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2000 | Buch

Ostdeutsche Verwaltungskultur im Wandel

Selbstbilder von Kommunalverwaltern 1992 und 1996 im Vergleich

verfasst von: Karsten Rogas

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung

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Über dieses Buch

Nach der Übertragung der Rechts- und Verwaltungsordnung der Bundesre­ publik auf die neuen Bundesländer hatten jene Verwaltungsangestellten, die übernommen wurden, Regeln zu erlernen, die ihnen in den Details, und vielfach auch in den Grundprinzipien, bis dahin weitgehend unbekannt wa­ ren. Es war zu erwarten, daß vielen ein mühsamer und verunsichernder Lernprozeß bevorstand, in welchem sich auch die horizontalen und die ver­ tikalen Sozialbeziehungen am Arbeitsplatz veränderten - Veränderungen die ihrerseits in sozialer Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen kommentiert und bewertet wurden. Natürlich wurden die Beschäftigten im Laufe der Zeit sicherer im Umgang mit den neuen Regeln und ihren verän­ derten Handlungsspielräumen. Es entstanden neue Routinen, neue Selbst­ verständlichkeiten und neue Formen von Solidarität und Konflikt. Die neue Verwaltungskultur konnte aber selbst dort keine einfache Übernahme westlicher Muster sein, wo es zu persönlicher Anleitung und vertrauensvollen Nachfragen gekommen war. Vielmehr wurden die im We­ sten gültigen Regeln auf dem Hintergrund anderer Gewohnheiten, anderer Erfahrungen, anderer genereller und spezifischer Erwartungen anders in die alltägliche Lebenswelt des Arbeitsplatzes eingepaßt, als im Westen. Um die identischen formellen Regelwerke entwickelte sich somit ein je unter­ schiedlicher Alltag. Natürlich spielte hier auch die Wahrnehmung des Ost­ West-Verhältnisses eine wichtige Rolle. Denn in den neuen Bundesländern war dies Verhältnis eine Art Leitmotiv, das fast alle Veränderungen beglei­ tete.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung
Zusammenfassung
Mit dem Ende der DDR wurden, angelehnt an Vorbilder der alten Bundesländer, die Kommunalverwaltungen der nun „neuen“ Bundesländer umstrukturiert. Gleichsam über Nacht sollten die Verwaltungsbeschäftigten sich in einem für sie neuen Verwaltungssystem, mit anderen Strukturen und veränderten Verfahrensweisen, zurechtfinden. Sie mußten neue Rechtsnormen anwenden und veränderte Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Die kulturelle Dimension dieser Verwaltungstransformation steht im Zentrum dieser Arbeit. Die Untersuchungsfrage lautet: Welches kollektive Selbstverständnis haben die Kommunalverwalter in dieser Situation entwickelt und wie zeitlich stabil ist es?
Karsten Rogas
1. Organisationskultur
Zusammenfassung
Welches kollektive Selbstverständnis haben die Beschäftigten in kommunalen Verwaltungen der neuen Bundesländer? Wie deuten sie ihre Verwaltungswirklichkeit? Bei der Untersuchung dieser Fragen lasse ich mich von der Annahme leiten, daß die gemeinsamen Erfahrungen in der DDR Einfluß auf die heutige Wahrnehmung der Rolle als Verwaltungsbeschäftige haben.1 Ob es einen solchen Einfluß gibt und wenn ja, ob er zu spezifischen Unterscheidungen führt und wie stabil oder instabil die so konstruierten Sinnwelten über die Zeit sind, ist Gegenstand der folgenden Untersuchung. Im Zentrum dieser Arbeit steht dabei nicht die gewählte politische Führungsspitze. Das Interesse richtet sich auf die Ebenen darunter, auf das Selbstverständnis der in einer Stadtverwaltung beschäftigten Sachbearbeiter, Gruppenleiter und Amtsleiter, die im folgenden auch als „Verwalter“ bezeichnet werden. Für Funktionsbezeichungen, wie zum Beispiel Mitarbeiter, Sachbearbeiter, Gruppenleiter oder Amtsleiter, wird dabei nur die männliche Form verwendet. Dies mag nicht fortschrittlich sein, diskriminierend ist es in keinem Fall gemeint.
Karsten Rogas
2. Verwaltungskulturforschung im ostdeutschen Transformationsprozeß
Zusammenfassung
Einstellungen und Orientierungen der Verwaltungsbeschäftigten in Landes- und Kommunalverwaltungen der neuen Bundesländer wurden in zahlreichen empirischen Studien erforscht.14 In der Mehrzahl sind diese Studien allerdings auf die Befragung von Führungskräften beschränkt. Offene Zugänge zu den Sicht- und Deutungsweisen der Verwalter, worunter im folgenden die in öffentlichen Verwaltungen Beschäftigten verstanden werden, sind selten anzutreffen. Im Sinne ihres offenen Zugangs als Ausnahme zu werten ist die bereits Ende 1989 begonnene Gemeindestudie von Berking und Neckel (1991, 1992) sowie die bereits Anfang 1990 und 1991 durchgeführten Befragungen von Führungskräften in Kommunalverwaltungen von Bernet und Lecheler (1990, 1991), von Osterland und Wahsner (1991) und die 1992 mit Sachbearbeitern und Amtsleitern von Sozial- und Wohnungsämtern durchgeführte Befragung von Brand, Maggioni und Stein (1994). Im Unterschied zu diesen vergleichsweise offen durchgeführten Studien basiert das Gros der empirischen Forschung jedoch auf standardisierten Befragungen. So die recht früh als Ost-West-Vergleichsstudie angelegte Befragung von Verwaltungsführungskräften des Berliner Senats und Magistrats von Schröter und Reichard (Schröter: 1992, 1995, Reichard/Schröter: 1993a, 1993b) und die 1994 bis 1995 durchgeführte empirische Untersuchung zu Einstellungen und Werten von leitenden Ministerialbeamten in den Landesregierungen von Brandenburg und Sachsen (Möller 1996, Damskis 1996, 1997 und Damskis/Möller 1997). Auch die kommunale Verwaltung stand im Fokus der Verwaltungsforschung. Eine frühe Studie zu den Demokratieauffassungen von Amtsleitern in einem Berliner Bezirksamt stammt von Berg, Harre und Möller (1992). Umfangreich untersucht wurden die Kommunalverwaltungen auch von Studien, die unter der Ägide der Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern (KSPW) erstellt wurden. Auch diese Studien basieren überwiegend auf standardisierten Befragungen von Führungskräften unterschiedlicher kommunaler Verwaltungen in den neuen Bundesländern (Reinhold/Schubert 1992, Chitralla 1992, Wollmann/Berg 1994, Berg/Nagelschmidt/Wollmann 1996). Richteten die bisherigen Studien (ausgenommen die von Brand u.a.) ihr Augenmerk lediglich auf Einstellungen und Orientierungen von Führungskräften, so beziehen zwei Studien auch die untere Ebene der Hierarchie in ihre Untersuchung mit ein: So die Fallstudie zur Verwaltungskultur in einer brandenburgischen Kommunalverwaltung von Höhner (1992) und die als Ost-West-Vergleichsstudie angelegte Befragung von Verwaltern in Berliner Bezirksämtern von Beckers und Jonas (Beckers/Jonas 1993, 1994a, 1994b). Neuere Studien richten sich stärker auf die Akzeptanz von Reformprojekten zur Verwaltungsmodernisierung (vgl. z.B. Lutz/Wegrich 1996), womit sich ein (vorläufiges?) Ende der auf eine ostdeutsche Verwaltungskultur ausgerichteten Forschung abzeichnet.15 Keine der bisher genannten Studien untersucht, wie zum Beispiel Schröter ausdrücklich fordert, die Entwicklung des Selbstverständnisses der Verwaltungsbeschäftigten im Zeitvergleich (1995: 289). Diese Arbeit will einen Beitrag dazu leisten, diese Lücke zu schließen.
Karsten Rogas
3. Methoden
Zusammenfassung
Wie deuten die Beschäftigten in Kommunalverwaltungen der neuen Bundesländer ihre berufliche und organisationale Wirklichkeit, welches kollektive Selbstverständnis entwickeln sie dabei und wie stabil sind ihre Deutungen über die Zeit? Zur Beantwortung dieser Frage habe ich einen zeitlichen Vergleich anhand einer Fallstudie gewählt. Eine Fallstudie ermöglicht es, exemplarisch die Perspektiven der Organisationsmitglieder auf ihre Organisation zu analysieren.21 Als Fallstudie ausgewählt wurde die Stadtverwaltung Frankfurt (Oder). Frankfurt (Oder) ist eine im Land Brandenburg gelegene kreisfreie Stadt mit rund 86.000 Einwohnern.22 Zu DDR-Zeiten war Frankfurt (Oder) Bezirkshauptstadt und besonders durch sein Halbleiterwerk bekannt. Jetzt ist Frankfurt (Oder) eines der vier Oberzentren im Land Brandenburg, eine sich entwickelnde Messe- und Universitätsstadt an der Grenze zu Polen. Doch auch Frankfurt (Oder) ist, wie fast alle Regionen in den neuen Bundesländern, stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Das Halbleiterwerk hat inzwischen als Arbeitgeber keine Bedeutung mehr für die Region.
Karsten Rogas
4. Vom „Rat der Stadt“ zur „Stadtverwaltung Frankfurt (Oder)“
Zusammenfassung
Bevor anhand der Auswertung der leitfadengestützten Interviews das kollektive Selbstverständnis der Mitarbeiter rekonstruiert wird, soll zunächst die Entwicklung der Stadtverwaltung in Frankfurt (Oder) skizziert werden. Den Ausgangspunkt bildet ein Rückblick auf kommunale Aufgaben und auf die Struktur der Stadtverwaltung in der DDR, des sogenannten „Rates der Stadt Frankfurt (Oder)“, sowie auf die Qualifikation der Mitarbeiter.34 Es schließt sich eine Beschreibung des Umbruchs, des gewandelten rechtlichen Rahmens und der veränderten Aufgaben und Anforderungen an die Organisation und ihre Mitarbeiter an. Den Abschluß bilden die bis ins Jahr 1996 reichenden organisatorischen und personellen Veränderungsprozesse der Stadtverwaltung Frankfurt (Oder).35
Karsten Rogas
5. Deutungen 1992
Zusammenfassung
Nach diesem kurzen Überblick über die Veränderungen in den Aufgaben und die personelle und organisatorische Entwicklung der Stadtverwaltung Frankfurt (Oder) wird im folgenden das Selbstverständnis der interviewten Kommunalverwalter dargestellt. Zunächst werden dabei die Deutungen der Befragten aus dem Interviewzeitraum 1992 präsentiert. Sie sind nach Themen gegliedert: das Selbstbild im Umgang mit dem Bürger (Kapitel 5.1), das Bild vom Bürger (Kapitel 5.2), das Selbstbild als Vorgesetzter (Kapitel 5.3), die Sicht der Unterstellten auf das Verhältnis zum Vorgesetzten (Kapitel 5.4) und das Bild von sich im Umgang mit den eigenen Kollegen (Kapitel 5.5). Anschließend werden die Deutungen mit den vier Jahre später verwendeten Selbstbildern verglichen (Kapitel 6).
Karsten Rogas
6. Deutungen 1996
Zusammenfassung
Im folgenden Kapitel wird gezeigt, daß sich das Selbstverständnis der interviewten Kommunalverwalter im Umgang mit dem Bürger nicht verändert hat: Wie schon 1992 betonen die Interviewten auch vier Jahre später, daß das Engagement für den Bürger im Zentrum ihres Selbstverständnisses stehe. Für die Beschreibungen von Selbstbildern sind die kollektiv verwendeten Vergleichshorizonte von entscheidender Bedeutung (vgl. Kapitel 1). Auch 1996 benutzen die Verwalter dieselben Horizonte, um ihr Selbstbild davon abzuheben: Das Bild des distanzierten und nur auf die korrekte Anwendung seiner Vorschriften bedachten Verwalters aus den alten Bundesländern dient den Interviewten als Kontrast, vor dem sich ihr Selbstbild als auf den Bürger orientierte Verwalter positiv abhebt. Wie 1992 knüpfen die Interviewten auch vier Jahre später an DDR-Zeiten an: Die Orientierung auf den Bürger seien sie aus DDR-Zeiten gewohnt. Wie 1992 befürchten die interviewten Verwalter auch 1996 eine zunehmende Angleichung an das Bild, das sie von den Kollegen in den alten Bundesländern haben.
Karsten Rogas
7. Kontinuität und Diskontinuität
Zusammenfassung
Erfahrungen von Mitgliedern einer Kultur werden, wie Erfahrung überhaupt, durch Wahrnehmungsschemata organisiert. Nur mit Hilfe dieser sozial geprägten und erlernten Kategorien lassen sich Ereignisse überhaupt erst erfassen und interpretieren (vgl. Goodenough 1981). Den Mitgliedern einer Kultur dienen diese Unterscheidungen und die sie begleitenden Zuschreibungen zur Konstruktion und Deutung ihrer Wirklichkeit. Diese Sinnkonstruktionen können ihrerseits — deutend — vom Forscher erfaßt werden (vgl. Schütz: 1971). Einige Organisationskulturforscher befinden sich in einer vergleichbaren Tradition, wenn sie kleinere und weniger abgeschlossene kulturelle Einheiten mit Blick auf die in ihnen von den Organisationsmitgliedern selbst verwendeten Sinn- und Bedeutungsstrukturen untersuchen. So untersucht Van Maanen (1973, 1977) das Selbstverständnis von Polizeischülern und Gregory (1983) das Berufsverständnis von Technikern und Softwarespezialisten. Ziel dieser Art von Untersuchungen ist es, die von den Beschäftigten selbst für die Beschreibung und Deutung ihrer Realität benutzten Unterscheidungen und Typisierungen aufzuspüren und nicht durch solche zu ersetzen, die von außen, also vom Forscher, herangetragen werden. Dabei müssen die Unterscheidungen im Hinblick auf den durch sie vermittelten Sinnrahmen interpretiert werden (vgl. auch Smircich 1983a, 1983b, Pettigrew 1979, Geertz 1995a bzw. Kapitel 1).
Karsten Rogas
Backmatter
Metadaten
Titel
Ostdeutsche Verwaltungskultur im Wandel
verfasst von
Karsten Rogas
Copyright-Jahr
2000
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-663-10977-8
Print ISBN
978-3-8100-2523-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-663-10977-8