursgruppen Bund, Ländern und Wissenschaft folgen. Denn die wissenschaftspolitischen Empfehlungen des Wissenschaftsrates müssen eine Mehrheit von 2/3 aller Mitglieder der Vollversammlung finden, wobei vorab die „Wissenschaftliche Kommission des Wissenschaftsrates“ (bestehend aus 24 vom Bundespräsidenten ad personam berufenen Wissenschaftlern und 8 Repräsentanten des öffentlichen Lebens) und die „Verwaltungskommission“ (bestehend aus 22 Mitgliedern von Bund und Ländern, die gemeinsam 32 Stimmen führen) einer Empfehlung ebenfalls mit 2/3— Mehrheit zustimmen müssen (vgl. Schaubild 1). Damit werden nicht nur hohe Konsenserwartungen gesetzt, da keine der Akteursgruppen die jeweils andere einfach überstimmen kann; es wird auch der seltene Typus eines gemischten Beratungsgremiums etabliert, bei dem die primären Adressaten mitwirken. Unter diesen Voraussetzungen mag überraschen, dass der „Hybrid“ Wissenschaftsrat in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle seine Empfehlungen ohne größere Konflikte mit großer Mehrheit verabschiedet und diese Empfehlungen zu einem großen Teil schließlich auch umgesetzt werden.

1

.

Andreas Stucke
Wissenschaftliche Politikberatung durch Think Tanks

Unter den gemeinnützigen Organisationen des „Dritten Sektors“ haben anwendungsorientierte Institute der Politikforschung — sogenannte Think Tanks — eine wichtige Position im politischen Willensbildungsprozeß. Angesichts des immer härter werdenden Wettbewerbs um zunehmend knapper werdender (staatlicher) Finanzmittel und die Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger sind Think Tanks gefordert, ihre Rolle (neu) zu bestimmen.

Josef Braml
Verbände und Politikberatung

Verbände gehören zu den wichtigsten Akteuren der Politik. Von den Parteien unterscheiden sie sich nur darin, dass sie nicht zu Wahlen antreten. Die historische Genese und gesellschaftlichen Funktionen von Parteien und Verbänden sind sehr ähnlich (von

Alemann 1987: 145 ff.

;

Schmid 1993

;

Reutter/Rütters 2001

). Beide verdanken ihre Entstehung gesellschaftlichen Differenzierungsprozessen und sind zugleich Ausdruck der Moderne und der Demokratie. Nur in Regimen, wo die Vielfalt von Interessen anerkannt und rechtlich geschützt wird, kann sich eine pluralistische Parteien— und Verbändevielfalt entfalten. In der modernen Gesellschaft gibt es für die abstrakte Konstruktion des volonté générale keinen Platz, umso mehr für eine organische Vielfalt von organisierten Interessen. Erst im Wettbewerb dieser Interessen — ob in Parteien oder Verbänden organisiert — konstituiert sich Demokratie. „Die Aufdeckung der dialektischen Spannung zwischen Interessenrepräsentation und volonté générale, das niemals endende Bemühen, mittels freier und offener Auseinandersetzungen einen Ausgleich zwischen diesen beiden Prinzipien herzustellen, bildet eines der kennzeichnenden Merkmale der ‚westlichen Demokratien’. (

Fraenkel 1968: 40

)

Manfred Mai
Politikberatung durch Stiftungen

In der praktischen Politikberatung haben Stiftungen in Deutschland bis vor etwa zehn Jahren keine herausragende Rolle gespielt. Allerdings deutet einiges darauf hin, dass sich dies zu ändern beginnt. Stiftungen entdecken sich zunehmend als politikberatende Akteure selbst und bauen seitdem ihre Wirkungssphäre stetig aus. Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der aufkommenden Beratungstätigkeit von Stiftungen markiert den Anfang eines eigenen Forschungszweiges.

Carolin Welzel
Unternehmensberatungen in der Politikberatung

Politische Beratung öffentlicher Institutionen und Akteure wird durch eine Vielzahl öffentlicher und privater Akteure angeboten: Neben den verwaltungsinternen Angeboten durch beispielsweise Grundsatz— oder Planungsreferate, Beiräte oder Fraktionsstäbe spielen externe Anbieter wie etwa Forschungseinrichtungen, Stiftungen, Verbände und Meinungsforschungsinstitute sowie Public Affairs Agenturen eine zentrale Rolle. Unternehmensberatungen haben dieses umfangreiche und heterogene Anbietersegment erst vor wenigen Jahren ergänzt und sind dabei — trotz ihres immer noch verschwindend geringen Anteils am Markt für Politikberatung — in das Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit gerückt. Das öffentliche Zeugnis ist kritisch bis vernichtend: Da spricht der Bonner Generalanzeiger vom „diskreten Charme der Machtflüsterer“1, die Frankfurter Allgemeine titelt, das sich durch „die Auswüchse des Beratungswesens die Demokratie sich zunehmend als handlungsunfähig erweist“2. Die Vorwürfe gehen von einer „Aushebelung“ demokratischer Entscheidungsprozesse durch Absprachen unter Ausschluss der Öffentlichkeit über das Unterlaufen rechtlich vorgegebener Prozesse, wie beispielsweise des Vergaberechts bis hin zu Korruptions— und Bestechungsvorwürfen. Vermeintliche oder tatsächliche Skandale wie der Vorwurf an das Bundesverteidigungsministerium, seit dem Regierungswechsel 1998 rund eine halbe Milliarde Euro für Beraterverträge aufgewandt zu haben oder der ohne Ausschreibung vergebenen PR Auftrag durch den ehemaligen Chef der Bundesagentur für Arbeit Florian Gerster seien hier ebenso genannt, wie die zahlreichen Skandale um den schillernden Frankfurter PR— Berater Moritz Hunzinger.

Holger Bill, Svenja Falk
Internationale Wahlkampfberatung

Mit viel Getöse und unter der weltweiten Aufmerksamkeit von politisch interessierten Beobachtern ist im Jahr 2004 die Wahlschlacht zwischen John F. Kerry und George W. Bush zu Ende gegangen. Alle blickten auf die Winkelzüge der Berater, die selbst zum Medienereignis aufstiegen. Weit weniger Leute wissen dagegen, dass amerikanische (und eine handvoll europäische) Politikberater auch zunehmend im Ausland tätig sind. Diese neue, globale Variante der Wahlkampfberatung will dieses Kapitel aufgreifen. Heutzutage gibt es rund 7.000 politische Consultants in den Vereinigten Staaten und um die 3.000 Firmen, die in der Politikberatung tätig sind (

Johnson 2001

;

Plasser 2002: 48

). In Bezug auf die Definition von Politikberatung im ersten Kapitel dieses Bandes, handelt es sich bei diesen Politikberatern fast ausschließlich um professionelle Wahlkampfberater. Sie werden von Kandidaten angeheuert, die sich um Ämter auf kommunaler, bundesstaatlicher und nationaler Ebene bewerben, sowie von politischen Parteien oder Interessengruppen. Die erbrachten Dienstleistungen umfassen Kampagnenstrategie, Meinungsforschung, Werbung, aber auch Gegnerbeobachtung, Dialogmarketing und Fundraising. Im Zuge der weltweiten Ausbreitung der Demokratie spielen diese international ausgerichteten US—Berater zunehmend in Wahlkampagnen Asiens, Lateinamerikas und Afrikas eine Rolle. US—amerikanische Politprofis werden von ausländischen Kunden gerne eingestellt, weil sie unschätzbare Erfahrungen im wahrscheinlich härtesten Wahlkampf der Welt mitbringen. Obwohl internationale Wahlkampfberatung eine eher junge Form der Politikberatung darstellt, ist sie bereits ein Phänomen, das stetig zunimmt.

Louis Perron
Public Affairs als Politikberatung

Public Affairs (PA) ist ein neues Feld der Politikberatung. Es liegt im Trend. Nationale Probleme werden in Zeiten der Europäisierung und Globalisierung immer stärker internationalisiert. Aber auch, weil Unternehmen immer stärker in gesellschaftliche und politische Prozesse eingebunden werden und sich in der Öffentlichkeit über ihre Produktions— und Dienstleistungen hinaus im Mainstream des Commonsence behaupten müssen. Natürlich gibt es unterschiedliche Definitionsansätze für den Begriff „Public Affairs“ Hier wird Public Affairs als ein strategisches Management zur Beeinflussung von Entscheidungsprozessen an der Schnittstelle zur Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verstanden, dessen Instrumente wissenschaftliche Analysen, Themen— und Wissensmanagement, Lobbying, Public Relations, politische Kommunikation und Werbung sind. Public Affairs vereint diese Instrumente, sie sind das Dach für die genannten Aktivitäten.

Peter Radunski
Medien und Politikberatung — kommunizierende und konkurrierende Röhren

Die Rollenverteilung der „Gewalten“ in der Demokratie hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Parallel zum Einflussverlust der Parlamente wächst der Einfluss der Medien als Mit—Gestalter der Politik. Viele Medien entwickeln sich vom beobachtenden Kritiker hin zum gestaltenden Kampagnenmacher. Sichtbar wurde dieser Prozess beim Einsatz zahlreicher Verlage gegen die Rechtschreib—Reform. Wichtige Medien haben sich im Geist dieser Gestaltungsrolle zusammengeschlossen und koordinieren —jenseits früherer ideologischer Unterschiede — gemeinsame Medienauftritte: Dies war so beim Protest gegen den Ausschluss eines Bild—Reporters bei Kanzler—Reisen; bei der Debatte um die Kürzung und Veränderung von Politiker—Interviews; das koordinierte Auftreten bei der Bewertung des sogenannten „Caroline—Urteils“ belegt ebenfalls diesen Trend. Günter Bannas hat „Sieben Jahre Dramatisierung“ in der Berliner Republik bilanziert und die Rolle der Medien in Berlin („härter, aggressiver, aufregender“ als Bonn) gekennzeichnet: „Die Medienwelt hat die ersten Jahre in Berlin genossen, geprägt und befördert. Sie schaute auf die Personen und am liebsten auf Duelle. Sie schuf eine eigene Wirklichkeit, in der nicht mehr die Inhalte der Politik, sondern deren Präsentation entscheidend sein sollten. Wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik war nicht das „Was“ sondern das „Wie“ zum Maßstab der Bewertung geworden.“ (FAZ, 25.8.2005)

Thomas Leif
Lobbyismus als spezifische Form der Politikberatung

Lobbyismus stellt eine spezifische Form der Politikberatung dar. Von Seiten der Beratenden ist sie interessengeleitet. Der eigentliche Kern, der Lobbyismus ausmacht, ist vor allem und zuerst Informationsvermittlung, die auf großer sachlicher Kompetenz basiert und sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend professionalisiert hat. Doch haftet dem Begriff „Lobbyismus“ insbesondere in Deutschland etwas Anrüchiges an, wird mit heimlicher und illegitimer Macht starker Interessen assoziiert, wird unter den Verdacht von Patronage und Korruption gestellt (Leif/Speth 2003a: 24). Aus diesem Grund hat der Berliner Lobbyist eines global agierenden Konzerns angeregt, anstelle von „Lobbyismus“ treffender den Begriff „Politikberatung“ zu verwenden (

Leif 2003: 144

).

Peter Lösche
Selbstverständnis strategischer Politikberater

Ausgehend von den Vereinigten Staaten, in denen es derzeit rund 2.500 politische Beratungsfirmen gibt, die sich auf Strategieberatung, Medien— und Kommunikationsberatung, politische Werbung, Meinungsforschung, direct mail, Fundraising, Wählermobilisierung, Organisationsmanagement, Internet Services und Web Campaigning spezialisiert haben, ist die strategische Politikberatung seit den achtziger Jahren in Lateinamerika, Westeuropa und mit zeitlicher Verzögerung auch in Osteuropa zu einer Wachstumsbranche geworden (

Althaus 1998

, 2002;

Dulio 2004

;

Farrell 2002

;

Johnson 2001

; Plasser 2003a;

Thurber und Nelson 2000

). Das empirische Wissen über den professionellen Hintergrund und die Rollendefinitionen der Mitglieder dieser neuen Machtelite war aber bis vor kurzem selbst in den Vereinigten Staaten nur kursorisch. Eine Erhebung bei 505 Mitgliedern der amerikanischen Politikberatungsbranche, die im Jahre 1999 als Teil eines langfristigen Forschungsprojekts des Center for Congressional and Presidential Studies an der American University durchgeführt wurde, gestattet erste Einblicke in ihren professionellen Hintergrund. Die wichtigsten von (

2000

) zusammengefassten Ergebnisse sind:

ungefähr die Hälfte beschreiben ihre vorrangige Rolle als generelle Wahlkampfberater oder

general strategists

, gefolgt von Medienberatern (16 Prozent) und politischen Meinungsforschern (15 Prozent);

eine große Mehrheit (78 Prozent) berät sowohl kommerzielle als auch politische Auftraggeber;1

39 Prozent sagen, dass ihre Firmen nur für die Demokraten arbeiten, 30 Prozent nur für die Republikaner und 30 Prozent geben an, für beide Parteien zu arbeiten;

die durchschnittliche Anzahl der Angestellten beträgt während einer Wahlkampfphase 16 Personen und während einer Zwischenperiode 11 Personen;

amerikanische Politikberater sind in erster Linie männliche Weiße (77 Prozent), im Durchschnitt 46 Jahre alt, überwiegend Akademiker (90 Prozent), mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von $102.000, wobei jeder Fünfte ein aus seiner Beratungstätigkeit stammendes Einkommen von $200.000 und mehr angibt; und

Parteiorganisationen bilden die hauptsächliche Trainingsbasis für amerikanische Politikberater. Mehr als die Hälfte hatte bereits für einen gewählten Amtsinhaber auf nationaler, staatlicher oder lokaler Ebene gearbeitet oder für ein nationales, staatliches oder lokales Parteikomitee.

Fritz Plasser
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Mit der erstmaligen Berufung seiner Mitglieder wurde zum 14. Februar 1964 der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ gegründet. Dessen Zusammensetzung, Aufgaben, und Stellung sind im „Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ vom 14. August 1963 geregelt.

Ansgar Sträfling
Stiftung Wissenschaft und Politik: Die Neu-Berlinerin

Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) — eine private Gründung des Jahres 1962 — ist ein Kind des Kalten Krieges. Sie teilt diese Elternschaft mit einer ganzen Reihe von außen— und sicherheitspolitischen Instituten rund um die Welt. Aber der Kalte Krieg ist Geschichte. Deutsche und europäische Außen— und Sicherheitspolitik stehen in der veränderten Welt vor neuartigen Aufgaben und Herausforderungen. Und diese grundlegende Veränderung konnte natürlich nicht ohne Konsequenzen für eine politikbezogene Forschungseinrichtung bleiben, die auf diesem Politikfeld ihre hauptsächlichen Dialogpartner in Parlament und Regierung hat. Doch kann man die Feststellung von Bundeskanzler Schröder vor dem Auswärtigen Ausschuss aufnehmen: „Was brauche ich denn die, ich habe doch den Steiner“1 und fragen: Warum werden wissenschaftliche, im Zwischenfeld von universitärer Wissenschaft und Politik arbeitende außeruniversitäre Institute im Bereich der Außen-/ Sicherheits-/ und Internationalen Politik weiterhin gebraucht? Was können und müssen sie in der heutigen Welt leisten? Antworten darauf werden im Folgenden nur angedeutet. Denn hier ist die Aufgabe gestellt, die Institution SWP am Leitfaden von vier Fragen vorzustellen: (1) Was waren die Anlässe der Gründung? Mit welchen Erwartungen und welcher Agenda war sie verbunden? (2) Welchem Konzept folgt(e) der Institutsaufbau? (3) Wie kam es Ende der 90er Jahre zur „neuen“ SWP? (4) Was hat Bestand, was ist neu?

Albrecht Zunker
Die Arbeit der so genannten Hartz-Kommission und ihre Rolle im politischen Prozess

Kurz vor Ende der ersten Amtszeit der Bundesregierung Gerhard Schröders wurde im Januar 2002 eine Expertenkommission berufen, um Vorschläge für „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ zu entwickeln. Dieses Gremium unter der Leitung von Peter Hartz, Vorstandsmitglied der Volkswagen AG, fand breite öffentliche Beachtung. Aufbauend auf seinem Bericht wurden mehrere Gesetzespakete verabschiedet, die als „Hartz I“ bis „Hartz IV“ weitreichende Veränderungen in der deutschen Arbeitsmarkt— und Beschäftigungspolitik einleiteten.

Sven T. Siefken
Praxisorientierte Politikberatung am Beispiel der Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme (Rürup-Kommission)

Kommissionen als Instrument der Politikberatung sind nicht neu. Sie sind jedoch gerade in jüngster Zeit verstärkt in das Bewusstsein der Politik und der Öffentlichkeit gerückt. Dies ist Grund genug, sich mit diesem Instrument der Politikberatung intensiver zu befassen.

Bert Rürup, Heinrich Tiemann
Die Enquetekommission des Deutschen Bundestags zu „Zukunft der Medien“ 1996–1998. Ein Bericht aus der Sachverständigen-Perspektive

Es ist sicherlich ein besonderes Ereignis, wenn ein Wissenschaftler die Chance erhält, als Sachverständiger an einer Enquete-Kommission (nachfolgend EK) des Deutschen Bundestags mitzuarbeiten. Ich wurde von der Bundestagspräsidentin eingeladen, an der Arbeit der Kommission teilzunehmen, die sich Anfang 1996 konstitutierte und zu dem etwas sperrigen Thema tätig war: Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft. Sie arbeitete gut zweieinhalb Jahre intensiv und legte in dieser Zeit neben dem eigentlichen Abschlußbericht einen Zwischenbericht und eine ganze Reihe spezieller Studien dem Bundestag und der Öffentlichkeit vor.

Hans J. Kleinsteuber

Politikberatungsprozesse auf verschiedenen Handlungsebenen und in ausgewählten Politikfeldern

Frontmatter
Politikberatungsprozesse auf verschiedenen Handlungsebenen, in ausgewählten Politikfeldern und nationalen Kontexten

Die dritten und vierten Handbuchteile untersuchen die Strukturen, Akteure und Foren der Politikberatung exemplarisch anhand ausgewählter Politikfelder, auf verschiedenen Handlungsebenen und in unterschiedlichen nationalen Kontexten. Zudem wird die Frage diskutiert, ob und welche Ausbildungswege es für das Berufsfeld Politikberatung gibt und geben kann.

Martin Thunert
Politikberatung in der Arbeitsmarkt-und beschäftigungspolitik

Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und der demographische Wandel geben Anlass zu Überlegungen, welche Rolle wissenschaftliche Politikberatung bei der Gestaltung von Entscheidungen im Bereich der Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik spielen kann und sollte, um institutionelle Reformen voranzutreiben, die zur Bewältigung dieser grundlegenden Herausforderungen beitragen. Obwohl Arbeitsmarkt und D’emographie seit Jahren im Fokus der öffentlichen Diskussion stehen, konnten diese Problemstellungen in Deutschland bislang nicht effektiv im Zuge der politischen Entscheidungsfindung geregelt werden. So war die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Deutschland seit Beginn der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts bis Ende des Jahrhunderts von einem ungünstigen und zudem bemerkenswert konstanten Verlauf gekennzeichnet. Ebenso ist die demographische Entwicklung seit langem absehbar, ohne dass dies zu effektiven politischen Antworten geführt hätte. Dies ist umso verwunderlicher, als dass in anderen Ländern hohe Arbeitslosigkeit erfolgreich vermindert und der demographische Handlungsbedarf bewältigt werden konnte, nicht jedoch hierzulande, obgleich Deutschland über eine gut ausgebaute wissenschaftliche Forschung und Politikberatung in diesen Politikbereichen verfügt.

Werner Eichhorst, Ole Wintermann
Politikberatung in der Gesundheitspolitik

In der wissenschaftlichen Analyse der Reform wohlfahrtsstaatlicher Regime gelten Gesundheitssysteme als besonders reformresistent und als in ihrem Entwicklungsprozess stark pfadabhängig. Gleichzeitig unterliegen die Gesundheitssysteme aller westlichen Industrienationen jedoch aufgrund des demographischen Wandels, steigender Ansprüche in der Bevölkerung, der Ausweitung des medizinischen Therapiespektrums und der Ausdifferenzierung der Versorgungsformen und —angebote einem steigenden Veränderungsdruck. Zur Vorbereitung und Begleitung von gesundheitspolitischen Reformmaßnahmen haben die politischen Entscheidungsträger daher in den vergangenen Jahren vermehrt auf wissenschaftliche Beratungsleistungen zurückgegriffen. Die Tatsache, dass sich die Gesundheitsversorgung zu einem großen und wachsenden Wirtschaftssektor entwickelt hat, trägt ebenfalls dazu bei, dass zur Fundierung politischer Entscheidung vermehrt auf wissenschaftliche Beratungsangebote zurückgegriffen wird.

Falko Brede
Politikberatung in der Umweltpolitik

Umweltpolitik ist heute in Deutschland ein profiliertes Politikfeld mit besonderen Aufgaben, institutionellen Arrangements, Akteurkonstellationen und Problembearbeitungsmustern. Die Akteure der Umweltpolitik begegnen spezifischen inhaltlichen Problemen, deren Erfassung, Bearbeitung und Lösung sich immer wieder als sehr voraussetzungsvoll erweist. Die Interaktionsbeziehungen der Akteure dieses Feldes weisen Spezifika auf, die sich nicht zuletzt aus der Genese des Ökologiethemas als öffentlich politisiertem Problemzusammenhang erklären. Politikberatung in der Umweltpolitik ist von diesen Besonderheiten mit geprägt worden.

Ralf Tils
Politikberatung in der Forschungs-und Technologiepolitik

Die Forschungspolitik nimmt auf Themen und Typus der Forschung (Grundlagen, Anwendung), ihr quantitatives Wachstum und ihren qualitativen Fortschritt Einfluss. Technologiepolitik, verstanden als Politik betreffs der Entwicklung und Anwendung von Technologien, erstreckt sich auf mehrere Politikfelder, da hier vor allem außerwissenschaftliche Bereiche maßgeblich sind

3

. Im engeren Sinne befasst sie sich mit anwendungsorientierter Forschung, die von mindestens teilweise öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen betrieben wird. Auch die Folgen der Anwendungen und prozedurale Fragen des Entscheidungsprozesses sind Gegenstandsbereich der forschungsnahen Technologiepolitik.

Katja Patzwaldt, Kai Buchholz
Bildung und Erziehung im Strukturwandel — Herausforderungen für eine sozialwissenschaftliche Beratung

In der heutigen Wissensgesellschaft wird Bildung zu einem kostbaren Gut. Sie nimmt eine „insgesamt immer zentralere Rolle für die Zukunftsfähigkeit sowohl des Individuums als auch unserer gesamten Gesellschaft ein“ (

Beyer/Micheel/Stöbe-Blossey 2003: 163

). Wissen und Bildung sind jedoch keine statischen Elemente, sondern einem gesellschaftlichen Strukturwandel ausgesetzt. Die Vermittlung von Qualifikationen unter den veränderten Bedingungen der Wissensökonomie wird damit zu einem gewichtigen, wenn nicht entscheidenden Faktor für wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabechancen des Einzelnen sowie für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft in der Wissensgesellschaft. Gleichzeitig verschärfen sich soziale Probleme und regionale Disparitäten — die wirtschaftlichen Veränderungsprozesse gehen mit gesellschaftlichen Verwerfungen einher. Dieser komplexe Strukturwandel birgt weit reichende Konsequenzen für das Bildungssystem und stellt neue Herausforderungen an seine Institutionen. Die interdisziplinäre Perspektive sozialwissenschaftlicher Beratung kann einen Beitrag dazu leisten, die bisherigen Strukturen auf ihre Qualität hin zu untersuchen und weiter zu entwickeln.

Karin Esch, Andr’e Menke, Sybille Stöbe-Blossey
Politikberatung im Politikfeld der Biopolitik

Biowissenschaftlicher Fortschritt und neue biomedizinische Anwendungen bedeuten für die Politik aus mehreren Gründen eine besondere Herausforderung. Erstens muss vor dem Hintergrund von Wertepluralismus, von Ungewissheit und dauerhaftem Dissens entschieden werden. Darüber hinaus stellt die Biopolitik1 traditionelle politische Orientierungsmuster zur Disposition. Die Politisierung des menschlichen Körpers in Form von Biomedizin und Humangenetik führt zu Fragen, die nicht mehr in traditionelle parteipolitische „Interessen-Fragen“ transformiert werden können. Biopolitische Kontroversen sind gewissermaßen „Jenseits von links und rechts“ (

Giddens 1997

) angesiedelt und überfordern traditionelle Formen der Komplexitätsreduktion. Wenn politische Entscheidungsroutinen, aber auch die Regulierungslogik ärztlicher Selbstverwaltung mangels sicheren, überlegenen Expertenwissens und normativer Integrationskraft nicht mehr greifen, erscheint die Idee plausibel, sich durch den Abruf von wissenschaftlicher Expertise Orientierung zu verschaffen.

Alexander Bogner
Politikberatung im Bereich Demografischer Wandel

Nach einer jahrzehntelangen Phase der Indifferenz seitens Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Medien, hat der Begriff „Demografischer Wandel“ bzw. „Bevölkerungsalterung“ seit Beginn des 21. Jahrhunderts eine Ubiquität entwickelt, die ihresgleichen sucht. Regierungserklärungen, Talkshows, Nachrichtensendungen, Zeitungen und nicht zuletzt wissenschaftliche Arbeiten in unterschiedlichen Disziplinen befassen sich regelmäßig mit niedrigen Geburtenzahlen, steigender Lebenserwartung und veränderten Wanderungsbewegungen. Viele Betrachtungen greifen allerdings zu kurz und reduzieren dieses sowohl in seinen Eigenschaften als auch seinen Auswirkungen hochkomplexe Phänomen auf den problematischen, da normativ gefärbten, Ausdruck der „Überalterung der Gesellschaft“ im Sinne von „zu wenig“ jungen und „zu vielen“ alten Menschen. Es scheint deshalb angebracht, die Eckdaten und Besonderheiten des Demografischen Wandels als demografisches und soziales Phänomen mit Auswirkungen auf in der Tat alle Lebensbereiche kurz zu rekapitulieren. Dadurch wird sich auch zeigen, dass es sich beim Demografischen Wandel nicht um ein klassisches, klar zu umreißendes Politikfeld handeln kann. Der Begriff des „Meta-Politikfelds“ erfasst den vielschichtigen Charakter des Demografischen Wandels als Feld politischer Tätigkeit nicht nur besser, er weist auch auf dessen tiefgreifende Implikationen für politikberatende Akteure und ihre Instrumente sowie deren Interaktion mit politischen Entscheidungsträgern hin.

Harald Wilkoszewski
Das Auswärtige Amt auf dem Weg zu einer neuen Beratungskultur? Der Dialog zwischen externem Fachwissen und Politik im Feld der Außenpolitik

Ist die Politikberatung gerade in denjenigen politischen Feldern von entscheidender Bedeutung um zu informieren, zu rationalisieren und zu legitimieren, in denen vor einem kontingenten Wissenshintergrund unter hoher Unsicherheit entschieden werden muss, so erscheint Außenpolitik ein geradezu paradigmatischer Fall für Politikberatung zu sein. Wie Daniel Frei bereits 1980 (:443) angemerkt hat: “Von allen Politikbereichen ist Außenpolitik stets der komplexeste: Nirgendwo sonst findet sich der Entscheidende einer so großen Zahl von Partnern, einer so großen Zahl möglicher künftiger Entwicklungen und einem so großen Maß an Ungewissheit und Unberechenbarkeit alles Künftigen gegenübergestellt wie hier. Und nirgendwo sonst fordert die Situation trotzdem häufig sofortige oder baldige Aktion oder Reaktion, ist der Zeitdruck so unausweichlich.“

Christian Büger
Politikberatung: Deutsche Außenpolitik

Beide Begriffe sind problematisch — sowohl Politikberatung als auch Außenpolitik. Politikberatung, weil es sie nicht mehr wirklich gibt —jedenfalls nicht mehr im traditionellen Sinne einer organisierten, direkten Kooperation von Politik und Wissenschaft. Und Außenpolitik, weil es auch sie in ihrer klassischen Form nicht mehr gibt. Wir müssen uns dem Gegenstand über Begriffe und über den Wandel ihres substantiellen Gehalts annähern.

Klaus Segbers
Politikberatung in der Sicherheitspolitik

Sind die deutsche Politik und deren Beratung auf die zukünftig strukturbestimmenden Ereignisse in der Sicherheitspolitik vorbereitet? Beratung im transatlantischen Bündnis und zunehmend in der europäischen Dimension ist ebenso vor neue Herausforderungen gestellt, wie die Politik durch die Europäische Integration im Bereich der Sicherheit und durch neue Sicherheitsrisiken. Mit dem Aufbau einer eigenen Sicherheitsforschung trat die Europäische Kommission erstmals als eigener sicherheitspolitischer Akteur auf die Tagesordnung und untermauerte durch die Übernahme einer NATO-Mission die veränderte sicherheitspolitische Situation. Welche Auswirkungen zeitigt dies auf die Politikmuster der Bundesrepublik und deren Beratung? Die sicherheitspolitischen Determinanten unterliegen seit 15 Jahren kontinuierlichem Wandel, ohne dass adäquate Anpassungen sichtbar sind.

Thomas Beer
Aus- und Fortbildung für Politikberatung

Der Versuch, einer Ausbildung für Politikberatung das Wort zu reden, wird im Regelfall mit zwei skeptischen Einwänden konfrontiert.

Der erste Einwand ist grundsätzlicher Natur und stellt das Unterfangen insgesamt in Frage: Politikberatung sei eine Kunst, ergo nicht erlernbar, also auch keine Ausbildung dafür möglich.

Der zweite Einwand akzeptiert die Möglichkeit einer Ausbildung für Politikberatunggrundsätzlich, macht aber auf pragmatische Schwierigkeiten aufmerksam: Politikberatung sei ein derart weites Feld — wie wolle man dafür eine Ausbildung konzipieren?

Marc Schattenmann, Stefanie Steuber

Politikberatung International

Frontmatter
Politikberatung amerikanischer Think Tanks

Anwendungsorientierte Institute der Politikforschung, so genannte Think Tanks, neh-men in den USA eine zentrale Position auf dem so genannten „Marktplatz der Ideen“ ein, denn Parteien spielen-mit Ausnahme ihrer Funktion bei den Wahlen-eine un-tergeordnete Rolle. „Das Unvermögen der Parteien, neben der Ideenproduktion auch Eliten-und Informationstransfer zu bewerkstelligen, ist ursächlich dafür verantwort-lich, dass ideologisch geprägte Think Tanks als Ideenagenturen diese Funktionen stra-tegischer Denk-und Deutungseliten im politischen Prozess wahrnehmen. Außerdem kompensieren sie die Schwäche der politischen Parteien bei der Informations-, Diffusi-ons-und Netzwerkfunktion und bieten Möglichkeiten des eleganten Elitentransfers.“ (Gellner 1995: 254). So genannte „advocacy tanks“ interessenorientierte Think Tanks,

1

die oftmals auch den entsprechenden rechtlichen Status erwerben, um Lobby-ing an der politischen Basis (grassroots lobbying) betreiben zu können (Braml 2004: 50-70), arbeiten strategisch in so genannten „Tendenz-“ (

Gellner 1995: 26-27

) oder „Advocacy-Koalitionen“ (

Sabatier 1993: 116-148

) über „Themennetzwerke“ (

Heclo 1978: 87-124

) mit politisch gleichgesinnten Politikern, Journalisten und Wirtschafts-vertretern zusammen, um ihre Politikvorstellungen in die Tat umzusetzen.

Josef Braml
„Das funktioniert hier alles ein bisserl anders“ — Politikberatung in Österreich

Das Thema Politikberatung in Österreich wurde von der Politikwissenschaft bisher stiefmütterlich behandelt1. Zum Gegenstand öffentlicher Debatte wird Politikberatung regelmäßig zu Wahlkampfzeiten. Filme aus den USA wie

Wag the Dog, Primary Co-lors, Spinning Boris

oder

See Arnold Run

vermitteln das Bild von Spin Doctors als einflussreiche Politikberater im Hintergrund, die die Fäden ziehen und die eigentlichen Entscheidungen treffen. Doch diese glamouröse filmische Darstellung hält der österrei-chischen Wirklichkeit nicht stand, die Realität sieht nüchterner aus. Nur wenige Bera-ter dringen in die geschlossenen Zirkel der Politik ein. Parteiangestellte bleiben die Hauptakteure im Wahlkampf und die strategischen Entscheidungen werden von den politisch Verantwortlichen getroffen und nicht von Beratern. Im Policy-Bereich spielt unabhängige wissenschaftliche Expertise ebenfalls oft nur eine sekundäre Rolle unter dem Primat der, im korporatistischen System der Sozialpartnerschaft, organisierten Interessen.

Andreas Lederer, Gerald Neugschwandtner
Politikberatung in Frankreich

In historischer Betrachtung war der französische Staat immer darum bemüht, jede Art von Sachverstand durch seine eigenen Institutionen bereitzustellen. Die Inanspruch-nahme und Nutzung von externem Expertenwissen liegt bis heute noch vollständig im Ermessen des Staates.

Axel Murswieck
Politikberatung in Großbritannien

Die britische Politikberatungslandschaft gehört spätestens seit der Thatcher-Ära (1979-1990) zu den vielfältigsten in Europa und in der Welt. Dies gilt sowohl für die Berei-che des „political consulting“ als auch des „policy advice“ Die nachfolgenden Ausfüh-rungen befassen sich schwerpunktmäßig mit der letztgenannten Beratungsform. Cha-rakteristisch für die britische Politikberatungslandschaft ist indes nicht allein ihre Viel-falt, sondern die Modernisierung und Öffnung der internen Beratungsstrukturen im Umfeld der britischen Regierung und sowie das Anwachsen und die Vitalität eines Think Tank-Sektors in London, in dem eine Beratungsform dominiert, die sich als „advokatische“ Politikberatung bezeichnen lässt, da sie Informationsbereitstellung und wissenschaftlich fundierte Analyse mit politischen Durchsetzungsfragen und mit stra-tegischen Erwägungen kombiniert und sich stark für gefundene Lösungsansätze enga-giert.

Martin Thunert
Backmatter
Metadaten
Titel
Handbuch Politikberatung
herausgegeben von
Svenja Falk
Dieter Rehfeld
Andrea Römmele
Martin Thunert
Copyright-Jahr
2006
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90052-0
Print ISBN
978-3-531-14250-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90052-0