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03.11.2015 | Bankenaufsicht | Interview | Online-Artikel

"Uns steht ein weiterer Wandel im Zentralbankenwesen bevor"

verfasst von: Eva-Susanne Krah

4 Min. Lesedauer

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Welche Rolle sollten Zentralbanken in der Zukunft spielen? Welche Erwartungen können sie in der Geldpolitik erfüllen? Antworten auf diese Fragen gibt der Springer-Autor Nils Herger im Interview mit Springer für Professionals.

Springer für Professionals: Herr Herger, Sie beschreiben in Ihrem Buch Zentralbanken als Steuerungs- und Überwachungsinstanz für monetäre Transaktionen, so für die Steuerung der Geldmenge. Kritiker aus der Welt der Notenbanken werfen der Europäischen Zentralbank vor, dass diese sich inzwischen weit aus ihrem Ordnungsrahmen hinausbewegt hat. Steht die EZB vor einem Rollenwandel?

Nils Herger: Neben der Geldmengensteuerung nehmen Zentralbanken wie die EZB ein breites Aufgabenspektrum wahr. Dazu zählen nicht zuletzt Maßnahmen, um die Finanzstabilität sicherzustellen. Diese Aufgabe hat infolge der jüngsten Krisen enorm an Bedeutung gewonnen. Dabei trat unweigerlich die Frage auf, ob Zentralbanken exzessive Rettungsmaßnahmen getroffen haben. Ich meine, dass es zu früh ist, um diese Frage zu beantworten. Zwar lässt sich festhalten, dass im Gegensatz zur Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre die aktuellen Zentralbankinterventionen einen Kollaps des Finanzsystems verhindert haben. Das geldpolitische Vermächtnis der Weltwirtschaftskrise verdeutlicht jedoch auch, dass sich die Nachteile eines geldpolitischen Wandels erst nach Jahrzehnten offenbaren können. Ich gehe davon aus, dass uns ein weiterer Wandel im Zentralbankenwesen bevorsteht. Dass sich die Rolle von Zentralbanken nach Krisen wandelt, ist nicht neu. Liquiditätshilfen an kriselnde Geschäftsbanken im Rahmen des Lender of Last Resort wurden zum Beispiel von der Bank of England bereits im 19. Jahrhundert als Reaktion auf mehrere Bankenkrisen entwickelt.   

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Wie können Zentralbanken den Spagat meistern, neben ihrer Funktion als Währungshüter auch politische Entscheidungen mitzutragen, zu beeinflussen oder voranzutreiben?

Für mich stellt sich eher die umgekehrte Frage, nämlich inwiefern Politik und Gesellschaft den geldpolitischen Wandel mittragen und ob angesichts der jüngsten Krisen das geldpolitische Mandat angepasst werden soll. Dass diese Frage ausgeblendet wird, ist möglicherweise eine Folge der heutigen Zentralbankunabhängigkeit. Diese ist zweifellos eine große Errungenschaft. Sie bedeutet jedoch nicht, dass sich Zentralbanken ihr Mandat quasi selbst vorschreiben. Grundsatzendscheide, wie ein allfälliger Rollenwandel der EZB, müssen von der Politik getroffen werden und sollten gesellschaftlich möglichst breit abgestützt sein. Ich sehe diesbezüglich übrigens die Gefahr, dass die Zentralbankmandate in Zukunft zu weit gefasst werden, um Erwartungen an die Geldpolitik zu wecken, die sie nicht erfüllen kann.

Die Refinanzierung der Geschäftsbanken über die Zentralbank ist eine ihrer wesentlichen Aufgaben. Welche Chancen und Risiken liegen darin, dass sie Liquidität im Bankensystem lenkt, dies aber auch Auswirkungen auf den nachgelagerten Wirtschaftskreislauf haben kann, beispielsweise in den Konditionen für Kreditnehmer der Geldhäuser? 

Die Refinanzierungspolitik ist Teil des Tagesgeschäfts einer Zentralbank und bildet einen Kanal, über den sich die Geldpolitik auf die Gesamtwirtschaft auswirkt. Folglich decken sich die Chancen und Risiken solcher Refinanzierungsoperationen mit jenen der Geldpolitik im Allgemeinen. Es ist unbestritten, dass eine kluge Geldpolitik die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert. Wer dies nicht anerkennt, müsste eigentlich für die Abschaffung der Zentralbank eintreten. Genauso unbestritten ist, dass die Geldpolitik nicht vor Missbräuchen und Fehlentscheidungen gefeit ist. Gerade Stabilisierungsmaßnahmen im Finanzsystem können sich kontraproduktiv auswirken.

Stehen sich die Interessen beider Parteien nicht entgegen, wenn es zum einen um die Steuerungsfunktion der Zentralbanken, zum anderen eher um die Gewinnorientierung der privaten Institute geht?

Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Geldpolitik, die gesamtwirtschaftliche Ziele verfolgt, der Gewinnorientierung privater Geschäftsbanken im Wege stehen kann – unter anderem in der Refinanzierungspolitik. Die Einführung von Negativzinsen hat diesen Interessenkonflikt unlängst akzentuiert.

Sie sehen Zentralbanken in der Rolle als Zufluchtsinstanz, wenn andere Quellen und Mechanismen versiegen, aber nicht als Allheilmittel. Wie bedeutsam ist die Steuerung der Geldschöpfung bei den Banken durch die Zentralbank neben regulatorischen Eingriffen für die Finanzstabilität? Wo müssten Banken in ihren Strategien nachbessern?

Geschäftsbanken können selbst am besten beurteilen, wie sie zum Beispiel auf die Liquiditätsregulierung reagieren sollen. Für die Zentralbanken besteht die strategisch größte Herausforderung zurzeit darin, einen guten Zeitpunkt für den Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik zu wählen. Erfolgt dieser zu früh, könnte dies die wirtschaftliche Erholung beeinträchtigen. Erfolgt er zu spät, droht ein Inflationsschub. Es wird in jedem Fall spannend sein, diese Entwicklung in den nächsten Jahren zu verfolgen.

Zur Person

Dr. Nils Herger ist als Dozent am Studienzentrum Gerzensee, dem Ausbildungszentrum der Schweizerischen Nationalbank tätig. Dort verantwortet er insbesondere die Organisation eines Kursprogramms für Zentralbanker. Darüber hinaus unterrichtet er im Rahmen eines Lehrauftrags zu geldpolitischen Themen an der Universität Bern. Seine gegenwärtigen Forschungsinteressen betreffen Fragen der monetären Außenwirtschaft, zu denen er zahlreiche wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht hat.

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