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Erschienen in: Leviathan 2/2009

01.06.2009 | DEBATTE

Chancen und Risiken des Schrumpfens und warum es so schwer ist, darüber zu diskutieren

verfasst von: Prof. em. Dr. Walter Siebel

Erschienen in: Leviathan | Ausgabe 2/2009

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Auszug

Die Bevölkerung Deutschlands wird älter, heterogener und sie wird weniger. Damit sind in der öffentlichen Diskussion Katastrophenszenarien verbunden, die an die düsteren Prophezeiungen von Thomas Malthus erinnern, nur dass Malthus das Gegenteil, nämlich ein übermäßiges Wachstum der Bevölkerung befürchtete. …

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Fußnoten
1
Die Diskussion über den demographischen Wandel ist in der Soziologie spät aufgenommen worden. Das gilt nicht für die Stadtsoziologie, in der seit Mitte der 80er Jahre über Schrumpfen als einem neuen Typus der Stadtentwicklung diskutiert wurde. Aber erst seit 2000 verdichten sich die Publikationen zu den sozialen Folgen des Rückgangs und der Alterung der deutschen (und europäischen) Bevölkerung. Die beiden Bücher von Kaufmann und Hondrich markieren gegensätzliche Positionen in dieser Diskussion, allerdings auf sehr unterschiedlichem Niveau. Hondrich (2007) polemisierte zu recht gegen die „alarmistischen Horrorszenarien der Vergreisung, der Kinderlosigkeit und der Schrumpfung“ (S. 13), aber die Schärfe seiner Polemik lebt nicht zuletzt davon, Gegenargumente gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen. In diesem Beitrag stütze ich mich, wenn ich auch zu anderen Schlussfolgerungen komme, an vielen Stellen auf das informative und differenziert argumentierende Buch von Franz-Xaver Kaufmann, das, obwohl zwei Jahre früher erschienen, von Hondrich an keiner Stelle auch nur erwähnt wird.
 
2
Hondrich polemisierte gegen Versuche politischer Steuerung angesichts des demographischen Wandels. Dabei bezog er sein zentrales Argument aus der Theorie der Selbststeuerung soziokultureller Systeme. Politische Interventionen seien überflüssig und sogar schädlich, denn soziale Systeme seien „intelligenter und bestandskräftiger als wir alle zusammen“ (S. 101). Sie „verfügen über eine erstaunliche Fähigkeit, sich selbst auch mit weniger Menschen zu reproduzieren“ (S. 265) worin er „die Grundlage für einen modernen Liberalismus“ (S. 40) erkennt. Hondrich handhabt den Systembegriff recht großzügig. So sind die Grenzen der „Systeme sozialer Sicherung“ hoch variabel sowohl gegenüber dem Wirtschaftssystem wie gegenüber der Weltgesellschaft, denn Hondrich zufolge sichern die Sozialversicherungen ihr Überleben „durch Produktivitätssteigerungen […] und wachsenden Einbezug von Frauen“ in den Produktionsprozeß (S. 96) sowie durch „Austausch und Arbeitsteilung über nationale Grenzen hinaus“ (S. 32). Oder er überdehnt den Begriff Familie, um die Fähigkeit des Familiensystems zur Selbststabilisierung zu belegen. Das System Familie kompensiert laut Hondrich den Rückgang der Geburten u. a. durch Kooptation neuer Mitglieder aus Marktbeziehungen, indem es „Putzfrauen, Haushälterinnen, Nachhilfelehrer, Au-pair-Mädchen, Kinderfrauen, Alten- und KrankenpflegerInnen […] in die Wärme des familialen […] Austauschs hineinzieht“ (S. 153). Ebenso wenig gibt es für ihn negative Nebenfolgen solcher Selbststabilisierungen. Dass wir aufgrund der „neue(n) internationale(n) Arbeitsteilung zwischen produktiven und reproduktiven, kinderarmen und kinderreichen Gesellschaften […] auch die lebendigen Träger westlicher Lebensformen anderswo ‚herstellen‘“ lassen (S. 264), scheint keine größeren Folgeprobleme mit sich zu bringen, ebenso wenig wie der überproportionale Rückgang der Geburten bei Frauen mit höheren Qualifikationen. „Das wäre dann der Fall, wenn die klügsten, gebildetsten und in anderen Lebenssphären erfolgreichsten Frauen und Männer auch die besten Eltern wären und die besten Kinder hätten“ (S. 158). Im Gegenteil: Die heute noch geborenen Kinder „sind ihren Eltern viel wert. Insofern sind sie bessere Kinder als diejenigen, die die Hürden nicht übersprungen oder gar nicht vorgefunden haben“ (S. 34), eine doch recht souveräne Nichtachtung aller empirischen Untersuchungen über den Zusammenhang von Familie und Bildungschancen. Schließlich biegt er sich die Kategorien zurecht, wie er sie gerade in seiner Polemik gegen den Interventionsstaat brauchen kann: Gegen die Versuche, die Sozialversicherung zu stabilisieren durch Einbezug von Freiberuflern und Beamten in die Pflichtversicherung wendet er ein, dadurch werde „die Leistungsfähigkeit der Sicherungssysteme“ herabgesetzt. „Es wird zusammengezwungen, was nach sozialer Lage, Herkunft und Leistung nicht zusammengehört“ (S. 80). Eine Seite vorher aber konstatiert er „zwischen Arbeitern und Unternehmern ein bindendes Gefühl der Interessengleichheit“ (S. 79), auf dem die gesetzlichen Sozialversicherungen aufbauen konnten.
 
Literatur
Zurück zum Zitat Eberstadt, Nicholas, und Hans Groth. 2007. Trumpfkarte Gesundheit. Frankfurter Allgemeine Zeitung , 11. Juli, Nr. 158, S. 39. Eberstadt, Nicholas, und Hans Groth. 2007. Trumpfkarte Gesundheit. Frankfurter Allgemeine Zeitung , 11. Juli, Nr. 158, S. 39.
Zurück zum Zitat Ehmer, Josef. 2004. Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1800–2000. München: Oldenbourg. Ehmer, Josef. 2004. Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1800–2000. München: Oldenbourg.
Zurück zum Zitat Häußermann, Hartmut, und Walter Siebel. 1995. Dienstleistungsgesellschaften . Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Häußermann, Hartmut, und Walter Siebel. 1995. Dienstleistungsgesellschaften . Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Zurück zum Zitat Hondrich, Karl Otto. 2007. Weniger sind mehr. Warum der Geburtenrückgang ein Glücksfall für unsere Gesellschaft ist . Frankfurt a. M.: Campus. Hondrich, Karl Otto. 2007. Weniger sind mehr. Warum der Geburtenrückgang ein Glücksfall für unsere Gesellschaft ist . Frankfurt a. M.: Campus.
Zurück zum Zitat Kaufmann, Franz-Xaver. 2005. Schrumpfende Gesellschaft. Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Kaufmann, Franz-Xaver. 2005. Schrumpfende Gesellschaft. Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Zurück zum Zitat Lutz, Burkart. 1984. Der kurze Traum immerwährender Prosperität. Frankfurt a. M. Campus. Lutz, Burkart. 1984. Der kurze Traum immerwährender Prosperität. Frankfurt a. M. Campus.
Zurück zum Zitat Mitscherlich, Alexander. 1955. Zukunft unserer Städte.Vortragsmanuskript, Mitscherlich-Archiv. Frankfurt a. M. Mitscherlich, Alexander. 1955. Zukunft unserer Städte.Vortragsmanuskript, Mitscherlich-Archiv. Frankfurt a. M.
Zurück zum Zitat Statistisches Bundesamt. 2009. Pressemitteilung vom 07.01.09. Frankfurter Allgemeine Zeitung , 8. Januar, Nr. 6, S. 9. Statistisches Bundesamt. 2009. Pressemitteilung vom 07.01.09. Frankfurter Allgemeine Zeitung , 8. Januar, Nr. 6, S. 9.
Metadaten
Titel
Chancen und Risiken des Schrumpfens und warum es so schwer ist, darüber zu diskutieren
verfasst von
Prof. em. Dr. Walter Siebel
Publikationsdatum
01.06.2009
Verlag
VS-Verlag
Erschienen in
Leviathan / Ausgabe 2/2009
Print ISSN: 0340-0425
Elektronische ISSN: 1861-8588
DOI
https://doi.org/10.1007/s11578-009-0012-y

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