Skip to main content

2022 | Buch

Polizei als lernende Organisation

Systemisches Polizeimanagement in Planungspraxis, Entscheidungsfindung und Handlungsoptionen

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

Ist das Polizeimanagement lernfähig? Wie äußert sich das in seinem strategischen und operativen Handlungsumfeld? Und: Welchen Einfluss haben institutionell gewachsene Automatismen darauf? Die Polizei als flexible und adaptive Einsatzorganisation ist mit komplexen dynamischen Handlungsfeldern, Risiken und Gefährdungspotenzialen konfrontiert. Neben der täglichen Routinearbeit kommen Demonstrationen, Amokläufe, terroristische Anschläge hinzu. Die Polizei als lernende Organisation sollte daher stets auf unerwartete Ereignisse und sicherheitsrelevante Entwicklungen vorbereitet sein, um sie frühzeitig zu erkennen und folgenarm zu bewältigen. Anhand von drei praktischen Fallbeispielen wird untersucht, ob und wie operative Polizeieinsätze systemorientiert nach Kriterien der lernenden Organisation ablaufen können und wo Verbesserungspotenziale für unerwartete und kritische Situationen möglich oder notwendig sind.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Einleitung
Zusammenfassung
Am Anfang stand eine Irritation über die förmlich ins Auge springende Diskrepanz zwischen offiziellem Selbstverständnis und alltäglicher Realität; oder um es anders auszudrücken: zwischen öffentlicher Fremdwahrnehmung auf die Organisation der Polizei und der offensichtlich zunehmend größeren Schwierigkeit, polizeiinterne Probleme und kritische Vorfälle in einem guten selbstreflexiven Vermögen auch lösungsorientiert zu überprüfen und zu bearbeiten. Dadurch wird der thematische Raum im Bereich des organisationalen Lernens für die Polizei geöffnet, der interessante Einblicke in die organisationalen Strukturen und individuellen Verhaltensreaktionen erlaubt.
Jan-Philipp Küppers

Grundlagen der lernenden Organisation

Frontmatter
Kapitel 2. Was ist eine lernende Organisation
Zusammenfassung
Was ist eine lernende Organisation? Um diese Frage zu beantworten, ist es zweckdienlich, sich zunächst mit der Frage zu beschäftigen, was eine Organisation ist. Wir sind tagtäglich von Organisationen umgeben, die in unserer postmodernen Welt eine immer wichtigere Rolle zu spielen scheinen, und doch bleiben sie uns oftmals nur schemenhaft in Erinnerung. Organisationen nehmen in einer zunehmend komplexer werdenden Welt eine unterstützende Funktion ein. Mit ihrer Hilfe erreichen wir Dinge effizienter und effektiver, die wir ohne Organisation nie oder deutlich schwerer erreichen würden. Warum die Polizei als Organisation existiert, lässt sich vor dem Hintergrund des staatlichen Auftrags ablesen, zuverlässig die Innere Sicherheit und Ordnung des Landes zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang werden auch Netzwerkorganisationen betrieben, in denen mehrere unterschiedliche Institutionen in sog. Kooperations- und Kommunikationsplattformen zu einem bestimmten Zweck miteinander kooperieren.
Ob dies gelingt und die Polizei eine lernende Organisation ist, hängt von den Menschen ab, die in ihr arbeiten. Organisationale Rahmenbedingungen, wie gewachsene Strukturen und ihren routinierten Arbeitsabläufen werden nicht unabhängig von den individuellen Denk-, Lern- und Entscheidungsprozessen verstanden. Sie bedingen sich vielmehr wechselseitig und können dabei Nutzen entfalten und das Lernen fördern. Sie können auch im Gegenteil das Lernen so beeinflussen, dass individuelles und organisationales Lernen blockiert bzw. behindert wird. Das Verständnis des Begriffs organisationales Lernen ist demnach nur über seine Abgrenzung zu individuellen Lernprozessen zu verstehen, die als Vorbedingung für organisationales Lernen anzusehen sind. Lernen ist keine Gewähr dafür, dass auch die Organisation etwas lernt, – aber ohne die Offenheit des individuellen Lernens gibt es auch keine lernende Organisation.
Jan-Philipp Küppers
Kapitel 3. Vom polizeilichen Umgang mit Problemen und Risiken
Zusammenfassung
Die Polizei hat es bei Bewältigung ihrer vielfältigen alltäglichen Aufgabenwahrnehmung mit einfachen, komplizierten und komplexen Problemen zu tun, die polizeiliches Handeln notwendig machen. Einfache Probleme wie eine routinemäßig durchgeführte Anzeigenaufnahme besitzen eine geringe Zahl von Einflussgrößen und Verknüpfungen. Sie sind relativ überschaubar und zeichnen sich durch eine gewisse lineare Kausalität in einer sogenannten Wenn-Dann-Logik aus, die eine Sicherheit über das Ergebnis und möglicher Folgen zulässt. Komplizierte Probleme zeichnen sich hingegen durch eine Vielzahl an verschiedenen Einflussgrößen aus, die vergleichsweise stark miteinander verknüpft sind, aber sich im zeitlichen Verlauf kaum bis gar nicht verändern. Sie bleiben aufgrund ihrer geringen Dynamik prognostizier- und planbar. Die logistische Herausforderung für einen Großeinsatz der Polizei und der damit verbundene Koordinierungsaufwand ist schlichtweg zu kompliziert, als ihn routinemäßig zu bearbeiten. Komplexe Problemlagen folgen hingegen einer anderen Logik. Als allgemeine Merkmale komplexer polizeilicher Handlungssituationen lassen sich Intransparenz, Dynamik, Vernetzung, Unvollständigkeit und Rückkopplung identifizieren. Komplexe Probleme sind durch viele verschiedene, stark verknüpfte Einflussgrößen charakterisiert, deren Interaktionen sich laufend verändern und dabei im Zeitablauf immer in neuen Mustern und Konstellationen auftreten. Komplexe Einsatzlagen verweisen also auf Kausalzusammenhänge, die nur schwer polizeitaktisch zu identifizieren und zu quantifizieren sind. Dadurch besteht eine prinzipielle Unsicherheit über den Ausgang des polizeilichen Planungs- und Entscheidungsprozesses für den Einsatz, auch oder gerade weil jedes dieser Merkmale im Zusammenspiel potenzielle Risikopotenziale in sich birgt. Damit die Polizei auch in dynamischen und komplexen Einsatzlagen dennoch handlungsfähig ist, muss sie die Komplexität der Umstände reduzieren, was sich nicht ohne Nebeneffekte vollzieht. Insbesondere komplexe Probleme werden dabei polizeitaktisch nur selten auch nachhaltig gelöst. Mitunter werden sie durch vermeintliche Problemlösungsansätze sogar noch verstärkt.
Eine große Herausforderung für polizeiliches Handeln spielt neben hochkomplexen Lagebildern auch das Vordringen von systemischen Risiken. Diese ergeben sich aus der Tatsache, dass die Welt und damit auch ihre komplexen Probleme zunehmend enger vernetzt sind. Diese Freizügigkeit als Herausforderung für den praktischen Handlungsrahmen der Polizei ist nicht nur anfälliger für Probleme, sondern insbesondere auch komplexer, unübersichtlicher und verwundbarer. Die Schwierigkeit besteht darin, dass Risikopotenziale sich gegenseitig bedingen und die Auswirkungen zu gegenseitigen Abhängigkeiten führen können, ohne dass diese klar für die Polizei als Gefahr und Risiko erkennbar ist. Die Auseinandersetzung mit systemischen Risiken als Beitrag eines präventiv steuernden Risikomanagements zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der Polizei sollte mehr als bisher in Betracht gezogen werde, um komplexe und übergreifende Risiken besser abschätzen und letztlich steuern zu können. Dafür wird ein aus der Risikoforschung entwickeltes Konzept der Risiko Governance als integrativer Ansatz auf die taktische und strategische Planung im Kontext der konkreten Polizeiarbeit abgebildet.
Jan-Philipp Küppers
Kapitel 4. Hybride Schlüsselkonzepte für eine lernende Organisation
Zusammenfassung
Vor dem Hintergrund einer systemtheoretischen Betrachtungsweise werden im Kap. 4 drei hybride Schlüsselkonzepte für das Lernen in Organisation, das organisationale Lernen vorgestellt. Nur in einem gemeinsamen systemtheoretischen Bezugsrahmen aus akteurszentrierten und organisationstheoretischen Ansätzen – organisationales Lernen, Systemdenken und achtsames Organisieren – können soziale Prozesse innerhalb der Organisation der Polizei ganzheitlich erklärt und die vielfältigen sozialpsychologischen Aspekte mitberücksichtigt werden. Dadurch sollen Rückschlüsse auf organisationsorientierte Lernanstrengungen und Entwicklungen der Polizei gezogen werden, die als Organisation ein soziales Gebilde der Denk- und Interaktionsweisen ihrer Mitglieder ist. Dieser Schritt scheint zweckdienlich, wenn man sozialisierte Denk- und Verhaltensweisen innerhalb der Polizeiorganisation verändern will, präziser: Konkrete Strukturen und Abläufe in einem Gesamtzusammenhang zum Besseren wandeln möchte, muss man sie zunächst verstehen und erfassen. Die Herausforderung besteht heute darin, dass die Denk- und Interaktionsmuster zwischen Menschen, Strukturen und Prozessen von über Jahre gewachsenen Organisationen im Allgemeinen und im Speziellen bei der Polizei kaum erkennbar sind und im Verborgenen ablaufen. Das wiegt umso schwerer, wenn man bedenkt, dass sie die Voraussetzungen für Abwehrreaktionen und Lernhemmnisse sein können, die notwendige Wandlungsprozesse erschweren. Die Schlüsselkonzepte werden dabei auf das vorherrschende Managementsystem der Polizei und ihre Denk- und Interaktionsweisen übertragen, wobei der praxisorientierte Fokus auf unterschiedliche polizeiliche Handlungspraxen dabei im Vordergrund der Auseinandersetzung steht.
Jan-Philipp Küppers

Eine kurze Einführung in die Organisation der Polizei

Frontmatter
Kapitel 5. Rechtliche Grundlagen, Dienstvorschriften und Leitfäden der Polizei
Zusammenfassung
Die Polizeien der Länder und des Bundes sind der wesentliche Garant für die Innere Sicherheit. Als Träger des staatlichen Gewaltmonopols unterliegt die Polizei einer umfassenden öffentlichen Kontrolle. Die vielfältiger werdenden polizeilichen Aufgaben und Kompetenzen sind dabei gesetzlich geregelt. Laut Grundgesetz besteht die Aufgabe der Polizei in der Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit. Als Grundlage für polizeiliche Handlungskontexte gelten einheitliche Regelungen, die sich in zahlreichen Polizeidienstvorschriften (PDV) und Leitfäden (LF) ausdrücken. Diese verbindlichen Regelungen mit Weisungscharakter (PDVs) sowie Verhaltensrichtlinien und Handlungsanweisungen mit hauptsächlich empfehlendem Charakter soll den Polizeikräften in der Führung und im Einsatz wirkungsorientierte Handlungssicherheit geben.
Jan-Philipp Küppers
Kapitel 6. Strukturen, Abläufe und Funktionen
Zusammenfassung
Jede Organisation besteht aus einem Geflecht aus Strukturen, Abläufen, Prinzipien und Grundlagen, die Lösungen von Aufgaben bestimmen. Davon ist die Polizei als Organisation nicht ausgenommen, die in ihren Strukturen und Prozessen in vielerlei Hinsicht einer klassischen bürokratischen Organisation folgt. Damit die Polizei ihre vielfältigen und anspruchsvollen Aufgaben adäquat bewältigen kann, wurde eine organisatorische Teilung des Entscheidungsprozesses (Arbeitsteilung) vorgenommen. Ausgehend von der dauerhaften Allgemeinen Aufbauorganisation (AAO), in der alle verwaltungstechnisch anfallenden polizeilichen Aufgaben des täglichen Dienstes wahrgenommen und bewältigt werden können, wird die zeitlich begrenzte Organisationsform der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) vorgestellt, die bei besonders komplexen und umfangreichen Einsatzlagen umgehend mit Führungsstab eingerichtet wird und die AAO entlasten soll. Abschließend werden die polizeilichen Einsatz- und Führungsstäbe beschrieben, die als erprobtes und bewährte Organisationsstruktur als Instrument für die Bewältigung komplexerer und hochdynamischer Schadenslagen eine herausgehobene Führungsrolle spielen. Zur Verdeutlichung werden die AAO und BAO auf polizeiliche Handlungskontexte grafisch dargestellt.
Jan-Philipp Küppers

Stakeholder-Kommunikation mit Planungs- und Beteiligungsprozessen für den Einsatz

Frontmatter
Kapitel 7. Externe Stakeholder: Politik, Zivilgesellschaft und Social Media
Zusammenfassung
Die Polizei hat es in ihren alltäglichen Handlungspraxen mit vielfältigen externen Stakeholdern (Anspruchsgruppen) zu tun, die entweder auf polizeiliche Arbeitseinsätze proaktiv Einfluss nehmen können oder passiv durch getroffene polizeiliche Entscheidungen von ihr beeinflusst sind. Je nach Einsatzlage, die es zu bewältigen gilt, muss sich die Polizei auf wechselnde und unterschiedlichste externe Stakeholder einlassen, deren Einfluss- und Machtpotenziale kontinuierlich im Zusammenhang zum Einsatz gesehen werden müssen. Dies spricht auch die Ebene des reflexiven Urteilens polizeilichen Handelns an. Dabei gehen Stakeholder-Beziehungen über reines Eigeninteresse hinaus und spielen eine zentrale Rolle für das Gelingen und Scheitern bei den Kernaufgaben und -aktivitäten der Polizei. Durch eine frühzeitige und umfassende Auseinandersetzung mit den Erwartungen der jeweiligen Stakeholder kann die Erfolgswahrscheinlichkeit von polizeitaktischen Maßnahmen erhöht werden. In der Auseinandersetzung zwischen der Polizei und externen Stakeholdern wird ein Stakeholder-Management als Management von Beziehungen zu Anspruchsgruppen, insbesondere vor dem Hintergrund der zeitgemäßen Vernetzung und des weltweiten Einsatzes von digitalisierten Kommunikations- und Informationsformen, für die polizeitaktische und strategische Ausrichtung immer bedeutsamer. Der wachsenden Bedeutung von neuartigen digitalen Kommunikationsformen liegt jedoch ein ambivalentes Verhältnis zwischen Nutzen und Risiken zugrunde, auf das sich die Polizei einlassen muss, um Handlungsautonomie zu gewährleisten. Nicht selten lässt sich in der veränderten Kommunikation durch digitale Medien ein spannungsgeladenes Verhältnis zwischen einsatzbegleitender Kommunikation im polizeitaktischen Sinne und der öffentlichen Berichterstattung ableiten.
Jan-Philipp Küppers
Kapitel 8. Kommunikation, Interaktion und Information
Zusammenfassung
Auf der Ebene Kommunikation entscheidet sich Erfolg und Misserfolg der Organisation der Polizei bzw. des polizeilichen Einsatzhandelns. Ein zentraler Grundsatz der Kommunikationswissenschaft lautet: Es ist nicht möglich, nicht zu kommunizieren. Folglich gibt es auch keine Sicherheit ohne Kommunikation. Die polizeiliche Kommunikationsfähigkeit hat eine nachhaltige Wirkung in der alltäglichen Handlungspraxis der Polizeiarbeit. Polizeiliches Einsatzhandeln ist immer auch kommunikatives Handeln, das vor diesem Hintergrund nicht nur einen deeskalativen Ausgleich für konfliktreiche Einsatzsituationen anbieten kann, sondern auch Dreh- und Angelpunkt der lernenden Organisationsgestaltung ist. Innerhalb der Organisation der Polizei interagieren Menschen in den verschiedensten Beziehungen miteinander. Die zwischenmenschliche Kommunikation findet zwischen Kollegen zu Vorgesetzten, zwischen Führungsstab und Polizeiführer und nach außen zum polizeilichen Gegenüber sowie zu anderen BOS statt, wobei stets Informationen ausgetauscht werden. Wie letztlich kommuniziert wird und ob sie gelingt, ist von allen Beteiligten abhängig. Dazu stellen Kommunikationswissenschaftler – Shannon und Weaver, Lasswell, Watzlawick und Schulz von Thun – eine Auswahl an verschiedenen Modellen zur Verfügung, die aufeinander aufbauen und sich ergänzen. Die Auswirkungen von Kommunikation sind im Arbeitsalltag der Polizei mit der Frage nach dem Konfliktpotenzial eng verbunden. Treten ungelöste Kommunikationsstörungen mit dem polizeilichen Gegenüber auf – ein Mangel an gegenseitiger Kommunikation, – können daraus schwerwiegende konfliktträchtige Situationen, mitunter teufelskreisähnliche Beziehungsdynamiken im Einsatzhandeln der Polizei entstehen. Dabei kann es sich um ungelöste Wahrnehmungs- und Verständigungsprobleme oder strukturelle Ursachen handeln, die auch bei optimal verlaufender Kommunikation ihre Wirkungen weiterhin ausüben. Nicht zuletzt aus polizeitaktischen Gründen ist es daher zweckdienlich, sich mit verständigungsorientierten Kommunikationsprozessen intensiver zu befassen, um kooperative Verfahren der Konfliktbewältigung durch Verhandlungen zu nutzen. Dabei dürfte ein kooperatives Handeln durch den Einbezug von relevanten und an der Sache interessierten Stakeholdern zu größerer Akzeptanz und positiver Außenwirkung für polizeiliche Handlungspraxen führen. Für die Polizeiarbeit wird damit das Wissen von einsatzbezogenen Kommunikationsbeziehungen relevant, wie sie ablaufen und einen signifikanten Einfluss auf das Einsatzgeschehen nehmen können und letztlich um das passende situationsgerechte Kommunizieren wählen zu können.
Jan-Philipp Küppers

Polizei im praktischen Einsatzhandeln

Frontmatter
Kapitel 9. Praktische Fallbeispiele
Zusammenfassung
Retrospektiv werden drei praktische Fallbeispiele des polizeilichen Handlungsalltags aus systemischer Sicht betrachtet, die sich hinsichtlich ihrer zeitlich planbaren Handlungssicherheit unterscheiden. Die Fallbeispiele zur Massenpanik auf der Loveparade in Duisburg 2010 (Fallbeispiel 1) und zum G20-Gipfel in Hamburg 2017 (Fallbeispiel 3) sind planbare Einsatzlagen, wohingegen die Amoktat in München 2016 (Fallbeispiel 2) eine ad hoc eingetretene Einsatzlage darstellt. Alle drei polizeilichen Einsatzlagen weisen dabei im Entwicklungsprozess von zeitkritischen Extremsituationen eine sehr hohe Dynamik und Komplexität auf. Diese sind mit Unsicherheiten, Ungewissheiten und Risiken für die Führungskräfte sowie für die Polizeikräfte vor Ort und den taktischen Planungs- und Entscheidungsprozess für den Einsatz verbunden.
Zum besseren Vergleich ist jedes der Fallbeispiele nach den drei gleichen Punkten untergliedert: Beschreibung des besonderen Lagebildes, Identifikation der Stakeholder und Wirkungsnetz, Erkenntnismatrix und Interpretation. Diese Unterteilung ermöglicht es, die relevanten externen Stakeholder der Polizei und ihre Interessen und Motive zu identifizieren, die maßgeblichen Einfluss auf das weitere Einsatzgeschehen und damit auf grundlegende Fragen der Einsatzplanung (Kräftedisposition, polizeitaktische Aufstellung u. a. m.) nehmen können. Die Darstellung von Wirkungsnetzen zeigt auf Grundlage der systemrelevanten Schlüsselkomponenten (Einflussgrößen), die Wirkungsverläufe auf, wie in den Fallbeispielen Planungen, Handlungen der Akteure und Ereignisse miteinander verknüpft sind. Deren dynamische komplexe Beziehungen werden dadurch im System „Einsatzlage“ deutlicher als bislang geschehen erkannt. Die Erkenntnismatrix zeigt, wie sich ein Ereignis möglicherweise entwickeln könnte und positioniert die Einflussgrößen entlang einer Vier-Felder-Erkenntnismatrix. Dabei ist die reine grafische Darstellung einer qualitativen Analyse ohne die jeweilige Analyse (Interpretation) der Wirkungsbeziehungen nur eine erste Näherung.
Jan-Philipp Küppers

Empfehlungen für die Praxis

Frontmatter
Kapitel 10. Reflexionen über eine lernende und adaptive Organisation der Polizei
Zusammenfassung
Einsatzvor- und Nachbereitungen von polizeilichen Einsätzen sind unverzichtbare Bestandteile auf dem Weg zu einer lernenden Organisation. Mithilfe eines neuen zirkulären Schemas zur Einsatzvor- und Nachbereitung für das taktische und nicht-taktische Handeln lassen sich polizeiliche Einsatzlagen bzw. einzelne polizeiliche Maßnahmen darin nach gut verlaufenden (Akzeptanz), ungünstig und fehlerhaft verlaufenden, aber verbesserungsfähigen (Toleranz) und schlecht verlaufenden Handlungen (Neuerung) bewerten und in die polizeiliche Nachbereitung der polizeilichen Einsätze überführen.
Aus der Vergangenheit zu lernen, das eigene Tun zu beobachten und die daraus gewonnenen Erkenntnisse für zukünftige Absichten zu nutzen, ist nachvollziehbar, jedoch oftmals schwer umsetzbar. Hierbei geht es darum, die richtigen Schlüsse aus bereits abgeschlossenen Einsätzen und Vorkommnissen zu ziehen, um besser vorbereitet zu sein für künftige Einsätze (Lessons learned). Anhand der drei Fallbeispiele – Loveparade, Amoktat und G20 – wird dargestellt, wie ein professionelles polizeiliches Handeln, basierend auf vorangestellten Grundlagen und Prinzipien einer lernenden Organisation praktisch aussehen können.
Im Kontext der Polizei als lernende Organisation wird sich anschließend drei zentralen Begriffen – Sicherheit, Resilienz und Nachhaltigkeit – definitorisch angenähert, die erst in ihrem Zusammenwirken ein grundlegendes Verständnis einer inter- und transdisziplinären Sicherheitsforschung ermöglichen. Abschließend werden in prägnanter Weise vier konstitutive und erweiterbare Kriterien zur Verwirklichung der Polizei als lernende Organisation vorgestellt.
Jan-Philipp Küppers
Kapitel 11. Resümee und Ausblick – Ist die Polizeiorganisation lernfähig?
Zusammenfassung
Das Resümee fast fünf Hauptanliegen des Buches zusammen. Ein Ausblick betont das Spannungsverhältnis zwischen theoretischen Grundlagen und Modellen einerseits und berufsspezifischen polizeilichen Handlungsmustern andererseits. Der Weg der Polizei zur lernenden Organisation ist mit vielen strategischen Veränderungsprozessen gepflastert und gesäumt von Lernanstrengungen und Abwehrreaktionen. Ihn zu beschreiten ist für die Organisation der Polizei herausfordernd, – aber nichtsdestotrotz notwendig für eine nachhaltige Sicherheitsgewährleistung des Landes.
Jan-Philipp Küppers
Backmatter
Metadaten
Titel
Polizei als lernende Organisation
verfasst von
Jan-Philipp Küppers
Copyright-Jahr
2022
Electronic ISBN
978-3-658-35131-1
Print ISBN
978-3-658-35130-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-35131-1