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2011 | Buch

Zukunftsfähige Wirtschaftspolitik für Deutschland und Europa

herausgegeben von: Paul J.J. Welfens

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Nach der Bankenkrise stehen Deutschland und die Europäische Union vor einer Reihe von Herausforderungen. Die Beiträge dieses Bandes greifen die ökonomischen Probleme auf und schlagen Lösungen für Schlüsselbereiche der Wirtschaftspolitik vor. Mit dem Fokus auf den Themen Bankenreform, Wachstum, Konjunktur, EU-Kooperation, Fiskalpolitik, Geldpolitik, Sozialpolitik, Klimapolitik und Bankenregulierung haben die Autoren die kritischen Herausforderungen der kommenden Dekade thematisiert. Zahlreiche Statistiken und Berechnungen bis 2030 geben einen Eindruck von den Größenordnungen im Bereich der Wachstums- und Wirtschaftspolitik. Zielkonflikte in den Feldern Wachstum, Beschäftigung und Umweltmodernisierung lassen sich durch geeignete Politikansätze minimieren. Fazit: Nur durch innovative Reformansätze bei der Bankenaufsichtsreform, bei der Expansion der Informations- und Kommunikationstechnologie und in der Sozial-, Währungs- und Umweltpolitik kann nachhaltiges Wachstum erreicht werden.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
A. Überwindung der Banken- und Finanzkrise: Optionen der Wachstums- bzw. Wirtschaftspolitik
Zusammenfassung
Deutschland und Europa stehen nach der transatlantischen Bankenkrise vor ernsten Herausforderungen, da das Versagen des Großbankensystems ordnungspolitisch eine enorme Interventionsspirale in vielen OECD-Ländern zur Folge hatte, die Schuldenquoten der EU-Länder massiv ansteigen, das Vertrauen in die Kapitalmärkte sich vermindert hat bzw. die Bereitschaft zu verstärkten privaten Anstrengungen bei der privaten Altersvorsorge gesunken ist und Fragen nach den Grenzen des exportorientierten Wachstumsmodells Deutschland aufgeworfen wurden. Zudem hat die Griechenland- bzw. Eurokrise für einen neuen Krisenherd gesorgt. Mit Blick auf die Bankenkrise werden ursachenadäquate neue Reformvorschläge dargelegt: Sie erlauben, durch nationale Wirtschaftspolitik, in einfacher Weise einen Stabilisierungseffekt des Finanzsektors; der hier gemachte Vorschlag einer Volatilitätssteuer bei der Eigenkapitalrendite unterscheidet sich von der unzureichenden G20-Reform-Liste. Eine Besteuerung der Eigenkapitalrendite-Varianz bei Banken ist geeignet, dem Bankmanagement Anreize zu geben, sich stärker auf eine langfristig bzw. nachhaltig erreichbare Rendite zu konzentrieren. Damit nähme automatisch das Unwesen der kurzfristigen Bonusmaximierung ab – negative externe Effekte können vermieden und punktuelle Eingriffe des Staates ins Bankensystem können reduziert werden. Beim Rating ist eine Poollösung gefragt, bei der alle Emittenten von Papieren in Abhängigkeit vom Marktanteil eine anteilige Gebühr in den Pool einzahlen. Bankenentflechtung und neue Berichtsvorgaben in Sachen Bilanzierung sind sehr als dringliche Politikoption zu bedenken, damit mehr Stabilität in den Finanzmarkt zurückkehrt; eine Basis für mehr Wachstum. Der Staat könnte im Bereich der Wachstumspolitik Maßnahmen ergreifen, die zu einer allmählichen Erhöhung der Wachstumsrate des hier definierten „natürlichen Nettoinlandsproduktes“ – im Kern definiert als Nettoinlandsprodukt minus Abschreibungen auf Naturkapital und Humankapital – beitragen kann; diese Wachstumsrate sollte man vernünftigerweise mindestens ergänzend neben das Wachstum des traditionellen Bruttonationaleinkommens setzen. Im Übrigen ist ein neues Stabilitäts- und Wachstumsgesetz erforderlich, das auch nachhaltige Bankenstabilität einbezieht. Marktversagen im Bankenbereich ist ein von Großbanken in der Bankenkrise 2007/2008 selbst verursachtes Problem. Als wachstumsförderlich werden Korrekturen in der Subventionspolitik eingeordnet, höhere Effizienz in der Förderung erneuerbarer Energien und ein mobiler breitbandiger Universaldienst. Langfristiges Wachstum in Deutschland wird möglich sein, zumal die Expansion der Informations- und Kommunikationstechnologie weiter Wachstum erzeugt, wobei die Globalisierungsdynamik zu phasenweise erhöhter Einkommensungleichheit beitragen wird – eine Herausforderung, die sich für Deutschland erst nach 2030 abmildern wird. Die Euro- bzw. Griechenlandkrise kommt nicht überraschend, da der Autor hierzu bereits im Oktober 2008 ein entsprechendes Szenario formulierte (Buch: Transatlantische Bankenkrise); die bisher aufgesetzten Rettungspakete werden nur bis günstigen Umständen wirklich helfen können.
Paul J. J. Welfens
B. Rückkehr der Fiskalpolitik – zu ihrer Effizienz und Effektivität 2008 ff.
Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht Effizienz und Effektivität fiskalpolitischer Maßnahmen mit konjunkturpolitischem Fokus zwischen 1966 und 2009 in Deutschland. Zunächst werden die Kriterien „rechtzeitig“, „gezielt“ und „zeitlich beschränkt“ sowie einige Erweiterungen diskutiert. Nach einem Rückblick auf die fiskalpolitischen Maßnahmen und ihre Wirkungen in der Vergangenheit (1966/1967, 1974/1975, 1981/1982, 1992, 2001) wird die Krise 2008 ff. näher betrachtet. Die Wirkungsschätzungen erfolgen mit einem makroökonometrischen Modell mittlerer Größe (RWI-Konjunkturmodell). Wie während der vorherigen Krisen erfolgten die fiskalpolitischen Maßnahmen auch 2008 ff. gezielt und zeitlich beschränkt, aber nicht rechtzeitig. Die Gründe für Letzteres sind vielfältig, ein wesentlicher ist die ungenügende Prognostizierbarkeit von Krisen. Hinsichtlich der Effektivität war der Umfang der getroffenen Maßnahmen auch in der aktuellen Krise, bezogen auf ihre Schwere, ungenügend. Dabei waren die seit den 1970er-Jahren angespannten öffentlichen Haushalte ein wichtiger Grund, ein weiterer war die Verzögerungen zwischen dem Beginn der Krise und der Erkenntnis sowie der Entscheidung und Durchführung der Maßnahmen. In der Krise 2008 ff. indessen setzte die Politik statt auf automatische Stabilisatoren und Selbstheilungskräfte wieder auf nachfragestützende Maßnahmen.
Ullrich Heilemann, Stefan Wappler
C. Herausforderungen an die wirtschaftliche Koordination: die Auswirkungen der Finanzkrise und Anpassungsnotwendigkeiten in der Währungsunion
Zusammenfassung
Das Zusammenwirken der Wirtschafts- und Finanzkrise und der Anpassungsnotwendigkeiten in der Wirtschafts- und Währungsunion werden hohe Anforderungen an die Wirtschaftspolitik und deren Koordinierung in der EU und insbesondere in der Eurozone stellen. Die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise werden systemische Auswirkungen haben. Ein neues Wachstumsgleichgewicht wird gefunden werden müssen. Der Lebensstandard wird lange Zeit nicht das Vorkrisenniveau erreichen. Der Ausstieg der Marktpolitik aus einem nie gekannten und langfristig schädlichen expansiven Kurs ist dabei wohl die größte Herausforderung. Die Frage nach dem Wie, Wann und Wer wird die Wirtschaftspolitik viele Jahre beschäftigen. Hinzu kommen strukturelle Anpassungen im privaten Bereich, nicht zuletzt im Finanzsektor. Während die fiskalische Überwachung im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes relativ erfolgreich war, hat die Wirtschafts- und Finanzkrise die Kohäsion der Währungsunion akzentuiert. Neben sehr hohen Budgetdefiziten und einer entsprechend rasant steigenden Verschuldung ist in Zukunft mit einem geringeren Wachstum zu rechnen. Es wird also nicht möglich sein, die Defizite nur mit wachstumsbedingten Mehreinnahmen zu verringern. Hinzu kommt, dass andere makroökonomische Ungleichgewichte, wie z. B. hohe Leistungsbilanzungleichgewichte, insbesondere das Auseinanderdriften der preislichen Wettbewerbsfähigkeit, weitere Korrekturmaßnahmen erfordern. Neben einer konsistenten Kostenentwicklung sind auch Wachstums- und produktivitätsfördernde Strukturmaßnahmen dringend notwendig. Die wirtschaftliche Koordinierung sollte dem schnellstmöglich Rechnung tragen.
Jürgen Kröger
D. Konsolidierung der Staatsfinanzen
Zusammenfassung
Die Konsolidierung der Staatsfinanzen nach der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise wird eines der zentralen wirtschaftspolitischen Themen der nächsten Jahre sein: Die Regelungen zur „Schuldenbremse“ sehen für den Bundeshaushalt bis 2016 einen annähernd ausgeglichenen Haushalt vor, und auch die Länderhaushalte sollen bis 2020 weitgehend konsolidiert werden. Dadurch ergibt sich ein erheblicher Konsolidierungsbedarf der öffentlichen Haushalte, der sich bei realistischen Annahmen über das strukturelle Defizit im Ausgangsjahr 2010 und die zu erwartende langfristige gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate bis 2016 auf knapp 80 Mrd. € summiert. Bei einem Ausgleich der kalten Progression durch eine Tarifanpassung bei der Einkommensteuer, wie in der Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien vorgesehen, würde der Konsolidierungsbedarf bis 2016 auf deutlich über 100 Mrd. € steigen. Damit wäre ein erheblicher Anstieg der Staatsverschuldung auf deutlich über 80 % des BIP verbunden. Aber auch bei einer erfolgreichen Konsolidierung würde die Staatsverschuldung 2016 noch ca. 75 % des BIP betragen. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, die längerfristig mit einem erheblichen Anstieg der Staatsausgaben verbunden sein wird, erscheint die Konsolidierung der Staatsfinanzen geboten. Der Konsolidierungsbedarf sollte nach der Krise vor allem über die Ausgabenseite realisiert werden. Wahrscheinlich werden aber die politisch realisierbaren Ausgabenkürzungen alleine nicht ausreichen, Steuer- und Abgabenerhöhungen werden ergänzend erforderlich sein. Erhöhungen der indirekten und vermögensbezogenen Steuern sind ökonomisch weniger schädlich als die der direkten Steuern und der Sozialabgaben. Die Spielräume für Steuerentlastungen sind gering; der Ausgleich der kalten Progression bei der Einkommensteuer ist wünschenswert, müsste aber gegenfinanziert werden.
Viktor Steiner
E. Herausforderungen der Fiskalpolitik
Zusammenfassung
„Wohlstand für alle!“ Unter dieses Motto haben wir den ersten Teil unseres Koalitionsvertrages zwischen Union und FDP gestellt. „Wohlstand für alle“ bedeutet auch, dass wir den Haushalt in Ordnung bringen, damit wir zu generationengerechten Finanzen kommen. Wir haben dazu neun goldene Regeln aufgestellt, mit denen wir einen Paradigmenwechsel herbeiführen wollen. Wir wollen alle staatlich übernommenen Aufgaben auf den Prüfstand stellen, denn jeder Ausgabenbereich soll einen Beitrag zur Einhaltung der Schuldenregel des Grundgesetzes leisten. Die politischen Zielsetzungen werden künftig nach der Qualität, nicht nach der Quantität ausgerichtet. Alle neuen finanzwirksamen Vorhaben müssen in ihren Wirkungen umfassend ausgewiesen werden. Damit schaffen wir gleich zu Beginn der Diskussionen die nötige Transparenz. Neue Maßnahmen sind nur möglich, wenn für sie unmittelbar eine dauerhafte Finanzierung vorgelegt wird. Die Lasten werden zwischen den staatlichen Ebenen ausgewogen verteilt, so dass wir auch den Interessen der Länder und Kommunen entgegen kommen.
Frank Schäffler
F. Die Wirtschafts- und Währungsunion als europäische Antwort auf die Finanzkrise – Herausforderungen für die Eurozone
Zusammenfassung
Die Weltwirtschaft sieht sich in den vergangenen Jahren immer wieder neuen und zum Teil besorgniserregenden Entwicklungen gegenüber und nicht zuletzt durch die Finanzkrise wird sie mit gewaltigen Problemen konfrontiert. Allerdings ist die Finanzkrise bei weitem nicht der einzige Schauplatz, der eine etwas gründlichere Betrachtung verdient. Entsprechend versucht dieser Beitrag, einen Überblick über einige momentan drängende makroökonomische Fragestellungen zu liefern und bietet Lösungen an.
Ausgehend von den globalen Ungleichgewichten aufgrund der enormen weltweiten Ersparnis wird argumentiert, dass die weltweite Sparschwemme die Beherrschung der Finanzkrise zumindest zum Teil unterstützt hat. Eine weitere aktuelle wirtschaftspolitische Debatte knüpft an die enorme Auslandsverschuldung der Vereinigten Staaten von Amerika an. Nicht zuletzt deswegen wird die dominierende Rolle des US-Dollars als weltweite Führungswährung immer öfter in Zweifel gezogen. Auch die EZB wird vor bedeutende Herausforderungen gestellt, da sie eine einheitliche Geldpolitik für einen immer noch recht heterogenen Währungsraum zu betreiben hat. Abschließend werden Überlegungen zum monetären Ausstieg aus der im Zuge der Finanzkrise überaus expansiv gestalteten unkonventionellen Geldpolitik angestellt.
Ansgar Belke, Florian Verheyen
G. Innovationspolitik und IKT-Expansion in Deutschland und der EU
Zusammenfassung
Aus wachstumstheoretischer Sicht sind der technische Fortschritt und Innovationen zentrale treibende Kräfte des wirtschaftlichen Wachstums. Somit kann auch die Analyse der langfristigen Entwicklung der Innovationsdynamik bzw. der Innovationsfähigkeit von Volkswirtschaften Erkenntnisse in Bezug auf den ökonomischen Wandel im Allgemeinen und auf die Wachstumsperspektiven im Besonderen liefern. Ausgehend vom Konzept der nationalen Innovationsfähigkeit und auf der Grundlage eines geeigneten Messkonzepts werden in dem Beitrag zunächst die langfristigen Trends der Innovationstätigkeit in den EU-Ländern dargestellt und einige Befunde einfacher Tests zur Konvergenz der Innovationsfähigkeiten vorgestellt. Daran anschließend wird der Frage nachgegangen, ob die IKT-Expansion zu einem neuen „techno-ökonomischen Paradigma“ und damit auch zu einem neuen Typ von Wirtschaft geführt hat. Den Abschluss des Beitrags bilden einige wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen, die sich aus den empirischen Befunden ergeben. In der Quintessenz plädiert der Beitrag für eine wirtschaftspolitische Strategie, die auf vermehrten Produktinnovationen, einer stärkeren Qualifizierung und verstärkten Forschungs- und Entwicklungs-Anstrengungen (FuE-Anstrengungen) beruht, um eine Verbesserung der Qualität als zentralem Wettbewerbsvorteil der EU zu erreichen. Betont wird die Notwendigkeit für ein innovationsbasiertes Wachstum, das der Umorientierung zu wissenschaftsbasierten Sektoren Rechnung trägt. Dabei geht es weniger um eine Unterstützung ausgewählter Industrien, sondern um eine Verankerung neuer Technologien, insbesondere der Informations- und Kommunikationstechnologie, in der Gesellschaft.
Andre Jungmittag
H. Arbeits- und Sozialpolitik: strategische Reformerfordernisse
Einige kritische Anmerkungen zum Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP
Zusammenfassung
Dieser Beitrag setzt sich kritisch mit dem Koalitionsvertrag von 2009 auseinander, in dem bereits die aktuellen Meinungsverschiedenheiten zwischen CDU, CSU und FDP angelegt wurden. Für die zentralen sozialpolitischen Handlungsfelder Arbeitsmarkt, Gesundheit und Alterssicherung wird aufgezeigt, dass der Koalition ein in sich konsistentes Programm zur Bewältigung der sozialpolitischen Auswirkungen der Finanzkrise fehlt. Anstatt ein ordnungspolitisch überzeugendes Gesamtkonzept zu bieten, setzt der Vertrag immer noch einseitig auf reine Deregulierung, anstatt effiziente Anreiz- und Kontrollmechanismen zu schaffen und ordnet letztlich den Wettbewerb – gerade im Gesundheitsbereich – reinen Partikularinteressen unter.
Die fundamentale Herausforderung ist, das durch die Finanzkrise immens beeinträchtigte Vertrauen zwischen den Akteuren und in die marktwirtschaftlichen Institutionen nicht nur auf den Finanzmärkten, sondern auch in den sozialpolitisch relevanten Bereichen wieder herzustellen. Diese wird jedoch leider überhaupt nicht im Koalitionsvertrag erkannt und berücksichtigt.
Hermann Ribhegge
I. Klimapolitik und makroökonomische Herausforderungen
Zusammenfassung
Der Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember 2009 ist ein sichtbares Zeichen, dass die Gefahr des Klimawandels weltweit erkannt worden ist. Der Klimawandel kann durch Einhaltung des 2°-Ziels noch begrenzt werden. Dies wird nur gelingen, wenn die Treibhausgasemissionen schnell, in großem Umfang und international abgestimmt reduziert werden.
Der Beitrag fasst die Ergebnisse verschiedener nationaler und internationaler Projekte der vergangenen Jahre zusammen, die modellgestützt den Zusammenhang von Klimaschutz und gesamtwirtschaftlichen Kosten analysiert haben.
Ökonomische Instrumente werden beim internationalen Klimaschutz eine zentrale Rolle spielen müssen, wenn die jährlichen Kosten des Klimaschutzes in dem häufig genannten Bereich von 1–3 % der globalen Wirtschaftsleistung bleiben sollen. Marktinstrumente allein werden aber nicht ausreichen, um die Volkswirtschaften in den kommenden Jahrzehnten klimaneutral umzugestalten. Notwendig ist ein intelligenter Policy-Mix, der für die einzelnen Emissionsbereiche jeweils durchdekliniert werden muss.
Um von dieser Entwicklung wirtschaftlich profitieren zu können, braucht Deutschland endlich ein abgestimmtes energie- und klimapolitisches Konzept, das sich auf die entstehenden internationalen Märkte für Energie- und Effizienztechnologien konzentriert und stranded investments, d. h. das vorzeitige Abschalten von Kraftwerken, Fabriken oder Fahrzeugen, verhindert.
Christian Lutz
J. Internationale Umweltpolitik bei akkumulierender und asymmetrischer Verschmutzungsdynamik
Zusammenfassung
Der Umgang mit dem globalen Klimawandels ist in erster Linie ein zentrales ökonomisches und politisches Problem. Bei der Gestaltung einer global effizienten und zugleich gerechten Politik erschweren insbesondere die starken ökonomischen und technischen Asymmetrien zwischen den entwickelten Ländern (dem Norden) und den Entwicklungs- und Schwellenländern (dem Süden) die Suche nach einer Lösung. Daher beschäftigt sich dieser Beitrag mit der Identifikation einer effizienten, aber auch gerechten Klimapolitik, die die Asymmetrien zwischen den beteiligten Akteuren berücksichtigt. Zwei Ergebnisse werden herausgearbeitet: 1) Zunächst wird deutlich, dass es effizient ist, wenn eine CO2-Reduktion vor allem dort vorgenommen wird, wo sie mit dem geringsten Aufwand erfolgen kann. Dies trifft wahrscheinlich für die Entwicklungs- und Schwellenländer zu, da die Effizienz der Verschmutzungsvermeidung dort gegenwärtig besonders gering ist. Hier kann wahrscheinlich mit relativ geringen Kosten eine starke Reduktion erreicht werden. Der entwickelte Norden müsste einen großen Aufwand betreiben, um die bereits effizienten Technologien weiter zu verbessern. Die daher aus Weltsicht effiziente Maßnahme wäre, den Süden so lange mit effizienzverbessernder Technologie auszustatten, bis im Süden ein ähnliches Grenzeffizienzniveau wie im Norden erreicht wäre. Unabhängig von der Frage, wer die Kosten trägt, wäre dies zunächst global effizient. Während es also effizient wäre, den Süden zunächst auf das technologische Niveau des Nordens bei der Verschmutzungsvermeidung zu bringen, also die massivsten Investitionen zur Verschmutzungsvermeidung in den Süden zu kanalisieren, muss simultan die Frage beantwortet werden, wer die entstehenden Kosten zu tragen hat. Die Trägerschaft der Kosten dieser Maßnahme ist eine Frage der globalen Gerechtigkeit. 2) Es ist evident, dass die reichen Länder (klassische Industrieländer) in der Vergangenheit am stärksten zur Gesamtverschmutzung beigetragen haben. Die Verschmutzung durch die reichen Länder in der Vergangenheit war eine globale Ressourcennutzung, für die noch nicht bezahlt wurde. Darüber hinaus sind diese Länder durch ihr deutlich höheres Einkommens- und Entwicklungsniveau eher in der Lage, die Ressourcen aufzubringen, die für verschmutzungsreduzierende Investitionen erforderlich sind. Effizient und sowohl nach dem Verursacher- als auch nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip gerecht wäre es somit, den Süden mit effizienzverbessernder Technologie auszustatten und die dafür nötigen Ressourcen durch den Norden bereitzustellen. Offen bleibt jedoch die Frage, wie eine solche effiziente und gerechte Lösung in Abwesenheit einer Weltregierung politisch implementiert, durchgeführt und kontrolliert werden kann.
Thomas Gries
K. Die richtigen Lehren aus der Finanzmarktkrise ziehen
Zusammenfassung
Mit der Finanzmarktkrise wurde offenkundig, dass systemische Bankenkrisen auch in hoch entwickelten Volkswirtschaften keine theoretisch abstrakte Möglichkeit darstellen. Maßnahmen sind nun notwendig, um die Wahrscheinlichkeit solcher und vergleichbarer Krisen deutlich zu verringern und vor allem um eine systemische Bankenkrise zukünftig möglichst auszuschließen. Dazu besteht bei Aufsicht und Regulierung Handlungsbedarf.
Daneben müssen struktur- bzw. ordnungspolitische Konsequenzen gezogen werden: Bisher galt ein Bankenmarkt dann als effizient, wenn nur wenige, dafür möglichst große Player vorhanden waren und diese gleichzeitig eine möglichst hohe Eigenkapitalrendite erzielten. Diese Sichtweise gilt es abzulegen, denn ein solcher Weg hat sich weder mit Blick auf eine verlässliche Unternehmenskreditvergabe noch in Bezug auf das Kriterium der Finanzmarktstabilität als zweckdienlich erwiesen.
Die Tatsache, dass einige Finanzmarktakteure im Insolvenzfall erheblichen Schaden für andere Banken und für die Verlässlichkeit des Intermediationsprozesses, mithin bei der Kreditversorgung der Realwirtschaft, verursachen, gibt jenen eine implizite Staatshaftung. Wenn aber einzelne Akteure an den Bank- und Finanzmärkten davon ausgehen können, dass die Gemeinschaft der Banken, die Gesellschaft oder die Notenbank als „lender of last resort“ bei Liquiditätsproblemen oder Eigenkapitalknappheiten auftreten, verleitet dies zu einem bewussten und vor allem aus gesamtgesellschaftlicher Sicht übermäßigen Eingehen von Risiken. Dies kann sich sowohl in einer übersteigerten Fristentransformation als auch im Eingehen von Aktivgeschäften mit hohen Ertragspotenzialen, aber auch hohen Ausfallrisiken äußern.
Es gehört zu den fundamentalen Erkenntnissen dieser Krise, dass es Mechanismen bedarf, die den Risiken systemrelevanter Bankinstitute angemessen begegnen, d. h. der sogenannten Too-big-to-fail-Problematik entgegenwirken. Dies ist nicht nur notwendig, um die Gesellschaft zukünftig vor hohen fiskalischen Lasten zu schützen, sondern auch, weil die Drohung, einen systemrelevanten Akteur nicht zu retten, seit Lehman kaum noch glaubwürdig ist. Die Palette der Möglichkeiten hierzu reicht von einer der Systemrelevanz folgenden Eigenkapitalunterlegung über ex ante zu erstellende Abwicklungspläne („living will“), bis zu weitgehenden organisatorischen Trennungen der Bankfunktionsbereiche nach Risikogehalt.
In diesen Kontext fällt ferner die Mahnung nach einem Erhalt bzw. einer Förderung pluralistischer Strukturen im Bankensektor. In der Naturwissenschaft ist unbestritten, dass Artenvielfalt geradezu Grundvoraussetzung für ökologische Nachhaltigkeit ist. In der Debatte um ökonomische Nachhaltigkeit wird dieser Aspekt hingegen kaum beachtet; Leitbild vieler Debatten um ökonomische Effizienz ist oftmals das Gegenteil, nämlich Homogenität. Dabei wird verkannt, dass ein heterogenes, sprich geschäftspolitisch unterschiedlich ausgerichtetes Bankensystem gleichgerichtetem Verhalten an den Bank- und Finanzmärkten entgegenwirkt und somit – makroprudenzieller Aufsichtstätigkeit vorgreifend – zur Eindämmung systemischer Instabilitäten beiträgt. Für die Zukunft sollte man daher die Unterschiedlichkeit in den Geschäftsmodellen, Aufgaben und rechtlichen Strukturen als Stärke eines Finanzplatzes begreifen.
Dass Anpassungen im Regulierungsbereich möglichst international abgestimmt erfolgen sollten, ist eine Erkenntnis, die nicht erst seit der Finanzkrise besteht. Mit der Einrichtung regelmäßiger Treffen der G20-Staaten ist es nun gelungen, eine Plattform zu schaffen, die einem „race to the bottom“ bei Regulierungsstandards sowie der Ausnutzung von Regulierungsarbitrage entgegenwirken kann. In der Umsetzung der Maßnahmen wird die EU-Kommission eine gewichtige Rolle spielen müssen; nur muss man dem im europäischen Vertragstext nicht ohne Grund verankerten Subsidiaritätsprinzip folgen und nicht alle Sachverhalte auf EU-Ebene zwangsweise harmonisieren. So ist es sinnvoll, auf europäischer Ebene einen makroprudenziellen Systemrisikorat zu schaffen. Wenig sinnvoll – weil nicht praktikabel – ist ein paneuropäischer Einlagensicherungsschirm, der zudem Höchstgrenzen in der Einlagensicherung setzt.
Bis zur aktuellen Finanzkrise wurde die Gefahr systemischer Instabilität im Bankensektor vor allem in einem „run on banks“ privater Einleger als Folge des Zusammenbruchs eines hinreichend großen und bekannten Kreditinstituts gesehen. Mit der Krise wurde klar, dass systemische Instabilität auch aus anderen Quellen resultieren kann: breitflächig fehlerhafte Risikoeinschätzungen, Herdenverhalten auf relevanten Finanzmarktsegmenten infolge fehlender Transparenz, durch Rechnungslegung erzwungene „fire sales“ von Aktivpositionen, mangelhafte Verlässlichkeit der Handelsinfrastruktur im Derivatebereich, Verwerfungen im Interbankengeldhandel. Diese Problemfelder müssen nun sukzessive angegangen werden.
Zur Eindämmung potenzieller Ausgangspunkte systemischer Instabilität bedarf es daher einer eingehenden Betrachtung u. a. des Ratingmarktes sowie der Handelsinfrastruktur an den Finanzmärkten: 1) Die Einbeziehung der Ratingagenturen in die Finanzmarktaufsicht und die Auferlegung umfangreicher Veröffentlichungs- sowie Haftungspflichten sind hierbei grundlegende Eckpfeiler. Zudem müssen mittelfristig die oligopolistischen Marktstrukturen angegangen werden. Da dieser Markt enorm hohe Markteintrittsbarrieren aufweist, wird dies nur durch staatliche Interventionen gelingen können. 2) Die Abwicklung von Derivategeschäften muss über „central counterparties“ laufen. Nur durch Schaffung solcher Clearing-Stellen kann der Derivatehandel ausfallsicherer gestaltet werden. Gleichzeitig stehen auf diesem Wege den Aufsichtsinstanzen Transaktionsdaten über die im Markt befindlichen Risiken zur Verfügung.
Alle neuen Regeln und Maßnahmen werden jedoch oberflächlich bleiben, würde die Krise nicht zu einer grundlegenden Besinnung, zu einem Wandel im Denken führen. Dies gilt zuallererst für die Bankwirtschaft selbst. Jedoch muss auch beim Bankkunden der Zusammenhang zwischen (erwarteter) Rendite und (einzugehendem) Risiko ins Bewusstsein rücken. Alle Verbraucherschutzmaßnahmen werden ins Leere laufen, wenn das Verständnis für die an den Bank- und Finanzmärkten ablaufenden Prozesse fehlt. Daher ist es unabdingbar, das Wissen der Bevölkerung über Finanzmarktsachverhalte („financial education“) mittelfristig deutlich zu erweitern, etwa durch eine stärkere Integration dieser Themen in die Schulausbildung.
Matthias Bergner, Karl-Peter Schackmann-Fallis, Mirko Weiß
Backmatter
Metadaten
Titel
Zukunftsfähige Wirtschaftspolitik für Deutschland und Europa
herausgegeben von
Paul J.J. Welfens
Copyright-Jahr
2011
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-642-17607-4
Print ISBN
978-3-642-17606-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-642-17607-4