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1997 | Buch | 3. Auflage

Sachenrecht

verfasst von: Prof .Dr. iur. Dr. h.c. Hans Josef Wieling

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

Buchreihe : Springer-Lehrbuch

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Über dieses Buch

Das Sachenrecht ist ein zentraler Bereich der zivilrechtlichen Examensvorbereitung. Alle mit dem Recht der beweglichen Sachen sowie dem Grundstücksrecht in Verbindung stehenden Prinzipien werden auf der Grundlage historischer Entwicklung in einem systematischen Zusammenhang vermittelt. Der gesamte Lehrstoff ist auf studentische Bedürfnisse zugeschnitten und enthält Argumentationshilfen für die jeweiligen Gründe. Dieses Lehrbuch bietet dem anspruchsvollen Anfänger und Fortgeschrittenen eine hervorragende Unterstützung, den schwierigen Stoff anschaulich und tiefgehend zu bewältigen. Der Autor hat das Buch verbessert, überarbeitet und dem aktuellsten Stand der Rechtsprechung und Literatur angepasst.

Inhaltsverzeichnis

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Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

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§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

a) Die geschlossene Darstellung des Sachenrechts als einer einheitlichen Materie geht auf den römischen Schuljuristen Gaius im 2. Jh. n. Chr. zurück, der sein Lehrbuch in drei Teile einteilte: Der erste Teil enthielt das Personen- und Familienrecht (personae), der zweite das Sachen- und Erbrecht (res), der dritte Teil das Schuldrecht (actiones). Seit dem Pandektenrecht des 19. Jh. unter der Führung der historischen Rechtsschule setzt sich dieses System allgemein durch, wobei der „Allgemeine Teil“ hinzukommt.

Hans Josef Wieling

Sachen

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§ 2. Sachen

a) Das Sachenrecht befaßt sich nur mit körperlichen Dingen, nur an ihnen gibt es Besitz und dingliche Rechte. Das BGB bezeichnet die körperlichen Dinge mit dem terminus technicus „Sachen“ und definiert in § 90 Sachen als „körperliche Gegenstände“1. Gegenstand ist also der Oberbegriff, er umfaßt alles, was Rechtsobjekt sein kann, z.B. auch Rechte.

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Besitz an Sachen

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§ 3. Einleitung in das Recht des Besitzes

Besitz ist gemäß allgemeiner Ansicht die tatsächliche Herrschaft über eine Sache. So wie der Eigentümer das Recht hat, mit der ihm gehörigen Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen (§ 903, 1), so ist der Besitzer dazu tatsächlich in der Lage. Vom Besitz völlig zu trennen ist die Frage nach dem Recht zum Besitz: Ob jemand als Eigentümer, Mieter, Verwahrer berechtigt ist, die tatsächliche Sachherrschaft auszuüben, spielt für die Tatsache des Besitzes keinerlei Rolle. Auch der Dieb, Räuber, Unterschlagende ist Besitzer, obwohl er ein Recht zum Besitz nicht hat. Die Vermengung von Besitz und Recht zum Besitz ist ein häufig vorkommender Fehler.

Hans Josef Wieling
§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

Ausgangspunkt der Besitzlehre ist der unmittelbare Besitz. Das Gesetz definiert den Begriff des Besitzes nicht; da der Besitz eine soziale Tatsache ist, kann grundsätzlich auch nur die Verkehrsanschauung darüber entscheiden, wer Besitz hat.

Hans Josef Wieling
§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

Der Besitzschutz ist in den §§ 858–864 geregelt, doch ist zu beachten, daß der gesamte Abschnitt von §854 bis §872 nur den Besitz als Voraussetzung des Besitzschutzes regeln soll1; hier ist also nicht derjenige Besitz geregelt, der Voraussetzung eines Rechtserwerbs ist2. Der Besitzschutz der §§ 858 ff. wird possessorischer Besitzschutz genannt, weil in ihm ausschließlich die possessio, der Besitz, geschützt ist, ganz unabhängig von jedem Recht zum Besitz. Das Recht zum Besitz ist hier also völlig außer Betracht zu lassen! Am besten macht man sich diesen Besitzschutz klar, wenn man sich als Geschützten einen Besitzer vorstellt, der keinerlei Recht zum Besitz hat, z.B. also einen Besitzer, der die Sache durch Raub, Diebstahl oder Unterschlagung erlangt hat. Ein solcher Besitzer ist nach den §§ 858 ff. in seinem Besitz grundsätzlich gegen jede Störung geschützt, mag sie auch vom Eigentümer ausgehen.

Hans Josef Wieling
§ 6. Mittelbarer Besitz

Der mittelbare Besitz hat sich aus der possessio des römischen Vermieters, Verpächters usw. entwickelt. Nach römischer Verkehrsanschauung stand die tatsächliche Sachgewalt nicht dem Mieter, Pächter, Verwahrer usw. zu, sondern dem Vermieter. Der Mieter hatte eine dem heutigen Besitzdiener vergleichbare Stellung. Dagegen betrachtete die germanische Verkehrsanschauung den Mieter usw. als Inhaber der tatsächlichen Gewalt. Mit der Rezeption stieß das römische Recht, das auf der römischen Verkehrsanschauung beruhte, mit der germanischen Verkehrsanschauung zusammen. Beide behielten im gemeinen deutschen Recht ihre Bedeutung. Die germanische Verkehrsanschauung setzte sich durch, indem man dem Mieter usw. die tatsächliche Gewalt zuerkannte. Er wurde possessorisch geschützt durch eine aus dem kanonischen Recht stammende actio ex canone, die „Spolienklage“. Der Vermieter, obwohl nicht mehr als Inhaber der Sachgewalt angesehen, behielt den römisch-rechtlichen Besitzschutz. Zu seinen Gunsten wurde eine Sachgewalt fingiert. Es gab somit einen zweifachen Besitz, den Besitz kraft Verkehrsanschauung und den fiktiven Besitz kraft Geschichte. Das BGB hat diese Regelung im wesentlichen übernommen.

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Anhang: § 7. Besitz an Dienstbarkeiten

Während das römische Recht einen Besitz nur an Sachen zuließ, kannte das germanische und kanonische Recht auch einen Besitz an Rechten, wenn diese regelmäßig ausgeübt wurden. Ein solcher Rechtsbesitz war unabhängig davon, ob das Recht wirklich bestand. Das BGB kennt einen Rechtsbesitz nur noch an Dienstbarkeiten, § 1029.

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Eigentum an beweglichen Sachen

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§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

a) Die gesamte Rechtsordnung hat das eine Ziel, die Würde des Menschen zu schützen und ihm die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zu garantieren. Menschliche Selbstverwirklichung ist nicht möglich ohne einen Lebensraum und ohne Dinge, über welche der Mensch frei bestimmen kann: Eigentum ist nichts anderes als die menschliche Freiheit bezogen auf eine Sache. Eigentumsschutz ist Persönlichkeitsschutz. Das Grundgesetz garantiert die Freiheit seiner Bürger und schützt daher ihre Persönlichkeit und ihr Eigentum sowie auch das Privateigentum als Institution, Art. 14 I 1. Dabei verwendet es den Ausdruck „Eigentum“ in einer untechnischen Weise, indem es darunter nicht nur das Eigentum im Sinne des Zivilrechts versteht, sondern alle vermögenswerten Rechte2.

Hans Josef Wieling
§ 9. Eigentumserwerb vom Berechtigten

§ 929, 1 enthält den Grundtatbestand des abgeleiteten Eigentumserwerbs, von welchem das Gesetz ausgeht: Das Eigentum wird erworben durch Einigung über den Eigentumsübergang sowie durch Übergabe der Sache. Das Gesetz entscheidet sich damit einmal für das Trennungsprinzip und gegen das Vertragsprinzip. Nach dem Vertragsprinzip, das z.B. im französischen Recht anerkannt ist, reicht für die Übereignung das Grundgeschäft (Kauf usw.) aus, das Eigentum geht schon mit dem Kaufvertrag über. Nach dem Trennungsprinzip ist zur Übereignung ein eigenes Übereignungsgeschäft erforderlich. Das Gesetz entscheidet sich in § 929, 1 weiter für das Traditionsprinzip: Die Übereignung fordert grundsätzlich eine Übergabe der Sache, eine dingliche Einigung reicht nicht aus. Es entscheidet sich schließlich zugunsten des Abstraktionsprinzips1 gegen eine kausale Übereignung, d.h. der Eigentumserwerb ist unabhängig von der Existenz oder Wirksamkeit des Grundgeschäfts. Hieraus ergibt sich ferner, daß der Eigentumsübergang von der Kaufpreiszahlung unabhängig ist.

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§ 10. Erwerb vom Nichtberechtigten

Das Eigentum gibt dem Eigentümer einen Anspruch auf Herausgabe, § 985. Hat er die Sache aus seinem Besitz verloren, so kann er sie von jedem, der sie besitzt, heraus-verlangen: Vindikationsprinzip. Dieser Anspruch macht die Stärke des Eigentums aus, gefährdet aber auf der anderen Seite die Sicherheit des Rechtsverkehrs: Wer eine Sache erworben hat, muß jederzeit damit rechnen, daß ein Dritter sich als Eigentümer legitimiert und ihm die Sache wegnimmt. Das BGB hat die Schärfe des Vindikationsprinzips dadurch erheblich abgeschwächt, daß der Erwerber auch von einem Nichteigentümer Eigentum erwerben kann, wenn er gutgläubig ist (§§ 932–934, 936), es sei denn, daß die Sache abhandengekommen ist, § 935. Die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs stärkt die Verkehrssicherheit, schwächt aber andererseits die absolute Geltung des Eigentums. Dieser vermittelnden Lösung des BGB geht in einer langen geschichtlichen Entwicklung eine Vielzahl von Versuchen voraus, die Interessen des Eigentümers und die der Verkehrssicherheit zufriedenstellend zu regeln.

Hans Josef Wieling
§ 11. Originärer Eigentumserwerb

Die Ersitzung dient der Sicherheit des Rechtsverkehrs, sie war im römischen und gemeinen Recht von großer Wichtigkeit. Heute jedoch spielt sie nur noch eine relativ bescheidene Rolle, da ein sofortiger gutgläubiger Erwerb gemäß den §§ 932 ff. möglich ist. Eine Ersitzung kommt z.B. in Betracht, wenn gutgläubiger Erwerb wegen § 935 nicht möglich ist oder wegen Unwirksamkeit der dinglichen Einigung (Erwerb vom Geschäftsunfähigen) oder wegen völligen Fehlens einer Übereignung (Erbe hält eine geliehene Sache für eine Nachlaßsache).

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§ 12. Schutz des Eigentums

Das Eigentumsrecht gibt dem Eigentümer einen Herausgabeanspruch gegen den unrechtmäßigen Besitzer. Mit der Herausgabe der Sache ist das Verhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer häufig jedoch noch nicht bereinigt. Hat der Besitzer die Sache beschädigt oder verspätet herausgegeben, so kommen Schadensersatzansprüche in Betracht. Hat der Besitzer Nutzungen aus der Sache gezogen, so ist zu prüfen, ob dem Eigentümer Herausgabe- oder Ersatzansprüche zustehen. Umgekehrt können dem Besitzer gegen den Eigentümer Ansprüche zustehen, weil er Aufwendungen auf die fremde Sache gemacht hat. Solche Ansprüche hat das Gesetz als Nebenansprüche zum Herausgabeanspruch in den §§ 987– 1003 geregelt.

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Beschränkte dingliche Rechte an beweglichen Sachen

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§ 13. Verdinglichte Rechte

a) Im römischen und gemeinen Recht gab es an Mobilien nur zwei dingliche Rechte: Pfand und Nießbrauch. Anderen Fremdbesitzern wie Mietern oder Pächtern wurde kein dingliches Recht zuerkannt. Völlig verschieden davon war das germanisch-deutsche Rechtssystem: Es verdinglichte die Position eines jeden Besitzers einer beweglichen Sache, der ein Recht zum Besitz hat. Das ALR übernahm weitgehend diese Prinzipien 1: Jeder, der ein persönliches Recht zum Besitz hatte und aufgrund dessen den Besitz erlangte, erwarb ein dingliches Recht an der Sache2. Wer eine Sache gekauft hatte und den Besitz vom Verkäufer erwarb, wurde Eigentümer; wer eine Sache mietete und den Besitz vom Vermieter erhielt, wurde Inhaber eines dinglichen Mietrechts. Ein solcher Fremdbesitzer war gegenüber jedermann zum Besitz berechtigt und hatte daher den gleichen Rechtsschutz wie ein Eigentümer, ALR I 7 § 161. Man verstand die Klage als eine Erweiterung der actio Publiciana3, aber auf dem deutschen Recht beruhend.

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§ 14. Der Nießbrauch

a) Der Nießbrauch ist das dingliche Recht, die Nutzungen der Sache zu ziehen, § 1030 I, also die Sache zu gebrauchen und Früchte zu ziehen, § 100. Der Nießbrauch umfaßt grundsätzlich alle Nutzungen, er kann nicht auf bestimmte Nutzungsarten eingeschränkt werden; wohl aber ist es möglich, bestimmte Nutzungen vom Nießbrauchsrecht mit dinglicher Wirkung auszunehmen, § 1030 II. Der Nießbraucher ist berechtigt, sämtliche Früchte zu ziehen; an den unmittelbaren Rechtsfrüchten (natürlichen Früchten) erwirbt der Nießbraucher mit der Trennung Eigentum, § 954, selbst wenn er nicht im Besitz der Hauptsache ist1.

Hans Josef Wieling
§ 15. Das Pfandrecht

a) Das BGB kennt als vertragliches Pfandrecht nur das Besitzpfand, die Mobiliarhypothek ist grundsätzlich abgeschafft1. Dennoch hat der Gesetzgeber in einigen Fällen besitzlose Pfandrechte zugelassen, um besonderen Bedürfnissen abzuhelfen; so kann etwa der Pächter eines landwirtschaftlichen Grundstücks das ihm gehörende Inventar (= Zubehör) ohne Besitzübertragung verpfänden, vgl. §§ 1 ff. Pachtkreditgesetz2. Auch von Gesetzes wegen können besitzlose Pfandrechte entstehen, wie etwa das Vermieter-pfandrecht, vgl. unten VIII a.

Hans Josef Wieling
Anhang: § 16. Nießbrauch und Pfandrecht an Rechten

„Dingliche Rechte“ an Rechten sind strenggenommen ein Fremdkörper im Sachenrecht, doch werden sie schon seit dem römischen Recht kraft Sachzusammenhangs bei den dinglichen Rechten an Sachen behandelt1.

Hans Josef Wieling
§ 17. Die Anwartschaft des Vorbehaltskäufers

Anwartschaften sind Erwerbsaussichten, also die begründete Erwartung, ein Recht zu erwerben. „Anwartschaft“ ist keineswegs ein fester juristischer Begriff, es gibt Anwartschaften der verschiedensten Art, mit mehr oder weniger sicherer Erwerbsaussicht, und jede dieser „Anwartschaften“ folgt ihren eigenen Regeln. Die Anwartschaft des Vorbehaltskäufers ist ein dingliches Recht besonderer Art, für welches sich feste Regeln entwickelt haben; nur von dieser Anwartschaft ist im folgenden die Rede.

Hans Josef Wieling
§ 18. Das Sicherungseigentum

Die Lehre vom Sicherungseigentum gehört zu den am meisten vernachlässigten Kapiteln unserer Rechtsordnung. Der Gesetzgeber hat es übergangen, Wissenschaft und Rechtsprechung ist es nicht gelungen, ein einheitliches Rechtsinstitut zu schaffen. Die Lehre vom Sicherungseigentum setzt sich zusammen aus einer Reihe sich widersprechender Lehrsätze, die auf Zufallsentscheidungen zurückgehen und kein System und keine leitenden Prinzipien erkennen lassen.

Hans Josef Wieling

Allgemeiner Teil des Grundstücksrechts

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§ 19. Formelles Grundbuchrecht

Gemäß § 873 I bedarf grundsätzlich jede Verfügung über ein Grundstück oder über ein Grundstücksrecht der Einigung und Eintragung in das Grundbuch. Die Grundbucheintragung ist daher unentbehrlicher Teil der Verfügung. Während das Grundbuch dazu dient, Rechte am Grundstück offen zu legen, werden im Kataster die tatsächlichen Verhältnisse eines Flurstücks (Parzelle) erfaßt. Das Kataster gibt Auskunft insbesondere über die Lage des Flurstücks, seine Größe und Bewirtschaftungsart; es wird von den Katasterbehörden geführt.

Hans Josef Wieling
§ 20. Materielles Liegenschaftsrecht

Während das BGB keinen allgemeinen Teil des Sachenrechts insgesamt hat und auch keinen für das Mobiliarsachenrecht, hat es in den §§ 873–902 allgemeine Regeln für das Liegenschaftsrecht aufgestellt: §§ 873–878 regeln die Verfügungen über Grundstücks­rechte im allgemeinen, §§ 879–882 den Rang der Grundstücksrechte; §§ 883–888 be­treffen die Vormerkung, §§ 889, 890 die Konsolidation von Grundstücksrechten und die Vereinigung von Grundstücken; §§ 891–893 schaffen den öffentlichen Glauben des Grundbuchs, §§ 894–899 geben Rechtsbehelfe gegen Unrichtigkeit des Grundbuchs; §§ 900–902 regeln die Ersitzung und Verjährung im Liegenschaftsrecht.

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§ 21. Rang der Grundstücksrechte

a) Im Wirtschaftsleben spielen die Fragen des Ranges dinglicher Rechte insbesondere im Rahmen der Kreditsicherheiten eine erhebliche Rolle1. Der Grundeigentümer ist nicht gehindert, sein Grundstück mehrfach mit Hypotheken oder Grundschulden zu belasten. Kommt es zur Zwangsversteigerung und reicht der Erlös nicht zur Befriedigung aller Grundpfandgläubiger aus, so stellt sich rechtspolitisch die Frage, in welchem Verhältnis die Gläubiger zu befriedigen seien. Es könnte etwa eine Berücksichtigung nach Kopfteilen erfolgen oder nach dem Verhältnis des Wertes der einzelnen Rechte zueinander. Solche Modelle würden es jedoch dem Grundeigentümer gestatten, durch eine Vielzahl gewährter Sicherheiten deren Wert praktisch aufzuheben. Das ginge zu Lasten der Verkehrssicherheit und derjenigen, denen zuerst ein Grundpfandrecht eingeräumt wird2; ein schutzwürdiges Interesse an solchen Gestaltungsmöglichkeiten ist nicht zu erkennen. Deshalb hat sich die Rechtsordnung dafür entschieden, demjenigen eine Vorrangstellung einzuräumen, der zeitlich vor den anderen ein Grundstücksrecht erwirbt: Prioritätsprinzip, prior tempore potior iure3.

Hans Josef Wieling
§ 22. Die Vormerkung

a) Während der Widerspruch den Bestand eines dinglichen Grundstücksrechts absichert, soll die Vormerkung eine künftige Verfügung über ein solches Recht sichern. Beides ist streng auseinanderzuhalten1: Der Widerspruch protestiert dagegen, daß ein bestehendes Recht nicht oder nicht richtig eingetragen ist; er verhindert damit einen gutgläubigen Erwerb aufgrund der unrichtigen Eintragung. Die Vormerkung dagegen „prophezeit“, sie kündet eine Verfügung an2. Durch sie wird ein obligatorischer Anspruch auf Änderung, Übertragung oder Aufhebung eines Rechts dinglich abgesichert, so daß spätere Verfügungen den Anspruch nicht beeinträchtigen können.

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Grundeigentum

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§ 23. Grundeigentum

Der Inhalt des Eigentums findet seine Grenze dort, wo die Eigentumsschranken beginnen; Inhaltsbestimmung und Schrankenbestimmung sind daher identisch, nur der Blickwinkel ist verschieden.

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Grundeigentumsähnliche Rechte

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§ 24. Erbbaurecht, Wohnungseigentum und Bergwerkseigentum

a) Als „grundstücksgleiche Rechte“ bezeichnet man ungenau solche Grundstücksrechte, welche wie das Eigentum ein umfassendes und dauerndes oder doch länger andauerndes Nutzungsrecht am Grundstück geben und die dadurch rechtlich dem Grundeigentum so angenähert werden, daß für sie ein eigenes Grundbuch geführt wird1. Es handelt sich um das Erbbaurecht, um das Wohnungseigentum und um das Bergwerkseigentum. Dazu gehören ferner die in der ehemaligen DDR nach §§ 286–295 ZGB begründeten Nutzungsrechte, welche das Errichten und Halten eines Gebäudes auf fremdem Boden gestatteten2. Natürlich kann ein Recht einem Grundstück weder gleich noch ähnlich sein, wohl aber kann es dem Grundeigentum ähnlich sein, weshalb die genannten Rechte hier als „grundeigentumsähnlich“ bezeichnet werden.

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Nutzungs- und Erwerbsrechte an Grundstücken

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§ 25. Nutzungs- und Erwerbsrechte an Grundstücken

Dienstbarkeiten sind dingliche Rechte an einem Grundstück, kraft derer der Inhaber berechtigt ist, das Grundstück in gewisser Weise zu nutzen. Die Dienstbarkeit schränkt also den Gebrauch des Grundeigentums ein und überträgt das Gebrauchsrecht insoweit auf den Inhaber der Dienstbarkeit; dieser kann verlangen, daß der Eigentümer ihm den Gebrauch gestatte oder einen bestimmten Gebrauch unterlasse. Als dingliches Recht lastet die Dienstbarkeit auf dem Grundstück; sie kann aber nicht eine persönliche Verpflichtung des Eigentümers begründen, irgendeine Leistung zu erbringen oder etwas zu tun: servitus in faciendo consistere nequit.

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Grundpfandrechte

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§ 26. Bedeutung, Regeln und Arten der Grundpfandrechte

Der Ausdruck „Grundpfandrecht“ findet sich im BGB nicht; er hat sich als Oberbegriff zu Hypothek, Grund- und Rentenschuld erst später herausgebildet. Johows Vorentwurf kannte nur die Hypothek, die erste Kommission schuf in Anlehnung an das preußische Recht die nicht akzessorische Grundschuld und faßte das Mobiliarpfand, die Hypothek und die Grundschuld im 9. Abschnitt unter der Überschrift „Pfandrecht und Grundschuld“ zusammen1. Dabei war man sich bewußt, daß die Grundschuld zwischen Hypothek und Fahrnispfand eigentlich systemwidrig eingeordnet ist2, da sie kein Pfandrecht im strengen Sinne darstellt; aus Gründen des Sachzusammenhangs und weil die Grundschuld denselben wirtschaftlichen Zwecken dient wie die Hypothek, hat man dies in Kauf genommen. Die zweite Kommission führte schließlich auch die Rentenschuld ein. Was die Systematik der Regelung betrifft, so hielt die erste Kommission die Aufstellung eines allgemeinen Teils für alle Pfandrechte zwar für möglich, doch meinte man, daß damit die Regelung weder übersichtlicher noch brauchbarer werde3. Statt dessen regelte man zunächst die Hypothek und verwies bei der Grundschuld unter Hervorhebung der Abweichungen hierauf, § 1192 I; für die Rentenschuld als Unterfall der Grundschuld verwies man auf diese, § 1200 I.

Hans Josef Wieling
§ 27. Die Hypothek

Das BGB behandelt im achten Abschnitt des dritten Buchs in den §§ 1113–1203 die Grundpfandrechte, im ersten Titel des achten Abschnitts die Hypothek, §§ 1113–1190. Davon regeln die §§ 1113–1183 die normale Hypothek (Verkehrshypothek), die §§ 1184–1190 den Sonderfall der Sicherungshypothek.

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§ 28. Haftungsobjekte der Hypothek

Die Hypothek erfaßt das belastete Grundstück, aber nicht nur dieses. Wer eine Hypothek auf ein Hotelgrundstück gibt, soll nicht nur den Wert des Grundstücks zu seiner Sicherheit haben, auch nicht nur den Wert des Grundstücks mit dem Hotelgebäude; ihm soll der gesamte Wert des Hotelbetriebes als Sicherheit dienen. Andererseits darf die Bindung des Eigentümers durch die Hypothek nicht so weit gehen, daß man ihn so behandelt, als wäre er nicht mehr Eigentümer seines Grundstücks. Das Gesetz stellt daher nicht nur das Grundstück unter die Hypothekenhaftung, sondern faßt die Bestandteile des Grundstücks, Erzeugnisse, Zubehör sowie Pacht-und Mietforderung zu einem Haftungsverband zusammen. Die Haftung dieser Nebensachen ist freilich zunächst nur potentiell; ob sie sich aktualisiert, hängt von verschiedenen Umständen ab, die in den §§ 1120–1130 geregelt sind; aktuell wird die Haftung der Nebensachen durch die Beschlagnahme des Grundstücks nach §§ 20 ff. ZVG; danach kann eine Befreiung nur noch durch gutgläubigen Erwerb erfolgen. Rechtlich bedeutet die Hypothekenhaftung an beweglichen Sachen ein Pfandrecht.

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§ 29. Inhalt der Hypothek

a) Da die Hypothek — anders als das Mobiliarpfand — kein Besitzpfand ist, gibt das Gesetz dem Hypothekar auch keinen Herausgabeanspruch wegen des Grundstücks; § 1227 findet also bei der Hypothek keine Entsprechung. Dagegen gibt die Hypothek als dingliches Recht Abwehransprüche, wenn die Hypothek durch Einwirkung auf das Grundstück gefährdet wird1. Es ist allerdings nicht § 1004 entsprechend anzuwenden, vielmehr ordnet das Gesetz in § 1134 einen speziellen Unterlassungsanspruch für die Hypothek an. Danach kann der Hypothekar auf Unterlassung klagen, wenn der Eigentümer oder ein Dritter derart auf das Grundstück einwirkt, daß dadurch das Grundstück verschlechtert und infolgedessen die Sicherheit der Hypothek gefährdet wird, § 1134 I. Das Gericht hat auf Antrag des Hypothekars die erforderlichen Maßregeln anzuordnen, d.h. es muß auf den allgemeinen Antrag selbst konkrete Maßnahmen treffen. Vom Eigentümer kann der Hypothekar weiter verlangen, daß er Vorkehrungen gegen Einwirkungen Dritter oder gegen sonstige Beschädigungen trifft, § 1134 II 2.

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§ 30. Erlöschen der Hypothek

a) Da die Hypothek grundsätzlich vom Bestehen der Forderung abhängt, so erlischt die Hypothek als solche, wenn die Forderung erlischt; das Recht geht aber nicht unter, vielmehr geht die Hypothek auf den Eigentümer über, § 1163 I 2, indem sie sich in eine Grundschuld umwandelt, § 1177 I. Verzichtet der Hypothekar auf die Hypothek1, so erwirbt sie ebenfalls der Eigentümer, § 1168. Hat der Eigentümer eine peremptorische (d.h. dauernde) Einrede2 gegen die Hypothek, so kann er vom Hypothekar den Verzicht auf die Hypothek verlangen, § 11693.

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§ 31. Besondere Arten der Hypothek

a) Hypotheken sind zwar grundsätzlich akzessorisch, doch gibt es für die normalen Verkehrshypotheken Ausnahmen von diesem Grundsatz, im Interesse des Verkehrsschutzes. Diese Ausnahmen von der Akzessorietät benachteiligen den Eigentümer, dessen Grundstück etwa mit einer Hypothek belastet ist, ohne daß eine zu sichernde Forderung besteht, z.B. in Fällen des § 1138. Das Gesetz gibt den Parteien daher die Möglichkeit, eine streng akzessorische Hypothek zu bestellen, § 1184 I, die Sicherungshypothek, welche sich „nur nach der Forderung bestimmt“. Voraussetzung ist, daß die dingliche Einigung nach § 873 auf eine Sicherungshypothek gerichtet ist und daß im Grundbuch die Hypothek als „Sicherungshypothek“ bezeichnet wird, § 1184II1.

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§ 32. Die Grundschuld

a) „Die Grundschuld ist ein selbständiges Recht; sie unterscheidet sich... wesentlich dadurch von der Hypothek, daß sie nicht wie diese eine Forderung zur Voraussetzung hat. Die Beteiligten können freilich miteinander verabreden, daß eine Forderung durch die Grundschuld gesichert werden solle. Aber eine solche Abrede kommt nur als Motiv, nicht als Erfordernis der Begründung des Rechts in Betracht... Hiermit ist allerdings ein Recht anerkannt, dessen Inhalt durch die abstrakte Befugnis zur Vernichtung der Rechte des jeweiligen Eigentümers gebildet wird... Aber darum ist die Grundschuld nicht unvereinbar mit dem Eigentume. Denn der Eigentümer kann die Zwangsvollstreckung in das Grundstück dadurch abwenden, daß er die beizutreibende Summe an den Grundschuldgläubiger zahlt und auf diese Weise die Möglichkeit erlangt, das Grundstück von der Grundschuld zu befreien. Die letztere ist also immer nur ein das Eigentum beschränkendes Recht, welches der Konsolidation mit demselben fähig ist.“ 1

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§ 33. Arten der Grundschuld

Eine Grundschuld kann in der Weise bestellt werden, daß der Grundschuldbrief auf den jeweiligen Inhaber ausgestellt wird, § 1195, 1; die Inhabergrundschuld ist also nur als Briefgrundschuld möglich. Der Brief wird wie eine Inhaberschuldverschreibung behandelt, § 1195, 2, die Übertragung der Inhabergrundschuld richtet sich nach den §§ 929 ff.: Das Recht aus dem Papier folgt dem Recht am Papier.

Hans Josef Wieling
Backmatter
Metadaten
Titel
Sachenrecht
verfasst von
Prof .Dr. iur. Dr. h.c. Hans Josef Wieling
Copyright-Jahr
1997
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-09791-5
Print ISBN
978-3-540-62951-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-09791-5