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23.01.2013 | Unternehmensstrategie | Interview | Online-Artikel

"Krisen intelligent meistern"

verfasst von: Eva-Susanne Krah

7:30 Min. Lesedauer

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Krisen sind eine Herausforderung für jeden Manager und für jedes Unternehmen. Das hat vor allem die vergangene Wirtschaftskrise gelehrt. Buchautor Winfried Neun erläutert im Interview, wie Unternehmen und Führungskräfte dennoch mit Krisen gewinnbringend umgehen können.

Springer für Professionals: Herr Neun, die gegenwärtige Wirtschaftskrise stellt Finanzmärkte und Unternehmen erneut vor große Bewährungsproben. In Ihrem kürzlich neu erschienenen Buch „Nach dem Crash ist vor dem Crash“ geben Sie die interessante These aus, dass mehrere Krisen eine psychologische Herausforderung darstellen. Warum ist das so?

Winfried Neun: In der Tat stellt die aktuelle wirtschaftliche Gesamtwetterlage für viele Unternehmen eine Bewährungsprobe dar. Sie betrifft jedoch nicht nur das ökonomische, technologische und soziale Management-Know-How in der Wirtschaft und in den Unternehmen, sondern insbesondere auch die psychologische Kompetenz im Rahmen einer komplexen Krisenbewältigung. Diese psychologische Herausforderung basiert insbesondere auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Gehirnforschung. Der Umstand, mit mehreren Krisen gleichzeitig oder in sehr kurzen Abständen hintereinander konfrontiert zu sein, sorgt in unserer Verarbeitung von Informationen und externen Impulsen zu einer ausgeprägten Objekterkennung. Sie lässt uns nur noch die kleinen Details der Probleme einer Krise sehen, aber nicht deren ganzheitliche Lösungsansätze.

Was bewirken denn Krisen Ihrer Erfahrung nach bei den Beteiligten?

Oftmals entsteht dann daraus Frust, Ärger und Aggression, was die Objekterkennung noch stärker fördert. Ausschreitungen, wie in Griechenland oder die Proteste in Spanien, Italien sind Beispiele für diese Verhaltensmuster. Wir müssen lernen, mehr auf die neuen Anforderungen einzugehen, denn die Komplexität der globalen Vernetzung erzeugt im Bereich der Wirtschaftspsychologie neue psychologische Herausforderungen von ungeahntem Ausmaß.

Stichwort Wirtschaftskrise: Sie machen vor allem die Vernetzung der globalen Finanzmärkte für die derzeitige globale wirtschaftliche Misere verantwortlich. Welche Folgen haben wir aus Ihrer Sicht in den nächsten Monaten noch zu befürchten?

Die Folgen können sehr weitreichend sein, bis zum Ende unserer Gemeinschaftswährung. Wenn es nicht gelingt, die Stimmungslagen in einigen europäischen Ländern zu verbessern, werden selbst starke Nationen, wie Deutschland, zuerst ökonomisch und dann psychologisch infiziert. Die Rettung obliegt der Politik und vor allem der Wirtschaft und damit jedem von uns.

Welches Rezept empfehlen Sie Unternehmen denn, um angesichts der Wirtschaftslage in der eigenen Unternehmensstrategie richtig zu reagieren?

Nur wenn wir lernen, die bisherige Wachstumsphilosophie in den freien Märkten in eine intelligente Wachstumsstrategie umzuwandeln, werden wir echte Veränderungen und damit Lösungen erreichen. Intelligentes Wachstum heißt dabei nicht nur nachhaltiges Wachstum, sondern auch nutzenorientiertes Wachstum aus Sicht derer, die die Produkte und Dienstleistungen nutzen. Der Apple-iPAD-/-iPhone ist ein solches nutzenorientiertes Wachstumsbeispiel.

Die Krise zwingt viele Unternehmen zum Handeln und bewirkt einen Investitionsstau, aber auch eine „mentale Schieflage“ bei Mitarbeitern und Führungskräften. Wie sollten Führungskräfte agieren, um im eigenen Unternehmen wieder ein positives unternehmerisches Klima zu schaffen?

Gerade die Führungskräfte in den Unternehmen sind diejenigen, die sehr schnell zur Veränderung beitragen können. Hierzu bedarf es jedoch einer ausgeprägten psychologischen Schulung, welche leider nur bei ca. 15 % (Quelle: Studie der K.O.M. GmbH) aller Führungskräfte erkennbar ist. Dabei geht es nicht um Methoden in der Führung, sondern um die Fähigkeit, die genaue Stimmung und die Stimmung anderer nutzenorientiert zu beeinflussen. Professionelles Stimmungsmanagement heißt, Menschen in ihrer Affektlage zu erkennen und durch gezielte Handlungen, Ansprachen oder Aktionen zu steuern. Viele behaupten von sich, dass sie dies können. In unserer Studie stellen wir jedoch fest, dass gerade diese Führungskräfte größte Probleme hatten ihre eigene Stimmung zu kontrollieren und vor allem ganzheitliche Entscheidungen zu treffen. Die Ansätze zur mentalen Bewältigung von Krisen beginnen in der Fähigkeit, die aktuelle Stimmungslage bei sich und anderen zu erkennen.

Sie plädieren als Lösung für die wirtschaftliche Stabilisierung der Märkte und Unternehmen dafür, nachhaltig zu denken und Wissen und Intelligenz gezielt zu nutzen, statt nur rein materielles Wachstum anzupeilen. Wie können Unternehmen dies in der eigenen Organisation mit ihren Mitarbeitern und Führungskräften umsetzen? 

Die Umsetzung intelligenten Wachstums basiert auf drei zentralen Grundbedingungen:

1. das Ende der Gier. Die Gier nach noch mehr wird zu oft gleichgesetzt mit dem Wunsch nach Wachstum. Schon lange ist nicht mehr das vernünftige Wachstum ein Treiber im Management, sondern eine oft blinde Zahlenrallye, um die Vorjahre oder den Wettbewerb oder den Kollegen zu übertreffen. Ob dies mittelfristig für Stabilität sorgt, interessiert oft niemanden. Ausnahmen sind dabei inhabergeführte Unternehmen, sie akzeptieren auch mal ein =-Wachstum. Denn sie wissen, dass ein Null-Wachstum keines ist, sondern ein intelligentes Wachstum in den Strukturen, Prozessen und Menschen beinhaltet. Das ökonomische Wachstum folgt dann sehr oft zeitversetzt. Hier geht es nicht um die Frage einer Restrukturierung oder Optimierung, sondern um ein Programm intelligenten Wachstums nach innen zur Stärkung der Position nach außen. Die Umsetzung basiert auf einem neuen Werteverständnis von Wachstum.

2. die Wachstumswerte neu definieren. Die Werte steuern unser Verhalten. Was wird gelobt, was wird bestraft – davon hängt unser Handeln und Denken ab. Erst wenn es uns gelingt, die Werte des Wachstums auf mehr Anwendernutzen, Nachhaltigkeit, Spezialisierung, Verantwortlichkeit und Markenwerte umzulenken, wird intelligentes Wachstum möglich.

3. die Bereitschaft „Nein“ zu sagen. Nur wer lernt zu verzichten, kann sich fokussieren und erfolgreich wachsen. Wachstum ist die Folge von Fokussierung und Konzeptration auf das Wesentliche. Aus großen Unternehmenseinheiten mit hoher Schwerfälligkeit müssen Schnellboote werden. Dies bedeutet aber auch, dass dezentrale Führung praktiziert wird und das mit hohem Vertrauen. Vertrauen kann aber nur dann entstehen, wenn ich weiß, dass mein Gegenüber weiß, was es will und was er nicht will.  

Nicht wenige Krisensituationen von Unternehmen sind ja oft hausgemacht, auch wenn die Folgen jetzt der Wirtschaftskrise zugeschrieben werden. Jüngste Beispiele lieferten Märklin oder Opel. Welche Gründe sehen Sie für deren wirtschaftliche Instabilität und welche Stellhebel sollten Unternehmen hier im Griff behalten?

Die Hauptursache der Krisen von Unternehmen liegt meistens in einer falschen oder fehlenden strategischen Ausrichtung. Zu viele  Unternehmen machen sich selbst in Zeiten erkennbarer Krisen zuwenig Gedanken über neue strategische Wachstumsfelder. Die bestehende Technologie in bisher bearbeiteten Märkten (nicht geographisch gemeint) als Problemlösung anzubieten setzt ein hohes Maß an Kreativität und Innovationsfähigkeit voraus. Gerade diese Voraussetzungen werden in vielen Unternehmen jedoch noch aktiv unterdrückt.

Sie fordern eine ganz neue Definition für Wirtschaften, ein intelligentes Wachstum und mutige Veränderungen – was steht genau für dieses Rezept der Unternehmens- und Gesellschaftskultur?

Intelligentes Wachstum heißt ein Abwenden klassischer, ökonomischer Heilslehren. Beginnend mit der Tatsache, dass es den homo oeconomicus nicht gibt bis zur Erkenntnis, dass nur ständiges Wachstum und damit die Unternehmensgröße ein Unternehmen krisensicher macht. Wachstum muss sich mehr auf das echte Neue, also auf Innovationen konzentrieren. Dabei sind Innovationen auch über neue Anwendungen oder über "Blaue Ozeane" – also Marktnischen – möglich.

Können Sie dazu ein Beispiel geben?

Ja, wenn ein Hydraulikhersteller mit 99 % Fokussierung auf die Automobilbranche sich dazu entschließt, den Krankhausbettenmarkt zu beliefern, ist das eine Art von intelligentem Wachstum. Vorausgesetzt er reduziert damit noch seine Kostenstruktur und definiert den Wertbeitrag seines Unternehmens neu, ohne den bisherigen Teil zu vernachlässigen.

Was sollten sowohl die Märkte als auch die darin agierenden Unternehmen aus der Krise lernen und wie können sie die Chancen auf Veränderung positiv für sich nutzen?

Aus der Krise lernen heißt als erstes, die Krise anzunehmen. Zu oft werden Krisen aus dem falschen Verständnis gegenüber Niederlagen oder Krisen heraus schön geredet. Die Chance, aus Krisen zu lernen muss dominieren und weniger die Suche nach Schuldigen. Des Weiteren sollten Krisenzeiten auch immer Zeiten der Stabilisierung bedeuten. Krisen zwingen uns zum Nachdenken und Hinterfragen. Krisen helfen politische Notwendigkeiten als besonders positiv darzustellen und sie sorgen für den notwendigen Leidensdruck, damit Veränderungen eingeleitet werden können.  

Welche Unternehmen gehen aus Ihrer Sicht derzeit richtig mit der Krise richtig und erfolgreich mit den Folgen der Krise um? Vor allem aber: Wie kommen Unternehmen heraus aus der eigenen Identitäts- und Vertrauenskrise, die ein wirtschaftlicher Crash hinterlassen kann?

Zurzeit sind es vor allem die mittelständischen und meist inhabergeführten Unternehmen, die sehr intelligent auf die Krisen reagieren. Sie sparen sich nicht zu Tode oder stoppen schon begonnene Projekte, sondern schaffen intelligente neue Handlungsfelder. Die großen Verlierer in Krisenzeiten sind Unternehmen mit Finanzinvestoren. Zu vorschnell werden in diesem Unternehmen die Finanzmittel abgezogen, was ein unweigerliches Aus für die betroffenen Unternehmen darstellt. Die eigene Identitäts- und Vertrauenskrise zu überwinden bedarf echter, ehrlicher und authentischer Führungspersönlichkeiten.

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