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05.11.2014 | Wasserwirtschaft | Schwerpunkt | Online-Artikel

Hochwasserabfluss: Transport- und kein Parkplatzproblem!

3:30 Min. Lesedauer

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Im Wasserhaushaltsgesetz ist der zeitgleiche Ausgleich von verloren gehendem Rückhalteraum Bedingung. Dies ist aus hochwasserwirtschaftlicher Sicht nicht gerechtfertigt. Ein Kommentar von Detlef Sönnichsen.

Unter Nr. 1 des § 78 Abs. 3 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) wird eine Bedingung formuliert, die hochwasserwirtschaftlich nicht gerechtfertigt ist: der zeitgleiche Ausgleich von verloren gehendem Rückhalteraum. Mit der ersten radikalen Neuregelung zu Überschwemmungsgebieten (ÜSG) des WHG in 1996 sind zwei Dinge passiert: Die ÜSG wurden wieder populär und sie wurden ökologisiert. Das Erste ist hervorragend, weil ihr Dornröschenschlaf, in den sie irgendwann nach der preußischen Regelung von 1905 fielen, zu Ende war, das Zweite ärgert den (ökologisch) denkenden Hochwasserspezialisten: von ökologischen Strukturen, erosionsfördernden Eingriffen, Erhalt und Rückgewinnung natürlicher Rückhalteflächen ist lediglich die Rede.

Was in besiedelten Gebieten hochwasserrelevant ist und in den historischen Vorgängergesetzen enthalten war, ob aus Bayern, Kurhessen, Nassau oder Schlesien: Die Freihaltung des Abflussgebietes taucht nicht auf. Als Bürger kann man den politischen Sieg des Naturschutzes begrüßen, wenn er uns nicht langfristig auf die falsche Spur lenkte: Der Umgang mit den ÜSG konzentriert sich seitdem fast hysterisch auf ihren Funktionserhalt zur Hochwasserdämpfung. Doch so langsam setzt sich in der Fachwelt durch: Wir überschätzen diese so populär gemachte Wirkung. Hochwasserabfluss ist ein Transportproblem und kein Parkplatzproblem!

Unnötige Forderung, unnötige Kosten

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Es ist wichtig zu verlangen, dass der Hochwasserabfluss nicht beeinträchtigt wird, es ist richtig zu verlangen, hochwasserangepasst zu bauen, und genau da ist unser Spezialistenwissen segensreich. Aber es ist aus hochwasserwirtschaftlicher Sicht unsinnig, im Maßstab von Einzelmaßnahmen Retentionsraumverlust auszugleichen. Es verteuert nutzlos die Vorhaben. Den Häuslebauer kostet es vielleicht unnötige 5.000 EUR oder 10.000 EUR, ein Vielfaches der Kommune, die bei HW-Schutzmaßnahmen "trockengelegte" Siedlungsgebiete ausgleichen muss, und wir haben Anträge für Unternehmen erarbeitet, die sechsstellige Summen zahlten ohne Nutzen. Nicht nur das Geld tut weh: 500 m³ Retentionsraumausgleich an einem Fluss von 20 000 km² Einzugsgebiet zu verlangen ist lächerlich. Dort genauso wie in Naturräumen, die von Haus aus platt sind und in denen das (hoch-) wasserwirtschaftliche Handeln auf Ableitung ausgerichtet ist. Retentionsraum haben sie reliefbedingt im Überfluss. Sie ersaufen daran! Weil geeignete Grundstücke am ÜSG-Rand, wo der Ausgleich hydrologisch Sinn macht, fehlen, werden in der Not Löcher ins Vorland gegraben.

Diese Lächerlichkeit überträgt sich auf den fordernden Sachbearbeiter der Genehmigungsbehörde und auf uns als Vertreter des Antragstellers, die nur achselzuckend auf die Vorschriften zeigen können. Man kann sich auch nicht damit besänftigen, dass das Ganze summarisch zu sehen ist: In der Summe werden die Eingriffe schädlich. Mitnichten. Von der Bundeskanzlerin wird gesagt, ihr Erfolg rührt daher, vom Ende her zu denken. Wenn wir das auf unsere Flusstäler übertragen, muss man feststellen, nie werden wir sie hochwasserrelevant zuschütten. Da überschätzen wir uns. Zudem: Weder Johann Gottfried Tulla würde heute eine Genehmigung für seine Form der Rheinregulierung erhalten noch unsere Vorväter für ihre Deiche an Oder, Elbe oder Weser, um retentionsrelevante Eingriffe zu nennen.

Reformen sind erforderlich

Trotz der Katastrophe 2013 wäre es wirtschaftlich und fachlich geboten und gut für die seelische Hygiene der Beteiligten, hier zu reformieren. Selbstkritik ist eines der Wesensmerkmale demokratischer Gesellschaften. Der oben beschriebene Umgang mit den ÜSG ist nur ein kleiner Aspekt darin. Er ist es m. E. dennoch wert, selbstkritisch betrachtet und dann behandelt zu werden.

Ergänzung der Redaktion

Bemessungsabflüsse dienen als Lastannahmen für Hochwasserschutzmaßnahmen, wertmindernde Abgrenzungen von Überschwemmungsgebieten oder Entscheidungen der Hochwasserzentralen. Als Quelle dienen die gewässerkundlichen Pegel, deren Kennlinien im Bereich hoher Abflüsse fragwürdig sind. Mit der in Ausgabe 11/2014 der Fachzeitschrift "WasserWirtschaft" im Beitrag "Stimmt die W/Q-Beziehung bei höchsten Abflüssen" vorgestellten Modelltechnik kann diese Unsicherheit verringert werden.

Zum Autor
Dipl.-Ing. Detlef Sönnichsen ist Geschäftsführer des Ingenieurbüros Sönnichsen & Partner.

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