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22.06.2015 | Automobil + Motoren | Nachricht | Online-Artikel

Nur ein Sensor wird für Bestnoten nicht ausreichen

verfasst von: Markus Schöttle

8 Min. Lesedauer

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Heutige Spurverlassenswarner sind laut Continental für die Zukunft nicht ausreichend. NCAP-Bestnoten könnten schon bald nicht mehr mit einem auf nur einem Sensor basierenden System erreicht werden: Wie Continental mit diesen Problemstellungen umgeht, zeigte der Zulieferer beim Conti Techday.

Wie kaum ein anderer Zulieferer hat sich Continental die Vision des autonomen Fahrens auf die Fahne geschrieben. Eine auf den ersten Blick revolutionäre Strategie, die Continental allerdings in evolutionären Schritten umsetzt. Die Präsentationen und Testfahrten auf dem Contidrom machten deutlich, dass alle technischen Entwicklungen für die maximale Unterstützung des Fahrers notwendig sind - ungeachtet der legislativen oder ethischen Diskussionen, die möglicherweise das autonome Fahren verbieten werden. "Alle Investitionen, die wir in Richtung der Hochautomatisierung tätigen, sind gut angelegt", betont Ralph Lauxmann, Leiter Systems & Technology der Division Chassis & Safety bei Continental in Frankfurt.

Euro NCAP in 2016, 2018 und 2020

Umfeldsensoren wie Radar und Kamera schaffen heute die Grundlage für Assistenzsysteme (Advanced Driver Assistance Systems, ADAS) zur Unfallvermeidung. "Dies wird sich weltweit auch in Bewertungsverfahren für Neufahrzeuge, beispielsweise durch Euro NCAP (European New Car Assessment Programme), widerspiegeln", sagt Lauxmann. Zusätzlich zu effektiven passiven Rückhaltesystemen bekommt die Unfallvermeidung durch Systeme der aktiven Fahrsicherheit in heutigen und künftigen Testszenarien der Consumer-Rating-Organisationen eine größere Bedeutung für das Gesamtergebnis. Dies ist nur folgerichtig, denn es ist sicherer für alle Verkehrsteilnehmer, einen Unfall zu vermeiden, als ausschließlich dessen Folgen abzumildern. Bestnoten, wie etwa die fünf Sterne beim Euro NCAP-Test, sind daher in Zukunft nur mithilfe von wirksamen Fahrerassistenzsystemen zur Unfallvermeidung als Serienausstattung erreichbar.

Für Continental ist das Innovationsfeld der Fahrerassistenzsysteme einschließlich der Sensortechnologie ein Teil des Weges hin zur Vision Zero - dem unfallfreien Fahren. Gestützt auf Umfeldsensoren sollen vordringlich relevante Unfallarten durch einen rechtzeitigen Eingriff verhindert werden. Als besonders wirksam erweist sich die autonome Notbremsung (Autonomous Emergency Braking, AEB) auf Fahrzeuge beziehungsweise die Fahrbahn überquerende Fußgänger. Diese vorausschauende Sicherheitsfunktion ist daher auch im Fokus des zukünftigen NCAP-Sterne-Rating für das Jahr 2016.

Erhöhte Hürden an Wirksamkeit der Unfallvermeidung

Voraussichtlich ab 2018 wird es zunehmend unwahrscheinlich, dass die von vielen Fahrzeugherstellern angestrebte Bestnote "fünf Sterne" mit einem auf nur einem einzigen Sensor basierenden System erreichbar werden, denn die Hürden an die Wirksamkeit der Unfallvermeidung werden kontinuierlich erhöht. Unter anderem soll das ungewollte Verlassen der Fahrbahn oder eine Kollision beim Spurwechsel vermieden werden.

Euro-NCAP teilt in der 2020 Roadmap die Einschätzung, dass die Testszenarien ab 2018 so vielfältig und anspruchsvoll werden, dass zur Erfüllung ein Multi-Sensorkonzept (mit Sensor-Fusion) notwendig sein wird. Dies ist vor allem im Hinblick auf die reale Wirksamkeit auf der Straße relevant, weil die Randbedingungen dort viel breiter streuen, als es sich in einem Testszenario abbilden und standardisieren lässt. Um die Vision Zero eines Tages zu erreichen, wird sich das Verhalten von Fahrerassistenzsystem im Feld - also im realen Straßenverkehr - als entscheidend erweisen. Dies einfach deshalb, weil über die Vision Zero nicht auf den Testgeländen rund um den Globus entschieden wird, sondern im Realbetrieb. Für das unfallfreie Fahren wird folglich die hohe Verfügbarkeit, die Robustheit und Entscheidungssicherheit von Fahrerassistenzsystems im Feld ausschlaggebend sein. Hier gilt: Mit einem hoch verfügbaren, robusten System lassen sich mehr Unfälle verhindern.

Vorrauschauende Assistenz

"Heutige Fahrerassistenzsysteme treffen ihre Entscheidungen auf Basis von Informationen aus Umfeldsensoren wie Kameras und Radarsystemen sowie weiteren Bordsensoren", führt das Team um Lauxmann aus. Mit zusätzlichen Informationen über ihre Umgebung und die vor ihnen liegende Strecke, zum Beispiel spurgenaue Straßenkarten, topografische Informationen, und Verkehrsgebote und -verbote, lässt sich das System zum sogenannten elektronischer Horizont (eHorizon) ausbauen. Continental zeigt in einem Versuchsfahrzeug die Kombination aus Abstandsregeltempomat und Elementen des dynamischen eHorizon. Dabei übernimmt das Versuchsfahrzeug die komplette Längsführung oder informiert den Fahrer per aktivem Gaspedal. Künftig ist auch eine Weiterentwicklung des Systems zum vollständig "dynamischen eHorizon" geplant. Dabei werden zusätzliche Informationen ständig über eine Online-Verbindung aktualisiert. Ein im Fahrzeug verbautes Mobilfunk-Modul erlaubt dabei den Datenaustausch in beiden Richtungen. Das Fahrzeug erhält auf diesem Weg ständig aktualisierte Strecken- und Umgebungsdaten wie topografische Zusatzinformationen oder Informationen zur aktuellen Verkehrssituation. "Die online angelieferten Informationen werden immer mit den im Fahrzeug vorhandenen Daten und Sensorinformationen integriert, damit sicherheitsrelevante Systeme immer mehrere redundant ausgelegte Datenquellen haben. So verhindern wir, dass Aktionen auf Basis einer falschen Datenbasis ausgeführt werden", erläutert Dr. Stefan Lüke, Leiter Fahrerassistenzsysteme & Automation in der Zukunftsentwicklung der Continental Division Chassis & Safety.

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Heutige Spurverlassenswarner genügen nicht

In den USA werden 55 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle dadurch verursacht, dass ein Fahrzeug von der Fahrbahn abkommt. In Deutschland ereignen sich 60 Prozent der Verkehrsunfälle mit Todesfolge auf Landstraßen. Die heutigen Spurhaltesysteme sind in diesen Fällen nicht ausreichend, unterstreicht Continental. Daher entwickelt der Zulieferer ein spezielles System, mit dem ein Abkommen von der Fahrbahn verhindert werden kann. Hierbei werden die vorhandenen Fahrerassistenzsysteme um eine aktive Spurhaltung im Notfall erweitert - das System greift rechtzeitig ein, bevor das Abkommen von der Fahrbahn aus fahrdynamischen Gründen unabwendbar ist. Techniken zur Erkennung des Straßenrands oder zur Voraussage des Straßenverlaufs bilden die Grundlage anhand derer die Systeme erkennen, wenn die Fahrbahn unbeabsichtigt verlassen wird und greifen dann aktiv ein.

Das Basissystem verwendet eine Mono-Frontkamera zur Erkennung der Fahrbahnbegrenzung. Es überwacht die Lenkradstellung und die Fahrtrichtung anhand der bestehenden Fahrdynamikregelung (ESC) und verwendet außerdem Chassis-Bewegungssensoren um zu erkennen, ob das Fahrzeug die Fahrbahnbegrenzung verlässt. Wenn dies geschieht, wird die vorhandene Fahrdynamikregelung genutzt, um die einzelnen Räder zu bremsen und das Fahrzeug automatisch wieder auf die Straße zu lenken. Gleichzeitig wird der Fahrer gewarnt und die Fahrzeuggeschwindigkeit aus Sicherheitsgründen reduziert. Auf diesen aktiven Eingriff wird in dem Moment hingewiesen, in dem die Sensoren das Verlassen der Fahrbahn melden. Die Leistung des Systems wird durch Rüttelstreifen am Fahrbahnrand verbessert, so dass neue Assistenzsysteme in Kombination mit einer entsprechenden Verkehrsinfrastruktur eine besonders wirkungsvolle Lösung ergeben. Möchte der Fahrer die Fahrbahn beabsichtigt verlassen erkennt dies das System.

Neben dem Road-Departure-Protection-System, das sich auf eine Monokamera und die Fahrdynamikregelung (ESC) stützt, arbeitet Continental parallel an einem erweiterten System. Dieses System verwendet eine Stereokamera und einen Fernbereichsradar zur besseren Erkennung der Fahrbahnbegrenzung insbesondere auf Landstraßen in Europa. Mit dem Fernbereichsradar und der Stereokamera kann das erweiterte System eine Belegungskarte erstellen, die belegte und freie Flächen für einen mosaikförmig analysierten Bereich im Sichtfeld des Fahrzeugs enthält. Diese Belegungskarte trägt zusätzlich dazu bei, dass der Fahrer effizient vor dem Verlassen der Straße und möglichen Kollisionen mit stabilen Fahrbahnbegrenzungen wie Bordsteinen, Leitplanken oder Baustellenausrüstung gewarnt wird. Hierbei sollen Fahrbahnbegrenzungen selbst dann erkannt werden können, wenn keine Fahrbahnmarkierungen vorhanden sind. Ein koordinierter Eingriff in den Brems- und Lenkvorgang erhöht die Effizienz dieses Systems.

Durch die weitere Integration von Kartendaten und des eingebauten Global Positioning Systems (GPS) wird außerdem erreicht, dass, dank einer verbesserten Vorausschau-Funktion der Fahrdynamikregelung auch vor Kurven, der Straßenverlauf erkannt wird. Auf Grundlage des berechneten Kurvenverlaufs wird der Fahrer in Situationen mit kritischer Fahrdynamik unterstützt. So wird das Fahrzeug auch dann innerhalb der gegebenen Straßenbegrenzung gehalten, wenn es sich einer Kurve auf einer Landstraße mit zu hoher Geschwindigkeit nähert oder wenn Kurven besonders eng sind.

Augmented Reality-HUD schafft Vertrauen

Continental wird Head-up-Displays (HUD) erweitern, mit dem sogenannte Augmented Reality-HUD ergänzt die Außenansicht der Verkehrssituation vor dem Fahrzeug durch virtuelle Hinweise (= Augmentierungen) für den Fahrer. So wird aus dem bisherigen HUD das AR-HUD. Das Besondere daran ist, dass die eingespiegelte Information exakt dort erscheint, wo sie für den Fahrer relevant ist. Bei der Navigation beispielsweise weist ihm an der Abbiegung vor dem Fahrzeug ein passgenau in die Außenansicht eingefügtes virtuelles Symbol den Weg. Bei aktiviertem Abstandstempomaten (Adaptive Cruise Control, ACC) visualisiert eine Markierung im AR-HUD, welches vorausfahrende Fahrzeug vom Assistenzsystem erkannt wird. Serienreife plant Continental für 2017.

Beim AR-HUD werden virtuelle Hinweise direkt in die Sichtlinie des Fahrers gerückt. Das AR-HUD fügt in 7,5 Meter Entfernung in einem etwa 130 cm breiten und über 60 cm hohen Ausschnitt des Sichtfeldes des Fahrers vollfarbige Grafiken in die reale Straßenansicht ein. Die Basis hierfür liefert die Digital-Micromirror-Device-Technik (DMD), wie sie auch bei digitalen Kinoprojekten Verwendung findet. Continental wird diese Projektionstechnik bereits im Jahr 2016 in Serie bringen. Im Continental-Demonstrationsfahrzeug sind beispielhaft drei mögliche Anwendungen in Verbindung mit Fahrerassistenzsystemen realisiert: Das AR-HUD unterstützt den Fahrer im Falle des drohenden ungewollten Verlassens einer Fahrspur. Außerdem unterstützt das AR-HUD die Nutzung des ACC (Adaptive Cruise Control). Bei aktiviertem ACC hebt eine sichelförmige Markierung im AR-HUD das von der Elektronik erkannte vorausfahrende Fahrzeug hervor. "Damit beginnt eine neue Interaktion zwischen Fahrzeug und Fahrer. Das Fahrzeug zeigt dem Fahrer, was die Assistenzsysteme sehen und was sie leisten. Das schafft Vertrauen und wird deshalb auch helfen, Akzeptanz für heutige und zukünftige Fahrfunktionen zu schaffen", sagt Eelco Spoelder, Leiter des Continental Geschäftsbereichs Instrumentation & Driver HMI.

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