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2000 | Buch

Wahlen und Politikvermittlung durch Massenmedien

herausgegeben von: Dr. Hans Bohrmann, Dr. Otfried Jarren, Dr. Dr. Gabriele Melischek, M.A., Dr. Josef Seethaler

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Zur Einführung

Frontmatter
Politikvermittlung und Wahlen — Sonderfall oder Normalität des politischen Prozesses? Essayistische Anmerkungen und Anregungen für die Forschung
Zusammenfassung
„The show must go on“, so resümiert Peter Radunski (1996, 34), erfahrener Parteimanager, Wahlkampfplaner und Spitzenpolitiker, seine Erfahrungen zur modernen Wahlkampfführung wie überhaupt zur unausweichlichen „Amerikanisierung“ politischer Kommunikation. Nun kann man darüber streiten, ob die Show weitergehen muss, kann räsonieren über den Verfall der politischen Kultur durch zunehmende „Amerikanisierung“ der Politikvermittlung; kann die Inhaltslosigkeit von Wahlkampagnen, die Reduktion von Politik auf Fernseh-Personality-Shows und Sympathiewettbewerbe wie überhaupt die Entertainisierung des Politischen beklagen. Die normativ-kulturkritisch aufgeladene Attitüde, mit der solche Klagen bisweilen geführt werden, dürfte wenig daran ändern, dass die Show weiter gehen wird. Der Bundestagswahlkampf 1998 lieferte jüngstes Anschauungsmaterial für den Grad an medialer Professionalisierung. Bei Kommentatoren nährte er erneut Zweifel, ob den Parteien noch die Funktion zukommt, Sprachrohre der Gesellschaft zu sein; ob wir uns nicht an einem „Wendepunkt“ (Oberreuter 1996) auf dem Weg „von der Parteien zur Mediendemokratie“ (Sarcinelli 1998a) befinden, ja das „Ende der Parteien“ (Meng 1997) bevorstehe. Ohne die Medien jedenfalls und vor allem ohne das Fernsehen sind politische Parteien heute allenfalls noch politische „Flüstertüten“.
Ulrich Sarcinelli
Massenmedien als Wahlkommunikatoren in längerfristiger Perspektive: Ein Forschungsüberblick
Zusammenfassung
Ein dermaßen vielschichtiges Thema, das von zahlreichen Autoren (vgl. u.a. Jarren, Sarcinelli und Saxer 1998; Jarren, Schatz und Weßler 1996; Schulz 1997), aber bedauerlicherweise wenig in längerfristiger Perspektive angegangen worden ist, erheischt in erster Linie eine — soweit möglich — klare Dimensionierung. Wie oft im Bereich der politischen Kommunikation handelt es sich ja auch hier um einen ungenügend definierten Sachbereich. Dieser soll im Folgenden jeweils in Gestalt von Thesen, als sogenannte advance organizers, vorgängig aufgeschlüsselt und diese dann weiter konkretisiert werden.
Ulrich Saxer

Politikvermittlung in der Wahlkommunikation

Frontmatter
„Amerikanisierung“ der Wahlkommunikation in Westeuropa: Diskussions- und Forschungsstand
Zusammenfassung
Professionelle Beobachter (west)europäischer Wahlkämpfe und deren massenmedialer Vermittlung konstatieren seit den achtziger Jahren einen universellen Prozess der „Amerikanisierung“, wobei der Bedeutungsgehalt dieses Konzeptes höchst unterschiedlich definiert wird. Das Konzept „Amerikanisierung“ hat mittlerweile auch in die politik- und kommunikationswissenschaftliche Literatur Eingang gefunden, wenngleich die empirische Beweisführung vielfach durch eine erstaunliche Überzeichnung gekennzeichnet ist. Reichen Beobachtungen, dass auch in Westeuropa Wahlkämpfe primär im Fernsehen ausgetragen werden, die Spitzenkandidaten im Mittelpunkt des Wahlkampfgeschehens stehen und konsequenterweise die Wahlkampfberichterstattung stark personenbezogen ist, aus, um von einer „Amerikanisierung“ der europäischen Wahlkommunikation zu sprechen? Ist die fortgeschrittene Professionalisierung der Wahlkampfplanung unter Heranziehung externer Kommunikations- und Werbeexperten hinreichend, um daraus eine „Amerikanisierung“ abzuleiten? Rechtfertigen narrative Dramaturgie der Medienberichterstattung und die Tendenz der Journalisten, den Wahlkampf als sportives Ereignis zu definieren und über die Siegesbzw. Erfolgschancen einzelner Parteien zu spekulieren, Warnungen vor einer „Amerikanisierung“ der Wahlkampfberichterstattung? Offensichtlich handelt es sich bei den angeführten Indikatoren für eine „Amerikanisierung“ der europäischen Wahlkommunikation um singuläre Beobachtungen, die bestenfalls die anhaltende Modernisierung und Professionalisierung der politischen Kommunikationsakteure widerspiegeln, aber keine Belege für einen gerichteten Konvergenz- und Diffusionsprozess darstellen, den das Konzept „Amerikanisierung“ unter sozialwissenschaftlichen Vorzeichen behauptet.
Fritz Plasser
„Gnadenlos professionell“: Journalisten und die aktuelle Medienberichterstattung in Bundestagswahlkämpfen 1976–1998
Zusammenfassung
Immer noch ist die Legende weit verbreitet, dass Journalisten in Wahlkämpfen ihre Lieblinge unterstützen. Das seien im Zweifelsfall immer die Politiker der Linken. Zumindest für die aktuellen Formen der Medienberichterstattung jedoch galt und gilt in Deutschland offenbar ein „Sichtbarkeitsbonus“ der Regierung. Dabei kommt es auf deren Couleur nicht an. Der Grund dafür ist: Politische Berichterstattung im Wahlkampf wird im Stil des „business as usual“ betrieben, d.h. die üblichen professionellen Nachrichtenfaktoren wie Prominenz, Einfluss und Dynamik gelten unvermindert auch in Wahlkämpfen. Deshalb kommt die jeweilige Opposition — im Unterschied zu der in den angelsächsischen Ländern — in der heißen Phase des Wahlkampfs nicht ähnlich ausführlich zu Wort wie die Regierung. Anhand der Bundestagswahlkämpfe des vergangenen Vierteljahrhunderts lässt sich zeigen: Die Opposition kann sich in der aktuellen Berichterstattung nur dann etwas stärker profilieren, wenn sie wichtige Nachrichtenfaktoren — z.B. die Chance eines Wahlsiegs — zu bieten in der Lage ist. Auch in den durch die Medien vermittelten Bewertungen von Parteien und Politikern lässt sich kein systematischer Bonus für „linke“ Politik finden.
Klaus Schönbach, Holli A. Semetko
Kanzler-Kandidaten in der Wahlkampfberichterstattung 1949–1998: Skizze eines Forschungsprojekts
Zusammenfassung
Wahlkämpfe sind schon seit Jahrzehnten bevorzugter Gegenstand kommunika-tionswissenschaftlicher Untersuchungen. Dies erklärt sich aus dem Umstand, dass bei Wahlen in Demokratien über das weitere Schicksal des politischen Systems entschieden wird. Von ihnen hängt es ab (wenn auch nicht ausschließlich), zu welchen Veränderungen es im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben eines Landes kommt. Und in diesem Zusammenhang interessiert aus nahe liegenden Gründen, welche Rolle (Massen-)Kommunikation in Wahlkämpfen und für das Zustandekommen der Wahlergebnisse spielt.
Jürgen Wilke
Wahlen aus der Perspektive der Attributionstheorie: Forschungsergebnisse, Versuchspläne und Analyseperspektiven
Zusammenfassung
Die Analyse der Berichterstattung über politische Ereignisse und insbesondere über Wahlergebnisse stellt für Psychologen aus dem Bereich der Attributionsforschun ein interessantes Untersuchungsfeld dar, auf welchem zentrale Hypothesen der Theorien über das Zustandekommen und die Auswirkungen naiver kausaler Erklärungen überprüft werden können. Ich werde kurz einen Versuch skizzieren, Überlegungen aus dem Bereich der Attributionstheorien anhand von Analysen von Wahlberichterstattung zu überprüfen, und werde danach einige Bereiche attributionstheoretischer Forschung schildern, die sich aus meiner Sicht in ganz besonderer Weise anböten, in diesem Feld überprüft und angewandt zu werden. Besonderes Augenmerk wird der strategischen Kommunikation naiver Erklärungen durch selektives Berichten von Kovariationsinformation, dem Gebrauch des Abwertungs- und des Aufwertungsprinzips und der Benutzung unterschiedlicher interpersonaler Verben geschenkt. Abschließend wird erörtert, welche Einsichten solche attributions-theoretischen Analysen bezüglich der Beurteilung politischer (Wahl-)Berichterstattung erlauben (z.B. die Identifikation indirekter Indikatoren tendenziöser Berichterstattung).
Friedrich Försterling
„Nach der Wahl ist vor der Wahl“: Interpretationen als Gegenstand der Medienforschung
Zusammenfassung
Wenn die Wahllokale geschlossen werden, tritt ein Ritual in Gang: Die Rundfunksender vermelden die Wahlprognosen der verschiedenen Institute, die Hochrechnungen der Wahlergebnisse laufen an, und nach den ersten Trends beginnen die Interviews mit Politikern und Experten, die Schaltungen in die Parteizentralen, Analysen von Wählerwanderungen und möglichen Konsequenzen der Wahl. Später macht sich die „Bonner Runde“ aus Parteivorsitzenden oder Generalsekretären an die kontroverse Interpretation der Wahlergebnisse. Der Hauptteil dieser Mühen wird von den Zeitungen und Magazinen der nächsten Tage fortgesetzt, bis die Wochenblätter am Donnerstag bzw. am folgenden Montag die Analysen zu einem relativen Abschluss bringen, während die gewinnenden Politiker inzwischen am Aushandeln der neuen Regierungskonstellationen sind und die Verlierer unter ihnen beginnen, wie immer effektive und nützliche Konsequenzen aus den Wahlergebnissen zu ziehen.
Hans-Jörg Stiehler
Sieger und Verlierer in der Nachwahlberichterstattung der Berliner Tagespresse 1928–1932
Zusammenfassung
Kaum hatte der Fernsehsender CBS im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 1984 einen kritischen Report über Ronald Reagan ausgestrahlt, erhielt die Gestalterin des Beitrags, Lesley Stahl, einen Anruf, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Am Telefon war ein hoher Beamter des Weißen Hauses, der sich für die Story bedankte. Auf die Frage der überraschten Reporterin, warum er sich für die „brutalste Geschichte“, die sie je über Reagan gemacht habe, bedanke, soll er geantwortet haben: „Lesley, wenn Sie viereinhalb Minuten lang erstklassige Bilder von Ronald Reagan zeigen, hört keiner mehr Ihren Kommentar. Ist Ihnen nicht klar, dass die Bilder Ihren Bericht vollkommen in den Hintergrund gedrängt haben, weil sie zu dem, was Sie sagen, im Widerspruch stehen? […] Für uns war das eine viereinhalbminütige kostenlose Werbung für eine zweite Amtszeit Ronald Reagans.“ (zit. nach Smith 1988,452)
Gabriele Melischek, Josef Seethaler

Politikvermittlung und Politikresonanz

Frontmatter
Publizistische Wahlempfehlungen und das Wahlverhalten der jüdischen Bevölkerung in den Reichstagswahlen 1932
Zusammenfassung
Die Politik des Jahres 1932 wurde von Wahlen maßgeblich geprägt. Im März fand der erste Durchgang der Reichspräsidentenwahl statt, gefolgt von einem zweiten Wahlgang am 10. April, in dem sich Hindenburg gegen Hitler durchsetzte. Zwei Wochen danach folgten die Landtagswahlen in Preußen, Bayern, Württemberg, Anhalt und Hamburg, die in den jeweiligen Ländern den Nationalsozialisten beträchtliche Zugewinne brachten. Die Reichstagswahl Ende Juli fand in einer politisch aufgeheizten Atmosphäre statt. Nach der Wiederzulassung der SA hatte der Altonaer Blutsonntag (17. Juli) bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zur Folge; drei Tage später entzog die Regierung von Papen der preußischen Minderheitsregierung, bestehend aus den Parteien der Weimarer Koalition unter Ministerpräsident Braun, mit Hilfe des militärischen Ausnahmezustands staatsstreichartig die Macht. Aus Sicht der republikanischen Parteien ging es in der anstehenden Wahl um die Verhinderung des totalen nationalsozialistischen Wahlerfolgs und die Erhaltung der Republik. Als es im November erneut zu Reichstagswahlen kam, war der Stern Hitlers, nach Einschätzung vieler Zeitgenossen, bereits am Sinken. Die jüdische Minderheit, mit rund 500.000 Einwohnern rund 0,9 Prozent der Gesamtbevölkerung, verfolgte seit einigen Jahren die politischen Entwicklungen mit großer Besorgnis und wies mahnend auf die sich anbahnenden Verwerfungen innerhalb der politischen Landschaft hin.
Martin Liepach
Politikvermittlung und Wahlkampfkommunikation zu den GRÜNEN in Deutschland (1983–1990): Der Einsatz eines Mehrmethodendesigns für die Langzeitanalyse
Zusammenfassung
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Publizistische Medienwirkungen“ (vgl. Schulz 1992) geförderte Forschungsprojekt, über das ich hier — entsprechend der Zielsetzung der Tagung — unter vorwiegend methodischen Gesichtspunkten berichte, ist mit dem Ziel verbunden, einen Beitrag zur Integration kommunikations- und politikwissenschaftlicher Ansätze zu leisten. Im Mittelpunkt steht die Methodenkombination von langfristigen Inhaltsanalysen und Panel-Befragungen. Das Forschungsinteresse konzentrierte sich auf die Tagespresse und auf die Partei DIE GRÜNEN mit dem Ziel, zur Untersuchung des Feldes „Politik und Massenmedien“ im Zusammenhang mit neuen kleinen oppositionellen Parteien beizutragen.
Manfred Knoche
Themenhierarchisierung und Klimaerzeugung: Überlegungen zur Bedeutung des „agenda-setting“-Ansatzes für die Analyse und Gestaltung von politischen Kampagnen am Beispiel der schweizerischen Nationalratswahlen 1983–1995
Zusammenfassung
„Agenda-Setting“ ist wohl jener Ansatz der Medienwirkungsforschung, welcher die politische Kommunikation am meisten beeinflusst. 1972 formulierten es die Väter des Konzeptes, die amerikanischen Medienwissenschafter Maxwell E. McCombs und Donald L. Shaw, wie folgt: „While the mass media may have little influence on the direction of intensity of attitudes, it is hypothesized that the mass media set the agenda for each political campaigne, influencing the salience of attitudes toward the political issues.“1 Bis heute ist dies die zentrale Auffassung des Ansatzes geblieben; so definiert das Handbuch der politischen Kommunikation (Jarren et al. 1998) „agenda-setting“ als „die Fähigkeit der Massenmedien, durch die Betonung von Themen in der Berichterstattung — also durch die Publikationshäufigkeit, Platzierung und Aufmachung — zu beeinflussen, welche Themen in einer Gesellschaft sowie von einzelnen Medienrezipienten als besonders wichtig angesehen werden.“ Wenn damit auch der direkte Medieneinfluss auf die Meinungsbildung insbesondere der Bürgerinnen, relativiert wird, bleibt doch die Auffassung einer indirekten Beeinflussung bestehen. Frank Brettschneider (1994, 226) bringt dies in seinem Fazit zum Forschungsstand mit dem „agenda-setting“-Konzept auf den Punkt: „Massenmedien können (…), indem sie beeinflussen, worüber wir nachdenken, zumindest in bestimmten Situationen auch beeinflussen, was wir denken.“ (Vgl. hierzu auch Brosius 1994; Eichhorn 1996.) Gerade diese Folgerung ist es denn auch, welche die Attraktivität des Ansatzes für die Kampagnenforschung, nicht zuletzt im Kontext von Wahlen, bestimmt: Die Erwartung, über die Gestaltung der Medienagenda jene der Bevölkerung bestimmen und damit die Chancen der Parteien unterschiedlich beeinflussen zu können, hat die Forschung zur Rolle der Medien in politischen Kampagnen stets von Neuem herausgefordert.2
Claude Longchamp
Wählt das Panel anders?
Zusammenfassung
Panelstudien sind Erhebungen, bei denen bei identischen Untersuchungspersonen mit einem identischen Erhebungsinstrument mehrfach dieselben Daten erhoben werden. Innerhalb der Kommunikationswissenschaft haben Panelstudien häufig eine Schlüsselrolle gespielt. Erinnert sei hier nur an die Studie The People’s Choice (Lazarsfeld et al. 1948), welche immer noch zu den wichtigsten Studien in der Erforschung der Wahlkommunikation gezählt werden muss. Aber auch im Bereich der kommerziellen Medienforschung spielen Panelstudien eine große Rolle. So wird schon seit langen Jahren die Reichweite der Fernsehsender in der Bundesrepublik Deutschland mit Hilfe eines Panels erhoben.
Helmut Scherer
Lässt sich die Total-Design-Method auch auf Panelbefragungen anwenden? Ein Projektbericht
Zusammenfassung
Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht die Frage, ob sich die von Don A. Dillman (1978) entwickelte Total-Design-Method (TDM) erfolgreich auf schriftliche Panelbeŕragungen anwenden lässt. Panelstudien werden in aller Regel als persönliche oder telefonische Interviews durchgeführt. Schriftlich-postalische Panelstudien sind seltene Ausnahmen; gemäß der TDM werden sie praktisch nie administriert. Aus unserer Sicht steht dem allerdings nichts entgegen, und die Perspektiven sind vielversprechend.
Kai Arzheimer, Markus Klein, Jürgen W. Falter

Wahlkommunikation und politisch-sozialer Wandel

Frontmatter
Die Kommunikationsereignisse Wahlen und Abstimmungen als Indikatoren sozialen Wandels: Das Beispiel der Schweiz im Zeitraum von 1910 bis 1995
Zusammenfassung
Die Bedeutungssteigerung der Massenkommunikation zur Analyse moderner Gesellschaften beruht auf der kommunikationstheoretischen Wende in den Geistes- und Sozialwissenschaften und auf der alten, aber im Zeichen der Debatten über die „Informationsgesellschaft“ aktualisierten Erkenntnis, dass der massenmedialen Kommunikation die entscheidende Funktion für die Legitimitätsgeltung und Steuerungsfähigkeit moderner Gesellschaftsordnungen zukommt.1 Die auf die Gesellschaft als Kommunikationsphänomen gerichtete Perspektive sieht sich allerdings mit einem zentralen theoretischen und methodischen Problem konfrontiert: Der zunehmenden Eigendynamik der öffentlichen Arena oder, um es mit Habermas zu sagen, dem „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Habermas 1962). Es handelt sich um die Schwierigkeiten, die sich einem wissenssoziologisch begründeten, kommunikationstheoretischen Zugriff stellen, der die Formen und Inhalte der öffentlichen politischen Kommunikation als Produkt wie Agens des sozialen Wandels betrachtet, dabei jedoch berücksichtigen muss, dass die Produktions- und Selektionslogiken, die diesen Kommunikaten zugrunde liegen, selbst wiederum Produkt wie Agens sozialen Wandels sind. Im Zusammenhang mit der instruktiven Frage nach den Formen und Inhalten der Politikvermittlung durch Massenmedien lässt sich die Problematik wie folgt zuspitzen: Mit welchen Erkenntnismitteln auch immer, wir messen anhand der Analyse der politischen Kommunikationsereignisse Wahlen und Abstimmungen sowohl den sozialen Wandel der Gesellschaft als auch die Produktions- und Selektionslogiken politischer Kommunikation, vorab als Produkt der Interaktionsdynamik der Teilsysteme Politik und Medien.
Kurt Imhof, Patrik Ettinger
Wahlwerbung als Indikator politisch-kulturellen Wandels: Erfahrungen aus einer Langzeituntersuchung
Zusammenfassung
„[...] perhaps archeologists of the 27th century will be able to fathom trends in American culture by looking at changes in their ads.“ So heißt es in einem Aufsatz des amerikanischen Politikwissenschaftlers James Combs über politische Werbung (1979, 333). Das bedeutet, Werbung wird als ein Indikator gesehen, an dem sich der kulturelle Wandel einer Gesellschaft ablesen lässt. Entsprechend bezeichnet auch Siegfried J. Schmidt die Werbung generell als einen „voluminösen Resonanzkörper“. Und weiter: „Werbung war und ist ein wichtiger da sensibler Indikator sozialen Wandels im Bereich des Welt- und Lebensgefühls der Menschen in modernen Gesellschaften.“ (Schmidt 1995, 37f.)
Christina Holtz-Bacha, Eva-Maria Lessinger
Wahlen, Politikvermittlung und politisches Klima im Kaiserreich: Verschärfung der Gegensätze oder professionellere Selbstdarstellung der Politik?
Zusammenfassung
Die Kaiserzeit 1871–1914/18 war eine Periode ökonomischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandels. Zwei große Entwicklungslinien kennzeichneten die Wahlgeschichte der vier Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg: Die Mobilisierung der Wähler stieg von 50 auf 80 Prozent und der Stimmenanteil der „Reichsfeinde“1 von 40 auf 66 Prozent. Die politische und soziale Geschichtsschreibung hat in den letzten Jahren die Verschärfung des innenpolitischen Klimas herausgearbeitet. So sprach der Historiker Thomas Nipperdey von einer „seit den siebziger Jahren nicht mehr gekannten Polarisierung der Innenpolitik“ (Nipperdey 1992, 741). Der Ton der politischen Auseinandersetzung war bei den Themen Steuer- und Wahlrechtsreform sehr scharf und polemisch. Doch war das Kaiserreich deshalb reformfähig oder war es prinzipiell reformunfähig und taumelte von Krise zu Krise? Lag in der Entwicklung Zwangsläufigkeit, Unidirektionalität und Ausweglosigkeit?
Rudolf Stöber
Deutungswandel im Mediendiskurs: Ansätze zu einer Prozessanalyse der Tiefenstruktur von öffentlicher Kommunikation
Zusammenfassung
„Die besonderen Leistungen und die besonderen Wirkungen des Journalismus, durch die sich sein Handeln von anderen, an der Öffentlichkeit orientierten Sozialsystemen unterscheidet, bestehen in der Ausrichtung auf die Herstellung und Bereitstellung von Themen zur öffentlichen Kommunikation.“ Mit dieser Definition bestimmt Rühl (1980, 322f.) Thematisierung als Primärfunktion des Journalismus. Auch die Agenda-Setting-Forschung stellt die Thematisierungs-leistung der Massenmedien in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Doch Themen allein machen noch keine öffentliche Kommunikation. Der Gehalt öffentlicher Kommunikation lässt sich — so die Ausgangsthese dieses Beitrags — durch eine Themenanalyse nur oberflächlich bestimmen.
Hartmut Weßler
Backmatter
Metadaten
Titel
Wahlen und Politikvermittlung durch Massenmedien
herausgegeben von
Dr. Hans Bohrmann
Dr. Otfried Jarren
Dr. Dr. Gabriele Melischek, M.A.
Dr. Josef Seethaler
Copyright-Jahr
2000
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-89002-3
Print ISBN
978-3-531-13304-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-89002-3