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2011 | Buch

Neuroökonomie

Grundlagen – Methoden – Anwendungen

herausgegeben von: Martin Reimann, Bernd Weber

Verlag: Gabler

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Über dieses Buch

Das neue interdisziplinäre Forschungsfeld der Neuroökonomie befindet sich an der Schnittstelle zu Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaften und versucht mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden das Entscheidungsverhalten von Menschen nachzuvollziehen. Die Autoren führen in die Grundlagen der Neuroökonomie ein und machen den Leser mit psychologischen und sozialen Konstrukten, wie z. B. Emotionen, Motiven, Lernen und Entscheiden, vertraut. Darüber hinaus wird Neuroökonomie an Beispielen des Konsumenten- und Investorenverhalten in einen anwendungsnahen Kontext eingebettet. Abschließend werden ethische Aspekte der neuroökonomischen Forschung beleuchtet.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einführung in die Neuroökonomie

Frontmatter
Neuroökonomie - Eine Bestandsaufnahme
Zusammenfassung
Der Homo Oeconomicus als neoklassisches Bild des rational entscheidenden, universell informierten und auf Nutzenmaximierung ausgerichteten Menschen beherrschte – und beherrscht zum Teil noch immer – wirtschaftswissenschaftliche Modelle und Theorien. Diese Sichtweise geriet jedoch in den letzten Jahren und Jahrzehnten – nicht zuletzt durch neue verhaltenswissenschaftliche Ansätze und Arbeiten – in die Kritik. Phänomene wie Verlustaversion (Kahneman & Tversky, 1979) oder Reziprozität (Falk & Fischbacher, 2006; Fehr & Schmidt, 1999) zeigen, dass kontextuelle Informationen und soziale Präferenzen eine bedeutende Rolle im menschlichen Entscheidungsverhalten spielen. Die psychologische und wirtschaftswissenschaftliche Forschung beschäftigt sich bereits seit geraumer Zeit mit dem menschlichen Verhalten in ökonomischen Entscheidungssituationen (z.B. Bechara, 2004; Bechara & Damasio, 2005; Bechara, Damasio, Damasio, & Anderson, 1994; Bechara, Damasio, & Damasio, 2003; Bechara, Damasio, Tranel, & Damasio, 1997; Kahneman & Knetsch, 1991; Kahneman & Tversky, 1979). Seit den 1990er Jahren werden zunehmend auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden, vor allem der Neurowissenschaften, hinzugezogen, um die Zustände und Prozesse innerhalb der „Black Box“ des menschlichen Gehirns vor, während und nach ökonomischen Entscheidungen präziser beschreiben und erklären zu können (C. F. Camerer, 2008; Schilke & Reimann, 2007). Diese Forschung wird unter dem Begriff Neuroökonomie (englisch, neuroeconomics) subsummiert (z.B. C. Camerer, Loewenstein, & Prelec, 2004, 2005). Angrenzende Forschungsgebiete sind die entscheidungswissenschaftlich orientierte Forschung – decision neuroscience – (z.B. Shiv et al., 2005), die konsumentenverhaltensorientierte Neuroökonomie – consumer neuroscience oder neuromarketing – (Kenning & Plassmann, 2008; z.B. Plassmann, O’Doherty, Shiv, & Rangel, 2008; Smidts, 2002; Yoon, Gutchess, Feinberg, & Polk, 2006) sowie die finanzierungswissenschaftlich-orientierte Neuroökonomie – neurofinance (z.B. Kuhnen & Knutson, 2005).
Martin Reimann, Bernd Weber
Eine kleine Neuroanatomie
Zusammenfassung
Eine kleine Neuroanatomie in diesem Buch soll im Prinzip zwei Punkte darstellen, um die letztlich biologische Natur neuroökonomischer Ergebnisse nachzuvollziehen. In der topographischen Neuroanatomie geht es erstens um das Wissen, welche Hirnstrukturen in den Schnittbildern (meist der funktionellen Kernspintomographie) wo liegen, in welchen Hirnregionen eine besondere funktionelle Aktivität zu beobachten ist. Da sich damit alleine die Bilder nicht verstehen lassen, sollen zweitens mit den nachfolgenden Erklärungen die Strukturen in funktionellen Systemen gestellt werden. Diese systematische oder funktionelle Neuroanatomie hat seit der Entwicklung der Kernspintomogaphie in den 70er Jahren (Nobelpreise für Medizin, 2003) faszinierende Einblicke in die sogenannten „höheren“ Hirnfunktionen erlaubt. Dies nicht nur für Mechanismen der Reizwahrnehmung und Informationsverarbeitung, sondern auch psychischer Vorgänge, unbewusster Reizwahrnehmung und – verarbeitung. Dies ist oftmals verbunden mit der Erkenntnis, dass Grundbegriffe „fachferner“ Wissenschaften wie z.B. der Linguistik, Psychologie, Soziologie und eben auch der Ökonomie tatsächlich eine Entsprechung in lokalisierbaren Hirnfunktionen haben, die Theorie damit auf ein objektivierbares, neuroanatomisches Substrat gestellt werden kann. Es sind damit eine ganze Reihe interdisziplinärer Wissenschaftszweige mit der Vorsilbe Neuro- entstanden.
Amin Derouiche
Methoden der Neuroökonomie
Zusammenfassung
Die Methoden der kognitiven Neurowissenschaften, welche ihren Einzug und ihre Verwendung in die experimentall-ökonomische Forschung gefunden haben sind vielfältig. Eine Darstellung der genauen Funktionsweisen einzelner Methoden würde den Rahmen und den Fokus dieses Buches sprengen. Hierzu möchte ich auf einschlägige Werke, wie z.B. “Methoden der Bildgebung in der Psychologie und den kognitiven Neurowissenschaften” (L. Jäncke et al., 2005) oder “Cognitive Neuroscience” (Gazzaniga et al., 2008) verweisen. Dieses Kapitel soll einen kurzen Überblick über verschiedene häufig verwandte Methoden, ihre Vor- und Nachteile und vor Allem auch ihre Grenzen geben.
Bernd Weber

Intrapersonale Aspekte der Neuroökonomie

Frontmatter
Emotionsregulation - Strategien, neuronale Grundlagen und Altersveränderungen
Zusammenfassung
Sei es die Angst vor Abrutschen der Aktienkurse, der Ärger über die jüngste Erhöhung der Gaspreise, die Trauer angesichts der im Spendenaufruf erwähnten Erdbebenopfer, oder das Bedauern nach dem Kauf oder Nicht-Kauf eines Produktes – ökonomische Entscheidungssituationen sind häufig mit Emotionen verbunden. Die Erkenntnis, dass Emotionen ökonomisches Verhalten beeinflussen, wird in der Verhaltensökonomie zunehmend akzeptiert (Bechara & Damasio, 2005; Kenning & Plassmann, 2005). Personen handeln in vielen ihrer Entscheidungen nicht rational, sondern werden getrieben von ihren Vorlieben und Ängsten, von Zielen und Präferenzen, selbstdienlichen Verzerrungen und Illusionen, kurz, von ihren emotionalen Reaktionen auf Reize in ihrer Umwelt.
Susanne Scheibe
Perzeptuelle Entscheidungsfindung
Zusammenfassung
Sie haben sich mit Freunden verabredet um Ihre neueste Veröffentlichung zu feiern. Während Sie in der verabredeten Kneipe warten, spielen Sie an einem Flipperautomaten. Ins Spiel versunken verfolgen Sie konzentriert die metallene Kugel um zum richtigen Zeitpunkt mit einem Druck auf den linken oder rechten Hebel die Metallkugel im Spiel zu halten, damit diese im Spielfeld bleibt. Besonders ist an diesem Flipperautomat, dass Sie einen Betrag gewinnen können, der umso größer wird, je länger Sie die Kugel im Spiel halten. Sie spielen erfolgreich, sollte die Kugel noch einige Momente länger im Spiel sein, könnten Sie eine Runde ausgeben. Sie verfolgen die Kugel mit dem Ziel, genau zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung zu treffen um einen Gewinn zu erhalten. Dieses Beispiel illustriert den Untersuchungsgegenstand der perzeptuellen Entscheidungsfindung in den Neurowissenschaften. Untersucht werden Hirnprozesse und Hirnregionen, in denen sensorische Wahrnehmungen (hier die sich auf dem abschüssigen Spielfeld bewegende Kugel) aufgenommen werden, die Evidenz für Handlungsoptionen berechnet wird (welchen Flipperhebel es zu drücken gilt, links oder rechts) und basierend darauf eine Entscheidung getroffen wird (cf. Heekeren, Marrett, & Ungerleider, 2008).
Hauke Heekeren, Nikos Green

Interpersonale Aspekte der Neuroökonomie

Frontmatter
Neuronale Mechanismen sozialer Kognition
Zusammenfassung
Die Fähigkeit, mit anderen Personen in einen interaktiven Austausch zu treten, gehört zu den wesentlichen kognitiven Ausstattungsmerkmalen des Menschen und kann spekulativ sogar als Ausgangspunkt unserer kulturellen Entwicklung angenommen werden. Eine wesentliche Komponente dieser Leistungen, die verbal oder nonverbal vermittelt sein können, ist die Fähigkeit, anderen Personen „innere“ Zustände oder Erlebnisse zuzuschreiben. Diese Leistungen sind in den letzten Jahren auch zentraler Forschungsgegenstand der kognitiven Neurowissenschaft geworden. Unter der Annahme der Naturalisierbarkeit dieser Leistungen hat sich hier das Forschungsprogramm der sozialen Neurowissenschaft etabliert. Funktionell hirnbildgebende Verfahren zeigen, dass besonders der medial präfrontale und der superior temporale bzw. temporoparietale Cortex wesentlich mit diesen sozial kognitiven Leistungen assoziiert sind. Damit steht eine Methodologie zur Verfügung, die es nun auch erlaubt, die Diversität sozialer Informationsverarbeitung in den Blick zu nehmen, die sich beispielsweise aus psychopathologisch relevanten Grenzzuständen oder kultureller Variabilität ergeben kann.
Kai Vogeley, Gary Bente
Soziale Präferenzen
Zusammenfassung
Zwei gelehrte Herren an des Kaisers Hof, der Martin Ruhland, der das perpetuum mobile anfertigte, und der Italiener di Giorgio, der die großen parabolischen Spiegel schliff, die lägen miteinander im Streit, weil jeder von den beiden sich einbilde, der andere empfange für seine Dienste ein höheres Relutum als er selbst, und wenn sie einander in den Weg liefen, so gäben sie einander mehr Ehrentitel als das deutsche und das welsche Alphabet zusammen Buchstaben habe, da käme es von der einen Seite: “Betrüger ! Hansnarr! Lumpenhund! Hurenbock!” und von der anderen “Birbone! Furfante! Mascalzone! Furbo!“, und dabei bliebe der Kaiser dem einen wie dem anderen seit Jahren das umstrittene Relutum schuldig.
Klaus Fließbach

Anwendungen der Neuroökonomie

Frontmatter
Neuronale Korrelate von nutzenbasierten Entscheidungen
Zusammenfassung
Jährlich werden in globalen Wirtschaftssystemen Güter im Werte von mehreren tausend Billionen von US $ gehandelt (o.V., 2009). Solche makro-ökonomischen Entscheidungsprozesse lassen sich aus einer mikro-ökonomischen Perspektive auf nutzenbasierte Austauschprozesse vereinfachen, bei denen Individuen oder Gruppen von Individuen einem Produkt oder einer Dienstleistung einen subjektiven Wert oder Nutzen zuschreiben (Nutzen und Wert werden der einfachheithalber im Folgenden synonym verwendet). Dieser psychologische Prozess ist die Grundlage für eine Vielzahl von ökonomischen Entscheidungsprozessen von der Auswahl einer Speise im Restaurant, über Personalauswahl bis zu Anlageentscheidungen an Finanzmärkten. Die Neuroökonomie ist eine relativ junge Disziplin (Camerer et al., 2004; Glimcher et al., 2009; Kenning&Plassmann, 2005), welche sich zunächst grundlegend mit neuronalen Korrelaten von nutzenbasierten Entscheidungen beschäftigt, und insbesondere damit, welche neuronalen Netzwerke unterschiedliche Nutzenkonstrukte und -systeme kodieren (Rangel et al., 2008). Ziel ist es, eine biologisch haltbare Theorie darüber zu entwickeln, wie Menschen Entscheidungen treffen; diese Theorie sollte sowohl in den Natur- als auch in den Sozialwissenschaften angewendet werden können. In diesem Bereich treffen Modelle, Instrumente und Methoden aus verschiedenen Disziplinen aufeinander:
Hilke Plassmann
Neurobiologische Grundlagen von Konsumverhalten
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit dem neuroökonomischen Teilgebiet Consumer Neuroscience. Dessen Gegenstand ist die Integration und der Transfer neurowissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden in die Konsumentenverhaltensforschung. Bis dato war die klassische Konsumentenverhaltensforschung in Ermangelung entsprechender Methoden darauf angewiesen, intrasubjektive Prozesse zu rekonstruieren. Durch die in den Neurowissenschaften etablierten bildgebenden Verfahren wird nun ein direkterer Einblick in diese Vorgänge auf neuronaler Ebene möglich. Daraus folgt, dass bestehende Theorien nun auf neurobiologischer Ebene getestet werden können. Zudem wird die Integration (neuro)biologischer Variablen - über Hormone bis hin zu genetischen Faktoren - in die Konsumentenverhaltensforschung möglich. Es ist eher unwahrscheinlich, dass hierdurch keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden können. Vor diesem Hintergrund werden im vorliegenden Beitrag einige Ergebnisse ausgewählter Studien aus dem Bereich Consumer Neuroscience vorgestellt. Diese werden entsprechend dem Marketing-Mix strukturiert. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Markenforschung. Weiterhin wird auf spezifische Gehirnstrukturen eingegangen, die für die Consumer Neuroscience von großer Bedeutung sind. Abschließend erfolgt eine Diskussion möglicher Implikationen der Erkenntnisse für die wirtschaftswissenschaftliche Theorie und Praxis. Dabei wird deutlich, dass die Consumer Neuroscience sehr stark vom Einsatz der fMRT geprägt ist und sich derzeit noch im Entdeckungszusammenhang befindet. Deduktive Studien sind eher die Ausnahme. Auch mangelt es bisher an einem integrierten theoretischen Konzept. Dessen Struktur deutet sich in den Variablen Belohnung, Bestrafung und Entscheidung aber an.
Mirja Hubert, Peter Kenning
Neurofinance – Geldverarbeitung im Gehirn
Zusammenfassung
Die relativ jungen Erkenntnisse der Neuroökonomieforschung haben bereits heute die Sichtweise vieler Manager und Marketingexperten verändert. Der Homo oeconomicus verliert aber nicht nur in Managementkreisen an allmächtigem Glanz, auch in den Massenmedien ist die Irrationalität des Menschen ein mit Interesse verfolgtes Thema. Auch wenn die praktischen Bezüge der Neuroökonomieforschung erst in den nächsten Jahrzehnten ihre volle Blüte erreichen werden, bringen sie bereits heute grundlegende Einsichten über den Menschen im wirtschaftlichen Umfeld hervor. Eines der sich rasant entwickelnden Anwendungsgebiete im Bereich der Neuroökonomie ist die Neurofinance. Dieses Fach befasst sich mit der wissenschaftlichen Analyse von Handelsverhalten auf Finanzmärkten und macht sich dazu neueste neurowissenschaftliche Methoden und Technologien zu Nutze. (Edwards, 2004)
Corinna Bürger, Bernd Weber
Wie ästhetisches Produktdesign zur Markendifferenzierung beitragen kann
Zusammenfassung
Produktdifferenzierung durch Verpackungsdesign ist einer der letzten effektiven Faktoren, der zur Markendifferenzierung beitragen kann. Jedoch ist bislang wenig über die psychologischen und neuronalen Mechanismen von Verpackungsdesign bekannt. Dieser Beitrag integriert die Literatur aus der psychologischen und neurowissenschaftlichen Ästhetikforschung und entwickelt Forschungsprämissen für die weitere Forschung zu Verpackungsdesign. Schließlich wird ein kurzer Ausblick für die weitere Forschung zu Produktdesign gegeben.
Thomas Bender, Martin Reimann

Ethische Aspekte

Frontmatter
Ethik der Neuroökonomie
Zusammenfassung
Ethik findet – so im Allgemeinen, Unverbindlichen – jeder gut. Doch wird es einmal konkret und geht es hart auf hart, dann gilt Ethik in manchen Kreisen und bei manchen Themen schnell wieder oder immer noch als langweilige Spielverderberin und lästige Nein-Sagerin, die dann, wenn schon alles geplant ist und endlich zur Ausführung kommen könnte, den Zeigefinger und gewichtige Bedenken erhebt, womöglich noch die gesamte Aktion im Namen des Guten und Richtigen verbieten zu wollen. Ethik wäre also im besten Falle ein notwendiges Übel, etwas, für das man sich zwar irgendwie Zeit nehmen sollte, dass aber insgesamt eher lästig fällt, ein Hindernis darstellt und den Fortschritt hemmt.
Michael Zichy
Metadaten
Titel
Neuroökonomie
herausgegeben von
Martin Reimann
Bernd Weber
Copyright-Jahr
2011
Verlag
Gabler
Electronic ISBN
978-3-8349-6373-4
Print ISBN
978-3-8349-0462-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-8349-6373-4