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2014 | Buch

Soziologische Praxistheorien

Eine Einführung

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Über dieses Buch

Der physische Vollzug der Praxis besitzt, wie wir alle aus bestimmten Situationen etwa im Fußballstadion oder auf Rockkonzerten wissen, eine eigene Qualität, die sich mit den Mitteln bisheriger Sozialtheorien nicht angemessen erfassen lässt. Soziologische Praxistheorien rücken die Frage in den Mittelpunkt, wie diese Qualität begriffen werden kann. Dazu werden spezifische Begriffe und Konzepte benötigt, welche die Einführung systematisch vorstellt. Die gegenwärtig vielschichtig diskutierte Praxistheorie wird dabei erstmals grundlegend systematisiert und im Anschluss an Theoretiker wie Bourdieu und Latour als poststrukturalistischer Materialismus konzeptualisiert.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einleitung: Das Ausgangsproblem einer Soziologie der Praxis
Zusammenfassung
In einem sehr einfachen Verständnis der soziologischen Wissenschaft ist es der Traum einer jeden Soziologie, das, was praktisch geschieht, möglichst angemessen beschreiben und analysieren zu können. Obwohl das mit diesem naiven Traum bezeichnete Problem der Adäquanz wissenschaftlicher Beschreibungen die Soziologie seit ihren Anfängen als wissenschaftliche Disziplin begleitet, haben wir heute, nach mehr als einhundert Jahren soziologischer Forschung, mehr denn je den Eindruck, dass die Qualität der soziologischen Beschreibungen nicht so sehr daran gemessen wird, ob sie die Praxis angemessen erfassen, sondern eher daran, wie abstrakt und formallogisch ausgefeilt sie sind.
Frank Hillebrandt
2. Der Forschungs- und Theoriestil einer Soziologie der Praxis – Studien der Praxis
Zusammenfassung
Soziologien der Praxis entstehen nicht kontextfrei. Sie reihen sich ein in die revolutionären Wandlungsprozesse der sozial- und geisteswissenschaftlichen Theoriebildung und Forschung, die sich im letzten Drittel des 20ten Jahrhunderts ereignen. In dieser Zeit entwickeln sich diverse Theorie- und Forschungsrichtungen, die sich um ein neues Selbstverständnis der Sozialwissenschaften bemühen. Im Zentrum dieser Entwicklung stehen Begriffe wie Kultur, Diskurs, Alltag, symbolische Repräsentation, kulturelle Identität bzw. Differenzierung sowie die Begriffe Praktik und Praxis. Gerade die beiden zuletzt genannten Termini gewinnen in den letzten beiden Dekaden einen zentralen Stellenwert in der Theoriediskussion der Soziologie, weil mit ihnen nicht weniger als ihr Gegenstandsbereich in neuer, kultursoziologischer Weise bestimmt wird. Mit dem Begriff der Praxis wird dabei zuerst auf einen neuen Forschungsstil aufmerksam gemacht, der sich – zunächst sehr einfach ausgedrückt – darum bemüht, das, was tatsächlich geschieht, mit den Mitteln soziologischer Forschungsmethoden einzufangen.
Frank Hillebrandt
3. Die Theoriebezüge einer Soziologie der Praxis – Poststrukturalistischer Materialismus
Zusammenfassung
Praxistheorien zeichnen sich dadurch aus, diverse Theorievorgaben der sozialphilosophischen und soziologischen Tradition für den Zweck der Erforschung von sich situativ vollziehenden Praktiken und Praxisformen zu verwerten. Deshalb sind die Theoriebezüge einer Soziologie der Praxis vielfältig. Theoretische Ideen und Konstrukte, die einer Analyse der Praxis als Vollzugswirklichkeit dienlich sind, werden aufgespürt und weiterentwickelt, andere Konzepte, die sich für eine solche Analyse als hinderlich erweisen, werden verworfen. Wegen dieser Art der Theoriebildung, die weder dogmatisch noch exegetisch verfährt, kann keine Referenztheorie ausgemacht werden, die den Ausgangspunkt aller gegenwärtigen Ansätze zu einer Soziologie der Praxis markiert. Dennoch lassen sich einige Kristallisationspunkte der sozialphilosophischen und soziologischen Theoriebildung benennen, auf die soziologische Praxistheorien regelmäßig Bezug nehmen, um das Forschungsprogramm einer Soziologie der Praxis theoretisch zu fundieren. Der erste dieser wirkmächtigen Bezugspunkte ist der theoretische Marxismus.
Frank Hillebrandt
4. Begriffe und Paradigmen einer Soziologie der Praxis – Reflexive Begriffs- und Theoriebildung
Zusammenfassung
Trotz der Vielfalt der unterschiedlichen am Praxisbegriff orientierten Theorieansätze gibt es, wie die Rekonstruktion ihrer wichtigsten Bezugspunkte im vorstehenden Kapitel bereits deutlich gemacht hat, einige Axiome, die eine soziologische Theorie der Praxis auszeichnen und die ich im vorstehenden dritten Kapitel in fünf Thesen versucht habe zu systematisieren. In diesem vierten Kapitel, dem Hauptteil dieser Einführung in die Praxistheorien der Soziologie, werden diese Konturen des praxistheoretischen Programms mit dem Ziel weiter geschärft, die grundlegenden Begriffe und Paradigmen einer Soziologie der Praxis zu bestimmen. Um diese sich jetzt anschließende Theoriearbeit richtig einzuordnen, möchte ich noch einmal auf das zentrale Ergebnis des zweiten Kapitels hinweisen, dass Begriffe und Theoreme, die zur Bildung von soziologischen Theorien zusammengeführt und in schlüssiger, widerspruchsfreier Weise aufeinander bezogen werden, für soziologische Praxistheorien vor allem Hilfsmittel zum Zweck der soziologischen Forschung sind. Dies entspricht dem Selbstverständnis des praxistheoretischen Soziologiestils, nicht nur logisch konsistente Theoriegebäude über die Sozialität zu entwerfen, sondern vor allem die Erfahrungswirklichkeit der sozialen Akteure mit den Mitteln der soziologischen Forschung einzufangen und soziologisch zu interpretieren.
Frank Hillebrandt
5. Schluss: Perspektiven einer Soziologie der Praxis
Zusammenfassung
Soziologische Praxistheorien zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht zeitlos festgeschrieben werden können, weil dies der Logik der Praxis, also der besonderen Qualität des Vollzugs der Praxis, welche die Praxistheorie erfassen will, nicht gerecht werden würde. Ein scholastisches Theorieprinzip, das ausschließlich an der logischen Konsistenz und hermetischen Schlüssigkeit der Theoriebildung interessiert ist, wird deshalb abgelehnt. Folglich ergibt es sich quasi von selbst, dass die soziologischen Praxistheorien Perspektiven haben, dass sie also weiterentwickelt werden müssen. Sie stehen niemals vollständig fest und können nicht zu allgemeinen Theorien verklärt werden, die ahistorische Gültigkeit beanspruchen, obwohl jedoch bestimmte Axiome, die ich oben (4.6) als Ereignis-, Materialitäts-, Körper-, Ding-, Sinn- und Formationsparadigma hergeleitet habe, schwer hintergehbar sind, wenn eine soziologische Theorie sich als Praxistheorie versteht.
Frank Hillebrandt
Backmatter
Metadaten
Titel
Soziologische Praxistheorien
verfasst von
Frank Hillebrandt
Copyright-Jahr
2014
Electronic ISBN
978-3-531-94097-7
Print ISBN
978-3-531-14999-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-94097-7