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12.03.2014 | Werkstoffe | Schwerpunkt | Online-Artikel

Konfliktstoff für deutsche Automobilzulieferer

5:30 Min. Lesedauer

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Konfliktmaterialien setzen deutsche Zulieferer unter Druck. Sie müssen im Mai 2014 die Rohstoffherkunft gegenüber den US-amerikanischen Automobilherstellern offenlegen - oft mit enormem Aufwand.

Columbit-Tantalit, Kassiterit, Gold und Wolframit sind Rohstoffe, die seit Kurzem jedem Automobilzulieferer bekannt sein dürften. Grund dafür ist eine neue Vorschrift der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC: Danach müssen alle Automotive-Unternehmen, die an der Wall Street notiert sind, die Herkunft sogenannter Konfliktmineralien offenlegen. Wegen der komplexen Lieferketten in der Automobilindustrie sind von der SEC-Regelung auch viele Zulieferunternehmen in Deutschland betroffen.

Konflikte in Zentralafrika sind Grund für SEC-Regel

Ob ein verwendeter Rohstoff als Konfliktminerial klassifiziert wird, hängt von seiner Herkunft ab. Hintergrund der SEC-Regel sind die gewaltsamen Konflikte in der Demokratischen Republik Kongo und angrenzenden Ländern, die mit dem Verkauf von Rohstoffen finanziert werden. Diese Rohstoffe werden häufig unter inhumanen Bedingungen abgebaut. Konfliktmineralien sind demnach Rohstoffe, die potenziell aus diesen Ländern stammen. Weitere Staaten, in denen ebenfalls Konfliktmineralien gefördert werden und die auf der roten Liste der SEC stehen, sind Angola, Burundi, Ruanda, Sudan, Tansania, Uganda, Sambia und die Zentralafrikanische Republik. 

Im Mai 2014 müssen US-Autohersteller erstmals berichten

Die Vorschrift der SEC existiert bereits seit August 2008, doch erst jetzt spüren auch deutsche Zulieferer deren Auswirkungen. Denn die an der US-amerikanischen Börse notierten Autohersteller müssen erstmals im Mai 2014 der SEC in speziellen Reportings Rechenschaft darüber ablegen, welche Mineralien in ihren Fahrzeugen verwendet werden. Die SEC verlangt diese Berichte, wenn sich die Herkunft der Konfliktmineralien im Einzelfall nicht sofort nachweisen lässt. Zunächst besteht eine zweijährige Schonfrist bis 2016, in der Unternehmen die Herkunft als „undeterminable“ deklarieren können. Danach müssen sie Produkte, deren Herkunft sie nicht verlässlich nachweisen können, als nicht-konfliktfrei ausweisen. 

Zehntausende Zulieferer sind betroffen

Aus den afrikanischen Rohstoffen werden Werkstoffe wie Coltan, Tantal, Zinn oder Wolfram hergestellt. Diese werden in der Automobilindustrie dazu verwendet, um zum Beispiel elektronische Bauteile, Kabel, Bremsen oder Airbags herzustellen. Sie dienen aber auch zur Beschichtung von Tanks und der Herstellung von Kühlern. Die Frage nach der Herkunft des verbauten Materials wird derzeit über die gesamte Supply-Chain Schritt für Schritt bis an deren Anfang weitergegeben und kommt so bei immer mehr deutschen Automotive-Firmen an.

Die Nachfragen nach der exakten Herkunft der in Produkten enthaltenen Konfliktmaterialien erstrecken sich von den Branchenriesen bis zu Kleinstunternehmen. Denn oftmals legt ein Rohstoff zehn oder mehr Verarbeitungsetappen von der Mine bis zur Endverarbeitung zurück, bei denen er von Unternehmen zu Unternehmen wandert. Für die Mitarbeiter, die die Herkunft der Konfliktmineralien für ihre Kunden dokumentieren müssen, ist es eine höchst komplexe Aufgabe, alle nötigen Informationen zu erfassen und aufzubereiten.

Nach Schätzungen der SEC sind weltweit 4.500 Unternehmen betroffen: Sie müssen detailliert über die Herkunft von Konfliktmineralien in ihren Produkten berichten. Außerdem geht die SEC davon aus, dass mehrere zehntausend Lieferanten mit Fragen nach der Herkunft von Rohstoffen zu rechnen haben.

US-Kontrollprozess ist auch für deutsche Zulieferer relevant

Die US-amerikanischen Automobilhersteller durchlaufen einen dreistufigen, von der SEC definierten Kontrollprozess:

  1. Die Hersteller müssen feststellen, ob in ihren Produkten Konfliktmineralien verarbeitet werden, unabhängig von ihrer Herkunft.

  2. Ist dies der Fall, fordert die SEC eine sogenannte Reasonable country of origin inquiry (kurz RCOI). In dieser Prüfung muss belegt werden, in welchem Land die Konfliktmineralien abgebaut wurden.

  3. Stammen die Mineralien aus einem Konfliktgebiet oder kann der Hersteller dies zumindest nicht auszuschließen, muss er eine standardisierte Due-Diligence-Prüfung durchführen: Das heißt, er muss seine Lieferkette auf mögliche Risiken hin durchleuchten. Die Ergebnisse dieser Due Diligence müssen in einem detaillierten Bericht dargestellt werden.

Lesen Sie auf Seite 2, warum mittelfristig noch weitaus mehr europäische Zulieferer betroffen sein werden.

Autohersteller wollen belastbare Berichte

Um diesen Prozess durchlaufen zu können, sind die Hersteller auf Informationen ihrer Zulieferer angewiesen. Vor allem die Hersteller aber auch die großen Zulieferer werden verstärkt Wert auf Vollständigkeit, Aussagekraft und Verlässlichkeit der geforderten Reports legen. Es ist davon auszugehen, dass sich die großen Unternehmen gegen mögliche Fehlangaben vertraglich absichern. Damit sind die Zulieferer schnell in einer rechtlich und wirtschaftlich prekären Situation, in der nur sorgfältigste Prüfung hilft.

Ökonomische Abhängigkeiten machen Druck auf Zulieferer

Nachweisbare Transparenz erreichen die deutschen Zulieferer über die Kontakt- und Beziehungsarbeit zu ihren eigenen Lieferanten. Der gesetzliche Hebel, der in den USA greift, kann an dieser Stelle der Supply-Chain allerdings nicht mehr angesetzt werden. Die Sublieferanten sind nicht dazu verpflichtet, ihren Kunden Bericht zu erstatten. Allerdings dürften die enge partnerschaftliche Zusammenarbeit und die sich daraus ergebenden ökonomischen Zwänge ähnlich stark sein, wie die juristischen. Denn entzieht ein US-amerikanischer Automobilkonzern einem deutschen Zulieferer Aufträge aufgrund von Intransparenz, wird sich diese Entscheidung durch die gesamte Lieferkette bis zum sich verweigernden Glied durchziehen. In letzter Konsequenz wird sich auf diesem Weg die Intention der US-Behörde realisieren, dass künftig keine Rohstoffe aus den zentralafrikanischen Konfliktstaaten verwendet werden und die Gewalt in dieser Region weniger finanzielle Nahrung erhält.

Mittelfristig sind weitaus mehr europäische Zulieferer betroffen

Insbesondere die Tier-1- und Tier-2-Zulieferer analysieren nun, ob ihre Kunden von den SEC-Anforderungen betroffen sein könnten. Davon machen diese Zulieferer abhängig, ob sie sich umgehend auf die SEC-Anforderungen einstellen oder ob sie erst dann aktiv werden, wenn Anfragen von Kundenseite gestellt werden.

Grundsätzlich sollte jedes Zulieferunternehmen angesichts des möglichen Reputationsrisikos darüber nachdenken, nachhaltig konfliktfreie Lieferketten zu entwickeln. Seit Sommer 2013 wird auch auf EU-Ebene über ähnliche Vorschläge zur Berichterstattung über Konfliktmaterialien diskutiert. Mittelfristig dürfte diese auch in Europa in Form von gesetzlichen Regelungen ausgestaltet werden, von denen noch weitaus mehr Automobilhersteller und -zulieferer betroffen sein werden.

Gastautoren

Jörg Hönemann ist Partner im Bereich Advisory Services und Leiter des Automotive-Bereichs von Ernst & Young (EY) in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Darüber hinaus verantwortet er als Global Client Service Partner die Dienstleistungen, die EY für einen der großen deutschen OEMs global erbringt.

Nicole Richter ist bei Ernst & Young (EY) Executive Director im Bereich Climate Change and Sustainability Services und dort verantwortlich für den Bereich Prozesse, Systeme und Reporting in Bezug auf Nachhaltigkeitsinformationen. Sie unterstützt ihre Mandanten unter anderem dabei, die neuen Anforderungen im Bereich Conflict Minerals zu erfüllen.

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