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2019 | Buch

Das Phänomen Krieg

Eine sozialwissenschaftliche Bestandsaufnahme

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Über dieses Buch

Krieg, grundsätzlich verstanden als organisierte Gewaltanwendung zwischen gesellschaftlichen Gruppen oder Staaten, ist eine Erscheinung der Konfliktaustragung, die seit Jahrtausenden einen festen Bestandteil der menschlichen Geschichte bildet. Zugleich wird der Krieg trotz seiner offensichtlichen Bedeutung für das Zusammenleben der Menschen und dessen Gefährdung in Teilen der Sozialwissenschaften kaum thematisiert bzw. als temporäre und zu überwindende Abweichung von einem unterstellten Zivilisationsprozess betrachtet. Dieses Buch versucht vor diesem Hintergrund, das noch immer aktuelle Phänomen des Krieges und der Kriegführung aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und so den aktuellen, i.w.S. sozialwissenschaftlichen Stand über seine begrifflichen Grundlagen, Ursachen, Erscheinungsformen und Entwicklungstendenzen zusammenzufassen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Einführung
Zusammenfassung
Krieg, zunächst einmal verstanden als organisierte Gewaltanwendung zwischen gesellschaftlichen Gruppen oder Staaten, ist eine eine Erscheinung der Konfliktaustragung, die seit Jahrtausenden ein fester Bestandteil der menschlichen Geschichte ist. Zugleich wurde der Krieg trotz seiner offensichtlichen Bedeutung für das Zusammenleben der Menschen und dessen Gefährdung in bedeutenden Teilen der Sozialwissenschaften – nicht zuletzt in Deutschland – lange Zeit kaum thematisiert bzw. vor allem als temporäre und zu überwindende Abweichung von einem unterstellten Zivilisationsprozess betrachtet. Das offensichtliche Ausbleiben einer effektiven globalen Friedensordnung nach dem Ende des Kalten Krieges hat jedoch zu einer sukzessive verstärkten Rezeption des Krieges als Gegenstand sozial- und politikwissenschaftlicher Forschung geführt. Diese wiederentdeckte wissenschaftliche Aktualität des Phänomens Kriegs bildet den Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes.
Ralph Rotte
Kapitel 2. Das Phänomen Krieg und seine Ursachen
Zusammenfassung
Kapitel 2 gibt einen Überblick über wesentliche Definitionsansätze und Typologien sowie grobe empirische Entwicklungstrends des Krieges. In diesen Kontext nimmt eine konzise Einführung in die Kriegsdefinition(en) Carl von Clausewitz’ als bis heute wertvollstem Referenzpunkt der systematischen Befassung mit dem Krieg eine tragende Funktion ein. Zudem werden verschiedene Ansätze zur theoretischen Erklärung von Kriegen vorgestellt und zentrale Ergebnisse der empirischen Kriegsursachenforschung zusammengefasst, wobei der Literatur entsprechend zwischen staatlichen und nicht-staatlichen bewaffneten Konflikten unterschieden wird.
Ralph Rotte
Kapitel 3. Der Krieg in den Sozialwissenschaften
Zusammenfassung
Kapitel 3 betrachtet kritisch die Stellung, die der Krieg in der sozialwissenschaftlichen Forschung, vor allem in der Politikwissenschaft und der Soziologie einnimmt und ordnet ihn kurz in die hergebrachten Hauptströmungen der Theorie der Internationalen Beziehungen, der liberalen, der realistischen sowie der strukturalistischen Tradition, ein. Daran anschließend werden die unterschiedlichen Perspektiven der Friedensforschung, der Strategic Studies, War Studies und Security Studies, vor allem in Hinblick auf Unterschiede in ihren Fragestellungen und Zielsetzungen, skizziert. Dazu gehört auch ein kurzer Abschnitt über den Begriff der Strategie und die Strategieentwicklung.
Ralph Rotte
Kapitel 4. Erscheinungsformen und Entwicklungstendenzen des Krieges
Zusammenfassung
Kapitel 4 widmet sich exemplarischen Klassifikationsversuchen des Krieges sowie Ansätzen zur Epochengliederung der Kriegsgeschichte, um die Erscheinungsformen des Krieges und die Entwicklung der Kriegführung zu systematisieren. Dabei spielen auch die Vorstellungen von „revolutions in military affairs“ (RMAs) und der „neuen Kriege“ sowie kulturspezifische Perspektiven mit ihren Problemen, wie etwa die Diskussion um eine spezifisch „westliche“ Art der Kriegführung oder den „Postheroismus“ westlicher Gesellschaften eine Rolle. In diesem Teil wird auch die weltanschauliche und rechtliche Legitimation des Krieges und ihr Wandel seit der Antike kurz behandelt, inklusive der bis heute geführten Debatte über den Zusammenhang zwischen Krieg und sozioökonomischer Entwicklung
Ralph Rotte
Kapitel 5. Besondere Erscheinungsbilder des Krieges
Zusammenfassung
In Kapitel 5 werden drei besondere Erscheinungsbilder des Krieges näher beleuchtet, die für die Tradition wie die gegenwärtige Einordnung des Phänomens von besonderer Bedeutung sind: Der Nuklearkrieg spielt als bislang – mit Ausnahme der beiden ersten und einzigen Atomwaffeneinsätze 1945 – nur theoretische, aber gleichwohl praktisch wie konzeptionell intensiv vorbereitete „ultimative“ Form des Krieges dahingehend eine besondere Rolle, dass er wohl in extremis der idealtypischen Vorstellung des „absoluten Krieges“ Carl von Clausewitz’ am nächsten kommt und damit gleichzeitig die für die Menschheit insgesamt bedrohlichste Art der Kriegführung ist. Der Seekrieg wird insbesondere in der kontinentaleuropäischen Literatur oftmals wenig wahrgenommen, ist aber angesichts der wirtschaftlichen und strategischen Bedeutung überseeischer Kommunikations- und Handelswege seit Jahrtausenden eine ganz zentrale und aus geopolitischer Sicht vielleicht die entscheidende Art der Kriegführung überhaupt, die aufgrund ihrer Umweltbedingungen zugleich eine Reihe von Besonderheiten aufweist, die ihr Alleinstellungsmerkmal bilden. Schließlich ist der Guerilla-Krieg mit der dazugehörigen Counterinsurgency-Problematik (COIN) die Kriegsform, die ebenfalls seit langem der Prototyp sogenannter asymmetrischer Kriegführung darstellt, mit dem sich militärisch unterlegene Gegner gegen zahlenmäßig, organisatorisch und technologisch überlegene Opponenten wehren. Zumindest bis vor wenigen Jahren erschien dies die zentrale Form des Krieges, auf die sich westliche Streitkräfte nach dem Ende des Kalten Krieges noch einzustellen hätten, und die auch die US- und die NATO-Streitkräfte – einschließlich der Bundeswehr – im Irak und vor allem in Afghanistan trotz ihrer überlegenen Modernität vor kaum zu bewältigende Probleme gestellt hat. Zur Verdeutlichung werden vier historische Beispiele der Anti-Guerillakriegführung herangezogen: der Philippinenkrieg der USA (1899–1902), der Zweite Burenkrieg (1899–1902), der Algerienkrieg (1954–1962) sowie der sowjetische Afghanistankrieg (1979–1989).
Ralph Rotte
Kapitel 6. Grenzformen des Krieges
Zusammenfassung
Angesichts der zunehmenden Unschärfen zwischen klassischen Kriegsbegriffen und -formen und quasi-kriegerischen Auseinandersetzungen über (militärische) Gewaltanwendung hinaus oder jenseits – theoretisch normengebundener – Abgrenzungen gegenüber kriminellen Aktivitäten betrachtet Kapitel 6 drei hochaktuelle Grenzformen des Krieges. Dazu gehört der Wirtschaftskrieg, der gegenwärtig etwa in Form der Financial Warfare als – keineswegs neues – Instrument der nichtmilitärischen Bekämpfung von wahrgenommenen Bedrohungen, sowohl staatlicher wie nichtstaatlicher Art, etwa im Konflikt der USA mit dem Iran, praktisch angewendet und theoretisch analysiert wird. Dazu gehört aber auch der (transnationale) Terrorismus, der seit den Anschlägen vom 11. September 2011 ein zentrales Problem westlicher Sicherheitspolitik darstellt und der tendenziell mit Formen der organisierten Kriminalität verschmilzt. Schließlich widmet sich der Abschnitt auch dem cyberwar und der information warfare als gegenwärtig vielleicht am intensivsten diskutierten Form der meist nicht unmittelbar gewalttätigen Konfliktaustragung, die von den rapiden Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologien getrieben, aber konzeptionell wiederum seit langem bekannt und durchdacht sind. Entsprechend liegt ein gewisser Fokus auf der gegenwärtigen Informationskriegführung der Russischen Föderation.
Ralph Rotte
Kapitel 7. Kriegsinitiierung
Zusammenfassung
Kapitel 7 wendet sich einer im engeren Sinne politikwissenschaftlichen Teilthematik zu, nämlich der Frage, wann und und unter welchen Umständen die Entscheidung zum Krieg getroffen wird. Ausgehend vom Modell rationaler Entscheidung gemäß dem gängigen Expected Utility-Ansatz werden informationsbedingte, organisatorisch-institutionelle, innenpolitische, psychologische und kulturelle Abweichungen von diesem Modell erläutert und anhand des geradezu idealtypischen Falles des Entscheidungsverhaltens der deutschen Reichsführung in der Julikrise 1914 illustriert. Ergänzt wird dies im Hinblick auf fehlerhafte und illusorische strategisch-militärische Planungen und Erwartungen durch den Verweis auf die österreichisch-ungarische Vorbereitung und Durchführung des Sommerfeldzuges 1914 gegen Russland und Serbien.
Ralph Rotte
Kapitel 8. Kriegsverhinderung
Zusammenfassung
Das Gegenstück zur Kriegsinitiierung, die Verhinderung einer Eskalation von Krisenkonstellationen zum Krieg, wird in Kapitel 8 thematisiert. Hier liegt der Schwerpunkt auf Konzepten der Abschreckung und auf diplomatischen Instrumenten der Kriegsvermeidung. Als Beispiel für ein durchdekliniertes Abschreckungssystem wird auf die Konstellation der nuklearen Abschreckung zwischen dem westlichen und dem östlichen Lager während des Kalten Krieges verwiesen. Dies relativ detaillierte Darstellung dieses Falls schlägt auf der einen Seite den Bogen zur theoretischen Konzeption des Nuklearkrieges im fünften Kapitel und zur aktuellen Situation des internationalen Systems mit dem Wiederaufleben des Gegensatzes zwischen den NATO-Staaten und Russland sowie der Wiederaufwertung der Rolle von Nuklearwaffen als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik. Die diplomatischen Möglichkeiten der Kriegsvermeidung und ihre notwendigen Grundvoraussetzungen werden anhand dreier Krisenbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Doggerbank-Zwischenfall 1904, Korfu-Krise 1923 und Korfu-Zwischenfall 1946) sowie der als exemplarisch geltenden Vermittlung des Heiligen Stuhls zwischen Argentinien und Chile im Streit um den Beagle-Kanal (1978–1984) problematisiert.
Ralph Rotte
Kapitel 9. Kriegsbeendigung
Zusammenfassung
Kapitel 9 wirft einen kurzen Blick auf die Problematik der Beendigung eines Krieges. Dieses zunächst trivial erscheinende Thema erweist sich bei näherem Hinsehen als durchaus komplex, nachdem die meisten Kriege nicht mit einem totalen Sieg einer Kriegspartei enden und zu ihrer Beendigung entsprechend der Zustimmung beider Seiten bedürfen. Nach einem Überblick über einige theoretische Perspektiven werden wesentliche Ergebnisse der empirischen Forschung zu den Bedingungen einer Beendigung bewaffneter Konflikte (zwischenstaatliche Kriege und Bürgerkriege) skizziert.
Ralph Rotte
Kapitel 10. Der Krieg als bleibendes Grundproblem internationaler Beziehungen
Zusammenfassung
Das 10. Kapitel schließlich versucht einen Ausblick auf die zu erwartende Entwicklung des Krieges und der Kriegsgefahren im 21. Jahrhundert. Dazu gehören zum einen althergebrachte und aktuell wieder virulenter werdende Konfliktkonstellationen wie Großmachtrivalitäten, Territorialstreitigkeiten oder Ressourcenkonflikte, die teilweise durch Kontexte wie den Klimawandel oder das Bevölkerungswachstum in einigen Weltregionen verschärft werden können. Zum anderen stellen sich gerade aufgrund technologischer Neuerungen und ihrer militärischen Anwendungsmöglichkeiten neue Herausforderungen hinsichtlich zukünftiger Kriegsbilder, etwa durch Fortschritte in der Nanotechnologie, der Lebenswissenschaften oder der Robotik sowie die geographische Erweiterung potenzieller Kriegsschauplätze in Richtung des Weltraums. Vor diesem Hintergrund bildet die Auseinandersetzung um den weiterbestehenden dialektischen Charakter des Krieges zwischen sich teilweise rasant wandelndem Erscheinungsbild und überzeitlich konstantem Wesen den Abschluss des Bandes.
Ralph Rotte
Backmatter
Metadaten
Titel
Das Phänomen Krieg
verfasst von
Prof. Dr. Ralph Rotte
Copyright-Jahr
2019
Electronic ISBN
978-3-531-94100-4
Print ISBN
978-3-531-15505-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-94100-4