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2006 | Buch

Handbuch der Berufsbildung

herausgegeben von: Rolf Arnold, Antonius Lipsmeier

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Über dieses Buch

V Die Vor orwor wor vorliegende tt 2. , überarbeitete und aktualisierte Auflage des Handbuchs der Berufsb- dung stellt den Versuch dar, das derzeit verfügbare wissenschaftliche Wissen zu den Fra- stellungen und den Problembereichen der Berufsbildung in konzentrierter Form zu präsentieren. Ausgangspunkt ist eine Strukturierung der beruflichen Bildung, die ihren Ausgangspunkt von dem didaktischen Handeln nimmt. Wie in dem einleitenden Beitrag ausführlich dargelegt und begründet wird, lassen sich aus der Perspektive einer handlun- orientierten Didaktik die berufspädagogischen Kategorien ableiten, die für die Gestaltung, Konzipierung und Realisierung beruflicher Bildung von grundlegender Bedeutung sind. Ausgehend von diesen Kategorien wurde auch die inhaltliche Grobstruktur des Ha- buches konzipiert. Während in einem ersten Kapitel neben der erwähnten Bestimmung der berufspädagogischen Kategorien didaktischen Handelns auch auf die Werte und N- men in der Berufsbildung sowie auf die Handlungsorientierung und die Gestaltung von Arbeit und Technik eingegangen wird, ist das zweite Kapitel dem Thema „Adressat- orientierung in der Berufsbildung“ gewidmet. Dabei geht es nicht nur um die Jugend- chen, die Erwachsenen und die sog. Randgruppen in der Berufsbildung, vielmehr werden auch in einer grundlegenden Form die Zusammenhänge zwischen Lebenslauf und Beruf sowie die sozialen und individuellen Determinanten beruflicher Qualifizierungsprozesse thematisiert. Ein drittes Kapitel beschäftigt sich mit den „Kompetenzen und Qualifikat- nen in der Berufsbildung“.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Didaktisches Handeln in der Berufsbildung

Frontmatter
Berufspädagogische Kategorien didaktischen Handelns

Wenn in diesem einleitenden Beitrag der Begriff des „didaktischen Handelns“ und nicht der der „Didaktik“ Verwendung findet, so geschieht dies mit dem konzeptionellen Anspruch, eine Darstellung der Grundstrukturen der Berufsbildung sowie die Auffächerung ihrer theoretischen und praktischen Aspekte, wie sie in dem vorliegenden Handbuch in Angriff genommen werden, vom Gesichtspunkt einer handlungsorientierten Berufspädagogik her entwickeln zu wollen. Damit ist eine Perspektive grundgelegt, in welcher die Berufsbildung als eine prinzipiell gestaltbare Konstellation von Faktoren und Bedingungen angesehen wird, die zwar ihre gesellschaftlich-historische Vorprägung erfahren, das didaktische Handeln selbst jedoch allenfalls zu prägen, aber nicht zu determinieren vermögen. Neben der Situationsspezifität und der Unterdeterminiertheit beruflicher Bildung gerät bei einer solchen Fokussierung auch ihre Prozesshaftigkeit und Subjekthaftigkeit stärker in den Blick, d. h. dem Subjekt wird als „Ursprung seiner Handlungen“ (Holzkamp 1993, S. 117) ein größerer Entscheidungs- und Gestaltungsraum „zugemutet“ bzw. besser: „zugetraut“, und gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass es letztlich die didaktisch Handelnden — und damit auch die Lehrenden und Lernenden — sind, die die Berufsbildung konstituieren, gestalten und entwickeln.

Rolf Arnold, Dieter Münk
Werte und Normen in der Berufsbildung

Werte und Normen finden nicht nur im Kontext allgemeiner und beruflicher Bildung, sondern auch in der beruflichen Praxis zunehmende Beachtung. Das Wort „Wert“ wird in unterschiedlichen Zusammenhängen volks- und betriebswirtschaftlichen Handelns geradezu inflationär verwendet. Kennzeichnend dafür sind vielfältige Aktivitäten zur Begründung und Verwirklichung dessen, was als „Unternehmenskultur“ und „Unternehmensethik“ (vgl. u. a. Holleis 1987; Rebstock 1988; Osterloh 1989) seit etwa zwanzig Jahren mit wechselndem Engagement diskutiert wird (vgl. Corsten/Lempert 1992, S. 66ff.). Auf diesem bemerkenswerten „Umweg“ finden Begriffe und Intentionen dieser Debatte neuerdings sogar Eingang in Abhandlungen über Aufgaben so genannter allgemeinbildender Schulen (z. B. bei Lohrer 1994, S. 176); hier ist von der „Unternehmenskultur einer Schule“ und von „corporate identity“ die Rede. Gesteigertes Interesse an Werten und Normen spielt vor allem in Erörterungen zur Entwicklung und Realisierung von Konzepten betrieblicher Personal- und Organisationsentwicklung eine Rolle. Das damit Gemeinte und Geforderte steht u. a. in der Tradition dessen, was als „Humanisierung der Arbeit“ bzw. „der Arbeitswelt“ in den gesellschaftspolitischen Sprachgebrauch eingegangen ist (vgl. u. a. Matthöfer 1977; Preiss 1977). Als jüngeres Beispiel für Bestrebungen dieser Art ist das „Anthropozentrische Produktionssystem“ (Lehner/Widmaier 1992, S. 56ff.) zu nennen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Einrichtung von eigenen Lehrstühlen für Wirtschaftsethik in Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten (z. B. in den Hochschulen St. Gallen, Eichstätt, München oder Marburg), wenngleich wirtschaftsethische Fragen in der katholischen und evangelischen Soziallehre eine sehr bemerkenswerte Tradition besitzen (vgl. z. B. die Sozialenzykliken Rerum novarum vom 15.05.1891 und Quadragesimo anno vom 15.05.1931; zu nennen wären auch die Protagonisten O. v. Nell-Breuning; G. Gundlach; F. Karrenberg; A. Rich; zur gegenwärtigen Diskussion vgl. u. a. Rebstock 1988; Steinmann/Löhr 1989; Ulrich/Thielemann 1992).

Helmut Heid
Handlungsorientierung in der Berufsbildung

Handlungsorientierung zählt insbesondere seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in der Literatur zur Didaktik beruflicher Bildung sowohl in wissenschaftlichen als auch in auf Praxisberatung ausgerichteten Texten zu den herausragenden Begriffen. In zahlreichen Beiträgen haben sich Autorinnen und Autoren bemüht, Handlungsorientierung zu definieren, zu begründen, warum handlungsorientierter Unterricht vorteilhaft sei, zu beschreiben, welche Merkmale einen handlungsorientierten Unterricht auszeichnen und durch welche Lernumgebungen die Eigenschaften eines handlungsorientierten Unterrichts angemessen modelliert werden. Obwohl das Konzept der Handlungsorientierung weder von der wissenschaftlichen noch von der Praxisseite ein klares positives Votum erhielt, sind darauf bezogene Ideen, Empfehlungen und Maßnahmen in der Rhetorik der Kultusadministration, in den Ordnungsmitteln der beruflichen Bildung und in der Fachliteratur inzwischen etabliert (Czycholl 2001; Dörig 2003). Nachdem sich die Kontroversen im Bereich der beruflichen Bildung in den letzten Jahren verlagert haben und sich vor allem am Lernfeld-Konzept entzünden, nimmt das Thema Handlungsorientierung keine der vorderen Positionen in den Debatten mehr ein — eine solche Beruhigung ist nicht der schlechteste Zeitpunkt, um eine Art von Zwischenbilanz zu versuchen. Wir werden dabei in drei Schritten vorgehen: Zunächst soll eine nähere Bestimmung dessen erfolgen, wofür innerhalb der Didaktik die Bezeichnung handlungsorientiert steht und welches die aktuellen Modernisierungshintergründe sind.Im zweiten Abschnitt werden historische und gegenwärtige Realisationsformen von Handlungsorientierung behandelt.Im letzten Teil geht es um Hinweise aus Studien zur Evaluation handlungsorientierter Ausbildungskonzepte.

Reinhard Czycholl, Hermann G. Ebner
Gestaltung von Arbeit und Technik

Die Befähigung zur (Mit-)Gestaltung von Arbeit und Technik hat als eine Leitidee für die berufliche Bildung seit ihrer Begründung Mitte der 1980er Jahre (Rauner 1986, 1987, 1988) eine rasche Verbreitung gefunden. So hebt die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000“ in ihrem Abschlussbericht mehrfach den „Perspektivwechsel“ weg von einer zu engen Anpassungsorientierung und hin zu einer aktiven Mitgestaltung der zukünftigen Gesellschaft ... und der Arbeitswelt als eine zentrale bildungspolitische Orientierung hervor (S. 5, 20, 28). Sie nimmt damit die wesentlichsten Momente des beim Expertenhearing zum „Strukturwandel von Arbeit und Beruf und sein Verhältnis zu Bildung und Ausbildung unter besonderer Berücksichtigung des Flexibilitätsaspektes“ (15.2.1989) von Heidegger vorgetragenen „Gestaltungsansatzes“ auf (vgl. Zwischenbericht, Kap. III. 2.1.3) und führt dazu aus: „Wenn die Humanität der zukünftigen Gesellschaft entscheidend davon abhängt, ob es gelingt, Teilungen und Zerstückelungen aufzuhalten, ... dann muss Bildung zu allererst den Gestaltungswillen entwickeln helfen ... und muss Gestaltungsfähigkeit ... anstreben“. „Gestaltungskompetenz“ wird dabei ausdrücklich auch für die technische Bildung gefordert (S. 30). Die von der Kommission formulierte Empfehlung 1/88 (S. 72f.) zur Verankerung eines entsprechenden Bildungsauftrages im Berufsbildungsgesetz ist nicht nur konsequent, sondern fordert angesichts der hier immer wieder vorgebrachten verfassungsrechtlichen Einwände Bund und Länder auf, diese für die Qualität beruflicher Bildung nachteilige Gesetzeslücke zu schließen. In der Rahmenvereinbarung der KMK zur Berufsschule (KMK 1991) sowie in den Handreichungen zur Erarbeitung von Rahmenlehrplänen wird das neue Leitbild für die Berufsbildung: Die Befähigung „Zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung“ hervorgehoben (KMK 2000, S. 8).

Felix Rauner

Adressatenorientierung in der Berufsbildung

Frontmatter
Jugend in der Berufsbildung

In der im Jahre 1995 erschienenen Ausgabe des Handbuchs der Berufsbildung wurde hervorgehoben, dass sich die Ausbildungssituation der Jugendlichen stark verändern werde, dass die Betriebe ihre Rekrutierung über die Erstausbildung einschränken werden, und dass die bisherige Praxis der faktischen Übernahmegarantie aufgeweicht werde, mit der Folge, dass die Arbeitslosenquote auch gut ausgebildeter Jugendlicher steigen und die Ausbildungsquoten zurückgehen werden. Am Ende des Beitrags „Jugend in der Berufsbildung“ wurden folgende Fragen formuliert: Können die Jugendlichen auf der Basis der neugeordneten Berufsbildungsgänge den von den neuen Technologien und Betriebsumstrukturierungen ausgehenden Qualifikationsanforderungen gerecht werden? Oder anders gefragt: Orientieren sich die Betriebe angesichts der durchgängigen IT-Basierung sämtlicher Arbeitsprozesse nicht doch vermehrt auf Absolventen höher angesiedelter Bildungs- bzw. Berufsbildungsgänge, die auch zahlenmäßig zugenommen haben?Welche Probleme haben krisenanfällige, benachteiligte jugendliche Arbeitskräftegruppen damit, wenn bei ihnen aufgrund schichtspezifischer Sozialisationsdefizite und gravierender Strukturdefizite der Schulorganisation die Basiskompetenzen nicht frühzeitig angelegt wurden?Kommt es nun zu der lange angekündigten Substitutionskonkurrenz zwischen Hochschulabsolventen und Absolventen einer berufsfachlichen Ausbildung im dualen System unter der Bedingung zunehmend knapper werdender Ausbildungs- und Erstarbeitsplätze in den westdeutschen Basisindustrien (von Ostdeutschland ganz zu schweigen)?In welche Richtung werden sich die Übergänge von der Schule ins Erwerbsleben unter der Bedingung zunehmender Jugendarbeitslosigkeit, nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch im bisher stabilen Westdeutschland, verändern?Was passiert mit dem hohen Sockel Jugendlicher ohne Berufsausbildung angesichts des schrumpfenden Angebots von Einfacharbeitsplätzen für Un- und Angelernte und angesichts verfestigter Arbeitsmarktbarrieren zu den qualifizierten Ausbildungs- und Beschäftigungsbereichen?

Lothar Lappe
Erwachsene in der Berufsbildung

Auf den ersten Blick scheint nicht nur das schlichte Vorhandensein, sondern auch die zunehmende Bedeutung von Erwachsenen in der beruflichen Bildung eine Selbstverständlichkeit zu sein. Unterzieht man jedoch diese scheinbare Trivialität einer näheren sozialgeschichtlichen wie auch sozialwissenschaftlichen Betrachtung, dann löst sie sich als Trivialität nicht nur auf, dann wird auch deutlich, wie sehr die Berufs- und Weiterbildungsforschung den Erwachsenen, den sie betrachtet, selber konstruiert, und wie sehr auch die Handlungsräume der beruflichen Weiterbildung selbst immer wieder den für sie typischen Erwachsenen produzieren. Aus der Sicht der modernen Weiterbildungsforschung ergibt sich die Beteiligung Erwachsener an der beruflichen Bildung genau umgekehrt zur alltäglichen Sicht: Nämlich als Resultat der Art und Weise, wie sich die berufliche Bildung an der sozialen Konstitution des Erwachsenenlebens beteiligt.

Klaus Harney
Beruf und Lebenslauf

Individuelle Lebensläufe werden in hohem Maße durch institutionelle Vorgaben beeinflusst. Die Berufs- und Ausbildungswahl, die Erwerbsbiographien, der Arbeitsplatzwechsel, die Status- und Einkommensverläufe, aber auch Phasen der Familienentwicklung und generell die Persönlichkeitsentwicklung sind immer auch stark abhängig vom sozialen Wandel. Sofern die gesellschaftliche Entwicklung Brüche zeitigt, hinterlassen diese Brüche Spuren auf der Ebene individueller Lebensgeschichten. Der Lebensverlaufsforschung der letzten 20 Jahre ist es gelungen, durch systematisch-empirische Forschung und Theoriebildung individuelle Lebensläufe aus gesellschaftlichen Strukturen und deren Veränderungen partiell zu rekonstruieren. Lebensverläufe, also Bildungs- und Ausbildungswege, Erwerbsund Berufskarrieren etc. sind von einer Vielzahl von Einflüssen abhängig: ökonomisch und politisch bestimmte Strukturen, kulturelle Wertvorstellungen und -prägungen, gesetzliche Altersnormen, institutionalisierte Übergänge, normativ-kritische Lebensereignisse, individuelle Entscheidungen, Sozialisationsprozesse im frühen Lebensalter und institutionelle, oft schulische oder betriebliche Selektionsmechanismen (vgl. Mayer 1990, S. 8).

Rudolf Tippelt
Geschlecht und Nationalität als soziale Determinanten beruflicher Qualifizierungsprozesse

Der folgende Beitrag setzt sich mit sozialen Implikationen der Beteiligung an beruflicher Aus- und Weiterbildung auseinander. Dies geschieht exemplarisch anhand der beiden Kategorien Geschlecht und Nationalität. Dabei fokussiere ich im Hinblick auf die soziale Kategorie „Geschlecht“ die Situation der Frauen, da sich die Berufsbildung bislang weitgehend am „Normalfall“ männlicher Auszubildender orientiert hat. Da sich die Situation der beiden Adressatengruppen Frauen und Ausländer/-innen in mancher Hinsicht — trotz bestehender Vergleichbarkeiten — in Bezug auf die berufliche Bildung unterscheidet und zumindest zum Teil unterschiedliche Ursachen für eine Diskriminierung im Bildungssystem auszumachen sind, setze ich mich nacheinander mit der Situation dieser Gruppen in der Berufsbildung auseinander. Abschließend skizziere ich einige zielgruppenspezifische Handlungsanforderungen.

Christiane Schiersmann

Kompetenzen und Qualifikationen in der Berufsbildung

Frontmatter
Berufliche Bildung, Arbeitsmarkt und Beschäftigung

Bildung, Arbeitsmarkt und Beschäftigung sind in jeder Gesellschaft auf eine jeweils besondere Weise miteinander verbunden (Kap. 1). In Deutschland wird dieser Zusammenhang im Wesentlichen über die ausbildungs- und erwerbsstrukturierende Funktion des Berufs hergestellt. Einerseits wird dem Beruf als formalisiertem Qualifikations- und Arbeitskraftmuster eine zentrale Bedeutung für die Integration der Bildungsabsolventen in das Beschäftigungssystem und für die Austauschprozesse auf dem Arbeitsmarkt zugeschrieben, andererseits wird die berufliche Organisation von Ausbildung und Arbeit mit Verweis auf die relativ starre, strukturelle Verkoppelung von Bildungswegen und Berufstätigkeiten für Abstimmungsprobleme zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem verantwortlich gemacht (Kap. 2). Die Segmentation des deutschen Arbeitsmarkts ist eng mit dem Prinzip der Beruflichkeit verknüpft. Das Segmentationskonzept verweist auf die betrieblichen Strategien zur Rekrutierung und Nutzung von Arbeitskraft, die eine Aufspaltung des Arbeitsmarkts in voneinander abgeschottete Teilarbeitsmärkte hervorrufen. Als ein zentrales Kriterium für die Herausbildung von Arbeitsmarktsegmentation gilt die Qualifikation, die sowohl die Struktur der Arbeitsplätze wie auch die der Arbeitskräfte bestimmt. Da die Segmentationstheorie also im Kern eine Qualifikationstheorie ist, lässt sich mit ihr am ehesten der Zusammenhang von Qualifizierungsprozessen und beruflicher Platzierung erschließen (Kap. 3). Dieser über den Beruf hergestellte Zusammenhang setzt eine stabile Konsistenz individueller Übergangsentscheidungen einerseits und der Muster betrieblicher Personalrekrutierung und -entwicklung andererseits voraus.

Walter Georg, Ulrike Sattel
Ökonomie, Technik, Organisation: Zur Entwicklung von Qualifikationsstruktur und Qualifikationsprofilen von Fachkräften

Die Beziehung von Technik, Ökonomie, Organisation und Qualifikation ist weder eindimensional noch ein für allemal in einem über Zeiten und Räume hinweg stabilen Muster festgelegt, das eindeutige kausale Abhängigkeiten zwischen den Kategorien zu bestimmen gestattete. Weder determinieren ökonomische Interessen Organisationsformen der Arbeit hinreichend noch sind die Qualifikationen der Beschäftigten etwa schlicht als Resultat von Technik und Arbeitsorganisation zu begreifen. Die relative Offenheit der Beziehung der Kategorien zueinander mag zum einen erklären können, dass es bisher keine generelle Theorie über ihren Zusammenhang gibt, dieser vielmehr in vielfältiger Weise und mit unterschiedlichen theoretischen Annahmen und Erkenntnisinteressen in den Sozialwissenschaften erörtert worden ist; es zum anderen aber gleichwohl in den letzten Jahrzehnten oft Versuche gegeben hat, mehr Klarheit in das Beziehungsgeflecht von Ökonomie, Technik, Organisation und Qualifikation zu bringen, da die Annahme, dass es überhaupt keine angebbaren Kausalzusammenhänge gäbe, ebenfalls nicht sehr plausibel — geschweige denn befriedigend — ist. In den unterschiedlichen wissenschaftlichen Versuchen lässt sich eine Doppelperspektive identifizieren, die in den letzten Jahrzehnten in der Debatte eine herausragende Rolle gespielt hat und um die herum sich die zentralen Themen und Ansätze der wissenschaftlichen Diskussion bis heute gruppieren lassen: Die eine, entwicklungstheoretisch gefasste Perspektive zielt auf Genese, Ursachen und Antriebskräfte von Qualifikationsstrukturveränderungen auf gesamtgesellschaftlicher (Makro-) Ebene. Sie wurde lange Zeit unter der Frage abgehandelt: Werden Qualifikationsstrukturen eher durch ökonomische und technische Prozesse determiniert oder nimmt die Qualität des Arbeitskraftangebots, wie es durch Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen geschaffen wird, wesentlichen Einfluss auf diese Entwicklung? Die Nachzeichnung der sozialwissenschaftlichen, insbesondere der bildungs-, arbeits- und industriesoziologischen Debatte wird zeigen, dass hier vor allem auf Strukturdaten der Berufsklassifikation Bezug genommen wurde, die anfängliche prognostische Unbefangenheit gegenüber berufsstatistischer oder ökonomischer Extrapolation aber gewichen ist und zu komplexeren, interpretativen Formen der Erörterung von Entwicklungsperspektiven führt.Die andere, eher strukturbezogene Perspektive zielt auf die qualitative Richtung, welche die Qualifikationsstruktur im Zuge des ökonomisch-technischen und sozialen Wandels nimmt. Sie wurde lange unter der Frage erörtert, ob es eher zu einer Anhebung der Durchschnittsqualifikation, zur Höherqualifizierung, oder zu ihrer Absenkung, zur Dequalifizierung, käme. Im Verlauf der Debatte wurde die vertikale Dimension (höhere — niedrigere Qualifikation) zunehmend ergänzt und aufgefüllt mit Fragen nach dem Wandel von inhaltlichen Profilen abgeforderter Qualifikationen und einer angemessenen Definition von Qualifikation: Bleibt der Qualifikationsbegriff — mit dem doppelten Blick auf Gemeinsamkeiten unterschiedlicher betrieblicher Anforderungsprofile wie auch auf die Dynamik betrieblicher Rationalisierungsprozesse — eng funktions- bzw. arbeitsplatzbezogen oder wird er darüber hinaus auf ein Konzept von Handlungskompetenz1 bezogen, welches die individuelle Gestaltungs-, Organisations- und Teilhabemöglichkeiten in Bezug auf den beruflichen Kontext insgesamt (im betrieblichen Umfeld und auf dem Arbeitsmarkt: selbstinitiierte Weiterqualifizierung und Mitgestaltung von Arbeitsbedingungen) im Blick hat?2 Es wird sich zeigen, dass diese Fragen in der Vergangenheit durchaus unterschiedlich beantwortet worden sind und eine einfache und eindeutige Antwort auch heute schwierig ist.

Martin Baethge, Volker Baethge-Kinsky
Vermittlung von Fachkompetenz in der Berufsbildung

Die Bestimmung dessen, was „Vermittlung von Fachkompetenz in der Berufsbildung“ sein könnte, hängt zunächst davon ab, was unter Fachkompetenz verstanden wird und ob Berufsbildung in schulisch organisiertem Rahmen oder arbeitsplatzgebunden stattfindet. Berufsbildung vollzieht sich immer unter Bedingungen, die die Aktivitäten der Lernenden und die Vermittlungsmodi der Lehrenden beeinflussen. In einem Training on-the-job sind die Lernbedingungen andere als in einer Lehrwerkstatt oder in einem Unterrichtsraum der Berufsschule. Vermittlungsmethoden erhalten eine spezifische Ausprägung, wenn Lernen auf künftig zu bewältigende Situationen ausgerichtet ist und sie die Aktivität des Lernenden favorisieren mit dem Ziel, den Aufbau, die Erweiterung oder die Modifizierung von Handlungsschemata durch ein selbstständiges Handeln in Lern- oder Arbeitssituationen zu fördern. Hinweise für einen sinnvollen Einsatz von Vermittlungsmethoden lassen sich zudem nur auf der Grundlage der Einsicht geben, dass nicht alle didaktisch-methodischen Arrangements ein und dasselbe Ziel in gleicher Weise zu erreichen helfen und ebenso nicht alle Ziele durch ein und dieselbe Methode erreichbar werden. Vielmehr wird eine bestimmte pädagogische Absicht nur unter Zuhilfenahme spezifischer didaktisch-methodischer Vermittlungsformen realisierbar.

Günter Pätzold
Entwicklung von Schlüsselqualifikationen in der Berufsschule

Über Jahrzehnte hat sich das duale Berufsbildungssystem mit seiner berufsbegleitenden Berufsschule bewährt. In den letzten Jahren haben sich aber die Verhältnisse im Umfeld der Berufsbildung dermaßen verändert, dass die Ausgestaltung des Systems und vor allem der Unterricht an der Berufsschule grundsätzlich zu überdenken sind. Im Vordergrund stehen insbesondere drei Veränderungen: (1) Die Anforderungen an die Auszubildenden steigen fortwährend an, und dies nicht nur im eigenen Berufsfeld, sondern es ist damit zu rechnen, dass in Zukunft jedermann während seiner Lebensarbeitszeit seinen Beruf einbis zweimal wechseln muss, was an Fähigkeiten wie selbständiges Lernen, Flexibilität usw. völlig neue Anforderungen stellt. (2) Im Betrieb sehen die Auszubildenden immer ausgeprägter nur noch Teilbereiche aus den Aktivitäten. Im Gegensatz zu früher fehlt es an Möglichkeiten einer funktionalen Bildung, die den Einblick in das Ganzheitliche des unternehmerischen Geschehens gewissermaßen beiläufig gibt; deshalb wird das Ganzheitliche in der Berufsbildung zur wesentlichen Aufgabe der Berufsschule. (3) Die Wünsche des modernen Menschen nach mehr Autonomie lassen sich mit einer traditionellen, engen und spezialisierten beruflichen Bildung nicht verwirklichen. Zusammen mit den aus Gründen der Arbeitszufriedenheit zukunftsträchtigeren Mischarbeitsplätzen setzen diese Autonomiebedürfnisse ganzheitlich denkende und handelnde Persönlichkeiten voraus, die über ein Wissen und Können verfügen müssen, das sie zur Bewältigung laufend neuer und unerwarteter Situationen befähigt.

Rolf Dubs
Integration von Personal- und Organisationsentwicklung in der beruflichen Bildung

Personalentwicklung (PE) und Organisationsentwicklung (OE) fokussieren in unterschiedlicher Weise auf den Einzelnen, auf die Gruppe, auf die Organisation und auf die Gesellschaft und begründen sich entsprechend subjekt- bzw. akteurstheoretisch, gruppentheoretisch, organisations- bzw. managementtheoretisch und/oder gesellschaftstheoretisch. Berufliche Bildung und die sie reflektierende Berufs- und Wirtschaftspädagogik lenken dabei ihren Fokus vor allem auf den Einzelnen und die Gesellschaft (und in Ansätzen auf die Gruppe), d. h. begründen sich vorrangig subjekt- und gesellschaftstheoretisch. Währenddessen blicken Personal- und Organisationsentwicklung in gegenläufiger und sich ergänzender Weise auf den Einzelnen und die Organisation und reflektieren sie mit Bezug auf akteurstheoretisch und organisations- bzw. managementtheoretisch akzentuierte Theoriebildungen. Hierbei hat die Gruppe eine vermittelnde Position, die unterschiedlich intensiv ausgestaltet ist. Stark vergröbert ergibt sich damit folgender Zusammenhang: Personalentwicklung: Einzelner → Gruppe → Organisation,Organisationsentwicklung: Organisation → Gruppe → Einzelner Vom Standpunkt der Personal- und Organisationsentwicklung aus betrachtet weist die Berufs- und Wirtschaftspädagogik deshalb organisations- bzw. managementtheoretische Defizite auf. Blickt man hingegen von dort auf die Personal- und Organisationsentwicklung, muss man ihr subjekt- und gesellschaftstheoretische Defizite attestieren. In diesem Sinne können sich Personal- und Organisationsentwicklung auf der einen und Berufs- und Wirtschaftspädagogik (berufliche Bildung) auf der anderen Seite gegenseitig ergänzen, indem erstere die subjekt- und gesellschaftstheoretische und letztere die organisations- bzw. managementtheoretische Perspektive intensiviert.

Harald Geißler

Lehr- und Lerninhalte der Berufsbildung

Frontmatter
Curriculare Strukturen beruflicher Bildung

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den strukturellen Merkmalen von Curricula in der beruflichen Bildung. Dabei werden diese strukturellen Merkmale vor allem unter dem Gesichtspunkt der Veränderungstendenzen erörtert, die sich in den letzten Jahrzehnten ergaben und die gegenwärtig fortwirken.

Lothar Reetz, Wolfgang Seyd
Curricula für die berufliche Bildung — Fächersystematik oder Situationsorientierung?

Bis auf wenige Ausnahmen findet schulischer Unterricht, wie die meisten von uns ihn kennen, in Form von Schulfächern statt. Nicht nur das in der Schule übermittelte Wissen ist in Fächern geordnet, sondern auch Zuständigkeiten der Lehrkräfte, Schulbücher und Stundenpläne, Fachräume sowie — in weiterem Sinne gesellschaftlicher Wissensorganisation — Bibliotheken, Datenbanken oder Forschungsprogramme.

Ute Clement
Didaktik kaufmännisch-verwaltender Berufsausbildung

Die Qualifizierung für berufliche Anforderungen im kaufmännisch-verwaltenden Berufsfeld ist als Aufgabenstellung und als Geschehen hochkomplex. Sie wird in diesem Handbuch unter unterschiedlichen Aspekten thematisiert und findet darüber hinaus implizit dort Berücksichtigung, wo es um die Identifikation allgemeiner Charakteristika der Berufsausbildung geht. Der Zugang zum Problem „kaufmännisch-verwaltende Berufsausbildung“ würde mit der Curriculum-Idee übereinstimmen, wäre er darauf angelegt, alle Partialbefunde mit Blick auf ein spezifisches pädagogisch legitimiertes Ziel zu integrieren. Mit der curricularen Wendung der Didaktik, wie sie Ende der sechziger Jahre einsetzte (Robinsohn 1967), verbindet sich nämlich die Vorstellung, organisierte Lehr-Lern-Prozesse seien mit Blick auf zu bewältigende Lebenssituationen in einem ganzheitlichen Kontext zu reflektieren und zu gestalten (Dt. Bildungsrat 1970, S. 58ff.). Letztlich sei es erforderlich, alle für die Zielerreichung relevanten Antezedensbedingungen in eine systematische Ordnung einzubringen.

Jürgen Zabeck
Didaktik gewerblich-technischer Berufsausbildung (Technikdidaktik)

Das alte Wort „Gewerbe“ ist heute nur noch im Sinne von „berufsmäßige Beschäftigung um des Erwerbs willen“ (Duden Etymologie) gebräuchlich, eingeschränkt auf die gesamte nichtlandwirtschaftliche Güterproduktion (Handwerk, Industrie, Heimarbeit). Mit dem Einzug der Technik in viele Handwerke seit der Industrialisierung war eine erhebliche Dynamik in die Berufslandschaft eingezogen (Entstehen neuer und Abschaffung alter Berufe). Sowohl aus betrieblichen Gründen (Berufsabgrenzungen; Berechtigung zur Ausbildung von Lehrlingen auch in „verwandten Gewerben“ gemäß der Gewerbeordnung von 1869, § 129a) als auch aus schulischen Gründen für die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vermehrt entstehenden gewerblichen Fortbildungsschulen zwecks der Beschulung der Lehrlinge in sinnvollen Klassengrößen war etwa seit 1890 die Bildung von Berufsgruppen erforderlich geworden. Dominante Kategorien für die Gruppenbildung waren das von den Berufen bearbeitete Material oder auch die vorherrschenden Arbeitsverfahren. In einem wichtigen Dokument, einem Verwaltungsbericht des preußischen Landesgewerbeamtes (Verwaltungsbericht 1908, S. 76f.), wurden drei Gruppen gebildet, „für die die Anforderungen im Zeichnen nahezu gleich oder wenigstens verwandt sind“: ➣ Gruppe I: Baugewerbe und verwandte Gewerbe;➣ Gruppe II: Metalltechnische und maschinentechnische Gewerbe;➣ Gruppe III: Verzierende Gewerbe (das Kunstgewerbe). Für die ersten beiden Gruppen ist das sogenannte „gebundene Zeichnen“ (gebunden an Lineal und Zirkel; das konstruktiv-technische Zeichnen mit seinem Merkmal der Dreidimensionalität) charakteristisch, während die dritte Gruppe durch das sogenannte „freie Zeichnen“ (Freihandzeichnen, Ornamentzeichnen, kunstgewerbliches Zeichnen) geprägt ist.

Antonius Lipsmeier
Berufliche Umweltbildung

Bis in die 1980er Jahre wurde Umwelterziehung als Übersetzung des englischen Begriffs „environmental education“ für umweltbezogene Bildungsanstrengungen verwendet und erst 1986 durch die Einführung des Begriffs „Umweltbildung“ auf einem Symposium des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft abgelöst. Auch wenn es seit Anfang der 1990er Jahre Bestrebungen gibt, von einer „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ zu sprechen, hat sich der Begriff „Umweltbildung“ etabliert.

Karin Rebmann

Vermittlungs- und Aneignungsprozesse in der Berufsbildung

Frontmatter
Lernen und Arbeiten

Unternehmen unter Konkurrenzbedingungen müssen versuchen, ihre Arbeits- und Produktionsprozesse wettbewerbsfähig zu organisieren. Dazu benötigen sie kompetente und lernfähige Menschen. Viele Unternehmen verkennen die Bedeutung des Lernens und haben Probleme, Lernprozesse anzuregen. Sie könnten nach Argyris (1991, S. 96) das Lerndilemma zwar überwinden, wenn ihre Manager und Mitarbeiter das eigene Verhalten zum Kernpunkt unternehmensweiter Lern- und ständiger Verbesserungsprogramme machen würden, verkennen aber faktisch den Zusammenhang zwischen Arbeit und Lernen, wie dies aus Analysen von Heidemann (2001) oder Grünewald/Moraal (2002) deutlich wird.

Ekkehart Frieling
Methoden in der schulischen Berufsbildung

Die Methodenfrage blieb lange Zeit in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik ein Randproblem (vgl. Dörschel 1975; Voigt 1975; Schmiel/Sommer 1992; Bunk 1982; Arnold 1990; Sloane/Twardy/Buschfeld 1998; Huisinga/Lisop 1999; Arnold/Krämer-Stürzl 1999) und wurde nur in Einzelfällen unter dem Aspekt der Berufsbildung untersucht und systematisch dargestellt (Bonz 1976; vgl. auch Hentke 1992, S. 207; Pätzold 1996). Dies ist darauf zurückzuführen, dass methodischen Fragen früher in einer fachwissenschaftlich zentrierten Lehrerbildung keine theoretische Relevanz beigemessen wurde und im schulpraktisch-orientierten Vorbereitungsdienst (Studienseminar) oder in Einführungskursen für Fachleute nur das Know-how der Wissensvermittlung durch erfahrene Schulpraktiker eingeübt wurde. Deshalb beschränkte sich die Theorie der Methoden auf Lehrverfahren und Unterrichtstechnologie sowie auf fachmethodische Lösungsvorschläge.1 Seit Ende des letzten Jahrhunderts wurden im Zusammenhang mit der Empfehlung von handlungsorientierten Methoden zunehmend Methodenfragen allgemein in der Praxis diskutiert und die theoretische Erörterung des Spektrums von Methoden der Berufsbildung sowie die Untersuchung der methodischen Situation in der Praxis erhielt mehr Gewicht (Bonz 1996, 1999, 2001, 2006; Pahl 2002, 2005; Pätzold u. a. 2003; vgl. auch Ott 2000; Euler/Hahn 2004; Riedl 2004; Fegebank 2004; Rebmann/Tenfelde/Uhe 2005; Schelten 2004; Nickolaus 2006; Tenberg 2006).

Bernhard Bonz
Lernen in der Weiterbildung

Sich mit dem „Lernen“ in der „Weiterbildung“ als Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung auseinander zu setzen stellt zwei unterschiedliche Anforderungen: einerseits geht es um die Reflexion auf eines der elementarsten Phänomene menschlicher Existenz, der Fähigkeit und Bereitschaft zum Lernen als Voraussetzung jeder menschlichen Entwicklung — andererseits um die Spezifizierung dieses Lernens auf einen Ausschnitt historisch bestimmter gesellschaftlicher Praxis, die Weiterbildung. Hinter dem Thema dieses Beitrages steht also die Einschätzung, dass menschliches Lernen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Praxen, wie etwa den Familien, Kindergärten, Schulen, Universitäten, Volkshochschulen, beruflichen Akademien oder betrieblichen Qualifizierungsmaßnahmen, aber auch auf Sportplätzen, in Diskotheken, Supermärkten, Straßenbahnen, Kinos, vor dem PC oder vor dem Fernsehschirm in je unterschiedlicher Weise zu thematisieren ist, weil sich sowohl die Lernsubjekte z. B. hinsichtlich ihres psychischen Entwicklungsstandes, ihrer biographisch erworbenen, vorgängigen (Lern-)Erfahrungen oder ihrer je spezifischen Lernbegründungen unterscheiden, als auch der jeweilige Kontext, in dem gelernt wird, sich substantiell unterscheidet und dieser Kontext für das Lernen der Subjekte seine je spezifische Bedeutung hat.

Kurt R. Müller
Neue Methoden betrieblicher Bildungsarbeit

Das Thema „neue Methoden betrieblicher Bildungsarbeit“ bedarf in einer zweifachen Hinsicht einer Präzisierung: Zum einen ist es naheliegend zu fragen, worin sich diese „neuen“ von etwaigen „alten“ Methoden unterscheiden und aus welchen Gründen und Motiven heraus sich viele Betriebe heute nicht mehr bzw. zunehmend weniger mit den überlieferten Methoden „zufriedengeben“. Zum anderen ist zu unterscheiden zwischen den Stufen und Formen sowie den Wandlungen der betrieblichen Bildungsarbeit, die sich in den letzten Jahren mehr und mehr im Hinblick auch auf die Unterstützung organisationalen Lernens systemisch formiert hat (vgl. Geissler 2000). Dadurch erweitert sich der betriebspädagogische Blick: Herkömmlicherweise wurden die besonderen Belange der betrieblichen Ausbildung einerseits und die der betrieblichen Weiterbildung andererseits voneinander getrennt behandelt. Nunmehr setzt sich jedoch zunehmend die Einsicht durch, dass die begrifflichen Separierungen zwischen der Aus- und Weiterbildung im Betrieb eigentlich selbst immer weniger zeitgemäß sind (vgl. Gonon/Stolz 2004). In der Betriebspädagogik beginnt man vielmehr seit Ende der 80er Jahre zu verstehen, dass Bildung im Betrieb als integrales Element der notwendigen systemischen Wandlungsprozesse „lernender Unternehmen“ (vgl. Meyer-Dohm/Schneider 1991) konzipiert und gestaltet werden muss, wofür sich auch der Begriff des „Organisationslernens“ eingebürgert hat (vgl. Arnold 1994; Arnold/Weber 1995; Geißler 1991). Bei einer solchen systemisch-ganzheitlichen Sicht betrieblicher Lernprozesse büßt schließlich auch die traditionelle Unterscheidung zwischen Lehren und Lernen viel von ihrer Bedeutung ein, wobei eine Sicht entsteht, die der Tatsache Rechnung trägt, „(...) daß Lehren eine weitgehend überschätzte Tätigkeit ist“ (Rogers 1979, S. 104).

Rolf Arnold
Lehren in schulischen Vermittlungsprozessen

Im Kontext geisteswissenschaftlicher Lehre bzw. universitärer Berufsausbildung werden Handbücher oftmals aus der Not geboren. Anders als in den Natur- und Technikwissenschaften gibt es nämlich in den Geisteswissenschaften häufig kein kanonisiertes Standardwissen. Die Auffassungen darüber, was alle Studierenden eines Faches zu lernen haben, sind ebenso vielfältig wie die wissenschaftstheoretischen Grundpositionen oder die Teilgebiete, in die sich eine wissenschaftliche Disziplin gliedert. Für die Pädagogik, insbesondere für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik, gilt dieses in besonderem Maße. Deshalb verbietet es sich, Lehrbücher mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu schreiben. Nachschlagewerke wie Handbücher werden dagegen eher dem Anspruch gerecht, die herrschende Vielfalt abzubilden.

Ingrid Lisop
Lehrende an beruflichen Schulen

Das Selbstverständnis und die beanspruchte Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen bestimmen sich traditionell über die Aufgaben, die ihnen jeweils im Rahmen des Bildungssystems übertragen worden sind, und über deren Interpretation durch die Lehrenden selbst. Diese Aufgaben ergeben sich einerseits aus den beruflichen und fachlichen Anforderungen in den Schulstufen (Sek. II, Weiterbildung) und den Schulformen (z. B. Berufsschule, Berufsfachschule, Berufliches Gymnasium) bzw. den Bildungsgängen innerhalb bestimmter Schulformen (z. B. Assistenten-Bildungsgang in einer Höheren Berufsfachschule) sowie andererseits aus dem Bildungsauftrag der jeweiligen Schulformen. Dieser Bildungsauftrag ist je spezifisch, doch lassen sich drei Schwerpunkte angeben, von denen aus die Besonderheiten einzelner Bildungsgänge begründet werden: Die Berufsschule hat die Aufgabe, eine berufliche Grund- und Fachbildung zu vermitteln und „die vorher erworbene allgemeine Bildung“ zu erweitern (KMK 1991, S. 3).Studienqualifizierende Schulformen (z. B. Berufliches Gymnasium) vermitteln berufsbezogene Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten auf wissenschaftspropädeutischem Niveau.Fachschulen sind Einrichtungen der beruflichen Weiterbildung; sie vermitteln berufliche Fachbildung auf gehobenem Niveau mit ausgeprägtem Praxisbezug. Je nach den Regelungen der Bundesländer vermitteln sie auch die Fachhochschulreife. Das Selbstverständnis der Lehrerschaft an beruflichen Schulen orientiert sich an der Kompetenz zur Erfüllung aller drei Aufgabenschwerpunkte. Darüber hinaus besteht weitgehend Konsens dahingehend, dass die „Fachleute für berufliche Bildung“ ihren Sachverstand zwar vorrangig, jedoch keineswegs ausschließlich auf die beruflichen Schulen ausrichten, sondern Expertenschaft auch in Bezug auf betriebliche Aus- und Weiterbildung, Bildungsorganisation und Bildungsplanung, Entwicklung von Bildungsmedien, Bildungsberatung sowie Berufsbildungsforschung und Innovationstransfer entfalten sollten (BWP 2003, S. 7).

Reinhard Bader
Die Aus- und Weiterbildner in außerschulischen Lernprozessen

Die berufliche Bildung ist so alt wie die formalisierte Berufstätigkeit. Die Weitergabe von beruflichem Wissen und Können diente der Nachwuchssicherung im Beruf und erfolgte zunächst im Rahmen des Arbeitsprozesses bis sie sich immer weiter institutionalisierte. Mit den strukturellen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft und dem immer schneller fortschreitenden technischen Wandel ergab sich jedoch die Notwendigkeit zur Weiterbildung. Im Laufe der Zeit setzte dann eine Entwicklung ein, die bis heute zu einer Trennung von Arbeiten und Lernen geführt hat. Die Qualifizierung durch die Arbeit wurde zunehmend verdrängt durch die Qualifizierung für die Arbeit in Form institutionalisierter, vom Produktionsprozess getrennter Lehr- und Lernprozesse (Ausbildung in betrieblichen bzw. überbetrieblichen Ausbildungsstätten; Weiterbildung in betriebsinternen bzw. -externen Bildungshäusern). Gegenwärtig besinnt man sich wieder auf die Bedeutung des Arbeitsplatzes als Lernplatz und versucht, Arbeiten und Lernen stärker zu integrieren.

Wolfgang Wittwer
Berufliche Sozialisation und berufliches Lernen

Die Überschrift dieses Artikels verbindet drei Ausdrücke, die in verschiedenen Zusammenhängen in verschiedenen Bedeutungen verwendet werden. Hier werden sie wie folgt verstanden: Beruf als Inbegriff spezialisierter Tätigkeiten, deren Ausübungdie Ausbildung besonderer (sensumotorischer und intellektueller) Fähigkeiten und allgemeinerer sozialer Orientierungen (z. B. Kooperationsbereitschaft) voraussetzt undlangfristig, wenn auch nicht immer lebenslang, durch Einkommen vergütet wird;Sozialisation als Entwicklung, d. h. Veränderung oder auch Stabilisierung von Persönlichkeitsstrukturen durch die Auseinandersetzung (Interaktion/Wechselwirkung) mit sozialer sowie sozial gestalteter gegenständlicher Umwelt;Lernen als erfahrungsbedingte Erweiterung des Wissens, Könnens und der Handlungsfähigkeit überhaupt. Ausgehend von diesen Definitionen können schon jetzt einige Beziehungen zwischen den drei Begriffen sowie einigen verwandten Konzepten hervorgehoben werden: Wer einen Beruf ausüben will, muss zuvor etwas Bestimmtes lernen, auch bestimmte Kenntnisse, Fertigkeiten, Strategien, Haltungen, Einstellungen und dergleichen erwerben. Dieses Lernen setzt sich dann während der Berufstätigkeit fort, wenigstens eine zeitlang; im günstigsten Fall lernen die Arbeitenden nie aus. Soweit berufliches Lernen nach pädagogischen Gesichtspunkten gestaltet ist, wird auch von beruflicher Aus- oder Weiterbildung gesprochen; Lernen im Rahmen leistungsorientierter Arbeit wird (Erwerb von) Berufserfahrung genannt.

Wolfgang Lempert
Berufsmotorisches Lernen

Bei einer gekonnten Berufsfertigkeit erfolgt ein komplizierter Bewegungsablauf schnell, sicher, genau und bewegungsökonomisch. Die Arbeit erscheint dem Betrachter entspannt, frei und mühelos. Die Bewegungen sind harmonisch aufeinander abgestimmt. Der Bewegungsausführung liegt eine eigentümliche, fließende Ganzheit zugrunde.

Andreas Schelten
eLearning in der Berufsbildung

In der ersten Auflage des Handbuchs war dieser Beitrag noch mit „Multimediales Lernen“ überschrieben. Einige Jahre zuvor hätte man eher von „Computer-based-Training“ oder „Web-based-Training“ gesprochen. Die vergleichsweise kurzen Verfallsdaten in der Verwendung der Begrifflichkeit nähren die Vermutung, dass es bei dem Thema zunächst weniger um die Bildung von Menschen, sondern primär um die Bildung von Begriffen geht. Vielleicht liegt aber auch nur ein weiteres Beispiel dafür vor, dass die Erziehungswissenschaften noch weit davon entfernt sind, eine konsensuell verwendete Fachsprache zu besitzen.

Dieter Euler, Sabine Seufert, Karl Wilbers

Rahmenbedingungen der Berufsbildung

Frontmatter
Organisation, Recht und Finanzierung der Berufsbildung

Das Wort Berufsbildung wird für verschiedene Sachverhalte verwendet. Aus berufspädagogischer Sicht und zur Eingrenzung der Thematik dieses Beitrages sind vier Definitionen hervorzuheben: (1)Berufsbildung ist eine (normative) Zielkategorie, die in der Spannung von Beruf und Bildung, von beruflicher Tüchtigkeit und beruflicher Mündigkeit berufspädagogisch zu begründen, zu legitimieren und zu konkretisieren ist (vgl. die Beiträge Kap. 1. dieses Bandes; Blankertz 1963/85; Jungkunz 1993; Kell 1991; Lipsmeier 1982).(2)Berufsbildung ist eine (deskriptive) Dimension individueller Entwicklungsprozesse, insbesondere von beruflichen Lern- und Arbeitsprozessen, die mit Bezug auf die in (1) genannte Zielkategorie „Mündigkeit“ als Berufsbildungsprozesse interpretiert werden können (vgl. Kap. 5 in diesem Band; DFG 1990, S. 59ff.; Kell 1989).(3)Berufsbildung ist das Ergebnis (Produkt) solcher Entwicklungsprozesse, z. B. der selbständig planende, durchführende und kontrollierende Facharbeiter, der komplexe Arbeitsaufgaben bewältigen kann (vgl. Kap. 2 in diesem Band).(4)Berufsbildung ist der Oberbegriff für die Organisation beruflicher Lernprozesse (für die institutionelle Struktur) in den drei Bereichen (Stufen): Vorberufliche Bildung (in den Sekundarbereichen I und II), berufliche Erstausbildung im Sekundarbereich II sowie akademische Berufsausbildung im Tertiärbereich) und berufliche Weiterbildung (berufliche Erwachsenenbildung im Quartärbereich). Unter Berücksichtigung dieser vier Definitionen und ihrer wechselseitigen Beziehungen ist der Beitrag auf die Organisation, das Recht und die Finanzierung der nichtakademischen Berufsausbildung im Sekundarbereich II konzentriert.

Adolf Kell
Berufsbildungspolitik

Alle Erhaltungs-, Gestaltungs- und Entwicklungsprozesse des Gemeinwesens sind Ausdruck und Gegenstände von Politik. Für das Gemeinwesen bedeutsame Problem- und Handlungsfelder rufen spezielle Politiken hervor: Außenpolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Gesundheitspolitik, Umweltpolitik, Gesellschaftspolitik, Kulturpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Schulpolitik, Hochschulpolitik, Bildungspolitik, Berufsbildungspolitik usw. Die Nähe der Berufsbildungspolitik zur Schul- und Hochschulpolitik und, deutlicher noch, zur „allgemeinen“ Bildungspolitik ist evident. Die Bildungspolitik ist älter als die Berufsbildungspolitik und war ursprünglich Schulpolitik und/oder Kulturpolitik (Münch 1979, S. 434). Zwar waren schon im 19. Jahrhundert Beruf und Bildung Gegenstand politischer Aktivitäten, man denke an den Verein für Socialpolitik (1875) mit seinem Engagement im Bereich des Lehrlingswesens, aber eine umfassende und nach Aufgabenfeldern, Bedeutung und öffentlichem wie wissenschaftlichem Interesse etablierte Berufsbildungspolitik gibt es erst seit gut 40 Jahren.

Joachim Münch
Geschichte der Berufsausbildung in Deutschland

Eine „Geschichte der Berufsausbildung in Deutschland“ kann, streng genommen, nur im Kontext einer umfassenden Bildungsgeschichte, d. h. unter Einschluss der Entwicklung der sog. „allgemeinbildenden Schulen“ geschrieben werden. Nur auf diese Weise werden alle Facetten der gesellschaftlichen Funktion des beruflichen Bildungswesens über einen längeren Zeitraum hinweg hinreichend deutlich. Doch dies erscheint in Form eines Handbuchartikels allein schon wegen des zu erwartenden Umfanges als nicht durchführbar. Der folgende Text beschränkt sich folglich auf die Geschichte des institutionellen Kerns der beruflichen Ausbildung in Deutschland, auf die historische Entwicklung des sog. „Dualen Systems“, der größten beruflichen Qualifikationsmaschine des deutschen Bildungswesens. Bezüglich der eingangs aufgestellten Forderung kann auf eine einschlägige Untersuchung des Autors verwiesen werden (vgl. Greinert 2003).

Wolf-Dietrich Greinert
Berufsbildung in Entwicklungsländern

In den internationalen Diskursen zur Entwicklungszusammenarbeit lässt sich keine eindeutige und einheitliche Abgrenzung jener Länder ausmachen, die dem Kreis der Entwicklungsländer (Less Development Countries, LCDs) oder der „Dritten Welt“ zuzurechnen sind. Welche ökonomischen, sozialen oder kulturellen Merkmale in die jeweiligen Definitionsversuche Eingang finden, steht in engem Zusammenhang mit den theoretischen Ansätzen zur Erklärung von Unterentwicklung, die entweder als Bündel struktureller Defizite eines Landes oder als Stadium auf dem Weg zur Modernisierung verstanden wird (Kap. 1). Angesichts der Heterogenität regionaler Entwicklungsprozesse hat sich inzwischen die Einsicht in die beschränkte Tauglichkeit genereller entwicklungspolitischer Ansätze durchgesetzt. Ebenso wenig lässt sich ein allgemein gültiges Paradigma formulieren, das den Beitrag von Berufsbildung für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung eines Landes begründet und aus dem sich eine einheitliche Handlungsstrategie für die Berufsbildungshilfe ableiten ließe (Kap. 2). Die Debatten um eine terminologische Klärung des Berufsbildungsbegriffs und um die Formulierung angemessener Konzepte der Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der Berufsbildung entzünden sich vor allem an der Frage nach der Reichweite staatlicher Verantwortung und Regulierung bei der Gestaltung von Berufsbildungsstrukturen (Kap. 3). In der Vergangenheit haben sich weder das Konzept ausschließlich staatlich getragener Berufsbildungsangebote noch die Strategie einer Privatisierung und „Verbetrieblichung“ beruflicher Bildung als erfolgreich erwiesen. Vor dem Hintergrund veränderter Rahmenbedingungen und einer wieder belebten Konzentration der internationalen Entwicklungspolitik auf Armutsminderung als gemeinsame Zielsetzung steht eine Neuorientierung der Berufsbildungszusammenarbeit wieder auf der Tagesordnung (Kap. 4).

Walter Georg
Rechtliche und organisatorische Bedingungen der beruflichen Weiterbildung

Die nachfolgenden Ausführungen über die rechtlichen und organisatorischen Bedingungen der beruflichen Weiterbildung orientieren sich weitgehend an der von Joachim Dikau für die Erstauflage dieses Handbuches entwickelten Gliederungsstruktur (vgl. Dikau 1995). Wenngleich der „Bereich der beruflichen Weiterbildung (als) der entwicklungsdynamischste Sektor der Bildungspolitik“ (Arnold 1997a, S. VII) in Deutschland angesehen werden kann und sich diese Dynamik auch in einer veränderten Gliederung hätte ausdrücken können, waren wir der Meinung, dass sich an den Problemfeldern in der beruflichen Weiterbildung mit ihrer unzureichenden „Systemqualität“ hinsichtlich der Struktur und der Organisation nichts Grundlegendes geändert hat, so dass wir den ursprünglichen inhaltlichen und thematischen Aufbau mit seiner Lesefreundlichkeit übernehmen konnten. In diesem Sinne wollen wir auch den zweiten Teil des Handbuchartikels verstanden wissen. Indem wir in einer längeren Passage begriffliche Veränderungen und ihre Implikationen ausweisen, hoffen wir, die im Feld der beruflichen Weiterbildung auffällige Diffusion und Unübersichtlichkeit sowie ihren Facettenreichtum markieren zu können. Denn vor diesem Hintergrund wird erst verständlich, warum es so schwer fällt, in die Darstellung der Weiterbildungspraxis und ihrer Organisation eine gewisse Systematik zu erzeugen.

Rolf Dobischat, Karl Düsseldorff, Joachim Dikau
Berufliche Aus- und Weiterbildung in Europa

Die Systeme der beruflichen Aus- und Weiterbildung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zeichnen sich im Hinblick auf ihre strukturellen, organisatorischen, historischen und soziokulturellen Merkmale durch eine außerordentliche Heterogenität und Unübersichtlichkeit aus, die noch dadurch verstärkt wird, dass diese Systeme in praktisch allen Mitgliedstaaten ständigen Reformprozessen unterliegen. Die Betrachtung dieser nationalstaatlichen Systeme aus der europäischen Perspektive zwingt dennoch dazu, sich dem Phänomen unter gleichsam universaler Perspektive zu nähern und sozusagen nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen. Eine solche universalistische Betrachtung zielt auf eine zweifache Problemstruktur: Denn erstens müssen die Berufsbildungssysteme trotz aller Heterogenität hinsichtlich ihrer Struktur und Organisation in allen Gesellschaftssystemen sehr ähnliche Aufgaben und Funktionen, insbesondere natürlich jene der arbeitsmarktgerechten Qualifizierung der Menschen, bewältigen. Und zweitens sind — jedenfalls auf der Makro-Ebene — die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Kontextbedingungen der Berufsbildungssysteme durchaus vergleichbar, insofern es sich bei allen Mitgliedstaaten um industrialisierte und modernisierte Gesellschaftsformationen handelt.

Dieter Münk
Qualität und Qualitätssicherung in der Berufsbildung

Heute ist der Begriff Qualität in aller Munde. Er bezeichnet die Güte eine Produktes oder einer Dienstleistung. Diese Güte ist nun aber nicht einfach pauschal am Markennamen oder an der anerkannten Tradition — so etwa „Made in Germany“ oder „Schweizer Qualität“ — bisheriger Leistungen erkennbar. Viel mehr wird Qualität vor Ort, situationsbezogen und von Fall zu Fall bestimmt. Das vor uns Sichtbare wird entsprechend unterschiedlichen Ansprüchen bewertet und je nach dem als zweckmäßig und gut befunden. Denn die Bedürfnisse der Einzelnen, als Nachfrager von Produkten und Dienstleistungen sind vielfältiger geworden. Außerdem ist auch der „gute Ruf“ einer Branche, Firma oder eben auch Institution eine viel prekärere und zeitlich unstabilere Größe als in früheren Zeiten.

Philipp Gonon

Forschung zur Berufsbildung

Frontmatter
Theorieansätze

Der Begriff „Theorieansatz“ ist doppeldeutig. Zum einen steht er für den Versuch, einen bestimmten Sachverhalt in seinen kausalen oder systematischen Vernetzungen hypothetisch oder strukturell zu erschließen (objekttheoretische Bedeutung). Über solche Ansätze im Bereich der Berufsbildungsforschung wird in vielen Kapiteln dieses Handbuchs berichtet. Zum anderen bezeichnet der Begriff „Theorieansatz“ die Grundlage von Objekttheorien, also jene Annahmen, die das Geschäft der Theorieentwicklung als sinnvoll ausweisen sollen (vgl. Opp/Wippler 1990, S. 3–5). So geht alles Sprechen über die Welt außerhalb unseres Bewusstseins davon aus, dass es diese als solche gibt (ontologischer Realismus) und dass sie vom Menschen erkannt werden könne (erkenntnistheoretischer Realismus) — beides Annahmen, die mit beachtlichen Gründen bestritten werden können (vgl. von Kutschera 1982, S. 189–221; zu den Einwendungen vgl. z. B. Maturana/Varela 1990). Auch wenn man jenen Einwendungen nicht folgt, kann man sich leicht in weitere Grundprobleme verstricken. Wer Berufsbildungsforschung betreibt, muss sich etwa fragen lassen, ob und in welcher Weise „Beruf“, „Berufsstruktur“ o. ä. existiert, wie das, was damit bezeichnet wird, zu untersuchen sei, welche praktische Bedeutung eine solche Untersuchung für uns zu gewinnen vermag bzw. von welcher Art ihre Resultate sein müssten, damit wir zur Bewältigung des Alltags der „Berufsbildung“ in unserer Gesellschaft von ihnen profitieren können.

Klaus Beck
Lehr-Lern-Forschung

(1) Der Begriff „Lehr-Lern-Forschung“ wurde systematisch 1974 über das gleichlautende erziehungswissenschaftliche Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft in die deutsche pädagogische Diskussion eingebracht (DFG-Kommission Erziehungswissenschaft 1974, S. 970–972). Ausgangspunkt für die Formulierung dieses Schwerpunktprogramms waren Urteile zu damaligen Entwicklungstendenzen im schulpädagogischen Bereich, die als negativ eingeschätzt wurden: Der Curriculumforschung wurde attestiert, dass sie ihre Aufgaben immer komplexer definierte — was gleichzeitig ihre Handlungsunfähigkeit bewirkte; der Unterrichtstechnologie wurde vorgehalten, dass ihre Spezialisierung kaum mehr einen generalisierungsfähigen Bezug auf Unterrichtsprobleme gestattete.

Frank Achtenhagen
Berufsbildungsforschung

Bis in die 60er Jahre hinein wurden Fragen der Berufsbildung im Rahmen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik vor einem kulturpädagogischen Hintergrund diskutiert. Durchaus als Abgrenzung zu dieser traditionellen Berufs- und Wirtschaftspädagogik etablierte sich in den 60er Jahren eine empirisch ausgerichtete Bildungs- resp. Berufsbildungsforschung (vgl. auch Apsel 1987; Dieckmann 1987). Markierungspunkte dieser Entwicklung sind u. a. (vgl. auch DFG 1990, S. 8ff.): die Einrichtung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin, im Jahre 1963;die Gründung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg, im Jahre 1967;die Einrichtung des Bundesinstituts für Berufsbildung, Berlin (heute: Bonn), im Jahre 19701. Diese Gründungen waren in ökonomisch-kulturelle und politische Prozesse der 60er Jahre eingebunden. Hierzu gehörten u. a.: die so genannte Deutsche Bildungskatastrophe, wie sie in einer Artikelserie von PICHT (1964) bezeichnet wurde, die folgende Kritikpunkte herausstellte: Kulturförderalismus und -dezentralismus, der eine einheitliche Bildungspraxis verhindert, die fehlende Infrastruktur im Bildungsbereich, ein befürchteter internationaler Wettbewerbsnachteil wegen der als fehlend erachteten Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft (vgl. auch Combe/Petzold 1977, S. 13; Becker/Wagner 1977, S. 24–52);die Etablierung der Bildungsökonomie als Übernahme der anglo-amerikanischen „Economics of Education“ (vgl. Edding 1963);die politische Forderung nach „Bildung ist Bürgerrecht“, so der programmatische Titel einer Veröffentlichung von Ralf Dahrendorf (1965);die realistische Wende in der Erziehungswissenschaft, von Roth (1967) gefordert, als Aufruf, sich empirischer Forschungsverfahren zu bedienen und zugleich als Forderung, sich den tatsächlichen Fragestellungen und Problemen der Erziehung zuzuwenden.

Peter F. E. Sloane
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Technische Entwicklung und organisatorischer Wandel, Tertiarisierung und Professionalisierung von Arbeit verändern die Erwerbslandschaft. Dies schlägt sich auch im Bedeutungswandel von Berufen nieder — in der Ausbildung, in den Tätigkeitsmustern, in der Arbeitsorganisation und auf dem Arbeitsmarkt1. Hauptziel dieses Beitrags ist eine Darstellung der Aktivitäten der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die einen engeren Zusammenhang zur Berufsbildung haben; er konzentriert sich auf Übergänge von der Schule ins Erwerbssystem sowie die Veränderung von Qualifikationsstrukturen. Das Hauptaugenmerk gilt dabei dem Beruf in seinen verschiedenen Ausprägungen und seiner Zukunft — die auch in der Berufspädagogik intensiv diskutiert wird (vgl. Quante-Brandt 2003) — als strukturierendem Prinzip für Ausbildungs-, Arbeitsmarkt- und Erwerbsprozesse.

Peter Kupka
Metadaten
Titel
Handbuch der Berufsbildung
herausgegeben von
Rolf Arnold
Antonius Lipsmeier
Copyright-Jahr
2006
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90622-5
Print ISBN
978-3-531-15162-5
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90622-5

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