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Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

Bürger 4.0

verfasst von : Dirk Baecker

Erschienen in: Transformation und Emanzipation

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Auch der Bürger ist eine Einmalerfindung der menschlichen Gesellschaft, Name und historische Gestalt mögen sich ändern, die Funktion wird beibehalten. Zwar erhebt erst die moderne, die bürgerliche Gesellschaft ihn zum Prinzip der Selbstbeschreibung der Gesellschaft, aber das schließt nicht aus, dass es ihn vorher schon gab (oft tatsächlich nur als Maskulinum) und dass er die Transformation der modernen in eine nächste Gesellschaft überlebt. Diese Vermutung kann nur im Rahmen einer Medienarchäologie der Gesellschaft geprüft werden. Diese Medienarchäologie unterscheidet im Anschluss an Marshall McLuhan und seine Schule vier Medienepochen der menschlichen Gesellschaft, die Epochen der Mündlichkeit, der Schriftlichkeit, des Buchdrucks und der elektronischen Medien und nimmt an, dass mit jedem Auftreten dieser dominant werdenden Medien der Maßstab, das Tempo und das Schema der Situation des Menschen verändert werden. Der Bürger 4.0, zeigt sich dabei, ist der erregte Bürger. Er erregt sich, um teilzunehmen, und er erregt sich, um abzuschalten. Erregung ist die Form, die eine Reaktion ermöglicht, ohne verstanden, geschweige denn durchdrungen zu haben, worauf man sich einlässt.

Eine Einmalerfindung

Auch der Bürger ist eine Einmalerfindung der menschlichen Gesellschaft, Name und historische Gestalt mögen sich ändern, die Funktion wird beibehalten. Zwar erhebt erst die moderne, die bürgerliche Gesellschaft ihn zum Prinzip der Selbstbeschreibung der Gesellschaft, aber das schließt nicht aus, dass es ihn vorher schon gab (oft tatsächlich nur als Maskulinum) und dass er die Transformation der modernen in eine nächste Gesellschaft überlebt. Zu prüfen und zu würdigen ist dies allerdings nur dann, wenn man genauer angeben kann, worum es sich bei diesem Bürger handelt. Der Versuch lohnt sich, denn offenbar ist mit dem Bürger, männlich wie weiblich, ein bestimmtes Politikverständnis verbunden. Dieses Politikverständnis befindet sich zusammen mit dem Bürger gegenwärtig in einer Krise. Es steht daher in Frage, mit welcher Art von Politik wir es zu tun bekommen, wenn der Bürger seine zentrale Stellung im Selbstverständnis der Gesellschaft verliert.

Hegel

Im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Gesellschaft hat Hegel ein Verständnis von Individuum, Familie und Staat entwickelt, das sich dafür eignet, genauer einzukreisen, worum es sich bei einem Bürger handelt. Der Bürger, so lässt sich im Anschluss an Hegels Rechtsphilosophie formulieren, ist ein Individuum, das seine Selbständigkeit im Verhältnis zu einer Familie und einem Staat erwirbt und behauptet und in der Gesellschaft, dem „System der Bedürfnisse“, aus Eigennutz seine Interessen verfolgt. Brisanz erhält dieses Verständnis des Bürgers daraus, dass Familie und Staat nicht einfach Kontextbedingungen für die Entwicklung eines selbständigen Individuums sind, sondern ihrerseits als selbständig gewürdigt werden. Selbständigkeit bestimmt sich für Hegel als Gewinn des Besonderen gegenüber dem Allgemeinen derart, dass das Allgemeine das Besondere im Widerspruch zu ihm selbst bestimmt. Familie, Individuum, Staat und Gesellschaft werden als „Stufe(n) der Differenz“ verstanden (Hegel 1970, § 181, S. 338).1
Das spezifisch bürgerliche Element an dieser Konstellation ist die Substanz der Sittlichkeit, die mit der Familie, das heißt mit der Ehe, der Liebe und dem Verhältnis der Eltern zu den Kindern entsteht, mit der Auflösung der Familie, sobald die Kinder sie verlassen und die Eltern sterben, vergeht und nur im Staat, der die Möglichkeit einer neuen Gründung der Familie durch die Kinder sicherstellt, aufrechterhalten und gleichsam stellvertretend, jetzt nicht mehr als „Naturzustand“, sondern als Gesetz, verwirklicht werden kann. Bürger ist, wer sich selbständig als Individuum auf eine selbständige Familie und einen selbständigen Staat bezieht und in diesem Verhältnis sein Selbstbewusstsein und seine Sittlichkeit verwirklicht.
Man sieht, wie politisch diese Figur gedacht ist. Politisch ist der Anspruch an die Selbständigkeit des Individuums; politisch ist die Anerkennung der Selbständigkeit der Familie; und politisch ist das Verständnis eines Staats, der seine Selbständigkeit seinerseits nur dadurch verdient, dass er Individuum und Familie in ihrer Besonderung anerkennt und schützt. An eben diesem dritten Element scheitert die „ideale“ Vorstellung des Staates bei Platon, der nur das Allgemeine kennt und zugunsten des Schönen und Wahren das Risiko der Zufälligkeit und Willkür, wenn nicht sogar des Elends und des sittlichen Verderbens, das mit jeder Besonderheit einhergeht, nicht eingeht (Hegel 1970, § 185, S. 341 f.). Hegels Ausgangspunkt hingegen sind die Differenz, die Entzweiung, der Gegensatz zur Vernunft, aus der ein Selbstbewusstsein und seine Reflexion gewonnen werden, ohne die die Kraft und Stärke einer Einheit nicht gedacht werden können. Der Bürger ist jene politische Figur, die sich aus der Familie in die Familie bewegt und vielleicht weniger für sich als für alle anderen den Staat als Garant der Möglichkeit des Übergangs zwischen untergehender und wieder entstehender Sittlichkeit anerkennt. Bürger ist, wer jederzeit bereit ist, Individualität, Familie und Staat gegeneinander auszuspielen und dennoch ihren Bezug aufeinander nicht aufzugeben.
Man ahnt, welche Konstellation von Eigennutz, Sentimentalität und Vernunft im Bürger zur Deckung kommt und doch jederzeit verraten werden kann. Bürger ist die im Individuum sich selbst gefährdende und verwirklichende Sittlichkeit. Und "Sittlichkeit" ist nicht etwa die Fähigkeit, sich entsprechend Sitte, Brauch und Gewohnheit zu verhalten, sondern ist identisch mit der „Idee der Freiheit“, deren Begriff identisch ist mit der Natur des Selbstbewusstseins (Hegel 1970, § 141, S. 292).

Selbständigkeit, Freiheit und Selbstbewusstsein

Wir können daher auch sagen: Bürger ist, wer seine Individualität einer Familie und einem Staat verdankt, die ihr beide widersprechen und sie doch beide, als Naturzustand und als Gesetz, garantieren. Erst dann, wenn diese Bedingungen der Möglichkeit von Selbständigkeit, Freiheit und Selbstbewusstsein gegeben sind, tummelt sich der Bürger in einer Gesellschaft, in der er seine Interessen verfolgt und für die Verfolgung seiner Interessen davon abhängig ist, dass alle anderen ebenfalls ihre Interessen verfolgen (ebd., § 183, S. 340). Hegel verdankt diese Einsicht Adam Smith (1978).
Bürger ist, wer seine Freiheit als Abhängigkeit vom Naturzustand und vom Gesetz des menschlichen Lebens weiß und in dieser Modalität verwirklicht. Bürger ist, wer das Gesetz in den Dienst des Naturzustands und den Naturzustand in den Dienst des Gesetzes stellen kann, ohne sich dabei zum Knecht des einen oder anderen machen zu lassen. Der „Naturzustand“ ist hier nichts anderes als ein Argument. Er schützt die Selbständigkeit individuellen und familiären Lebens, wohl wissend, dass hier und in der Auseinandersetzung mit dem Staat eine Sittlichkeit geboren wird, die alles andere als natürlich, sondern in hohem Maße kulturell und gesellschaftlich ist. Diese Bestimmung der Begriffe „Kultur“ und „Gesellschaft“ stand Hegel jedoch noch nicht zur Verfügung.

Eine Medienarchäologie

Es liegt auf der Hand, dass die dialektische Konstellation von Individualität, Familie und Staat keine Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft ist. Die bürgerliche Gesellschaft erhebt sie jedoch zum Prinzip, weil sie auf diese Dialektik grundsätzlicher angewiesen ist als noch die steinzeitliche und die antike Gesellschaft und möglicherweise auch die nächste Gesellschaft.
Diese Vermutung kann nur im Rahmen einer Medienarchäologie der Gesellschaft geprüft werden. Diese Medienarchäologie unterscheidet im Anschluss an Marshall McLuhan und seine Schule vier Medienepochen der menschlichen Gesellschaft, die Epochen der Mündlichkeit, der Schriftlichkeit, des Buchdrucks und der elektronischen Medien und nimmt an, dass mit jedem Auftreten dieser dominant werdenden Medien der Maßstab, das Tempo und das Schema der Situation des Menschen verändert werden (McLuhan 1968, S. 14, 1986). Einmalerfindungen kann man mit Bronisław Malinowski (2005) jene Institutionen der Gesellschaft nennen, deren Funktion in jeder Medienepoche beibehalten wird, während sich ihr Name und ihre historische Gestalt laufend ändert. So findet man in der steinzeitlichen Gesellschaft keine Bürger im Wortsinn, sehr wohl aber ein Handeln und Erleben, das als bürgerlich im hier mithilfe von Hegel bestimmten funktionalen Sinn zu verstehen ist. Man ist Individuum, man erlebt eine Familie, man muss sich mit irgendeiner Art des organisierten Gemeinwesens auseinandersetzen – und alle drei Momente in ein Verhältnis zueinander bringen.
Eine Medienarchäologie fragt danach, wie sich mit jedem neuen Medium – man denkt vor allem an Verbreitungsmedien der Kommunikation, eben Sprache, Schrift, Buchdruck, Elektronik, weniger an Erfolgsmedien der Kommunikation wie Macht, Geld, Wahrheit, Glaube, Recht und Kunst – die Struktur und die Kultur einer Gesellschaft ändern, um den erwarteten Sinn der Kommunikation besser zu verteilen und die gesellschaftsweite Einheit dieses Sinns zu sichern (vgl. Luhmann 1997, S. 405 ff.; Baecker 2007; Baecker 2018). Für jede Medienepoche der Gesellschaft muss der Sinn möglicher Kommunikation sowohl verteilt („strukturiert“) als auch auf eine wiedererkennbare Einheit des Sinns hin verdichtet („kultiviert“) werden.
In unserem Fall läuft dies im Ergebnis auf eine Unterscheidung des steinzeitlichen Bürgers 1.0 vom Bürger 2.0 der antiken Hochkulturen, modernen Bürger 3.0 und nächsten Bürger 4.0 hinaus. Die Art der Zählung markiert die historische Grobkörnigkeit der Unterscheidung, die die tatsächliche Vielfalt „bürgerlicher“ Existenzweisen in der Weltgeschichte auch nicht annähernd wiedergeben kann. Darum geht es auch nicht. Der Akzent liegt nicht auf einer Historiographie, sondern auf einer Archäologie. Man will wissen, ob ein bestimmtes Phänomen der Gesellschaft, im vorliegenden Fall der Bürger, als eine Institution und somit Einmalerfindung der Gesellschaft beschrieben werden kann und ob diese Beschreibung dazu dienen kann, dieses Phänomen sowohl zu historisieren als auch funktional zu stabilisieren. Besonders interessant ist diese Methode im Fall von Phänomenen, die für eine dieser Medienepochen für typisch gehalten werden. So wird der Bürger zwar zum Prinzip der Selbstbeschreibung der modernen Buchdruckgesellschaft, doch als dieser Bürger 3.0 ist er nur eine Variante seiner eigenen strukturellen Vielfalt. Es gab ihn vorher schon, als Bürger 2.0 und 1.0 und es wird ihn auch nachher noch geben, als Bürger 4.0.
Wenn sich die Beschreibung des Bürgers als Einmalerfindung bewährt, könnte man ihn von bestimmten kontingenten Merkmale seiner Existenz in der bürgerlichen, modernen Gesellschaft befreien, seine Funktion allgemeiner fassen und seine Anpassungsfähigkeit an andere Medienepochen der Gesellschaft beschreiben. Denn letztlich geht es darum, jedes Auftreten eines neuen Verbreitungsmediums der Kommunikation als einen Schock oder eine „Katastrophe“, das heißt als einen Wechsel im Modus der Ausdifferenzierung und Reproduktion der Gesellschaft zu verstehen, denen sich alle Institutionen und Phänomene der Gesellschaft gleichermaßen anpassen müssen. Man kann es auch anders formulieren: Wenn es dem Bürger gelungen ist, sich über den Wechsel von der steinzeitlichen über die antike bis zur modernen Gesellschaft zu erhalten, stehen die Chancen nicht schlecht, dass er auch den Sprung in die nächste Gesellschaft schafft.

Gender

Man verzeihe mir im Übrigen die Rede vom Bürger im Maskulinum. Ich gehe davon aus, dass die Figur des Bürgers ihre männlichen und ihre weiblichen Seiten hat, und ich nehme nicht an, dass Teilhabechancen an der Gesellschaft symmetrisch verteilt waren und sind. Ich glaube im Gegenteil, dass die Differenzierung des Geschlechts, die sich bei Hegel äußerst biedermeierlich liest, eine wichtige Rolle im Umgang mit der Dialektik der Figur spielt. Man kann die Ansprüche auf Selbständigkeit und Bezug, auf Freiheit und Abhängigkeit je unterschiedlich akzentuieren, wenn es gelingt, das Selbst- und Fremdbild des männlichen Bürgers vom Selbst- und Fremdbild der weiblichen Bürgerin zu unterscheiden. Dabei können sich Strukturen der Ungleichheit einspielen, die umso hartnäckiger beibehalten und verteidigt werden, je geringer die Chance ist, den strukturellen Charakter dieser Figur und ihre Funktion innerhalb der Gestaltung der Gesellschaft zu durchschauen. Hier wie auch sonst ist die Struktur einer Unterscheidung, die nicht zur Disposition steht, ein Beleg für das Vorliegen einer kulturellen Gewalt (vgl. Galtung 1990).
Doch ist dies im Folgenden nicht mein Thema. Der Bürger ist weiblich wie männlich eine Figur der Gestaltung des Bezugs auf Individuum, Familie und Staat. Deswegen belasse ich es bei einem Fachterminus, „Bürger“, der keine konkreten Personen bezeichnet, sondern eine Figur der Gestaltung sozialer Verhältnisse. Ich will jedoch nicht darauf verzichten zu unterstreichen, dass die weibliche Bürgerin mit ihrer Erfindung von Pflanzenkunde, Töpferei und Flechterei ebenso viel für die menschliche Zivilisation bewirkt hat wie der männliche Bürger mit seinen Netzen, Waffen und Pflügen (siehe Graeber und Wengrow 2021).

Probleme der Kommunikation

Jede Medienepoche überfordert die Struktur und Kultur der jeweils vorangegangenen Medienepoche. Jede Medienpoche geht auf ihre Weise mit dem Sinnüberschuss um, der durch neue Verbreitungsmedien für Handeln und Erleben der Gesellschaft bereitgestellt wird. Der Bürger, der nur spricht, kann seine Freiheit und Abhängigkeit im Verhältnis zu Familie und Staat anders gestalten als die Bürger, die auch schreiben, auch drucken und auch elektronische Medien benutzen. Aber auch der Bürger, der nur spricht, muss Probleme der Kommunikation bewältigen, die der Bürger, der keine Sprache hatte und sich ausschließlich im Medium der Wahrnehmung bewegte, nicht hatte.
Medienepochen werden daher des Näheren durch die Probleme der Kommunikation beschrieben, die sie im Verhältnis zur früheren Medienepoche hervorrufen. Kommunikation gilt soziologisch insgesamt als unwahrscheinlich (Luhmann 1981), sodass neue Kommunikationsmedien eben nicht ökonomisch als Formen der Senkung möglicher Transaktionskosten beschrieben werden, sondern als Formen der Erneuerung einer strukturell und kulturell unter anderen Umständen schon bewältigten Unwahrscheinlichkeit.

Affinität

Der Bürger 1.0 ist daher der Bürger, der aus dem Paradies einer Kommunikation im Reich evidenter Wahrnehmung vertrieben wird und es lernen muss, mit dem Referenzproblem der Sprache umzugehen. Sprache bezieht sich auf Abwesendes, dessen Status nicht überprüft werden kann. Mit Sprache kann man lügen. Und welche Worte und Sätze wie verstanden werden, lässt sich im Fluss der Kommunikation sprachlich kaum, sondern allenfalls durch die Beobachtung anschließenden Handelns überprüfen. Andererseits gewinnt man durch den Wechsel zwischen Reden und Schweigen eine Distanz (Picard 2009), die noch feiner moderiert werden kann als zuvor der Wechsel zwischen Annäherung und Entfernung, Zuwendung und Abwendung. Man beginnt zu erzählen und muss Formen einer verdichteten Information bewältigen, an die zuvor nicht zu denken war (Schapp 1985).
Was bedeutet das für den Bürger 1.0? Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Individuum, Familie und Staat im Fall der steinzeitlichen Gesellschaft? Diese Frage kann hier nur anekdotisch beantwortet werden. Für ein ausführliches Studium der ethnographischen und ethnologischen Quellen fehlt der Platz, ganz zu schweigen davon, dass Jäger- und Sammler- sowie Hirten- und Bauerngesellschaften, heroische Hügel- und arbeitsame Talgesellschaften nicht über einen Kamm zu scheren sind (vgl. Graeber und Wengrow 2021). Aber einiges spricht dafür, dass nach dem Verhältnis von Familie und Staat oder „Naturzustand“ und Gesetz im Umkreis von Heirats- und Verwandtschaftsregeln gesucht werden muss und dass hier der Begriff der Affinität eine gewisse Bedeutung für die Ausgestaltung individueller Spielräume hat (Viveiros de Castro 2016). Die Affinen sind die nicht Verwandten, aber auch nicht Verfeindeten. Die Kategorie der Affinität belegt, dass die Grenzen des Stamms nicht scharf gezogen sind und man daher aus wirtschaftlichen und zeremoniellen Gründen nach Allianzen suchen kann, in denen das Individuum sich rituell neu bestimmt. Für Nordamerika ist belegt, dass Clanstrukturen es ermöglichen, den gesamten Kontinent zu erwandern und so eine Selbständigkeit zu praktizieren, die weit über die Grenzen der Familie und des Stamms hinausreicht.
Der Bürger 1.0 ist derjenige, der anhand der Kategorie der Affinität zwischen Verwandtschaft und Feindschaft einen Spielraum individueller Selbständigkeit findet. Der Bürger entsteht als „Raubtier“, dem Gelegenheiten mehr gelten als Grenzen und der doch den Ritus auf seiner Seite weiß, um dem Gesetz zumindest im Nachhinein Genüge zu tun.2 So bleibt auch die Selbständigkeit der Familie, die sich erweitert beziehungsweise reproduziert, ohne an allzu strikte Verwandtschaftsregeln gebunden zu sein, ebenso wie die Selbständigkeit des Staates, der sich im Gesetz des Ritus wiederfindet, gewahrt. Selbst wenn die Frequenz dieses Raubtierverhaltens im Verhältnis zur Frequenz anderer Verhaltensweisen des Stamms niedrig sein sollte, wäre damit doch die Vermutung plausibilisiert, dass sich schon in der steinzeitlichen Gesellschaft ein Verhalten findet, das man als „bürgerlich“ im Sinne Hegels verstehen kann.

Selbstbeherrschung

Mit der Einführung und Durchsetzung der Schrift in den Hochkulturen Mesopotamiens, Ostasiens, Mittelamerikas, Afrikas und Europas treten neue Kommunikationsprobleme auf. Symbole vertreten nicht mehr nur das Abwesende und Täuschende, sondern auch das Vergangene und Zukünftige (vgl. Goody et al. 1981). Musste die steinzeitliche Gesellschaft nur zwischen Ewigkeit und Flüchtigkeit unterscheiden, so differenzieren sich in der antiken Gesellschaft die Zeithorizonte in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Sozialstruktur der Gesellschaft stellt um von strukturell ähnlichen Stämmen und Clans auf strukturell ungleiche Schichten. Aristokratie und Klerus profitieren von der Vergangenheit und planen für die Zukunft, während Jagd, Gewerbe, Handwerk, Landwirtschaft und Reproduktionsarbeit saisonal der Gegenwart verhaftet bleiben.
Eine funktionale Entsprechung für die Figur des Bürgers findet sich in der Antike nicht in der Stadtkultur, sondern in der Hauswirtschaft. Die Stadtkultur markiert die Schärfe der Differenz sozialer Schichten einschließlich einer Beschränkung „demokratischer“ Tendenzen auf das Gespräch der männlichen Aristokraten, während die Hauswirtschaft ein neues Gleichgewicht zwischen Individualität, Naturzustand und Gesetz beziehungsweise Individuum, Familie und Staat findet, das um den zentralen Topos der Selbstbeherrschung, der sophrosyne, kreist (Xenophon 1956): Einen Oikos zu bewirtschaften, heißt für den Hausherrn, seine Frau anzuweisen, Kinder und Gesinde anzuweisen, Verzicht zu üben, um den Ertrag steigern zu können.
Das wird der bürgerliche Charakter schlechthin. Im Zentrum steht ein Individuum, das seine Bedürfnisse kennt, in der Familie mit den Bedürfnissen aller anderen konfrontiert ist und beginnt, die Gegenwart in eine Relation zur Zukunft zu setzen. Der Aufschub wird zum Gesetz. Der zukünftige Ertrag belohnt für den gegenwärtigen Verzicht. Das Individuum bestätigt seine Selbständigkeit, indem es auch mit der Zeit – und nicht nur mit den reziproken Verpflichtungen unter Seinesgleichen – rechnen lernt und sich nur dort unterwirft, wo es den eigenen Nutzen erhöht. Bürgerliche Individualität wird zu einer Frage des Diskontierungsfaktors der Gegenwart im Verhältnis zur Zukunft, mit einem Spielraum für die Verschwendung, wenn sie sich zum Beispiel als Gabe in einem Sozialkalkül behauptet. Selbstbeherrschung hat eine Form, deren Außenseite den Verzicht auf sie einschließt. Wichtig ist für den Bürger nur, dass er immer wieder zu ihr zurückkehrt. Er bleibt ein Raubtier, doch nun im Umgang mit der eigenen Bedürfnisstruktur. Seine Einverleibung gilt nun ihm selbst.
Der antike Bürger 2.0 profitiert nicht lesend und schreibend von der Schriftkultur, sondern indem er seine Lebensmaximen an deren Zeitverständnis orientiert. Das wird von der Aristokratie als genussfeindlich und vom Volk als geizig bezeichnet, aber der entscheidende Punkt ist der Gewinn von Entscheidungsfähigkeit im Umgang mit Gegenwart und Zukunft.

Urteilskraft

Mit der Einführung und Durchsetzung des Buchdrucks entsteht die moderne Gesellschaft. Ab jetzt liest und schreibt zunehmend, wenn auch immer noch mit Ausnahmen, fast die gesamte Bevölkerung. Zusätzlich zu den Referenzproblemen der Sprache und zum Symbolüberschuss der Schrift bekommt die Gesellschaft es jetzt mit einem Kritiküberschuss zu tun (McLuhan 1968; Giesecke 1991). Die Bücher verbreiten Meinungen zu allem und jedem. Humanisten und Aufklärer ermuntern zum Gebrauch der eigenen Vernunft. Man liest – und kritisiert, quer durch die alten Schichten.
Die Gesellschaft wird dynamisch im Umgang mit ihrer eigenen Kontingenz. Traditionelle Auffassungen von Politik und Wirtschaft, Recht und Religion, Wissenschaft und Kunst werden nicht nur durch moderne Auffassungen überholt, sondern zunehmend differenziert sich, wie mit unterschiedlichen Themen umgegangen wird. An die Stelle der sozialen Schichten, die nicht verschwinden, aber zunehmend anachronistisch wirken, tritt eine funktionale Differenzierung der Gesellschaft, die das Individuum nicht mehr an seiner Herkunft, sondern an seiner Kompetenz im Umgang mit Macht und Geld, Liebe und Wahrheit, Glaube und Kunst misst. Jedem Individuum wird Zugang zu allen Funktionsbereichen der Gesellschaft in Aussicht gestellt. Das ist die eigentliche Revolution, die sich in England, Frankreich und Russland je unterschiedlich vollzieht.
Der Bürger erhält erstmals seinen Namen. Der Bürger ist derjenige, der sich mit seiner Burg, das heißt unter weiteren Bürgern, in einer Öffentlichkeit bewegt, die bisher dem die Gesellschaft repräsentierenden Adel vorbehalten war, und sich auf ein Urteil verlässt, das in privaten Räumen lesend und schreibend vorbereitet wird (Koselleck 1973). Er ist derjenige, der sich in einer liberalisierten Gesellschaft seinen Interessen entsprechend verhält, aber nach wie vor sowohl an die Familie als auch an den Staat, an den Naturzustand seines Lebens und an das Gesetz, gebunden ist, die beide, ebenso wie er, als selbstständig gewertet werden. Die funktionale Ausdifferenzierung aller Teilbereiche der Gesellschaft inklusive des Individuums führt zu Entwicklungen, die den Abstimmungsbedarf untereinander auf Dauer stellen. Im Grunde genommen befindet sich die Gesellschaft dauerhaft in der Krise, so sehr sie auch von einer vernünftigen Ordnung der Verhältnisse träumt, die entweder vom Fortschritt und der diesen Fortschritt ermöglichenden Technik erwartet wird oder auf eine noch in der Tradition gehaltene Vergangenheit projiziert wird.
Kritik und Krise sind die Formen, mit denen auf Kritik und Krise reagiert wird. Bürger ist, wer diese Formen als Garanten eines dynamischen Gleichgewichts durchschaut und sich ebenso raubtierhaft wie selbstbeherrscht in diesen Formen bewegt. Bürger ist außerdem, wer sich vom Staat den Schutz aller vor allen verspricht, aber einer jetzt sichtbar werdenden „bürgerlichen“ Gesellschaft ein Eigenrecht zugesteht, das die Politik in ihre Schranken weist. An dieser Gesellschaft ist außer der Allgegenwart von Kritik und Krise nichts gewiss. Sie gleicht eher dem verlängerten Naturzustand der Familie als dem Gesetz des Staates. Der Bürger 3.0 findet sich darin zurecht, indem er auf seiner Selbständigkeit besteht und die Allgemeinheit aller anderen selbständigen Individuen als seine Voraussetzung reflektiert. Er rechnet. Er übt sich in einem politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, religiösen und kulturellen Gleichgewicht, das nichts ausschließt, solange es mit allem anderen vereinbar bleibt. Wer diese Bedingung verletzt, wird zum Außenseiter. Wer ihr nicht genügt, wird zu einer Unterschicht, die das eigentliche Skandalon der bürgerlichen Gesellschaft ist, weil dort jede Beweglichkeit verloren geht. Bürger ist, wer seine Urteilskraft nicht nur in der Schwebe halten kann, sondern sie in nahezu jedem Moment in ein Erleben und eine Handlung übersetzen kann, die die Verhältnisse ändert.

Erregung

Man muss sie durchzählen, um den Bürger 4.0 von allen früheren Versionen zu unterscheiden. Mit den elektronischen Medien entsteht eine nächste Gesellschaft (Drucker 2001), die mit neuen Problemen der Kommunikation die Struktur und Kultur der modernen Gesellschaft überfordert. Radio, Fernsehen, Computer und Internet ermöglichen nicht nur erstmals instantane Kommunikation über alle bisherigen räumlichen und zeitlichen Grenzen hinweg, sondern bewirken Kontrollstrukturen, die keinem bekannten Muster sei es der funktionalen Differenzierung, der sozialen Schichtung oder der Stämme und Clans mehr genügen. Zwar spielen diese alten Strukturformen der Gesellschaft nach wie vor eine Rolle, wenn sie nicht sogar als Wertsphären, Klassen und Gemeinschaften eine neue Prominenz erfahren, aber zur dominanten Strukturform wird, wenn nicht alles täuscht, das Netzwerk (Castells 2001).
Der Bürger 4.0 kann sich nicht mehr nur auf Affinität, Selbstbeherrschung und Urteilskraft verlassen. Der Naturzustand seiner Familie ist in allen Fragen der Geschlechts-, Alters-, Vermögens- und Kompetenzstruktur der Gegenstand einer nicht enden wollenden Interpretation und Diskussion. Das Gesetz des Staates verliert und verdichtet sich in nationalen und internationalen Konstellationen. Die Selbständigkeit des Individuums reicht nur noch bis zur Darstellung eines Profils im Netz (Moeller und D’Ambrosio 2022). Die Prämisse der individuellen Undurchschaubarkeit, die in der liberalen Gesellschaft der Moderne zur Betriebsbedingung der Gesellschaft geworden ist, wird aufgegeben, um dem Individuum Identitätsleistungen abzuverlangen, die einem Netzwerk dabei helfen, die seine zu finden. Dabei hilft die immer mögliche Reaktion der Entnetzung (Stäheli 2021), die auf der Außenseite jeden Netzwerks bestätigt, dass ein Netzwerk keine scharf gezogenen Grenzen hat, sondern jederzeit mit Verlust und Gewinn weiterer Kontakte rechnet.
Der Bürger 4.0 ist der erregte Bürger. Er erregt sich, um teilzunehmen, und er erregt sich, um abzuschalten. Erregung ist die Form, die eine Reaktion ermöglicht, ohne verstanden, geschweige denn durchdrungen zu haben, worauf man sich einlässt. An die Stelle von Selbstbeherrschung und Urteilskraft, das heißt von Reflexion und Sachkenntnis, tritt eine Bestandsaufnahme von Nachbarschaften, die die Frage zu beantworten erlaubt, mit wem man etwas zu tun haben möchte und mit wem nicht, begleitet von einer scharfen Einschätzung der unscharfen Chancen, die sich dadurch ergeben. Das Netzwerk ist mit allen seinen Eigenschaften ein Ungewissheitskalkül (White 1992, S. 17 f.), das dabei hilft, nicht nur die eigene Position zu finden und zu halten, sondern sie auch mit möglichst geringem Aufwand zu variieren.
Dem Bürger 3.0 erscheint diese Heuristik der Erregung im Verhältnis zur Selbstbeherrschung und zur Urteilskraft früherer Zeiten wie eine Bankrotterklärung. Der moderne Bürger optiert im Zweifel für die Vernunft. Dem Bürger 4.0 bleibt jedoch kaum eine andere Wahl. Hinter seiner Maske einer blasierten Coolness, die er der Überflutung durch die Erregungen der Großstadt entgegensetzt (Simmel 1995), konzentriert er sich auf den Umgang mit einer Komplexität, die nicht mehr durch die Vernunft kontrolliert wird oder als Unvernunft ein pathologisches Interesse findet, sondern zum Normalfall einer Konstellation aufsteigt, die Körper, Geist und Gesellschaft in ihrem unvereinbaren Eigensinn aufeinander bezieht. Die Erregung ist eine Heuristik. Sie ist ein Register, mit dessen Hilfe der Körper den Geist, der Geist die Gesellschaft und die Gesellschaft den Körper wahrnimmt, ohne eine Adresse für die Antwort auf die Frage zu benötigen, woher die Erregung kommt. Die Erregung ist aussagekräftig, eben weil sie auf eine Komplexität, eine Vielfalt verweist, die auf keine Eindeutigkeit zu reduzieren ist, sondern Gefühl ebenso wie Gedanke und Gedanke ebenso wie Kommunikation ist.
Es ist schwer zu sagen, ob mithilfe dieser Erregung die Andockstellen oder die Ausstiegsgründe vervielfältigt werden. Man ist leichter ansprechbar und gerät leichter aus dem Tritt, lernt aber in jedem Fall etwas über sich, was aus den Augenwinkeln besser zu beobachten ist als durch direkte Überprüfung.

Kante, nicht Knoten

Die Politik der nächsten Gesellschaft ist inklusiv und exklusiv. Sie versammelt ihre Klientel in Safe Spaces, aus denen heraus zum Angriff geblasen wird. Erregte Bürger suchen nach ihren Positionen. Ihnen kommt eine Politik entgegen, die sich nicht mehr repräsentativ, sondern dialogisch und deliberativ versteht und dafür nach Adressen in Industrie und Zivilgesellschaft, Kirche und Wissenschaft, Recht und Erziehung sucht (Bevir 2010, 2013; August 2021; Baecker 2022). Netzwerke wollen nicht regiert werden, sondern benötigen Governance: eine Form der Selbststeuerung, die als Kontrolle, Kommunikation und Kalkül ausgelegt werden kann, um unter Betroffenen, Beobachtern und Beratern immer diejenigen Adressen ansprechen zu können, auf die andere Netzwerkpartner Wert legen (Mayntz 2005). Politik wäre bloße Moderation, ginge es nicht zugleich um die Ausübung einer Macht, die darüber entscheidet, wer gehört wird und wer nicht.
Die Kommunikation in sozialen Medien hilft dabei, Erregungspotentiale einzuschätzen, genügt aber nicht als Steuerungsmedium. Vielmehr zählt jede Art von Kommunikation, die in der Lage ist, Rat mit Drohung zu verknüpfen. Immer noch bewährt sich die liberale Politik als Kunst, Freiheitsgrade so einzurichten und aufrechtzuerhalten (Möllers 2020), dass Rat und Drohung wissen, dass sie es nicht nur mit einem politischen Gegenüber, sondern mit weiteren und mehr oder minder kalkulierbaren Adressen im Netzwerk zu tun haben. Erregung inklusive ihres Gegenteils, Gelassenheit, ist auch hier ein zentraler Zug im Spiel. Sie erlaubt zu testen, wer sich worauf einlässt, wie verhandelbar eine Position ist und mit welchen Leerstellen für Überraschungen gerechnet werden kann.
Politik wird postdigital. Weit davon entfernt, sich auf die rechnenden Maschinen zu verlassen, geht es um Aufbau und Unterhaltung kommunikativer Netzwerke, an denen sich Rechner mit Information, Gedächtnis und Verknüpfung zwar beteiligen, die Entscheidung über Richtung, Rücksicht und Verantwortung jedoch jederzeit bei Menschen liegt, genauer: bei der Art und Weise, wie Menschen untereinander vernetzt sind. Menschen, so kann man konzipieren, sind nicht die Knoten geschweige denn die Löcher beziehungsweise „Maschen“, sondern die Kanten eines Netzwerks (Wikipedia o. J.; Krämer 2016). Ihre Aktivität, ihr Handeln und Erleben entscheidet darüber, welche Ressourcen eines Netzwerks zwischen welchen Knoten ins Spiel kommen.
Kann man diese Menschen „Bürger“ nennen? Trifft auf sie die Einheit der Differenz von Selbständigkeit/Individualität, Naturzustand/Familie und Gesetz/Staat noch zu? Ist der Bürger 4.0 mit seinen Erregungszuständen in der Lage, Kante zu spielen, oder markiert er nicht vielmehr einen Aspekt jener Milieus, mit denen Politik zurande kommen muss, ohne sie anders als populistisch repräsentieren zu können? Diese Fragen sind kaum zu beantworten, weil sich mit den elektronischen Medien die Register und Protokolle der Gesellschaft derart verschieben, dass es kaum noch möglich ist, antike ebenso wie moderne Begriffe beizubehalten (Latour 1998; Galloway 2004; Galloway und Thacker 2007).
Aber vielleicht ist genau das der Einsatz einer Politik der nächsten Gesellschaft, die einem Anspruch auf partizipative Governance gerecht wird: den Bürger 4.0 zur Kante zu machen, das heißt zu befähigen, Verbindungen in Netzwerken zwischen Themen, Organisationen, Entscheidungen und Bewertungen herzustellen und zu beurteilen. Die Erregung wäre dann nur eine erste Stufe im Umgang mit Komplexität. Ihr folgt in Bürgerräten und ähnlichen Formaten eine zweite Stufe, auf der es darum geht, die Einheit der Differenz von Selbständigkeit/Individualität, Naturzustand/Familie und Gesetz/Staat neu zu konkretisieren. Der Bürger 4.0 wäre derjenige, der um seine ökologischen Lebensbedingungen als Mensch mit Familie weiß, seine Selbständigkeit weniger als Prinzip der Interessenverfolgung, sondern als Prinzip der Verknüpfung und Bewertung von Information versteht und sich auf Gesetze beruft, die vor allem Verfahrensgesetze sind: Gesetze der Konsultation (Nanz und Leggewie 2018). Der Bürger 4.0 wäre derjenige, der planetarisch denkt und eine Verantwortung übernimmt, die seiner Rolle im Anthropozän gerecht wird (vgl. Latour 2018; Hanusch et al. 2021).
Die Familie bewährt sich im Wechsel der Generationen. Das Gesetz des Staates entscheidet zwischen Inklusion und Exklusion. Bürger ist und bleibt, wer im Wechsel der Generationen jene Selbständigkeit bewahrt, die die Option der Inklusion und Exklusion nicht aus der Hand gibt. Der Bürger behauptet seine Rechte als Menschenrechte. Gegen Menschenrechte als Bürgerrechte verstößt, wer andere nicht heraus- und nicht hineinlässt. Die elektronischen Medien stellen umfassende Möglichkeiten der Überwachung bereit. Erregt versucht der Bürger, die Kontrolle zu behalten. Es ist unklar, ob ihm das gelingt. Seit er spricht, hat er die Dinge nicht mehr in der Hand.
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Fußnoten
1
Eine bündige Nacherzählung des Dramas der Differenz von der Familie über das Individuum und den Staat bis zur Gesellschaft findet sich in Hegel (1983, S. 122 ff.).
 
2
Viveiros de Castro (2016, S. 147 f.) spricht von einem subjektivierenden Raubtierverhalten, einem Verhalten der wechselseitigen Einverleibung, im Extremfall des Kannibalismus, das mit der Gabe und dem Tausch andere soziale Beziehungen erschließt als die neutrale Beziehung der Arbeit.
 
Literatur
Zurück zum Zitat August, V. (2021). Technologisches Regieren: Der Aufstieg des Netzwerk-Denkens in der Krise der Moderne: Foucault, Luhmann und die Kybernetik. Bielefeld: transcript August, V. (2021). Technologisches Regieren: Der Aufstieg des Netzwerk-Denkens in der Krise der Moderne: Foucault, Luhmann und die Kybernetik. Bielefeld: transcript
Zurück zum Zitat Baecker, D. (2007). Studien zur nächsten Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Baecker, D. (2007). Studien zur nächsten Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
Zurück zum Zitat Baecker, D. (2018). 4.0 oder Die Lücke die der Rechner lässt. Leipzig: Merve Baecker, D. (2018). 4.0 oder Die Lücke die der Rechner lässt. Leipzig: Merve
Zurück zum Zitat Baecker, D. (2022). Diesseits der Ausübung von Macht: Politik als Heuristik und Diskurs. In K.-R. Korte, G. Scobel, & T. Yildiz (Hrsg.), Heuristiken des politischen Entscheidens (S. 148–178). Berlin: Suhrkamp Baecker, D. (2022). Diesseits der Ausübung von Macht: Politik als Heuristik und Diskurs. In K.-R. Korte, G. Scobel, & T. Yildiz (Hrsg.), Heuristiken des politischen Entscheidens (S. 148–178). Berlin: Suhrkamp
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Metadaten
Titel
Bürger 4.0
verfasst von
Dirk Baecker
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39911-5_6

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