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2015 | Buch

Vom Sinn der Soziologie

Festschrift für Thomas S. Eberle

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Über dieses Buch

Wie nur wenige andere hat sich Thomas S. Eberle in seinem soziologischen Schaffen mit der Frage nach dem Sinn in und von der Soziologie beschäftigt und als Brückenbauer zwischen der Soziologie, den Wirtschaftswissenschaften und der Praxis gewirkt. Die Kategorie des Sinns ist zentral für wichtige Entwicklungen der Soziologie, sowohl für ihre theoretischen und methodologischen Konzepte, als auch für ihre Dialoge mit Nachbardisziplinen und mit der Öffentlichkeit. Diese Festschrift würdigt Werk und Wirken Thomas S. Eberles. In „Vom Sinn der Soziologie“ arbeiten Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter verschiedene ihnen wichtig erscheinende Linien und Anstöße näher aus.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung: Vom Sinn der Soziologie
Zusammenfassung
Wie nur wenige andere hat sich Thomas S. Eberle in seinem soziologischen Schaffen mit einer der anspruchsvollsten Fragen seiner Disziplin beschäftigt: der Frage nach dem Sinn in und von der Soziologie. Da ist zum einen der Stellenwert des Sinnbegriffs für die Selbstbestimmung soziologischen Vorgehens, den Eberle in der Linie von Max Weber und Alfred Schütz in seinen grundlagentheoretischen und methodologischen Auseinandersetzungen behandelt. Zum anderen stellt Eberle sich (und der Soziologie) die Frage nach dem Sinn der Soziologie für den Rest der Welt: für andere Disziplinen (vor allem für die Ökonomie, die Organisationsforschung, die Sozialpsychologie), für die Praxis (hier vor allem: die Praxis des Managements), für die Öffentlichkeit und für die Alltagswelt. Unser Einleitungsbeitrag zeichnet zentrale Linien von Eberles Sinnanalysen nach und stellt vor, auf welche Weise die Autorinnen und Autoren der Festschrift deren Impulse aufnehmen und für sich umsetzen.
Achim Brosziewski, Christoph Maeder, Julia Nentwich

Theorie

Frontmatter
Soziologie als reflexive Wissenschaft
Relativismus, Sozialkonstruktivismus und die Triangulation
Zusammenfassung
Die phänomenologisch orientierte Soziologie ist angetreten mit einem Programm, das die Sozialität des Wissens behauptet. Sie hat allerdings sich selbst ausgenommen und in einem absolutistischen Erkenntnisprogramm verortet; dieses Erkenntnisprogramm ist in die Krise geraten. Gerade in ihrer so erfolgreichen Anwendung auf die Wissenschaft selbst hat gerade die wissenssoziologische Perspektive zur Relativierung der Wissenschaft beigetragen, und zwar auch der Soziologie. Angesichts der Kritik, Wissenschaft sei perspektivisch, westlich, männlich und Mittelklasse-dominiert, stellt sich die Frage, ob damit jede wissenschaftliche Erkenntnis nicht selbst politisch bedenklich ist. In diesem Beitragf möchte ich diese Fragen zunächst unter dem Titel des Relativismus angehen. Da der Relativismus häufig mit einem missverstandenen Sozialkonstruktivismus verbunden wird, möchte ich dann die Entwicklung des Sozialkonstruktivismus rekonstruieren. Dabei zeigt sich, dass es häufig zu Verwechslungen mit dem (psychologischen) Konstruktivismus kam, die auch Missverständnis des sozialkonstruktivistischen Relativismus begründen. Im letzten Teil möchte ich entschieden für eine wissenschaftliche Soziologie plädieren. Sie begründet sich in einer besonderen Art der Reflexivität, die für die Wissenschaft die Methode der Triangulation ermöglicht.
Hubert Knoblauch
Kommunikatives Handeln und Situation
Oder: Über die Notwendigkeit, die Situation wieder zu entdecken
Zusammenfassung
Durch die Betonung des Handlungsbegriffs und die damit verbundene Fokussierung auf den subjektiven Sinn innerhalb der qualitativen Sozialforschung ist der Begriff der Situation, dem zu Beginn dieser Art von Forschung zentral war, weitgehend in Vergessenheit geraten. In dem Artikel soll herausgearbeitet werden, dass die Berücksichtigung der Situation nicht nur grundsätzlich fruchtbar ist, sondern sehr gut geeignet ist, den Herausforderungen durch die Praxistheorie zu begegnen.
Jo Reichertz, Sylvia Marlene Wilz
Sinngrenzen und ihre Überwindung
Zusammenfassung
Thomas Eberle hat sich in verschiedenen seiner Publikationen intensiv mit Phänomenen beschäftigt, bei denen Sinngrenzen tangiert und mitunter sogar auf dramatische Weise überschritten werden. Das reicht von minutiösen phänomenologischen Analysen kognitiver Abbauprozesse nahestehender Mitmenschen über ethnografische Beschreibungen seiner Begegnung mit australischen Aborigines bis zur Analyse der radikal abweichenden Wirklichkeitsvorstellung von Mitgliedern einer apokalyptischen High-Tech-Sekte. Dabei werden Sinngrenzen verschiedenster Größenordnungen berührt. Die üblichen Normalerwartungen des Alltagsdenkens in Frage stellende Befremdungserfahrungen werden damit zum produktiven Ausgangspunkt phänomenologischer und soziologischer Analysen über die Grenzen unserer Alltagserfahrung und divergierende Wirklichkeitskonstruktionen. Vor dem Horizont dieser Überlegungen von Thomas Eberle wird die Frage der soziologischen Bedeutung von Sinngrenzen und der allgemeine Stellenwert einer Untersuchung von Grenzerfahrungen für die Soziologie diskutiert.
Bernt Schnettler
„Jene eigentümliche Spannung zwischen Leben und Denken.“
Zum Sinn der Wahl in der lebensweltlichen Theorie
Zusammenfassung
Das Problem der Wahl zwischen unterschiedlichen Handlungsoptionen nimmt in Schütz‘ Werk eine zentrale Position ein, denn es verweist auf die Frage nach dem Sinn des Handels und liegt am Scheidepunkt von drei großen Theorietraditionen: Husserls Phänomenologie, Schütz‘ Lebensweltlicher Soziologie, und Garfinkels Ethnomethodologie. Thomas Eberle hat sich mit diesem Problem immer wieder kritisch und detailliert auseinandergesetzt und dabei nicht nur auf die theoretischen und methodologischen Implikationen hingewiesen, sondern auch Schwachstellen aufgezeigt. Dieser Beitrag wird zunächst Eberles kritische Diskussion von Schütz‘ Analyse des Wahlhandelns nachzeichnen und dabei die Unterscheidung zwischen dem Wählen zwischen Gegenständen in Reichweite und dem Wählen zwischen Handlungsoptionen in den Mittelpunkt stellen. Darauf aufbauend wird argumentiert, dass Schütz mit dem Verweis auf Gegenstände in körperlicher Reichweite einen Phänomenbereich nur anschneidet, der einer eingehenderen Analyse bedarf, da er die scharfen begrifflichen Grenzziehungen seines Sinnbegriffs besonders deutlich macht. Zudem lässt er das spezielle Angebot von Garfinkels Ethnomethodologie an den soziologischen Sinnbegriff klar hervortreten. Eine solche Analyse kann daher die lebensweltliche Theorie des Wahlhandelns in entscheidenden Punkten verstärken, wirft aber auch fundamentale Fragen in Bezug auf den von dieser Theorie verwendeten Sinnbegriff auf.
Niklas Woermann

Methodologie

Frontmatter
Transformation und Widerstand
Wie Mikrohierarchien und Emotionen die soziale Organisation interkulturellen Zusammenlebens stabilisieren
Zusammenfassung
Im Fokus dieses Beitrags steht eine interpretativ-qualitative Fallstudie, welche den Transformationsprozess einer südafrikanischen Universität hinsichtlich der Aufhebung der Rassentrennung in den Wohnheimen untersucht. Der Widerstand gegen diese Veränderungen – so die zentrale Aussage – beruht nicht nur auf Vorstellungen ethnischer Inkompatibilität, sondern auch auf dem Interesse der Studierenden an der Aufrechterhaltung der lokalen Wohnheimskultur. Diese bildet einen mesostrukturellen Kontext, der den Studierenden die Möglichkeit bietet, sich nicht nur über ethnische oder „rassische“, sondern über solche Kategorien zu identifizieren, die der Wohnheimspraxis entstammen. Die Stabilität dieser Praxis beruht auf lokalen Mikrohierarchien, die wiederum vorwiegend über emotionale Erlebnisse reproduziert werden: Die mit dem Status des/der Erstjahresstudent_in verbundenen emotionalen Erfahrungen stellen einen ‚affektiven Einsatz‘ dar, der sich nur lohnt, wenn man in den Folgejahren über den hierarchischen Aufstieg und den damit verbundenen Interaktionsrechten vom Gleichbleiben dieses Arrangements profitiert. — Die Studie knüpft in vielfältiger Weise an das Werk Thomas S. Eberles an und legt das Augenmerk auf die affektiv-emotionale Dimension des Erlebens, Handelns und Erinnerns, auf deren Bedeutung Eberle in seiner Auseinandersetzung mit Alfred Schütz’ Werk wiederholt hingewiesen hat.
Florian Elliker
Prospektive und retrospektive Sinngenerierung
Eine interpretative Sicht auf Organisationsprozesse
Zusammenfassung
Organisationen durchdringen den Alltag moderner Gesellschaften. Um die interne Ordnung und Dynamik von Organisationen zu verstehen, ist es sinnvoll, einen Blick auf die Herstellung, Reproduktion und Veränderung der subjektiven Ordnung von Akteuren sowie die Sinnstrukturen deren Handelns im organisationalen Kontext zu werfen. Aus der Sicht einer interpretativen Organisationssoziologie wird dabei die Konstitution von Sinn in das Zentrum gerückt. Kernüberlegung dabei ist, dass diese Sinnkonstitution sich Beobachtungen und Erfahrungen der Vergangenheit bedient, dabei die Zukunft antizipiert und in der Verarbeitung dieser retrospektiven und prospektiven Sichtweisen in individuelle und kollektive Wissensbestände eindringt. Zum einen erweist sich dabei die Frage als bedeutend, wie die Akteure ihre subjektiven Sinnstrukturen entwickeln. Zum anderen ist es aber ebenso wichtig, jene kollektiven Sinnstrukturen zu erkunden, die sich jenseits subjektiver Intentionen als Regeln identifizieren lassen, welche zum Verständnis organisationaler Handlungszusammenhänge beitragen. Insofern zeigt der Beitrag die Bedeutung kommunikativer Sinngenerierung für das Verstehen organisationaler Prozesse.
Ulrike Froschauer, Manfred Lueger
Sinngemäßes
Mit Thomas Eberle auf der Suche nach den Grundlagen und Herausforderungen interpretativer Sozialforschung
Zusammenfassung
Rekonstruiert wird zunächst die ursprüngliche theoretische Annäherung des Autors an das Denken von Thomas S. Eberle. Dessen Implikationen werden im Hinblick auf die zentrale Begründung der epistemologischen Sonder-stellung der (Geistes- und) Sozialwissenschaften erwogen. Dergestalt werden gemeinsame Interessen an der Klärung und Nutzung der (mundan-) phänomenologischen Methodologie für eine genuin interpretative Soziologie erkennbar, deren allgemeinster Sinn in der Rekonstruktion subjektiv gemeinten Sinns liegt. Methodisch präzisiert geht es dabei um die auf Verallgemeinerung hin orientierten sinnrekonstruierenden Auslegungen von Einzelfällen. Der Autor und Thomas S. Eberle führen derzeit solche Einzelfallanalysen durch, die hinsichtlich einiger Aspekte miteinander korrespondieren und hinsichtlich anderer Aspekte deutlich differieren. Diese eigenen empirischen Arbeiten lassen sich wiederum verorten in einer Strömung konzeptioneller und methodologisch-methodischer Neuerungen im Rahmen des interpretativen Paradigmas, das seinerseits in gewisser Weise aktuell herausgefordert wird durch poststrukturalistische Subjektivierungstheorien.
Ronald Hitzler
Wie und wozu forschen?
Vom Sinn soziologischer Erkenntnisproduktion
Zusammenfassung
Der Beitrag geht von der Diagnose eines weitreichenden Erfolges soziologischer Perspektiven aus. Dieser zeigt sich sowohl in der längst erfolgten Soziologisierung gesellschaftlicher Selbstverständigungen als auch in der Soziologisierung unterschiedlichster Nachbardisziplinen der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Für die Soziologie ist dieser Befund durchaus ambivalent: Einerseits kann er ihrem Ego schmeicheln. Andererseits verweist er auf ihre geschwächte Position – gegenüber einer Gesellschaft, die glaubt, von ihr nichts Neues erwarten zu können, aber auch im Vergleich der Disziplinen und Transdisziplinen, die entweder immer schon einen exklusiven, auf Expertise angewiesenen Gegenstand (anstelle ‚bloß Gesellschaft‘) zu haben scheinen, während Soziologie als ewig dilettierender Kommentar etikettiert werden kann, oder die sich gesellschaftsanalytisch betätigen, ohne deswegen gleich Soziologie betreiben zu wollen. Diese Diagnose führt (uns) zu der Frage nach den Arten und Weisen, durch die soziologische Erkenntnis- und damit auch Sinnproduktion erfolgt. Plädiert wird für ein Verständnis von Soziologie, das – im zunehmend schwieriger werdenden Verhältnis von Nähe und Distanz zum Gegenstand – der experimentellen Erfahrung und der Eröffnung neuer Denk- und Handlungshorizonte gleichermaßen Bedeutung einräumt.
Angelika Poferl, Reiner Keller
Das Postulat der Als-ob-Adäquanz
Zur Bildung empirisch begründeter Theorien von fremdkulturellem Handeln
Zusammenfassung
Wenn „die subjektive Perspektive des einzelnen Akteurs als letzter Bezugspunkt für sozialwissenschaftliche Analysen“ (Eberle 1999) gilt, und wenn man zugleich erkennt, dass Fremdverstehen nur approximativ gelingen, die Akteursperspektive nur annäherungsweise erfasst werden kann, dann stellt sich in entsprechenden Untersuchungskontexten die Frage, was das für die wissenschaftliche Rekonstruktion in Bezug auf das Handeln in fremden Kulturen bedeuten mag. Das Problem besteht darin, dass der wissenschaftliche Interpret nicht über die kultur- und lebensweltgebundene Mitspielkompetenz verfügt, die ihn befähigen würde, annäherungsweise die Binnenperspektive der Akteure zu bestimmen, um von daher eine Strukturrekonstruktion adäquat betreiben zu können. Trotzdem – so die These dieses Beitrags – ist eine handlungsanalytische Rekonstruktion von kulturfremden sozialen Wirklichkeiten nur möglich, wenn am Postulat zumindest einer Als-ob-Adäquanz, sozusagen einer Kausal- und Sinnadäquanzfiktion, festgehalten wird.
Norbert Schröer
Der Soziologe als „Ungläubiger Thomas“
Auf den Spuren des Archaischen in der Moderne
Zusammenfassung
Der generalisierte Zweifel als Grundstock der „(dé-?)formation professionnelle“ des Soziologen ist Thema dieser Hommage an einen guten Kollegen und Freund.
Franz Schultheis
Mundanphänomenologie, qualitative Sozialforschung und die Stimme des Common Sense in fiktionaler Literatur
Zusammenfassung
Qualitative Sozialforscher/innen kritisieren in der Regel die Lebensweltferne konventionell quantifizierender Forschung. Zum Erweis der Wissenschaftlichkeit ihrer Methoden bedienen sie sich indessen nicht selten hoch komplexer Datenauswertungstechniken, die ihren Untersuchungsbefunden paradoxerweise eben die Lebensweltnähe, die mit ihnen erreicht werden sollte, entziehen. Fiktionale Literatur lehrt, wodurch sich dichte Beschreibungen auszeichnen, die dem Qualitätskriterium lebensweltlicher Fülle genügen. Neben literarischen, den kritisch-kreativen Common Sense und die Imagination ihrer Leser/innen beflügelnden Texten gibt es aber auch nicht fiktionale, facta dokumentierende Texte, deren Gehalt und hintergründige Mehrdeutigkeit höchst aufschlussreich sind. Qualitative Sozialforscher/innen sollten ihre Kräfte mehr als auf Demonstrationen der Wissenschaftlichkeit ihrer Forschungsmethoden auf das Auffinden oder Generieren solch hochwertiger Befunde von großer Überzeugungskraft konzentrieren. Sie erfüllen ihre Aufgabe dann am besten, wenn das Primärmaterial, das sie präsentieren, von größerem Interesse ist als beliebige es kommentierende Analysen.
Emil Walter-Busch

Dialog

Frontmatter
Der Sinn der Lehre: Ethnographie, Affekt, sensemaking
Zusammenfassung
Anhand der Beschreibung und Reflexion einer universitären Lehrveranstaltung, die die Erkundung städtischer Affekte und Atmosphären mittels ethnographischer Praktiken zum Inhalt hat, umreißt unser Beitrag eine Pädagogik des Affekts und skizziert ihre Implikationen für den Sinnbegriff und das Theorem des sensemaking. Zunächst stellen wir kurz einen „nicht-repräsentationalen“ oder „mehr-als-repräsentationalen“ Zugang zur Ethnographie vor. Dessen Entfaltung in der Lehre führt uns zu Praktiken des Gehens als Techniken einer Ethnographie des Affekts – und ihren Bezügen zu einem forschenden Lehren und Lernen, vielleicht gar zu einer Schule des Erfahrens, die es der Sozialforschung besser ermöglicht, der affektiven Verfasstheit des Sozialen gerecht zu werden. Auf dieser Basis arbeiten wir ansatzweise die Implikationen für ein erneuertes Verständnis von sensemaking heraus, das die ausschließliche Bindung an Sprache und kognitive Mechanismen hinter sich lässt und sich affektiven und atmosphärischen Kräfteverhältnissen öffnet: Was Sinn „macht“, wird geprägt durch das, was sinnlich erfahrbar ist.
Timon Beyes, Chris Steyaert
Leeres Jenseits
Die Altersgesellschaft und die christliche Heilsgeschichte
Zusammenfassung
Der Beitrag befasst sich mit den weithin ungeklärten Konsequenzen einer Langlebigkeitsgesellschaft auf die Theoriefähigkeit einer Gesellschaft. Wird diese in Gesellschaften mit hoher Lebenserwartung geschärft? Werden solche Gesellschaften weiser? Oder führt die Langlebigkeit zu einer Dominanz tradierten Wissens und schwindender Innovationskraft? Und welche Folgen erfährt eine christliche Heilsgeschichte, welch die Erlösung in einer anderen Welt vorsieht wenn das Leben zum ersten Mal in der Weltgeschichte nicht jäh in der Mitte des Lebens endet sondern „ganz“ wird und Zeit zur irdischen Rechenschaft gibt?
Peter Gross
Persönlichkeitsentwicklung an der Universität als zentrales Studienziel
Zusammenfassung
Moderne Universitäten verstehen sich nicht nur als Lehranstalten oder Denk­­fabriken, sondern vor allem als lebensbegleitende Bildungsstätten, die „Bildung durch Wissenschaft“ ermöglichen, indem sie neben der fachlichen auch die persönliche Weiterentwicklung ihrer Studierenden fördern. Dieser Beitrag skizziert die (ursprünglich) humanistische Vision des Bologna-Prozesses und greift vor diesem Hintergrund beispielhaft zwei der innovativsten Komponenten des international kompatiblen St. Galler Studienmodells heraus: Die inte­grative Konzeption des Kontextstudiums und das extracurriculare Coaching-Programm zeigen in eindrucksvoller Weise wie universitäre Persönlichkeitsbildung im Rahmen der vorgegebenen Bologna-Struktu­ren realisiert werden kann. Der Fokus liegt dabei auf dem Erwerb überfachlicher Kompetenzen als konkretisierten Bildungszielen und auf dem Einsatz aktivierender und studierendenzentrierter Lehr-Lernmethoden zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung. Studieren bedeutet demnach im Kern, seine Persönlichkeit, sein Weltbild und seine (über)fachli­chen Kompetenzen zu ent­wickeln.
Sabine Hoidn
Kommunikationskulturelle Missverständnisse und deren Antizipierbarkeit
Zusammenfassung
Die Erfahrung kommunikationskultureller Unterschiede im akademischen Milieu sind Gegenstand persönlicher Betrachtung, deren Empirie sich aus Lehr- und Forschungsaufenthalten in den USA (Boston), der Schweiz (St. Gallen) und Österreich (Wien) speisen. Mit ,Kommunikationskultur' sind Unterschiede der Sprache und des Sprechens ebenso angezeigt wie Fragen des Kritikstils und der Umgangsweise. Dabei betritt man niemals eine terra incognita, sondern tritt jeden Auslandsaufenthalt mit allerhand Rüstzeug mehr oder minder guter Qualität an. Angesichts dessen fragt sich die Autorin, ob sich kommunikationskulturelle Missverständnisse auf der Basis stattgehabter Erfahrungen antizipieren lassen.
Michaela Pfadenhauer
Analoges Fotografieren im digitalen Zeitalter
Zusammenfassung
Im vorliegenden Kapitel wird die Hinwendung zum Analogen im Zeitalter des Digitalen exemplarisch anhand der analogen Fotografie untersucht. Zunächst werden in einem technischen Vergleich objektiv feststellbare Unterschiede zwischen der digitalen und der analogen Fotografie erläutert. Anschliessend wird das Feld geöffnet, um soziale Prozesse und Dynamiken genauer zu betrachten, die für die steigende Beliebtheit analoger Technologie relevant sind. Hierbei scheinen insbesondere die gesellschaftliche Perzeption des Analogen sowie Muster von Zugehörigkeit und damit verbunden die sozial konstruierten Beurteilungen von analogen Kameras durch ihre Nutzer eine gewichtige Rolle zu spielen.
Da soziale Prozesse jedoch nicht selbstevident sind, wird in einem dritten Schritt auf die individuellen Handlungen der fotografierenden Person und den damit verbundenen subjektiven Sinn abgestellt. In Analogie zu kürzlich erschienen Beiträgen von Thomas S. Eberle fokussiert der Autor dabei auf seine eigene Wahrnehmung beim Fotografieren und setzt sich aus phänomenologischer Perspektive mit seinem Umgang mit der Kamera auseinander.
Niklaus Reichle
Sinn in der Management-Praxis
Zusammenfassung
Management muss – so die gängige Erwartung – der Steuerung und Kontrolle komplexer Organisationen dienlich sein. Sinn hingegen steht eigenartigerweise dieser Steuerbarkeit entgegen – denn Sinnprozesse sind immer durch ein kreatives, innovatives und bisweilen auch kritisches Moment gekennzeichnet, durch „Eigensinn“. Management als reflexive Gestaltungspraxis steht in dieser Spannung: Auf der einen Seite sind die Entstehung und Weiterentwicklung heutiger Organisationen in grundlegender Weise auf tragfähige Prozesse einer gemeinsamen Sinnkonstitution angewiesen. Auf der anderen Seite können solche Prozesse auch irritierend und störend wirken, weil sie Bestehendes in Frage stellen oder neu bewerten. In diesem Essay wird zu zeigen versucht, wie am Beispiel der vierten Generation des St. Galler Management-Modells Prozesse der Sinnkonstitution in ein komplexitätsgerechtes Verständnis von Organisation und Management integriert werden können – ohne aber zu suggerieren, dass auf diese Weise der verlorengegangene Mythos der heroischen Steuerbarkeit sozialer Systeme zurückgewonnen werden könnte.
Johannes Rüegg-Stürm
Einige Reflexionen zu Sinn, Sinnkonstruktionen und deren Relevanz wie auch Herausforderungen für Wissenschaft und Praxis
Zusammenfassung
Nach einer kurzen Einführung wird in diesem Beitrag zunächst die Bedeutung von Sinn und Sinnkonstruktionen in den nicht exakten Wissenschaften aus psychologischer Perspektive skizziert, da die Soziologie umfassend in den Arbeiten Thomas Eberles abgedeckt ist. Anschließend werden die Herausforderungen für Forscher diskutiert, die sich bei ihrer Wahl zur Erforschung von Sinn und Sinnkonstruktionen vermeintlich für Relevanz anstelle von Präzision entschieden haben. Die interkulturelle Forschung wird als Beispiel für die Art von Erkenntnisgewinn herangezogen, die einerseits mit einem szientistischen und andererseits mit einem hermeneutischen Forschungsparadigma verbunden sind. Da in den Arbeiten von Thomas Eberle Kontext eine grosse Bedeutung hat, wird die Rolle von Kontext mit den entsprechenden Implikationen für die Akteure exploriert. Der Beitrag schliesst mit einer persönlichen Würdigung von Thomas Eberle in seinen Rollen als Lehrer, Forscher, Kollege und Mensch.
Sonja Sackmann
Backmatter
Metadaten
Titel
Vom Sinn der Soziologie
herausgegeben von
Achim Brosziewski
Christoph Maeder
Julia Nentwich
Copyright-Jahr
2015
Electronic ISBN
978-3-658-09094-4
Print ISBN
978-3-658-09093-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-09094-4