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2020 | Buch

Venedig ist überall

Vom Übertourismus zum Neuen Original

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Über dieses Buch

Kultureller Übertourismus ist das neue Schlagwort für von Touristen extrem stark frequentierte und damit überfüllte historische Sehenswürdigkeiten, Museen und Städte. Ein Kulturtourismus also, der negative Auswirkungen sowohl für die kulturellen Orte als auch für die dort lebenden Menschen zeitigt. In Reaktion darauf wird vermehrt protestiert und Kulturträger und Bürgermeister ergreifen zunehmend Maßnahmen, um den Touristenstrom zu begrenzen. Ist dies das Ende einer „Kultur für alle“?In diesem Buch schlägt Bruno S. Frey - renommierter und vielzitierter Kulturökonom - im Gegenteil eine Erweiterung des Angebotes als „Neue Originale“ vor: Die wichtigsten Monumente werden an einem geografisch geeigneten Ort identisch kopiert. Ergänzend werden den Besuchern mithilfe digitaler Informationstechnologien (Augmented und Virtual Reality inklusive Hologramme) Geschichte und Kultur der Orte nahe gebracht. Angrenzende Hotels, Restaurants und Läden bieten die notwendige begleitende Infrastruktur. Auf diese Weise kann der Touristenstrom zwischen den ursprünglichen und den „Neuen Originalen“ verteilt werden. Diese Idee wird mit seinen organisatorischen und ökonomischen Herausforderungen skizziert und von bestehenden Disneyland-Konzepten abgegrenzt. Gerade für Familien mit Kindern und allgemein kulturell interessierte Personen – also für die größte Zahl der Besucher – können diese „Neuen Originale“ sehr attraktiv sein.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Übertourismus – Das Problem

Frontmatter
1. Überbordender Kulturtourismus
Zusammenfassung
Gemäß der World Tourist Organization der Vereinten Nationen gab es im Jahr 1950 25 Millionen internationale Touristen. Diese Zahl ist im Jahre 2018 auf 1,4 Milliarden gestiegen, also auf nicht weniger als das 56-Fache. Es besteht weitgehende Einigkeit, dass der internationale Massentourismus in den kommenden Jahrzehnten weiter zunehmen wird. Einer vorsichtigen Prognose zufolge soll die Zahl der Besucher Europas von etwas über 500 Millionen Personen im Jahre 2010 auf rund 850 Millionen im Jahre 2030 steigen (UNWTO 2018). Dies entspricht einem 60-prozentigen Anstieg in nur 20 Jahren (Kester 2016; Croce 2018). Die Tourismusindustrie ist einer der weltweit am rasantesten wachsenden Sektoren der Wirtschaft. Sie trägt maßgeblich mittels Beschäftigung, Infrastruktur und Exporterlösen zur ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung bei (Becker 2013).
Bruno S. Frey
2. Reaktionen auf den kulturellen Übertourismus
Zusammenfassung
Die Beeinträchtigung der Kunststätten durch den kulturellen Übertourismus hat zu antitouristischen Bewegungen und zu sozialen Unruhen geführt (z. B. Seraphin et al. 2018b; Clancy 2019), besonders ausgeprägt in Spanien, Frankreich und Italien. Sie sind in den klassischen und sozialen Medien (Zeng und Gerritsen 2014) ausführlich unter dem Stichwort „Touristifikation“ oder „Touristophobia“ diskutiert worden (Milano 2017, 2018; Milano et al. 2018; Peeters et al. 2018, S. 29–30; Hughes 2018; Zerva et al. 2019).
Bruno S. Frey

Übertourismus – Ein Radikaler Vorschlag

Frontmatter
3. Eine positive Alternative: Neue Originale
Zusammenfassung
Um das drängende Problem des kulturellen Übertourismus sinnvoll anzugehen, schlage ich einen radikal anderen Ansatz vor: Anstelle einer Begrenzung der Nachfrage – die viele Kunstfreunde ausschließt – ist das Angebot zu steigern. Das vergrößerte Angebot wird mithilfe Neuer Originale erreicht. Auf diese Weise können möglichst viele Touristen die kulturellen Sehenswürdigkeiten besuchen. Im ersten Moment scheint dieser Vorschlag völlig abwegig und wird in der Literatur als unmöglich angesehen (z. B. Smeral 2019). Kulturdenkmäler werden vielmehr als historisch bestimmt und als nicht vermehrbar betrachtet. Bei näherer Überlegung erweist sich die Idee einer Angebotsausweitung jedoch als durchaus vernünftig und machbar.
Bruno S. Frey
4. Was lässt sich gegen Neue Originale einwenden?
Zusammenfassung
Gegen den Vorschlag Neuer Originale lassen sich verschiedene Argumente anführen. Manche von ihnen werfen berechtigte Fragen auf. Einige der Gegenargumente sind durchaus legitim. Dennoch sollte eine Kritik an meinem Vorschlag immer mit den gegenwärtigen Bedingungen verglichen werden, denen Bewohner und kulturell interessierte Touristen ausgesetzt sind: Überfüllung, Gedränge, lange Warteschlangen, Unmöglichkeit einer Annäherung an die Kunstwerke, Lärm, Vandalismus, Kriminalität, Betrug und ungebührliches Verhalten. Darüber hinaus sollte man die Zukunftsaussichten berücksichtigen, die ein düsteres Bild malen. Die bisherigen Maßnahmen scheinen kein geeignetes Mittel parat zu haben, diese Aussichten zu verbessern.
Bruno S. Frey
5. Welche Probleme stellen sich?
Zusammenfassung
Neue Originale erfolgreich zu schaffen, bedarf erheblicher finanzieller Mittel, aber vor allem wird dafür auch Initiative, Durchsetzungskraft, Originalität und ein gutes Gespür für Design benötigt. Dementsprechend ist eine Zusammenarbeit von Spezialisten verschiedenster Disziplinen notwendig. Bei der replizierten Grabstätte von Tutanchamun waren mindestens sieben verschiedene Professionen beteiligt. Archäologen, Umweltingenieure, Mikrobiologen, Spezialisten für die digitale Aufzeichnung, Architekten, Designer und Konservatoren waren involviert. Diese Kombination hat eine originalgetreue Replikation ermöglicht (Wong und Quintero 2019).
Bruno S. Frey
6. Wie können Neue Originale in die Wirklichkeit umgesetzt werden?
Zusammenfassung
Das Konzept der Neuen Originale lässt sich für die unterschiedlichsten Kulturstätten anwenden. Es können einzelne Städte, verschiedene Städte, aber auch einzelne Kunstwerke kopiert und für die Besucher mittels digitaler Technologie mit der Kultur und Geschichte verbunden werden.
Bruno S. Frey

Kultureller Übertourismus – Ein Ausblick

Frontmatter
7. Folgerungen
Zusammenfassung
Übertourismus wird in den Medien als Problem erkannt und diskutiert. Die schwerwiegenden negativen Auswirkungen – Überbeanspruchung und damit Zerstörung von Kulturstätten; Emissionen, Verschmutzung, Abfall und Lärm; ungebührliches Verhalten und Kriminalität; explodierender Verkehr – sind vielen Menschen deutlich geworden. Ohne ernsthafte Anstrengungen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, werden sich die Probleme für die Betroffenen nur verstärken.
Bruno S. Frey
Backmatter
Metadaten
Titel
Venedig ist überall
verfasst von
Prof. Dr. Dr. h. c. Bruno S. Frey
Copyright-Jahr
2020
Electronic ISBN
978-3-658-30279-5
Print ISBN
978-3-658-30278-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-30279-5