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1992 | Buch

Spanien

Wirtschaft — Gesellschaft — Politik

verfasst von: Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Grundwissen Länderkunden

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Wirtschaft

Frontmatter
1. Gesamtentwicklung
Zusammenfassung
In der wirtschaftlichen Entwicklung Spaniens seit Ende des Bürgerkrieges (1936–39, vgl. 18.3) lassen sich vier Phasen unterscheiden:
1.
die Entwicklung im Zeichen der Autarkie bis zum Stabilisierungsplan von 1959,
 
2.
die Periode des spanischen Wirtschaftswunders von 1960 bis zum Beginn der Wirtschaftskrise 1973 / 74,
 
3.
die von den Folgen der Krise geprägte Zeit bis 1985, in der die jeweiligen Regierungen eine wirtschaftliche Sanierungspolitik sowie Reformen zur Lösung der Strukturprobleme der spanischen Wirtschaft durchführen, und
 
4.
die Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs ab Mitte der 80er Jahre, die mit der seit Januar 1986 wirksamen EG-Mitgliedschaft Spaniens zeitlich zusammentrifft.
 
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
2. Die Wirtschaftsbereiche
Zusammenfassung
Spanien gehört nach wie vor zu den Industrieländern mit einem relativ hohen Anteil an Beschäftigten im Primärsektor. Er betrug 1987 14,9 % aller Beschäftigten (1,72 Mio. Personen). Im EG-Vergleich von 1985 wies Spanien mit 17,6 % mehr als das Doppelte des entsprechenden Durchschnittswertes der Zwölfer-Gemeinschaft (7,9 %) auf. Der Anteil des Primärsektors an der Beschäftigung lag damit weit hinter den Werten der Bundesrepublik (5,5 %) oder Frankreichs (7,6 %), entsprach in etwa demjenigen Irlands (16 %) und wurde lediglich von Portugal (23,2 %) und Griechenland (28,9 %) übertroffen. Der Beitrag des Primärsektors zum BIP Spaniens ist mittlerweile recht gering und lag 1985 bei 6 %. Im EG-Vergleich ergibt sich bei diesem Indikator eine ähnliche Plazierung Spaniens wie bei der Beschäftigung: EGDurchschnittswert 3,7 % (1984), Bundesrepublik und Frankreich 2 % bzw. 4 %, Irland 10,7 % und Portugal sowie Griechenland 9 % bzw. 17 %.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
3. Die regionale Wirtschaftsstruktur
Zusammenfassung
Spanien ist ein Land größter regionaler Vielfalt und Gegensätze, nicht nur im Hinblick auf Kulturen und Sprachen (vgl. 9.4), sondern auch, was die soziale und ökonomische Entwicklung der einzelnen Landesteile betrifft. Der überwiegende Teil des Staatsgebiets besteht aus relativ weniger entwickelten, strukturschwachen Regionen. Ein Blick auf Tabelle 12 zeigt, daß die Unterschiede zwischen Extremadura, Andalusien, Kastilien-La Mancha, Galizien, Murcia u.a. und den reichsten Regionen (Madrid, Balearen, Katalonien, Baskenland) hoch sind. Aufgrund dieser Intensität und der geographischen Ausdehnung bildet das Entwicklungsgefälle zwischen den Regionen ein Schlüsselproblem Spaniens.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
4. Staat und Wirtschaft
Zusammenfassung
Die öffentlichen Unternehmen Spaniens gliedern sich in vier Gruppen:
1.
Unternehmen, die dem Nationalen Industrie-Institut (Instituto Nacional de Industria / INI) angehören,
 
2.
Unternehmen des Nationalen Instituts für Kohlenwasserstoffe (Instituto Nacional de Hidrocarburos / INH)
 
3.
Unternehmen der Generaldirektion für Staatsvermögen (Dirección General del Patrimonio del Estado / DGPE) und
 
4.
sonstige Unternehmen.
 
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
5. Die größten Unternehmen Spaniens
Zusammenfassung
An der Spitze der rentabelsten Unternehmen Spaniens stand 1986 das öffentliche Unternehmen (DGPE-Gruppe, vgl. 4.1 d) Telefónica, das im Fernmeldewesen eine Monopolstellung genießt (vgl. 4.5 d). Danach war die zur INI-Gruppe (vgl. 4.1 b) gehörende Elektrizitätsgesellschaft Empresa Nacional de Electricidad (ENDESA) das Unternehmen mit den meisten Gewinnen. Es folgten vier Privatunternehmen Ford, Iberduero (Elektrizität), IBM und Fasa-Renault, von denen drei Filialen multinationaler Konzerne (vgl. 6) sind. Campsa (INH-Gruppe, vgl. 4.1 c) belegte den siebten Platz vor den drei Privatunternehmen Hidrola (Elektrizität), Cepsa (Erdöl) und Union Fenosa (Elektrizität). Bei den Unternehmen mit den meisten Verlusten dominiert eindeutig der öffentliche Sektor. Die Eisenbahngesellschaft RENFE (vgl. 4.5 b) hatte 1986 die größten Verluste. An zweiter und dritter Stelle lagen der (inzwischen weitgehend privatisierte, vgl. 6) Automobilkonzern SEAT und das Schiffbauunternehmen AESA (INI-Gruppe). Unter den zehn spanischen Unternehmen mit den meisten Beschäftigten belegten Telefónica und die beiden Privatunternehmen El Cone Inglés (Kaufhäuser) und Cepsa die vordersten Plätze.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
6. Das Auslandskapital in der spanischen Wirtschaft
Zusammenfassung
Die hohe Abhängigkeit vom Kapital, know how und der Technologie des Auslandes ist ein bestimmendes Strukturmerkmal der spanischen Volkswirtschaft. Eine Fülle von Produktionsbereichen wird teilweise oder praktisch vollständig von ausländischen, meist multinationalen Konzernen beherrscht: Bergbau und Metallindustrie (u.a. Peñarroya, Unión Explosivos Río Tinto, Río Tinto Patiño, Real Compañía Asturiana de Minas), Ernährung (Nestlé, Kraft, Unilever), Chemie (Dow Chemical, Hoechst), Pharmazeutika (Sandoz, Boehringer), Büromaschinen und Informatik (Olivetti, IBM, Nixdorf), Reifenindustrie (Michelin, Firestone) und Mietwagen (Avis, Hertz), um nur einige Beispiele zu nennen. Der Automobilbau liegt total in den Händen der Unternehmen SEAT, FASA Renault, Talbot, Citroen, Ford und General Motors. In einer spektakulären Aktion erwarb 1986 Volkswagen das Mehrheitskapital beim bislang vom INI kontrollierten Unternehmen SEAT. Schlüsselt man die ausländischen Direktinvestitionen (1989: 1 243 774 Mio. Ptas.) nach Herkunftsländern (vgl. Tabelle 20) auf, so zeigt sich, daß die EGStaaten, USA und Japan die größte Bedeutung besitzen. 1986 lag die Bundesrepublik Deutschland mit 26 % aller ausländischen Direktinvestitionen an der Spitze.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
7. Die Integration der spanischen Wirtschaft in die Weltwirtschaft
Zusammenfassung
Das Gesamtvolumen des spanischen Außenhandels erreichte 1988 den Wert von 97 136 Mio. US-$. Nach einem vorübergehenden Rückgang in den Jahren 1981 und 1983 ist es seit 1984 (52 094 Mio. US-$) ständig gestiegen. Auch der Beitrag des Außenhandels zum Bruttosozialprodukt hat seit 1960 zugenommen. Von 1960 16,5 % und 1970: 22,1 % hat er sich auf 1985: 32,1 % erhöht. Dabei ist der Anteil der Importe (17,7 %) höher als derjenige der Exporte (14,4 %). Dies zeigt die zunehmende außenwirtschaftliche Öffnung Spaniens, die seit dem EG-Beitritt noch größer geworden ist. 1987 hat Spanien Waren im Gesamtwert von 49085 Mio. US-$ eingeführt, das Exportvolumen belief sich auf 34173 Mio. US-$. Gegenüber dem Vorjahr bedeutete dies Steigerungsraten von 40,0 % (Importe) und 25,6 % (Exporte). In der ersten Hälfte der 80er Jahre konnte Spanien aufgrund des booms im Export, dessen Wachstum höher lag als das der Importe, sein Handelsbilanzdefizit erheblich verringern. Betrug die Deckungsrate (Anteil der Exporte an Importen) 1980 60,8 %, so lag sie 1985 bereits bei 80,9 %. Da aber seit dem EG-Beitritt die Importe des Landes wesentlich stärker gestiegen sind als seine Exporte, hat sich das Handelsbilanzdefizit zwischen 1986 und 1988 mehr als verdoppelt und erreicht mit 18002 Mio.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
8. Folgen des EG-Beitritts für Spaniens Wirtschaft
Zusammenfassung
Seit der am 1. Januar 1986 wirksam gewordenen Mitgliedschaft Spaniens in der EG befindet sich das Land im Wirkungsfeld des Gemeinschaftlichen Rechts. Dieses Normengefüge besteht zum einen aus den drei konstitutiven Verträgen der EG (EGKS-, EWG- und EAG-Vertrag) und ihrer Reform durch die die Einheitliche Europäische Akte und zum anderen aus den Verordnungen, Entscheidungen und Richtlinien, die von Kommission und Rat für die einzelnen EGPolitiken erlassen werden. Außerdem gelten für Spanien vorübergehend die besonderen Bestimmungen des am 12. Juni 1985 zuerst in Lissabon, dann in Madrid unterzeichneten Vertrags über den Beitritt Spaniens und Portugals zur EG. Dieser Vertrag weist zugleich darauf hin, daß nicht das gesamte Territorium Spaniens unter den gleichen Bedingungen in die EG aufgenommen wurde.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand

Gesellschaft

Frontmatter
9. Die Bevölkerung
Zusammenfassung
Dem neuesten Zensus (padrón municipal) vom April 1986 zufolge hat Spanien derzeit eine Bevölkerung von ca. 38,5 Mio. Das nach Frankreich zweitgrößte Land Europas (ohne UdSSR) weist auf einer im Vergleich zur Bundesrepublik vor 1990 etwas mehr als das Doppelte betragenden Gesamtfläche von 504782,3 km2 (einschließlich der afrikanischen Territorien Ceuta, Melilla, Penón de Vélez, Alhucemas- und Chafarinas-Inseln, vgl. 24.8) eine um mehr als ein Drittel niedrigere Bevölkerungszahl aus. An der EG-Gesamtbevölkerung (1986: 320,4 Mio.) stellt Spanien einen Anteil von 12 %, an der EG-Gesamtfläche (1 658 000 km2) 30,62 %. Spanien ist eines der am dünnsten besiedelten Staaten der Gemeinschaft. Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte von rund 76 Ew. / km2 ist mehr als dreimal niedriger als die der Bundesrepublik vor 1990 (248 Ew./km2) und entspricht etwa derjenigen Griechenlands (73,8 Ew. / km2). Auf der räumlichen Maßstabsebene der Autonomen Gemeinschaften und der Provinzen treten freilich enorme bevölkerungsgeographische Unterschiede auf. Die vier Autonomen Gemeinschaften mit der größten Bevölkerung, Andalusien, Katalonien, Madrid und Valencia, deren Anteil am spanischen Staatsgebiet nur 29,81 % beträgt, stellen mehr als die Hälfte (1986: 55,31 %) der Gesamtbevölkerung (vgl. Tabelle 31 und Karte 9).
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
10. Die soziale Gliederung der Bevölkerung
Zusammenfassung
Spanien ist gegenwärtig das am stärksten von der Arbeitslosigkeit betroffene Land Europas. Die Arbeitslosenquote stieg seit 1973 unaufhörlich an (vgl. Abbildung 6); 1986 betrug sie 21,5 %, d.h. 2 961 000 Menschen waren ohne Arbeit. Erst 1988 trat eine Wende ein (1988: 19,5 %, 1989: 17,3 %). Die für 1989 von der OECD vorgelegten Daten zeigen deutlich, daß Spanien (17,3 %), gefolgt von Irland (16,0 %) an der Spitze der europäischen Arbeitslosigkeit liegt und dabei den EG-Durchschnittswert (10,5 %) und die Werte anderer Mitgliedsstaaten (Großbritannien: 6,5 %, Italien: 12,0 %, Bundesrepublik Deutschland: 7,3 %) mehr oder weniger um das Doppelte übertrifft (vgl. Abb. 6). Die enorm hohe Arbeitslosigkeit ist zweifellos das Hauptproblem der spanischen Wirtschaft und Politik auch in den 90er Jahren (vgl. 10.4 und 24.3).
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
11. Das Bildungssystem
Zusammenfassung
Nach Angaben der UNESCO gab Spanien 1984 3,3% seines Bruttosozialprodukts für das Bildungswesen aus (Bundesrepublik 4,6%, Großbritannien 5,2%). Es nimmt damit den vorletzten Platz im EG-Vergleich ein.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
12. Die Interessengruppen
Zusammenfassung
Unter den Interessengruppen spielen die Gewerkschaften und die Unternehmerverbände eine herausragende Rolle. Das Bild wäre indes allzu unvollständig, würden nicht eine Reihe weiterer Interessengruppen wenigstens genannt.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
13. Die Arbeitsbeziehungen
Zusammenfassung
Bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Spanien gemischte Schiedskommissionen (jurados), in denen unter Vermittlung des Staates Arbeitgeber und Gewerkschaften ihre Konflikte auf dem Verhandlungsweg beilegten. Zur Zeit der Diktatur Primo de Riveras (1923 - 1930) erfolgten ab 1926 die Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern nicht direkt, sondern über korporative Gremien unter staatlicher Mitwirkung. Seit 1931 begegneten sich die Repräsentanten der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände in gemischten Schiedskörperschaften (jurados mixtos), die als Körperschaften öffentlichen Rechts dem Arbeitsministerium unterstanden. Sie waren u.a. für die Schlichtung von Streitigkeiten sowie die verbindliche Festlegung von Löhnen und Arbeitszeiten zuständig. Die Gewerkschaften CNT und UGT (vgl. 12.2) nahmen seit ihrer Gründung die Interessenvertretung der Arbeiter in den Betrieben durch einen gewählten Abgeordneten oder ein Komitee vor.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
14. Die Kirche
Zusammenfassung
Seit dem Abschluß der „Wiedereroberung“ (reconquista) am Ende des 15. Jahrhunderts bildeten die katholische Kirche und der Staat in Spanien eine enge Interessenkoalition. Die Kirche legitimierte und stabilisierte die als Gottesgnadentum verstandene Herrschaft der Könige. Umgekehrt waren jene ein Machtinstrument der Kirche. Die Eroberung der Indianerreiche in Süd- und Mittelamerika, die Gegenreformation und die Inquisition standen ganz im Zeichen dieser Ehe von Schwert und Kreuz. Seit der Aufklärung wurde die als Verbündete des Ancien Régime begriffene Kirche immer mehr zur Zielscheibe des Antiklerikalismus der Liberalen, der landlosen Arbeiter (v.a. Andalusien) und der neu entstehenden Klasse der Industriearbeiter. In Priestermorden und Klosterstürmen machte er sich Luft. Im Konkordat von 1851, in welchem die Kirche die von den liberalen Regierungen vorgenommenen Enteignungen (desamortizaciones) ihres Besitzes endgültig akzeptierte, wurde der Katholizismus als „die Religion der spanischen Nation“ bezeichnet, und die Kirche erhielt vom Staat die Garantie, daß die kirchliche Lehre an den öffentlichen Schulen durch Priester unterrichtet werde. Die Zeit der Zweiten Republik (1931– 36) war durch die heftige Konfrontation zwischen Staat und Kirche gekennzeichnet.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
15. Das Militär
Zusammenfassung
In der neueren Geschichte Spaniens hat das Militär stets eine aktive und wichtige Rolle gespielt. Vor dem Hintergrund der zurückgehenden Weltgeltung Spaniens ist das 19. Jahrhundert durch andauernde Interventionen des Militärs in die innenpolitische Entwicklung gekennzeichnet. Die militärischen Niederlagen von 1898 (Verlust von Kuba, Puerto Rico und Philippinen an die USA) und in Marokko in den 20er Jahren einerseits und die materiellen Privilegien des aufgeblähten Offiziersapparats andererseits führten zum Prestigeverlust und zur wachsenden Ablehnung der Armee durch die Gesellschaft. Die Armee kapselte sich immer mehr von der Gesellschaft ab, wurde zum Hort konservativ-reaktionärer Ideen und verstand sich mehr und mehr in Gegnerschaft zum Parlamentarismus. Mit Zustimmung der Krone ergriff 1923 durch Staatsstreich der General Miguel Primo de Rivera die Macht. Als in der Zweiten Republik (1931 – 36) die seit den Wahlen vom Februar 1936 regierende linke Volksfrontregierung außerstande war, den von der extremen Rechten und Linken begonnenen politischen Morden Einhalt zu gebieten, kam es am 17. Juli 1936 zur Erhebung von Teilen der Militärs (Generäle Sanjurjo, Mola, Franco, Cabanellas, Queipo de Llano), und der Spanische Bürgerkrieg (vgl. 18.3). begann.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
16. Massenmedien
Zusammenfassung
Die fünf meistgelesenen Zeitungen und Zeitschriften Spaniens waren 1988 (in Klammer durchschnittliche Verkaufszahl / Marktanteil): El País (376 230 / 12,24 %), Abc (267 772 / 8,71 %), La Vanguardia (202741 /6,59 %), El Periódico (157192/5,11 %) und Diario 16 (139956/4,55 %). Während die Madrider Abc und die in Barcelona erscheinende La Vanguardia bereits unter dem Frankismus existierten, sind El País (Madrid) und Diario 16 (Madrid) während der Redemokratisierung (vgl. 19.) des Landes entstanden. 1989 kamen zwei neue Tageszeitungen auf den Markt, El Mundo und El Independiente. Ohne Zweifel ist El país die wichtigste spanische Tageszeitung. Die Seriösität und Ausführlichkeit bei der Berichterstattung über nationale und internationale Themen sowie ein hohes Maß an journalistischer Professionalität und an ideologischer Unvoreingenommenheit gehören zum Markenzeichen dieser Zeitung. Sie ist unumgängliche Pflichtlektüre aller Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und nach einer anfänglichen Pro-PSOE-Haltung inzwischen auf eine kritisch distanziertere, überparteiliche Linie eingeschwenkt.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
17. Kultur
Zusammenfassung
Mit der Rückkehr Spaniens zur Demokratie kam es in sämtlichen Bereichen der Kultur des Landes zu einer Öffnung. Bislang in Spanien verbotene Texte (z.B. von Ramón Sender, Luis Goytisolo) oder Filme (z.B. „Viridiana“ von Luis Buñuel) wurden veröffentlicht bzw. vorgeführt. Viele Intellektuelle und Künstler (z.B. der Dichter Rafael Alberti) kehrten aus dem Exil nach Spanien zurück. Die Einrichtung eines Ministeriums für Kultur im Jahre 1977 ging auf die UCD zurück. Unter ihrer Regierung wurde der jahrelang totgeschwiegene Dichter Federico García Lorca geehrt, eine Aussstellung der Werke des bislang verfemten Malers Joan Miro organisiert und 1981 das berühmte Guernica-Gemälde Pablo Picassos aus dem New Yorker Museum of Modern Art nach Spanien zurückgeholt. Eine tiefgreifende Erneuerung des kulturellen Lebens ging v.a. aber seit 1982 von den Sozialisten aus. Den nachfolgend skizzierten Kulturbereichen gewähren sie vielfältige Förderungen. Neue Museen wurden gegründet (z.B. 1986 das angesehene Museo Nacional de Arte Romano in Mérida), der Eintritt für Spanier gratis gemacht, ein Gesetz verabschiedet, das den spanischen Kulturbesitz jeglicher Art schützt etc. 1992, wenn Sevilla seine Weltausstellung abhält und in Barcelona die Olympischen Spiele stattfinden, wird Madrid „Europäische Stadt der Kultur“ sein.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand

Politik

Frontmatter
18. Zur politischen Entwicklung Spaniens
Zusammenfassung
Wenn wir auf den in den letzten Jahrzehnten erfolgten Wandel Spaniens abheben, so ist der Bereich der Politik sicherlich derjenige, in dem dieser Wandel sich am augenfälligsten vollzogen hat. Die demokratisch verfaßte Industriegesellschaft hat erst in den 70er Jahren in Spanien Einzug gehalten. Die verschiedenen in diese Richtung treibenden Kräfte und Tendenzen waren über fast einhundert Jahre nicht stark genug, um sich in den bestehenden Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft gegen die reformfeindlichen Elemente durchzusetzen. Der Großgrundbesitz, die Kirche, das Militär, eine durch und durch konservative Gesinnung des Volkes und eine Geisteshaltung der intellektuellen Elite, die Spaniens Zukunft im Wiedergewinn vergangener Größe und in den den geschichtlichen Leistungen des Landes zugrundeliegenden Werten suchte, verhinderten oder verzögerten Öffnungen oder Entwicklungen, wie sie sich in anderen Ländern Europas vollzogen. Zudem nahm die Auseinandersetzung zwischen Tradition und Erneuerung viel radikalere Formen an. Davon zeugt die sehr wechselhafte Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts, freilich mehr noch unser Jahrhundert mit der Hinwendung der Monarchie zur Diktatur, mit der extremen Polarisierung zwischen Links und Rechts unter der II.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
19. Der Demokratisierungsprozeß
Zusammenfassung
Die Besonderheit des Übergangs zur Demokratie in Spanien liegt darin, daß die transición nicht durch Bruch mit dem Franco-Regime, etwa durch Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung, sondern innerhalb der Institutionen des bestehenden Systems und mit seinen Mitteln herbeigeführt wurde. Seinerzeit lag der Vergleich zu Portugal nahe, wo im April 1974 eine Revolution das autoritäre Regime hinweggefegt hatte. In Spanien hingegen fand die transición friedlich und konsensorientiert statt, wobei der Wettbewerb um die Gestaltung der neuen politischen Ordnung sich langsam von den frankistischen Eliten auf alle politischen Kräfte ausdehnte. Die Bedingungen, unter denen sich dieser Prozeß vollzog, lassen sich kurz wie folgt charakterisieren:
1.
Spanien hatte Mitte der 70er Jahre einen beachtlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstand erreicht, der den wachsenden Widerspruch zu den autoritären politischen Systemstrukturen und zunehmende Forderungen nach mehr Freiheit nährte.
 
2.
Die wirtschaftliche Krise seit 1973 (erster Erdölschock) stellte das Regime vor nicht mehr lösbare Probleme: Mangels Legitimität konnten keine durchgreifenden Maßnahmen ergriffen werden; die Entscheidungsunfähigkeit der bestehenden Institutionen bewirkte weitere Legitimitätsverluste.
 
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
20. Das zentralstaatliche Regierungssystem
Zusammenfassung
Im folgenden wollen wir die politischen Institutionen behandeln, die gewöhnlich unter dem Begriff Regierungssystem zusammengefaßt werden. Uns geht es dabei vor allem um das Verhältnis der Institutionen zueinander bzw. die Struktur des Regierungssystems. Eine vergleichende Betrachtung zeigt, daß die neue Verfassung von 1978 Lehren aus der Vergangenheit gezogen und Anleihen u.a. aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland genommen hat.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
21. Der Autonomiestaat
Zusammenfassung
Jahrhundertelang war Spanien, einer der ältesten Nationalstaaten Europas, durch einen starken Zentralismus beherrscht, der nur zweimal durch kurzfristige „dezentralisierende Intermezzi“ — die República Federal 1873 – 74 und die Zweite Republik 1931– 36 — unterbrochen wurde. Seit 1983 ist das Gebiet des spanischen Staates in 17 politisch autonome Regionen, die sogenannten Autonomen Gemeinschaften (Comunidades Autónomas) untergliedert. Diese neue Gebietsgliederung, welche dem spanischen Staatswesen die Bezeichnung Autonomiestaat verlieh, ist das Ergebnis eines politischen Dezentralisierungsprozesses, der eine der tiefgreifendsten Wandlungen in der Geschichte Spaniens darstellt.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
22. Parteiensystem und wichtigste Parteien
Zusammenfassung
Das heutige spanische Parteiensystem hat sich erst während und nach der Phase der Demokratisierung herausgebildet. Diese im europäischen Vergleich späte Entstehungszeit bedingt, daß für die Struktur des Parteiensystems gesellschaftliche Bedingungen und politische Begebenheiten jüngeren Datums prägend wurden. Dies mag den markanten Unterschied des heutigen spanischen Parteiensystems zu dem der Zweiten spanischen Republik erklären. Da Bedeutung und Rolle einzelner Parteien nur im Zusammenhang des Parteiensystems zu verstehen sind, werden wir zunächst auf einige Bedingungen und den Prozeß der Herausbildung des Parteiensystems eingehen und nachfolgend die wichtigsten Parteien im heutigen Spanien kurz charakterisieren.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
23. Volksabstimmungen und Wahlen
Zusammenfassung
Seit der Demokratisierung zählt Spanien zu den Ländern, die ihre Bevölkerung am häufigsten zu den Wahlurnen riefen. Durch die politische Dezentralisierung und die EG-Mitgliedschaft des Landes sind zwei Wahlebenen hinzugetreten, so daß seit Mitte der 80er Jahre folgende Wahlen stattfinden:
1.
Parlamentswahlen zu den gesamtstaatlichen Cortes (Abgeordnetenhaus und Senat). In der Verfassung wird von Neuwahlen alle vier Jahre ausgegangen; doch kann der Ministerpräsident die Cortes vor Ablauf der Legislaturperiode auflösen. Die bisherige Praxis zeigt, daß nur einmal (1982 –1986) eine vierjährige Legislatur eingehalten wurde. Die Cortes wurden 1977, 1979, 1982, 1986 und 1989 neu bestellt.
 
2.
Wahlen zu den Autonomen Gemeinschaften. Die Parlamente werden alle vier Jahre neu gewählt, doch nicht sämtlich an einem Wahltermin. Bislang wird zu den früher eingerichteten Parlamenten der Autonomen Gemeinschaften des Baskenlandes, Kataloniens, Galiziens und Andalusiens an jeweils eigenen Terminen gewählt, während in den restlichen 13 Autonomen Gemeinschaften die Erneuerung der Parlamente am selben Tag und zusammen mit den Kommunalwahlen stattfindet. Die Wahltermine hängen jedoch von den politischen (Mehrheits-)Verhältnissen ab, so daß die bisherige Homogenität verloren gehen kann. In allen Autonomen Gemeinschaften wurde bisher zumindest dreimal gewählt.
 
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
24. Politikfelder
Zusammenfassung
Nach einer bewegten Phase der Konstituierung der Autonomen Gemeinschaften als neue Regierungsebene im politischen System geht es in den folgenden Jahren um die Konsolidierung und innere Ausgestaltung des politisch dezentralisierten Staates. Die neuen regionalen Institutionen, Parlamente, Regierungen und Verwaltungsapparate nehmen inzwischen einen festen Platz in der politischen Landschaft Spaniens ein. Ihre bisherige Tätigkeit zeigt, daß sie ihre Kompetenzen für die Formulierung und Durchführung von Politiken weitgehend ausschöpfen. Deutlich läßt sich dies z.B. an der regen Gesetzesproduktion der autonomen Parlamente ablesen. Von der überwiegenden Mehrheit der Spanier werden die Institutionen der Autonomen Gemeinschaften positiv bewertet, was sich auch in der Wahlbeteiligung widerspiegelt. Die Bürger schätzen die Vorteile der Dezentralisierung: mehr Partizipation, größere Bürgernähe, relativ raschere Aufgabenerledigung, und kaum jemand hat Sehnsucht nach den „alten Zeiten“, in denen viele Verwaltungsangelegenheiten auf dem zeitraubenden Weg über Madrid abgewickelt werden mußten.
Dieter Nohlen, Andreas Hildenbrand
Backmatter
Metadaten
Titel
Spanien
verfasst von
Dieter Nohlen
Andreas Hildenbrand
Copyright-Jahr
1992
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-97208-8
Print ISBN
978-3-8100-0754-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-97208-8