2006 | OriginalPaper | Buchkapitel
China — eine andere Moderne?
verfasst von : Heiner Roetz
Erschienen in: Die Vielfalt und Einheit der Moderne
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Kein Thema ist unter den chinesischen Intellektuellen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr diskutiert worden als das Verhältnis der chinesischen Tradition zur Moderne.
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Seit den traumatischen Ereignissen des 19. Jahrhunderts mit dem schließlichen Zusammenbruch des Kaiserreiches steht China vor dem Problem, wie, wenn überhaupt, die über lange Zeit bewährten Maßstäbe einer der ältesten Kulturen der Menschheit und die neuen Standards einer fremden, als überlegen erfahrenen Zivilisation miteinander vereinbart werden können.
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Die Diskussion ist vor allem in den Begriffen
ti
und
yong
geführt worden, wobei
ti
die normative „Substanz“ bzw. chinesisch-kulturelle „Identität“ der Gesellschaft und
yong
das hiervon, so die ursprüngliche Vorstellung, abtrennbare pragmatisch-praktische Anwendungswissen bezeichnen soll.
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Die Zhang Zhidong (1837–1909) zugeschriebene Formel „Chinas Lehren als Substanz, die Lehren des Westens für die Nutzanwendung“ (
zhong xue wei ti, xi xue wei yong
), die den ersten griffigen Versuch markiert, einen Weg zur Lösung des Dilemma zu weisen, ist seither in immer neuen Runden diskutiert und schließlich auf den Kopf gestellt worden:
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Nach der Gründung der Republik China am 1.1.1912, der traditionsfeindlichen Bewegung des 4. Mai 1919 mit der Folge einer Hyperkritik an der alten Kultur,
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der Rezeption des Marxismus durch weite Teile der chinesischen Intelligenz, der Ausrufung der Volksrepublik 1949 und schließlich der Bewegung der ‘Vier Modernisierungen“ seit den späten 70er Jahren des letzten Jahrhunderts
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hat sich der Akzent allmählich auf die „Moderne als Substanz“ bzw. die „Modernisierung der Substanz“ verlagert.