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2013 | OriginalPaper | Buchkapitel

2. Was ist ein Musikvideo?

verfasst von : Christofer Jost, Daniel Klug, Axel Schmidt, Klaus Neumann-Braun, Armin Reautschnig

Erschienen in: Computergestützte Analyse von audiovisuellen Medienprodukten

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Musikvideo rührt an der grundsätzlichen Frage, wie und wozu (populäre) Musik in audiovisuelle Formate eingebunden wird bzw. welcher › Mehrwert ‹ entsteht, wenn Musik und visuelle Darstellungen bzw. Filmbilder – jeweils für sich bereits eigenständige und allgegenwärtige Phänomene – zusammenkommen. Allgemeiner Rahmen und Ausgangspunkt des vorliegenden Buches ist damit der Blick auf Verschränkungsverhältnisse spezifischer physikalischer Reizqualitäten (Optisches, Akustisches) mit spezifischen sinnlichen Modalitäten (Sehen/visuell, Hören/auditiv), welche durch Medienproduktion gleichermaßen generiert (Bild, Text/Sprache und Ton auf Objektseite) wie adressiert (visuelle und auditive Wahrnehmung auf Subjektseite) werden.

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Fußnoten
1
Erst vor dem Hintergrund dieser › Normalformerwartung ‹ ist das Konzept des › O-Tons ‹ sinnvoll, welches in dem Moment virulent wird, in dem Ton und Bild technisch bedingt auseinander treten können (vgl. Kessler 2007).
 
2
Siehe hierzu Frith (1996: 159) sowie Vernallis (2002).
 
3
Der Zusammenhang von Materialhaftigkeit und Zeichenhaftigkeit einer Aufführungssituation nimmt allgemein eine zentrale Position in den Diskussionen zum Performativitätsbegriff ein. Allgemein ist in den kulturwissenschaftlichen Diskursen eine verstehenskategorische Verschiebung zugunsten der Begriffe Ereignis oder Präsenz zu beobachten. Für den Bereich der performativen Ästhetik siehe Fischer-Lichte 2004. Im Hinblick auf epistemologische Fragestellungen siehe Gumbrecht (2004).
 
4
Vgl. Wicke (1992: 452 ff.). Die genannte Trias rekurriert auf den historischen Tatbestand, dass populäre Musik im Allgemeinen und das Vokale im Speziellen sich in großen Teilen aus folkloristischen Elementen, vor allem afroamerikanischer Provenienz, speisen. Im gleichen Zuge gilt es aber, den Einfluss der europäischen Spiel- und Singtradition – repräsentiert durch den Schlager – hervorzuheben. So zeichnen sich im Schlager die europäischen Traditionslinien populärer Musikpraxis ab (vgl. Middleton 2001: 63).
 
5
Die Bezeichnung › traditioneller Gesang ‹ wird an dieser Stelle nicht als Gegenmodell zu vokaler Performanz in populärer Musik verstanden. Vielmehr gilt es, die Bezeichnung als Eingrenzung von vokalen Gattungen zu begreifen, die in Herkunft, Aufführungspraxis und Stilistik eine geringe Nähe zur populären Musik aufweisen. Hierzu zählt zum einen der klassische Gesang, der u. a. durch Begriffe wie Konzertgesang, Operngesang, Lied- und Oratoriengesang repräsentiert wird. Zum anderen ist hiermit auf das Gros der volksmusikalischen Gattungen weltweit verwiesen, die auf orale Tradierung und organisch-akustische Klangerzeugung aufbauen.
 
6
Simon Frith (1996: 168) bewertet die Integration von Umgangssprache in die ästhetische Form des Songs als eigentümliche › Erhöhung ‹ ebenjenes Sprachstils. Die Verschränkung von Umgangssprache und Musik ist infolgedessen Quelle spannungsreicher MusikTextSchöpfungen. In eine ähnliche Richtung verläuft Umberto Fioris (2000) Argumentation. Fiori legt dar, dass ein grundlegendes Prinzip popularmusikalischer Sprachgestaltung darin besteht, Emotionen durch alltagssprachliche Gesten auszudrücken (siehe hierzu auch Bradby und Torode 2000). Nach Griffiths (2003) besteht in Bezug auf Songtexte das Problem, dass diese nicht von vornherein als Lyrik oder Prosa bewertet werden können. Beide Gattungen markieren vielmehr die Polaritäten (» lyric and antilyric «) innerhalb des Gesamtspektrums an sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten in Songs. David Brackett (1995) wiederum sieht den eigentlichen perspektivischen Bezugspunkt von Songtextanalysen in den kollektiv geteilten Sinnfiguren gegeben, die sich sowohl im (Text) Material als auch im Rezeptionsverhalten niederschlagen – terminologisch markiert als › Meta-Narrative ‹. Integraler Bestandteil einer Songtext-Analyse muss es demnach sein, herauszufinden, wie Meta-Narrative in bestimmten Genrekontexten funktionieren.
 
7
Auf das mediale Bezugssystem Aufnahmetechnik wird in Friths Modell auf der ersten Ebene des musikalischen Instruments Stimme eingegangen. So wird der gekonnte Umgang mit dem Mikrophon als wesentlicher Bestandteil musikalisch-stimmlicher Kunstfertigkeit verstanden (vgl. Frith 1996: 188).
 
8
Siehe hierzu auch die Ausführungen von Bielefeldt (2008).
 
9
Der genannte Begründungszusammenhang von gesungenem Wort, körperlicher Entäußerung und Darbietungskontext geht auf die Ausführungen Paul Zumthors zum Oralitätsbegriff zurück. Hierin setzt Zumthor ferner die Variablen Akteur und Medien zentral. In diesem Sinne artikuliert er einen umfassenden Deutungsansatz, der auch im Hinblick auf die nicht musikstrukturellen Materialaspekte populärer Musik seine Gültigkeit behält (siehe Zumthor 2002: 243). Zumthor gibt aber an anderer Stelle zu bedenken, dass es problematisch wäre, jede gestische und mimische Qualität in ein Zeichensystem zu verorten. Allerdings kann die Geste Zeichen in dem Maße sein, als sie kulturell bedingt ist oder in einem bestimmten Milieu eine konventionelle Bedeutung trägt (vgl. Zumthor 1988: 712).
 
10
Das Gesamtspektrum an Klangeffekten setzt sich heutzutage aus einer überaus großen Anzahl an › traditionellen ‹ Effekten wie z. B. Delay und neuartigen, spezialisierten Effektkombinationen zusammen. Zu den wichtigsten Instrumentarien zählen besagtes Delay sowie Echo, Reverb, Kompressor, Chorus, Flanger und Phaser. Das Mastering beschreibt den Vorgang der Post-Produktion und der Fixierung einer Tonträgerspur. Wesentliche Bearbeitungsprozesse und-instrumente des Mastering sind: Equalizer, Kompressor, Limiter und Geräuschreduktion (noise reduction). Siehe hierzu auch Wicke (2001, 2009).
 
11
Diese Form des Personenbezugs findet auch innerhalb des Musikmarktes der sogenannten Klassischen Musik statt. Silke Borgstedt arbeitet anhand von Fallanalysen heraus, dass beliebte Klassik-Interpreten in ein ähnliches Geflecht an Bedingungsfaktoren eingebunden sind wie die Stars der populären Musik. Dies lässt sich vor allem entlang der massenkommunikativen Vermittlung von Images rekonstruieren (vgl. Borgstedt 2008).
 
12
Peter Wicke spricht von der » Personalisierung von Klang «, die auch – und insbesondere – zu einem konsequenten Erschließen der kommerziellen und künstlerischen Möglichkeiten führte, die die sich stetig vervollkommnende Technologie der Klangaufzeichnung bot (vgl. Wicke 2001: 32).
 
13
Siehe außerdem Museum Folkwang 2010.
 
14
Vgl. Frith (1996: 77 ff.), Wicke (2009: 58 ff.).
 
15
Etwa Raumordnungen wie die Trennung von Vorderbühne und backstage, Graben für ein Orchester, Bühnenvorhang oder die sogenannte › vierte Wand ‹ (strikte Trennung von Bühnenund Zuschauerraum) der › Guckkastenbühne ‹ im Theater, was jeweils spezifische inszenatorische › Effekte ‹ und Illusionsbildungen begünstigt (etwa die Möglichkeit einer tonalen Untermalung der Spielhandlung oder des Einsatzes von Geräuschen oder Stimmen aus dem › Off ‹).
 
16
Diesem Prinzip der Illusionsbildung bedienen sich – Chion (1994: 7) zufolge – in entsprechend veränderter Form später auch die audiovisuellen Formate, indem sie – etwa durch OffKommentare – das Bild › sprechen ‹ lassen: » Thus if the film or TV image seems to › speak ‹ for itself, it is actually a ventriloquist’s speech «. Siehe auch Altman’s (1980) Beitrag » Moving Lips: Cinema as Ventriloquism «, welcher die klassische These, der Filmsound sei mit Blick auf die Bilder redundant und somit subordiniert, herum dreht und behauptet, der › Sound ‹ agiere in der Art eines Bauchredners (ventriloquist), indem › er ‹ einen › dummy ‹ (das Bild) synchron zu den Worten, die › er ‹ heimlich/verdeckt spricht, bewegt/animiert.
 
17
Entscheidende Kriterien, die hinzutreten, sind die technische Fixierung (Speichermedien) physikalischer Qualitäten sowie – daraus resultierend – die technische Reproduzierbarkeit des entstandenen Produkts.
 
18
Chion (1994) weist zurecht auf den Umstand hin, dass das, was uns heute als selbstverständlich erscheint, nämlich die Synchronizität von Bild und Ton in AV-Medien, zu Frühzeiten des Films als › Sensation ‹ gehandelt und um seiner selbst willen aufgeführt wurde: » That sound and image were heard and seen like a couple of perfectly matched dancers was a spectacle in itself. Texts written at the time bear witness to this state of mind. So do the films, especially the musical ones, which exalted synchronism as such, showing violinists or banjo players whose every visual gesture provoked a distinct sound on the soundtrack « (64).
 
19
Im Gegensatz zur Simultaneität respektive Kontiguität (realweltliche Gleichzeitigkeit) optischer und akustischer Reize bzw. von Höreindruck und Seheindruck in der natürlichen Wahrnehmung rekurrieren die Termini Synchronizität/Synchronisieren/synchron im Falle von AVMedien auf das technische Herstellen eines Gleichlaufs von Bildund Tonspur, welcher üblicherweise darauf angelegt ist – in Anlehnung an Erfahrungen aus der › natürlichen ‹ Wahrnehmung –, sinnhaften Gleichklang zu erzeugen (etwa: lippensynchroner Sprechton) und damit als illusionsbildender Effekt das Audiovisionserlebnis erst konstituiert. Der › Synchronton ‹ des Films erzeugt also die Illusion eines › Simultantons ‹. Besonders eindrücklich geschieht dies im Falle der Synchresis (Kofferwort aus Synchronisation und Synthese; vgl. Chion 1994: 63 ff.), bei welcher durch eine punktuelle Synchronisierung von Bild- und Tonereignis auf Produktionsseite eine quasizwangsläufige Zusammengehörigkeit (Synthese) von (verursachendem) Bild und (erzeugtem) Ton auf Rezeptionsseite entsteht (etwa die Unterlegung eines punchs mit dem Geräusch eines Baseball-Schlags).
 
20
Diese Fassung fokussiert die filmophanische Ebene (vgl. Souriau 1997 [1951]) und berücksichtigt damit die illusionsbildende Konstruktivität des AV-Produkts (also vor allem auch die Tatsache der Vertonung) sowie die sich daraus ergebenden gestalterischen Möglichkeiten (ein Beispiel für viele: Die nicht exakt lippensynchrone Vertonung lässt sich etwa als ein verfremdendes Moment einsetzen – eine Gestaltungsmöglichkeit, die im Rahmen medial unvermittelter Darstellungen respektive Rezeptionen › (körper)technisch ‹ kaum möglich ist).
 
21
Etwa in den sogenannten › Dogma 95-Filmen ‹ (vgl. SchulteEversum 2007).
 
22
Dass die für Audiovisionen typische Grundkonstellation an spezifische Verschränkungen der jeweiligen Potenziale von O-Tönen und Vertonung gebunden bleibt, macht Chion (1994: 57) am Beispiel von Stille im Film fest: » […] this zerodegree (or is it?) element of the soundtrack [the silence – Anm. d. Verf.] is certainly not simple to achieve, even on the technical level. You can’t just interrupt the auditory flow and stick in a few inches of blank leader. The spectator would have the impression of a technical break […]. Every place has its own unique silence, and it is for this reason that for sound recording on exterior locations, in a studio, or an auditorium, care is taken to record several seconds of the › silence ‹ specific to that place. This ambient silence can be used later if needed behind dialogue, and will create the desired feeling that the space of the action is temporarily silent «. Wie man sieht, kann Stille nicht einfach als Absenz von Ton begriffen werden, sondern erhält ihre Bedeutung erst im Kontrast zum inneren Soundkontext des jeweiligen AV-Produkts. Dies zeigt – wenn auch nur exemplarisch –, dass (und beispielhaft: welche) Verfahren nötig sind, damit ein AV-Produkt auf der filmophanischen Ebene seine Wirkungen (hier: illusionistische) entfalten kann.
 
23
Die Perspektive ist hier keine produktionstechnische (› profilmische ‹), sondern eine, die aus der › Realität ‹ der fiktionalen Welt heraus beobachtet (also eine › diegetische ‹), so dass die tatsächliche Herkunft des Tons zugunsten seines Status in der fiktionalen Welt ausgeblendet wird (so können diegetische Musik und nicht-diegetische Filmmusik durch die gleichen Produktionsverfahren entstanden sein, ohne dass dies etwas an ihrem Realitätsstatus in der fiktionalen Welt änderte, welcher allein durch die Gestaltung auf der Ebene des Dargestellten zustande kommt).
 
24
Siehe hierzu Souriau (1997 [1951]) und Genette (1998).
 
25
Zu Misch- und Sonderfällen wie etwa durch technische Geräte erzeugtem Ton in der Diegese oder › innerer Stimmen ‹ siehe Chion (1994: 71 ff.).
 
26
Vgl. Chion (1994: 81).
 
27
Vgl. hierzu Chion (1994: 157 ff.).
 
28
Vgl. hierzu Jost et al. (2010: 471 ff.).
 
29
Unter der sogenannten › genuinen ‹ bzw. angeborenen Synästhesie versteht man dagegen die » Verknüpfung von Sinneswahrnehmungen «, d. h. dass » durch die Stimulierung einer Sinnesqualität (z. B. hören, sehen, riechen) unwillkürlich eine oder mehrere andere Sinnesqualitäten wahrgenommen [werden] « (Filk und Lommel 2004: 10).
 
30
Sie bedarf daher als phonographische Musik zunächst keiner Interpretation (sondern nur des Drückens einer Play-Taste), ganz im Gegensatz zur Aufführung von Kunstmusik, welche immer als Interpretation eines Werks begriffen wird (vgl. Helms 2003b).
 
31
Dies fundiert die sogenannte acousmatische Erfahrung (vgl. Großmann 1998: 110) bzw. die acousmatischen Sounds. Chion (1994: 71) fasst diese (unter Rekurs auf Pierre Schaeffer) als » sounds one hears without seeing their originating cause « und versteht die betreffenden Medien als » acousmatic media «, das sind » all which transmit sounds without showing their emitter « (ebd.). Visualisierung respektive › Acousmatisierung ‹ begreift Chion als (In-) Visibilisierung der Klangquelle. Dies geschieht im Musikvideo, wenn die Darstellung zwischen Performance und Nicht-Performance hin- und herwechselt (allerdings auch im Falle der Performance auf simulativer Ebene; s. u.).
 
32
Rösing (2003) unterscheidet systematisch verschiedene Möglichkeiten audiovisueller MusikWahrnehmung respektive verschiedene Formen der Verkopplung von Auditivem und Visuellem im Rahmen von Musikrezeption, welche bei der natürlichen Einheit musikerzeugender Praxis ihren Ausgang nimmt (Konzert), unterschiedliche Stufen der Imagination durchläuft, um schließlich bei › realen ‹ (also nicht bloß imaginierten) Visualisierungen a) im Zuge der Entkopplung von Original-Ton und visueller Wahrnehmung (etwa Reisemusik), b) im Rahmen von Primärmedien (Bühnenmusik wie im Falle von Ballett, Oper etc.) sowie c) im Rahmen audiovisueller Produkte (Film, Musikvideo) anzukommen.
 
33
Vgl. hierzu Großmann (1998: 109).
 
34
Helms (2003a) folgend lässt sich zeigen, dass Musikvideos wie Handlungswiedergaben wirken. Denn: Durch die Simulation einer MusikPerformance, die gerade aufgezeichnet wird (erste Simulationsebene), entsteht der Eindruck, dass diese Performancehandlung zugleich auch das Medium selbst, also den Clip, erzeugt (zweite Simulationsebene). Obwohl beides – sowohl die den Clip erzeugenden Handlungen (also die Kamerahandlungen des › korporierten Regisseurs ‹ i. S. v. Reichertz (1992, 2005)) als auch die Materialität des Mediums (Magnetband, Datei, Übertragung etc.) – visuell nicht zugänglich ist. Der Eindruck einer Handlungswiedergabe wird durch einen weiteren, technischen (Zwischen) Schritt der Medienentwicklung fundiert: Während Phonographie und Photographie das Akustische und Visuelle trennten, isolierten und in Daten unterschiedlicher Physikalität zerlegten (vgl. Kittler 1999), überwand der Tonfilm durch entsprechende optoelektrische Verfahren (Lichtton) diese Trennung wieder. Auf diese Weise wurden Aufnahmen möglich, die sowohl das Akustische als auch das Visuelle einer › realen ‹ Situation synchron fixierten, kurz: Aufzeichnungen im Sinne von Dokumentationen (footage). Diese neuerliche mediale › Normalität ‹ (Film und Fernsehen) macht sich das Musikvideo zunutze, um sie seinerseits wieder zu verfremden.
 
35
Dass Performance in Musikvideos unterschiedlichen Graden der Verfremdung unterliegen und dieses Kriterium als systematischer Ausgangspunkt einer Typologisierung von Musikvideos gelten kann, hebt insbesondere Altrogge (2001a – c) hervor.
 
36
In besonders radikaler Form gilt dies im Rahmen oszilloskopischer Anordnungen, da das Visuelle in diesem Fall eine technisch-physikalische Transformation des Tons darstellt, also im Peirce’schen Sinn als indexikalisches Zeichen zu verstehen wäre, wodurch das Bild nicht bloß so wirkt, als sei es vom Ton hervorgebracht, sondern es in einem physikalischen Sinn auch tatsächlich ist.
 
37
Etwa Zeitungsbilder, Portraits/Konterfeis, Bildikonen, konventionalisierte Bildfolgen, popmusikalische Aufführungen als eingestreute Sinnfragmente.
 
38
Die meisten Clips zeigen durch Performance- und Choreographieanteile auch, was näher läge bzw. › natürlicher ‹ wäre und etablieren damit einen archimedischen Punkt, wodurch › tonfremde ‹ Bilder als › Abweichungen ‹ von einem Idealtypus (im Weber’schen Sinn) markiert werden.
 
39
Verwendet wurden hier v. a. die Arbeiten von Rajewsky (2002), Schröter (1998) und Leschke (2007).
 
40
Ausgeblendet bleibt hier die Materialität des jeweiligen Trägermediums (also: Filmstreifen vs. Magnetband vs. Datei) bzw. die technisch-apparative Ebene (also: Filmkamera/-projektor vs. Videokamera/-player/Bildschirm vs. digitale Kamera/Monitor), damit auch die (technische und perzeptive) Spezifik des generierten Bildes (Leinwandbild vs. Monitorbild) sowie die entsprechenden Mediensysteme (Kinematographie, Video, digitaler Film). Dies geschieht trotz des Umstands, dass gerade die Mediendifferenz Film – Video als typisch für die Gattung Videoclip erachtet wurde (vgl. etwa Kerscher und Richard 2003), da diese Differenz als Abgrenzungskriterium wohl für die Anfänge des Genres, nicht aber für heutige Produktionen geeignet ist. Entsprechend wurde die Bezeichnung › Videoclip ‹ respektive › Musikvideo ‹ – einem Vorschlag von Jacke (2003) folgend – um die Bezeichnung › Musikclip ‹ ergänzt. Die vorliegende Betrachtung beschränkt sich auf die durch Apparate generierte Oberfläche (Bildschirm), d. h. auf das Produkt als kommunikativ-semiotisches Phänomen.
 
41
Die Idee der intermedialen Bezugnahme nimmt ihren Ausgang beim Konzept der Intertextualität (siehe zusammenfassend Fix 2000) bzw. Transtextualität (nach Genette 2004) und erweitert diese um den Aspekt der Mediendifferenz im Falle der Intermedialität im Vergleich zur Intertextualität: Während im Falle der Intertextualität keine Mediengrenzen überschritten werden (Bezug von Literatur auf Literatur, von Text auf Text), kann sie aus der Perspektive der Intermedialität, für welche die Überschreitung von Mediengrenzen konstitutiv ist (etwa Bezug von Literatur auf Film), als ein (bedeutsamer) Fall von Intramedialität (Bezugnahmen innerhalb eines Mediums) gelten.
 
42
Mit Spielmann (1998) lassen sich solche Bezugnahmen etwa am Beispiel des Films zeigen, welcher auf die Malerei dergestalt rekurrieren kann, dass Gemälde im Film zu sehen sind oder aber die Bildgestaltung der Malerei (bzw. des Tafelbildes) formale Prinzipien (etwa eine zentripetale Art der Kadrierung oder eine an zentralperspektivischen Idealen orientierte Kameraführung) entlehnt, ohne dass der Film in einem ontologischen bzw. substanziellen Sinn Malerei sein könnte, da er – was die medialmateriale Basis anbelangt – auf die Fixierung von Lichtverhältnissen auf Zelloid und deren Projektion angewiesen ist und die Mittel der Malerei – Leinwand und Farbe – daher nur simulieren, nicht aber tatsächlich verwenden kann.
 
43
Vgl. hierzu Bódy und Weibel (1987), Deutsches Filmmuseum Frankfurt (1993) sowie Paech (1994).
 
44
Zu verstehen ist dies im Sinne einer Farblichtmusik, d. h. einer Verkopplung auf der Ebene der technischen Signale und nicht der Symbole (vgl. Großmann 1998: 111), welche entweder auf subjektiver, synästhetischer Intuition (prominentestes Beispiel: das Farbenklavier des russischen Komponisten Alexander Skrjabin) oder auf objektiver, physikalischer Transformation (etwa im Falle des Optophons (Hausmann, 1922)) beruhen kann. Insbesondere die Arbeiten des Experimentalfilmers Oscar Fischinger – so Großmann (1998) – legen Zeugnis vom Versuch ab, die Grenzen von Tonund Bildkanal zu überwinden (seine » TonOrnamente « (1932) etwa versuchen dies gewissermaßen physisch, da sie eine Visualisierung der Tonspureinschreibungen im Tonfilmstreifen, also innerhalb einer mit Lichttonverfahren arbeitenden Filmkamera darstellen). Musikvideos folgen grosso modo eher ersterem Prinzip, wobei der synästhetische Eindruck die Suche sowohl nach formalen (etwa CutRhythmusKorrespondenzen) als auch semantischen (etwa SongtextBildRelationen in Form von Illustrationen) Konnexen evoziert.
 
45
Dies dokumentierte MTV beispielsweise durch seine Selbstinszenierungspraxis in der Werbekommunikation: » MTV – Jugend ohne Streuverluste « (MTV Werbeprospekt 1998a; siehe auch MTV Werbeprospekt 1998b).
 
46
Klassische Beispiele sind Joint Ventures zwischen Filmund Musikindustrie: Kinofilme und Tonträger werden vernetzt promoted, meist auf der Basis stark beworbener Labels und Starfiguren (vgl. grundlegend Dreier 2006). Die Produkte beispielsweise, die unter dem Label › Men in Black ‹ und um den Star › Will Smith ‹ herum angeboten werden (der Film, der Song, das Album, der Clip, der Soundtrack und alle MerchandisingProdukte vom TShirt bis zum Schokoriegel), nehmen Warenund Werbeform zugleich an: Sie werden als einzelne Produkte verkauft und bewerben sich wechselseitig (vgl. Müller 1999). Darüber hinaus entstehen verschiedene Jugendmusiksendungen als Koproduktionen von Fernsehund Clipproduktionsfirmen (z. B. die Sendung » Wired « als einem Joint Venture zwischen der TVIndustrie und Initial Film) sowie vielerlei TVMusikmischfirmen (z. B. Hadrian Production), die sich darauf spezialisierten, telegene Musiksendungen zu entwickeln (vgl. Frith 1993: 70 ff.).
 
47
Eine umfassende Zusammenstellung popkultureller Produkte und Trends der 1980er Jahre gibt Rettenmund (1996).
 
48
Digitalisierung bedeutet die Umstellung von analogen (kontinuierlichen) auf digitale (diskontinuierliche, binär codierte) Signale und damit einhergehend eine größere Effektivität der Speicherung und Übertragung von Mediensignalen (Vereinheitlichung/Kompatibilitätssteigerung, Reproduktion ohne Qualitätsverlust). Mit Blick auf publikumsrelevante Einzelmedien begann diese Entwicklung mit der Compact Disk (1982) und erfasste in der Folge das Telefonnetz (ISDN) sowie die Rundfunkmedien Radio und Fernsehen (hier: DVBT). Parallel hierzu entwickelten sich der Personal Computer respektive das Internet als von vornherein digital aus gerichtete Medien, welche mehr und mehr › alte ‹, herkömmliche Medieninhalte (Texte, Bücher,Filme, Musik, Radio– und Fernsehsendungen) kumulieren.
 
Metadaten
Titel
Was ist ein Musikvideo?
verfasst von
Christofer Jost
Daniel Klug
Axel Schmidt
Klaus Neumann-Braun
Armin Reautschnig
Copyright-Jahr
2013
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-19459-2_2