Der gesellschaftliche Auftrag des pflegeberuflichen Handelns umfasst präventive, kurative, rehabilitative, palliative und sozialpflegerische Maßnahmen (§ 5, Abs. 2, Pflegeberufegesetz (PflBG), Bundesanzeiger
2017). Berufliche Pflege gilt vor diesem Hintergrund als personenbezogene Dienstleistung mit besonders engem Personenbezug. Mit Hacker (
2009) liegt die große Herausforderung von personenbezogenen Dienstleistungen darin, dass der „Arbeitsgegenstand“ selbst ein Mensch, das „Objekt“ der Dienstleistung also ein „Subjekt“ ist, das als Adressat und auch als Koproduzent in der Dienstleistung von Bedeutung ist. Die Dienstleistungserbringer müssen vor diesem Hintergrund eine „Bearbeitungsbeziehung“ aufbauen, über die die Ziele, die konkrete Ausgestaltung, der Verlauf und die Weiterentwicklung der Dienstleistungsbeziehung immer wieder neu ausgehandelt werden müssen, um die Prozesse erfolgreich zu gestalten (Böhle und Glaser
2006; Böhle et al.
2015). Chase und Garvin (
1989) hatten bereits früh darauf hingewiesen, dass personenbezogene Dienstleistungen grundsätzlich immateriell sind, dem Uno-actu-Prinzip folgen (Produktion und Konsum der Dienstleistung also zusammenfallen) und eine Standardisierbarkeit der Dienstleistung kaum möglich ist. Vor diesem Hintergrund wird personenbezogener Dienstleistung im Kern auch der Charakter einer Interaktionsarbeit zugeschrieben, die ganz zentral aus Elementen der Kooperationsarbeit, der Gefühlsarbeit, der Emotionsarbeit sowie des subjektivierenden Arbeitshandelns besteht – also dem Vermögen, mit Unabwägbarkeiten und Grenzen der Planbarkeit des Handelns umzugehen und diese im praktischen Handeln durch Kommunikation sowie situative und sinnlich fundierte Entscheidungsfindung zu bewältigen (Böhle et al.
2015). Vor besondere Herausforderungen sind dabei jene Dienstleistungsberufe gestellt, die längerfristige, kontinuierliche und unmittelbar auf die Person bezogene Dienstleistungen erbringen – wie etwa im Bereich der Gesundheitsberufe und speziell im Bereich der Pflege (Dunkel und Weihrich
2010). Oevermann (
1996) knüpft die Professionalität des Handelns in Bezügen der personenbezogenen Dienstleistung an das Vermögen der handelnden Akteure, einer doppelten Handlungslogik gerecht zu werden: personenbezogene Dienstleistung ist als systematisches Handeln anzulegen, das seine Begründung einerseits in Bezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse (externe Evidenz) und andererseits im Rückgriff auf die je spezifischen individuellen Präferenzen und Ziele der Hilfeempfänger (interne Evidenz) erhält. Professionelles Handeln in der personenbezogenen Dienstleistung bemisst sich demnach an der Kompetenz von konkreten beruflichen Akteuren, allgemeingültige Regeln auf der Basis eines wissenschaftlichen Wissens handlungspraktisch mit den Besonderheiten des Einzelfalls, also der lebenspraktischen Situation eines Hilfeempfängers, zu vermitteln und Urteile und Entscheidungen auf dieser Basis zu begründen. Die Frage, wie Unterstützungs-, Beratungs- oder auch Pflegebedarf von konkret betroffenen Personen in ihrer individuellen, lebensgeschichtlichen und situativen Besonderheit erlebt werden und welche Normen und Werte dabei von Bedeutung sind, welche Ziele und Präferenzen sich situativ wie perspektivisch ergeben und welche Maßnahmen und Interventionen als angemessen gelten können, ist potenziell in jeder Situation immer wieder aufs Neue zu klären. Diese von der Strukturlogik her alle personenbezogenen Dienstleistungsberufe charakterisierende doppelte Handlungslogik ist mittlerweile auch für den Bereich der beruflichen Pflege ausbuchstabiert und konkretisiert worden (vgl. Weidner
2004; Remmers
2000; Hülsken-Giesler
2014). Demnach ist pflegerisches Handeln subjektivierendes Arbeitshandeln, das sich durch situatives und exploratives Vorgehen in alltags- und lebensweltlichen Kontexten auszeichnet und neben distanzierend kognitiv-rationalen Begründungen auch komplexe sinnliche – also körperlich-leibliche – Wahrnehmungen in die berufliche Entscheidungsfindung einbezieht. Alltagsweltlich generiertes Wissen ist demnach ebenso wie Kommunikations-, Beziehungs- und Gefühlsarbeit von konstitutiver Bedeutung für ein professionelles Pflegehandeln und darf daher keineswegs als Residualkategorie gegen ein ausschließlich rational begründetes Pflegehandeln (etwa im Sinne der externen Evidenz) ausgespielt und aus dem Wissenskanon des professionellen Handelns ausgegrenzt werden. Professionelle Pflege ist damit konstitutiv an der Schnittstelle von (Gesundheits-)System und Lebenswelt (der Hilfeempfänger) zu verorten. Sie kann ihren konkreten (einzelfallbezogenen) Auftrag ausschließlich über eben diese „Doppelseitigkeit“ beziehen und begründen und wird auch ihrer gesellschaftlichen Aufgabe der Vermittlung medizinisch-pflegerisch orientierter Versorgung und sozialpflegerisch orientierter Sorge ausschließlich über eben diese „Doppelseitigkeit“ gerecht.
Die Komplexität der Dienstleistungen erhöht sich dadurch, dass die Perspektive, Pflegearbeit auf die Dyade Helferin/Helfer – Hilfeempfänger zu reduzieren, heute nicht mehr tragfähig ist: Personenbezogene Dienstleistung wird in „kooperativen Dienstleistungssystemen“ erbracht, die das gesamte Umfeld der Dienstleistungserbringung sowie auch die zeitliche Dynamik von Dienstleistungsprozessen zu berücksichtigen haben (Bieber und Geiger
2014; Bienzeisler
2011). Pflegearbeit wird heute in sehr unterschiedlichen (z. B. personellen, räumlichen und zeitlichen) Konstellationen erbracht, die in ihrer zunehmenden Heterogenität etwa über das Konzept der „Pflegearrangements“ beschrieben und analysiert werden (vgl. Blinkert
2007). Verwiesen wird damit z. B. darauf, dass sich neben den klassischen Feldern der pflegerischen Versorgung (stationäre Pflege in unterschiedlichen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, häusliche Pflege, Hospizversorgung) heute zunehmend auch neuere Wohn- und Versorgungskonzepte (etwa Mehrgenerationenhäuser, Wohngruppen, Quartierskonzepte oder komplexere „Caring Communities“) als Rahmungen der Pflege durchsetzen.