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Erschienen in: BHM Berg- und Hüttenmännische Monatshefte 7/2023

Open Access 19.06.2023 | Originalarbeit

Abfallende: Ein wesentlicher Beitrag zum Gelingen einer Kreislaufwirtschaft

verfasst von: Thomas Kasper

Erschienen in: BHM Berg- und Hüttenmännische Monatshefte | Ausgabe 7/2023

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Zusammenfassung

Im Dezember 2019 hat die europäische Kommission den neuen Green Deal der europäischen Union vorgestellt. Zentrales Ziel darin ist das Erreichen der Klimaneutralität der EU Mitgliedstaaten bis 2050 und als Zwischenziel die Reduktion von Treibhausgasen um 55 % bis 2030.
Als Teil der Strategie zur Erreichung dieser Ziele hat die Kommission im März 2020 im Rahmen der EU-Industriestrategie den neuen Aktionsplan der Kreislaufwirtschaft auf den Weg gebracht. Die Umstellung unserer Wirtschaft und unseres Handelns insgesamt auf ein kreislaufwirtschaftliches System wird als ganz essentieller und zentraler Baustein für das erfolgreiche Erreichen der ambitionierten Klimaschutzziele bis 2030 und 2050 gesehen.
Im Rahmen des Kreislaufwirtschaftsaktionsplan wurden sieben zentrale Produktionswertschöpfungsketten mit besonderer Bedeutung für die Kreislaufwirtschaft identifiziert. Das sind die Bereiche Elektronik, Batterien und Fahrzeuge, Verpackungen, Kunststoffe, Textilien, Bauwirtschaft und Gebäude sowie Lebensmittel, Wasser und Nährstoffe.
Ziel in allen Bereichen ist die Reduktion von Abfall durch Abfallvermeidung und die Integration des Kreislaufprinzips beginnend bei der Planung (design for recycling) bis zur Aufbereitung und Verwendung von Sekundärrohstoffen.
Es soll ein reibungsloser Sekundärrohstoffmarkt in der EU gewährleistet werden. Dazu sollen die Mitgliedstaaten ihre Vorschriften für das Ende der Abfalleigenschaften und für Nebenprodukte prüfen, inwieweit EU-weite Kriterien für das Abfallende für bestimmte Abfallströme entwickelt werden müssen. Die Rolle der Produktnormung soll zur Definition einheitlicher Produkteigenschaften gestärkt werden.
Am Ende eines Lebenszyklus eines Produkts oder eines Gebäudes wird das eingesetzte Material so es nicht wieder- oder weiterverwendet werden kann (reuse) zum Abfall iSd europäischen Rechtsordnung. Das Stigma des „Abfalls“ stellt aber eine Reihe von Hürden für den neuerlichen Einsatz als Produkt dar. Dies aus Gründen des Vorsorgeprinzips, dass es zu keinen Schadstoffverfrachtungen in die Umwelt kommt. Um Stoffkreisläufe zu schließen und Rohstoffe als Sekundärrohstoffe einem weiteren Lebenszyklus zuführen zu können, gilt es, den Abfallbegriff ablegen zu können, um wieder frei gehandelt werden zu können. Dazu gilt es, die Begriffe der Abfallentstehung, des Nebenproduktstatus sowie des Abfallendes näher zu betrachten und technische und rechtliche Rahmenbedingungen zu definieren, um die Grundlagen für den Übergang zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem in Form einer Kreislaufwirtschaft zu schaffen.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

1 Abfallentstehung

Der Abfallbegriff und somit die Abfallentstehung ist im AWG legal definiert und lautet:
§ 2. (1) Abfälle im Sinne dieses Bundesgesetzes sind bewegliche Sachen,
1.
deren sich der Besitzer entledigen will oder entledigt hat oder
 
2.
deren Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall erforderlich ist, um die öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) nicht zu beeinträchtigen.
 
Der Abfallbegriff des AWG 2002 knüpft also an zwei Kriterien an. Die Sache muss einerseits eine bewegliche Sache sein, andererseits muss alternativ eine der beiden Kriterien der Entledigungsabsicht (subjektiver Abfallbegriff) (Z1) oder der Entledigungspflicht (objektiver Abfallbegriff) (Z2) zum Schutze öffentlicher Interessen erfüllt sein.
Eine nicht bewegliche Sache, zB ein zum Abbruch vorgesehenes Haus oder Boden vor dem Aushub, kann somit, mangels Beweglichkeit, kein Abfall sein, selbst wenn die Entledigungsabsicht des Gebäudebesitzers, der den Abbruch beauftragt oder des Bauherrn, der einen Aushub durchführen lässt, gegeben ist. Hier gibt es jedoch eine Ausnahme. Hat ein Boden bzw ein Abfall, der mit dem Boden eine untrennbare Verbindung eingegangen ist, die Eignung die öffentlichen Interessen zu beeinträchtigen, also erfüllt er das objektive Abfallkriterium, dann gilt der Boden bereits vor Aushub, obwohl er (noch) nicht beweglich ist, als Abfall1.
Hat sich der Abfallbesitzer einer beweglichen Sache entledigt oder will er sich dieser entledigen, ist der Tatbestand der Entledigungsabsicht gem Z 1 des § 2 Abs 1 AWG 2002 gegeben, der subjektive Abfallbegriff ist erfüllt. Keine Entledigungsabsicht besteht allerdings dann, wenn anfallende Materialien, die Produktqualität aufweisen und für die ein Markt existiert, in einem geschlossenen Prozess am Standort des Abfalls zur Herstellung eines Produktes eingesetzt werden. Werden in Anlagen Materialien, die im obigen Sinne keine Abfälle darstellen, eingesetzt, so liegt keine Behandlungsanlage iSd § 2 Abs 7 Z 1 vor.2
Nach ständiger hg Rsp kommt es bei der Beurteilung der subjektiven Abfalleigenschaft iSd § 2 Abs 1 Z 1 leg cit weder auf die eigene Entledigungsabsicht noch auf die Absicht in Bezug auf eine in Aussicht genommene Verwendung der Materialien an. Eine Sache ist nämlich schon dann als Abfall zu qualifizieren, wenn bei irgendeinem Vorbesitzer die Entledigungsabsicht bestanden hat 3 .
In diesem Erkenntnis stellt der VwGH fest, dass im Regelfall bei Bodenaushubmaterialien und Abbruchmaterialien qua Entledigungsabsicht des Bauherrn Abfalleigenschaft vorliegt.
Wie in der hg Rsp bereits wiederholt dargelegt wurde, geht es nach der Lebenserfahrung Bauherren, wenn bei der Realisierung von Bauvorhaben das angefallene Bodenaushubmaterial (oder Abbruchmaterial) von der Baustelle weggeführt wird, im Regelfall hauptsächlich darum, das Bauvorhaben, ohne durch diese Materialien behindert zu werden, zu vollenden, sodass insoweit eine Entledigungsabsicht gegeben ist 4 .
Der objektive Abfallbegriff besagt, dass ein Stoff, dann als Abfall zu betrachten ist, wenn aufgrund seiner stofflichen Zusammensetzung Gefahr für eines der Schutzgüter des AWG ausgehen kann (arg. … erforderlich ist, um die öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) nicht zu beeinträchtigen). Diese sind zB die Gesundheit der Menschen, Wasser, Luft, Boden, Tiere oder Pflanzen, nachhaltige Nutzung von Wasser oder Boden, das örtliche Landschaftsbild. Weiters soll das Auftreten oder die Vermehrung von Krankheitserregern oder die Verunreinigung der Umwelt hintangehalten werden. Die hg Judikatur hat wiederholt Baurestmassendeponiequalität als Grenze für den objektiven Abfallbegriff erkannt.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass der Abfallbegriff relativ leicht erfüllt ist, das Abfallende – wie wir sehen werden – hingegen (noch) nicht.

2 Nebenprodukt & Abfallende

2.1 Unionsrechtlicher Hintergrund

Die Abfallrahmenrichtline5 wurde mit der Richtlinie (EU) 2018/8516 angepasst. Die ARRL wurde an die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft angepasst, um die Europäische Union zu einer nachhaltigen Materialwirtschaft umzugestalten. Dadurch soll die Abhängigkeit der Union von Ressourceneinfuhren und somit die wirtschaftliche Abhängigkeit von Drittstaaten verringert werden. Um eine kreislauforientierte Wirtschaft entstehen zu lassen, muss der gesamte Lebenszyklus von Produkten betrachtet werden, um die Ressourcen durch Schließung des Kreislaufes zu erhalten.7
Abfälle sollen als Ressourcen geschätzt werden, um einen Übergang zu einer nachhaltigeren Materialwirtschaft und zum Modell einer Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen.8
Um eine nachhaltigere Nutzung von Ressourcen zu gewährleisten und um den Stoffkreislauf zu schließen, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen zu den Themenkreisen um die Nebenprodukteigenschaft einerseits und das Ende der Abfalleigenschaft andererseits von ganz zentraler Bedeutung. Hohe Hürden an dieser Stelle erschweren die Rückführbarkeit von Materialströmen in die Nutzung. Hier spielt auch der Begriff der „stofflichen Verwertung“ und im Zusammenhang mit Bodenaushüben jener der „Verfüllung“ eine zentrale Bedeutung.
Zur Förderung einer nachhaltigen Ressourcennutzung sollen die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen, die die Einstufung als Nebenprodukt (und somit außerhalb des Abfallbegriffes) zu ermöglichen und auf Unionsebene harmonisieren, um die Anwendung des Nebenproduktstatus zu fördern.9
Um mehr Rechtssicherheit im Umgang mit Sekundärrohstoffen in Bezug auf den Abfall- bzw Nichtabfall-Status von Materialien zu bieten, sollen Stoffe, die ein Verwertungs- bzw Recyclingverfahren durchlaufen haben, nicht länger als Abfall angesehen werden.10
Dazu sollen die Mitgliedstaaten material- und anwendungsspezifische Kriterien einführen, die zur Erreichung des Endes der Abfalleigenschaft erforderlich sind. Das kann in Form von Leitliniendokumenten, Einzelfallentscheidungen oder anderen Verfahren zu Ad-hoc-Anwendung erfolgen. Die Materialien, die nicht mehr als Abfälle gesehen werden, müssen die Vorschriften für Abfälle, Chemikalien und Produkte einhalten.
Zur Festlegung konkreter Kriterien sind grundsätzlich die Mitgliedstaaten adressiert. Gem Pkt 18 der Erwägungsgründe der Richtlinie (EU) 2018/851 soll die Kommission beauftragt werden, detaillierte Abfallende-Kriterien mindestens für Granulat, Papier, Reifen und Textilien zu erstellen.
Vom Ende der Abfalleigenschaft kann erst ausgegangen werden, wenn sie die einschlägigen Vorschriften für Produkte einhalten. Bestimmungen für das Ende der Abfalleigenschaft können auch in produktspezifischen Rechtsvorschriften und Normen festgelegt werden.11
Um die Schließung der Stoffkreisläufe zu ermöglichen, sollen bereits bei der Planung und beim Design von Produkten auf deren Langlebigkeit, mehrfach Nutzbarkeit und deren Recyclierbarkeit am Ende des (ersten) Lebenszyklus geachtet werden.
Damit keine Ressourcen am Ende des Lebenszyklus als Abfall verloren gehen, soll ein hochwertiges Recycling ermöglicht werden und hochwertige Sekundärrohstoffe am Markt verstärkt verwendet werden.12
Vor diesem Hintergrund wurde die ARRL an die kreislaufwirtschaftlichen Grundsätze angepasst, darunter von zentraler Bedeutung der Artikel 5 „Nebenprodukte“ und der Artikel 6 „Ende der Abfalleigenschaft“.

2.2 Der Nebenproduktbegriff in der ARRL

Der Begriff des Nebenprodukts wurde aufbauend auf der Judikatur des EUGH13 und der diesbezüglichen Schlussfolgerungen der Kommission entwickelt. Die Kommission hat so Bedingungen, unter denen Produktionsrückstände nicht als Abfall anzusehen sind, also Nebenproduktstatus haben, aufgestellt, die als Basis für die Bestimmungen in Art 5 ARRL dienten.
Nach Feststellung des Gerichtshofs handelt es sich bei einem Material selbst dann nicht unbedingt um Abfall, wenn er als Produktionsrückstand anzusehen ist. Weist ein Material Merkmale auf, aufgrund deren er sich für wirtschaftliche Wiederverwendung eignet, so deutet dies darauf hin, dass er nicht als Abfall angesehen werden sollte.
Der EuGH hat drei Kriterien aufgestellt, die ein Produktionsrückstand erfüllen muss, um als Nebenerzeugnis eingestuft zu werden:
  • spätere Verwendung eines Materials mit Gewissheit erfolgt und nicht nur eine Möglichkeit ist,
  • vor seiner Weiterverwendung keine weitere Bearbeitung erforderlich ist und
  • er im Rahmen eines kontinuierlichen Produktionsprozesses entsteht,
so handelt es sich nach Auffassung des Gerichts bei diesem Material nicht um Abfall.
Alle drei Kriterien müssen kumulativ erfüllt sein.
Das europäische Parlament und der Rat haben dies in den Artikel 5 der ARRL14 gegossen, der mit der Richtlinie (EU) 2018/851 vom 30. Mai 2018 geändert wurde:
Nebenprodukte:
1.
Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ein Stoff oder Gegenstand, der das Ergebnis eines Herstellungsverfahrens ist, dessen Hauptziel nicht die Herstellung des betreffenden Stoffes oder Gegenstands ist, nicht als Abfall, sondern als Nebenprodukt betrachtet wird, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
a)
es ist sicher, dass der Stoff oder Gegenstand weiter verwendet wird,
 
b)
der Stoff oder Gegenstand kann direkt ohne weitere Verarbeitung, die über die normalen industriellen Verfahren hinausgeht, verwendet werden,
 
c)
der Stoff oder Gegenstand wird als integraler Bestandteil eines Herstellungsprozesses erzeugt und
 
d)
die weitere Verwendung ist rechtmäßig, d.h. der Stoff oder Gegenstand erfüllt alle einschlägigen Produkt‑, Umwelt- und Gesundheitsschutzanforderungen für die jeweilige Verwendung und führt ins gesamt nicht zu schädlichen Umwelt- oder Gesundheitsfolgen.
 
 
Mit Absatz 1 werden die Mitgliedstaaten in die Pflicht genommen, dass Materialien, die die Kriterien der lit a–d erfüllen, auch tatsächlich als Nebenprodukte außerhalb des Abfallregimes bleiben und so im Stoffkreislauf verbleiben.
Es muss ein Stoff also gesichert weiter verwendet werden, ohne dass aufwendige Aufbereitungsschritte erforderlich wären, der Stoff als integraler Bestandteil der Herstellung entstanden ist und der Stoff alle Anforderungen für Abfälle, Chemikalien und Produkte für die Verwendung erfüllt.

2.3 Abfallende in der ARRL

Mit der Anpassung der Abfallrahmenrichtlinie mit 30. Mai 2018 lautet Artikel 6 Absatz 1 ARRL wie folgt:
1.
Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Abfälle, die ein Recyclingverfahren oder ein anderes Verwertungsverfahren durchlaufen haben, nicht mehr als Abfälle betrachtet werden, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
a)
Der Stoff oder der Gegenstand soll für bestimmte Zwecke verwendet werden;
 
b)
es besteht ein Markt für diesen Stoff oder Gegenstand oder eine Nachfrage danach;
 
c)
der Stoff oder Gegenstand erfüllt die technischen Anforderungen für die bestimmten Zwecke und genügt den bestehenden Rechtsvorschriften und Normen für Erzeugnisse und
 
d)
die Verwendung des Stoffs oder Gegenstands führt insgesamt nicht zu schädlichen Umwelt- oder Gesundheitsfolgen.
 
 
Wie bereits bei der Neuformulierung der Bestimmung zu den Nebenprodukten sind auch beim „Ende der Abfalleigenschaft“ die Mitgliedstaaten aufgefordert Maßnahmen zu treffen, um Abfallendebestimmungen zu erstellen bzw das Abfallende zu ermöglichen, nun aber ohne die Einschränkung auf „bestimmte Abfälle“ sondern für Abfälle, die ein Recyclingverfahren oder ein anderes Verwertungsverfahren durchlaufen haben. Dies deshalb, weil den Anwendern dieser Materialien mehr Sicherheit in Bezug auf den Abfall- oder Nichtabfall-Status eingeräumt werden soll, um ihnen gleiche Wettbewerbsbedingungen zu verschaffen und letztlich die Anwendung bzw Wiederverwendung von Abfällen als Rohstoff im Sinne einer Kreislaufwirtschaft zu fördern.15

2.4 Der stoffliche Ansatz

Den Kriterien der Nebenprodukteigenschaft sowie jenen für ein Abfallende liegt ein stofflicher Ansatz zugrunde. Beiden Bestimmungen zentral ist die Verwendung des Stoffes für einen bestimmten Zweck. Es sind also die Eigenschaften des Stoffes oder des Gegenstandes den (technischen) Anforderungen des Zwecks, der Verwendung bzw der Anwendung gegenüberzustellen. Es geht sohin um eine Kombination von stofflicher Zusammensetzung des Stoffes einerseits und stofflicher Anforderung der Verwendung bzw. der Nutzung andererseits. Erfüllt der Gegenstand die stofflichen Eigenschaften für die Nutzung kann iSe Nebenproduktes oder des Abfallendes von der Behandlung des Stoffes als Abfall abgesehen werden.

3 Anwendungsbeispiele des stofflichen Ansatz in der Judikatur

Dieser Ansatz stellt europarechtlich den zentralen Zugang zu Beurteilung der Abfalleigenschaft dar und ist Schlüssel für eine nationale Umsetzung im Abfallrecht der Mitgliedstaaten, um der Umstellung unseres Wirtschaftssystem in eine zirkuläre Wirtschaft den Weg zu ebnen.

3.1 Bodenaushub – Abfall oder Baustoff?

Eindrücklich macht die Generalanwältin Laila Medina in ihrem Schlussantrag vom 22. Juni 2022(1) zur Rechtssache C‑238/21 dieses Prinzip deutlich. Es geht in dieser causa um die Beurteilung von qualitätsgesicherten Bodenaushub für eine landwirtschaftliche Verwertung gemäß österreichischem Bundesabfallwirtschaftsplan. Die Generalanwältin legt dar, dass nicht kontaminiertes Bodenaushubmaterial aus Bauvorhaben, wenn nach entsprechender Qualitätsprüfung feststeht, dass es sich um ökologisch unbedenkliches Aushubmaterial handelt, nicht als Abfall, sondern als Nebenprodukt zu sehen ist. Dies deshalb, weil die Nebenprodukteigenschaft weit zu verstehen ist, wobei das erforderliche Herstellungsverfahren kein industrielles Verfahren darstellen muss, sondern jeder Vorgang bei dem mittels Input ein Output entsteht. „Grund und Boden“ kann daher Gegenstand eines Herstellungsverfahrens sein, sodass das Sekundärprodukt, das beim Aushub dieses „Grund und Bodens“ entsteht, die Nebenprodukteigenschaft erfüllt.
Selbst wenn Bodenaushub als Abfall anzusehen wäre, würde bereits vor Verwendung dieses Stoffes für einen geeigneten Zweck, ein vorzeitiges Abfallende eintreten. Dazu nimmt die Generalanwältin Bezug auf die Möglichkeit zur Vorbereitung zur Wiederverwertung, die eine Möglichkeit für ein vorzeitiges Abfallende bietet. Die Erläuterungen der RV 1005 zur AWG Novelle der 24. GP, legen dar, dass für Bodenaushub die die Möglichkeit zur Vorbereitung zur Wiederverwertung gar nicht bestehen. Dies steht laut Generalanwältin im Widerspruch zu den unionsrechtlichen Bestimmungen zur Vorbereitung zur Wiederverwertung (Art 3 Z 16 ARRL), deshalb ist die österreichische Rechtslage nach Ansicht der Generalanwältin unionsrechtswidrig. Sie weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten in Bezug auf das Abfallende gem ARRL dafür sorgen müssten, dass nationale Rechtsvorschriften die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie nicht behindern dürfen, um natürliche Rohstoffquellen zu erhalten und eine Recycling-Wirtschaft zu schaffen.
Schließlich kommt sie zu dem Schluss, dass nationale Rechtsvorschriften, denen zufolge das Ende der Abfalleigenschaft nicht kontaminierter Bodenaushübe von höchster Qualität nicht eintrete, diesen Zielen nicht nachgekommen und daher dem Erreichen der Ziele der Richtlinie entgegen stehen und daher unangewendet bleiben müssen (hier: zB § 5 AWG 2002).
Am 17. November 2022 folgte der EuGH16 den Ausführungen der Generalanwältin in seinem Urteil über die Verwendung des gegenständlichen Bodenaushubes und stützte sich dabei auf die Erwägungsgründe der Abfallrahmenrichtlinie, dass die Abfallpolitik auf die Verringerung der Nutzung von Ressourcen abzielen und die Verwertung von Abfällen fördern soll, um natürliche Rohstoffquellen zu erhalten.
Im konkreten Fall führt der Gerichtshof aus, dass mangels Entledigungsabsicht (weil ja eine Folgenutzung bereits geplant war) dem Aushubmaterial gar keine Abfalleigenschaft zugesprochen werden kann. Außerdem wurde geprüft, ob Bodenaushubmaterial die Kriterien eines Nebenproduktes erfüllt und deshalb nicht als Abfall anzusprechen ist. Die Nebenproduktkriterien wurden ebenfalls bejaht, einerseits weil die Entstehung von Bodenaushubmaterial als integraler Bestandteil eines Herstellungsprozesses im Baugeschehen anzusehen ist und weil der gegenständliche Bodenaushub nachweislich die stofflichen Eigenschaften (bautechnisch und umweltchemisch) für die Verwendung als Baustoff für eine bautechnische Schüttung aufweist.
Im Hinblick auf ein Ende der Abfalleigenschaft von Aushubmaterial stellt der EuGH ebenfalls auf die stoffliche Betrachtung ab. Es ist nachzuweisen, dass der Aushub unmittelbar zur Substitution von Rohstoffen verwendet werden kann, also dieselben stofflichen Eigenschaften wie Primärrohstoffe aufweist.
Im Hinblick auf die geplanten Abfallendebestimmungen für Bodenaushubmaterialien im österreichischen Abfallrecht sollten die Prinzipien des stofflichen Ansatzes vertieft werden und bei nachgewiesener ökologischer Unbedenklichkeit und stofflicher (zB bautechnischer) Eignung für die in Aussicht stehenden Sekundärverwendung von der Einstufung als Abfall Abstand genommen werden oder ein frühzeitiges Abfallende ab Nachweis definiert werden.

3.2 Elektroofenschlacken – Nebenprodukt, Abfall oder Baustoff?

Am Beispiel der Verwendung von Elektroofenschlacken der Marienhütte in Graz, hat das LVwG17 – später bestätigt durch den VwGH18 – geklärt, ob aufbereitete und qualitätsgesicherte Elektroofenschlacke aus der Stahlproduktion als Abfall einzustufen ist oder ob sie als (Sekundär)baustoff unter den gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen verwendet werden kann wie vergleichbare Primärrohstoffe.
Gemäß § 2 Abs 3a AWG kann ein Stoff oder Gegenstand, der das Ergebnis eines Herstellungsverfahrens ist, dessen Hauptziel nicht die Herstellung dieses Stoffes oder Gegenstandes ist, nur dann als Nebenprodukt und nicht als Abfall gelten, wenn die im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind.
In der Prüfung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hat das LVwG ganz klar die stoffliche Eignung für die intendierte bautechnische Verwendung, neben der umweltchemischen Unbedenklichkeit, als entscheidendes Kriterium herausgearbeitet.
Die gegenständlichen Schlacken wurden aufbereitet, um die bautechnischen Eigenschaften als Gesteinskörnung für den Straßen- und Ingenieurbau zu erfüllen. Das fertige Produkt hält die Umweltparameter der damals gültigen BRV-Richtlinie für Recyclingbaustoffe ein, wurde als Hüttenschotter gemäß ÖNORM EN 13242 qualitätsgesichert und CE-zertifiziert, was eine Voraussetzung für das Inverkehrbringen von Baustoffen gemäß Bauproduktenverordnung darstellt. Somit erfüllt das Material die Eigenschaften, die ein Produkt – unabhängig von dessen Provenienz – für den Einsatz als Baustoff erfüllen muss. Darüber hinaus bestehen in Österreich technische Richtlinien für den Straßenbau – RVS Richtlinien und Vorschriften für den Straßenbau – die die Anforderungen an Baustoffe aus der Anwendungssicht vorgeben. Die Elektroofenschlacke werden als Baustoff, vergleichbar mit natürlichem Gestein, gebrochen und in Sieblinien aufbereitet verwendet. Diese Sieblinien werden für eine CE-Zertifizierung als Bauprodukt nach einschlägigen Normen hergestellt und bestehen auch als Anforderungskriterium für die Verwendung gemäß dieser straßenbautechnischen Richtlinien.
Es konnte somit festgestellt werden, dass die geeigneten Qualitätskriterien vorliegen und von den Elektroofenschlacken keine über die Geringfügigkeit hinausgehende höhere Umweltbelastung oder Umweltrisiko ausgeht als bei einem vergleichbaren Primärstoff oder einem vergleichbaren Produkt aus Primärrohstoff.
Es wurde also auch für Elektroofenschlacken bei Verwendung als Straßenbaustoff, die umwelttechnische Unbedenklichkeit vorausgesetzt, ein stofflicher Ansatz beschrieben, der einem Material Produkteigenschaft zuspricht, wenn es für die intendierte Verwendung geeignet ist und die selben technischen Eigenschaften eines Primärmaterials erfüllt. Dies steht ganz im Sinne zur Förderung einer kreislauforientierten Materialwirtschaft.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Fußnoten
1
Vgl RV 1005 dB XXIV. GP zu Abfall S. 11.
 
2
Vgl AB 1008 dB XXI. GP.
 
3
VwGH 24.04.2018, Ra 2018/05/0034.
 
4
VwGH 24.04.2018, Ra 2018/05/0034.
 
5
Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien, ABl vom 22.11.2008, L 312/3.
 
6
Richtlinie (EU) 2018/851 des europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle.
 
7
so Erwägungsgrund (1) der Richtlinie (EU) 2018/851.
 
8
vgl Erwägungsgrund (2) der Richtlinie (EU) 2018/851.
 
9
vgl Erwägungsgrund (16) der Richtlinie (EU) 2018/851.
 
10
vgl Erwägungsgrund (17) der Richtlinie (EU) 2018/851.
 
11
so in Erwägungsgrund (19) der Richtlinie (EU) 2018/851.
 
12
vgl Erwägungsgrund (41) der Richtlinie (EU) 2018/851.
 
13
Urteil des EuGH vom 18.04.2002, C‑9/00, Palin Granit Oy; Urteil des EuGH vom 11.09.2003, C‑114/01, Avesta Polarit Chrome.
 
14
Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Abfälle.
 
15
vgl Erwägungsgrund (17) der Richtlinie (EU) 2018/851.
 
16
Rechtssache C‑238/21.
 
17
LVwG 46.23-141/2018-20.
 
18
VwGH 27.11.2019, Ra 2018/05/0271.
 
Metadaten
Titel
Abfallende: Ein wesentlicher Beitrag zum Gelingen einer Kreislaufwirtschaft
verfasst von
Thomas Kasper
Publikationsdatum
19.06.2023
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
BHM Berg- und Hüttenmännische Monatshefte / Ausgabe 7/2023
Print ISSN: 0005-8912
Elektronische ISSN: 1613-7531
DOI
https://doi.org/10.1007/s00501-023-01365-0

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