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2019 | Buch

Das vergessene Subjekt

Subjektkonstitutionen in mediatisierten Alltagswelten

herausgegeben von: Dr. Peter Gentzel, Prof. Dr. Friedrich Krotz, Jeffrey Wimmer, Prof. Dr. Rainer Winter

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

Buchreihe : Medien • Kultur • Kommunikation

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Über dieses Buch

Der Band liefert eine kritische Bestandsaufnahme bestehender Subjektkonzeptionen der kommunikationswissenschaftlichen Forschung. Zudem werden Konzepte entwickelt um Subjektivität im Kontext aktueller theoretischer Debatten (u.a. Mediensoziologie, Cultural Studies, Psychoanalyse, Praxistheorie, Science and Technology Studies) sowie sozialer, kultureller und technischer Entwicklungen (u.a. Digitalisierung, Mediatisierung, Mobilität und Vernetzung) analysieren zu können. Da Subjektkonzeptionen für jegliche Kommunikations- und Medienanalysen von zentraler Bedeutung sind, schließt der Band eine zentrale Leerstelle der Kommunikations- und Medienwissenschaft.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einführung: Das vergessene Subjekt in der Kommunikationswissenschaft
Zusammenfassung
Im Mittelpunkt des Bandes steht die Frage nach dem sich transformierenden Beziehungsverhältnis von Subjekt, Kommunikation und Gesellschaft, in dem der gegenwärtig rapide Medienwandel – so unsere These – eine zentrale Rolle einnimmt. Der Mediatisierungsansatz empfiehlt sich aus mehreren Gründen als Einstieg in diese komplexe Fragestellung, weil er eine analytisch konsistente Perspektive darstellt, die kommunikative und mediale Wandlungsprozesse mit sozialen und kulturellen zusammenführt. Subjekte entstehen in dieser Perspektive auf der Basis kommunikativen Handelns, Praktiken und Gewohnheiten und der Verarbeitung des damit verbundenen Erlebens, allesamt ihrerseits eng mit gesellschaftlichen Kontexten und Prozessen verbunden.
Peter Gentzel, Friedrich Krotz, Jeffrey Wimmer, Rainer Winter

Subjektkonzeptionen in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung und im Lichte aktueller sozial- und kulturwissenschaftlicher Entwicklungen

Frontmatter
Wie konstituiert das Kommunizieren den Menschen? Zum Subjektkonzept der Kommunikationswissenschaft im Zeitalter digital mediatisierter Lebensweisen
Zusammenfassung
Die Frage nach dem Subjekt der digital mediatisierten Gesellschaft stellt sich heute anders als nach dem Subjekt früherer bzw. nicht umfassend über Computernetze konstituierter Gesellschaften bzw. Formen des Zusammenlebens. Die Kommunikationswissenschaft braucht für die Antwort einen angemessenen Subjektbegriff und ein darauf bezogenes Subjektivierungsverständnis, ein brauchbares Konzept menschlichen Kommunizierens als Basis von Subjekt und Subjektivierung, und ein Verständnis von dessen Wandel im Kontext des Wandels der Medien. Gegenwärtige gesellschaftliche Bedingungen kann man so zusammenfassen, dass die Menschen ihr Sein zunehmend als ein Sein im Übergang verstehen (müssen), dass sie zunehmend an unterschiedliche und unterschiedlich vermachtete Diskurse angebunden bzw. umgekehrt subjektiv daran orientiert sind und dass sie zunehmend darum bemüht sind und sein müssen, gegen diese segmentierenden Druckverhältnisse eine Ganzheit des Subjekts oder zumindest einen gestaltbaren Zusammenhang ihrer Person zu behaupten.
Friedrich Krotz
Das Subjekt des kommunikativen Handelns, Subjektivität und Subjektivierung
Zusammenfassung
In diesem Beitrag soll der Begriff des Subjekts aus der Perspektive des sozialen bzw. kommunikativen Konstruktivismus angegangen werden. Denn in dieser Theorie wird eine systematische Arbeitsteilung zwischen dem philosophischen Begriff des Subjekts und dem soziologischen der Identität vorgeschlagen. In jüngerer Zeit wurde der Sozialkonstruktivismus zu einem kommunikativen Konstruktivismus ausgebaut, dessen Grundbegriff das kommunikative Handeln darstellt. Im folgenden Teil soll dann dargelegt werden, dass dieser Ausbau auch mit Problemen des phänomenologischen Subjektbegriffs zu tun hat, die mit dem Sozialkonstruktivismus verbunden sind. Auf dieser Skizze aufbauend wird dann die Frage nach dem Subjekt des kommunikativen Handelns behandelt. Am Beispiel des Zeigens möchte ich erläutern, dass das Subjekt nicht als eigene Substanz zu fassen ist, sondern eher ein Attribut, genauer: eine Eigenschaft des kommunikativen Handelns ist. Wir sollten deswegen von Subjektivität statt vom Subjekt reden. Allerdings kann das kommunikative Handeln auch nicht ohne jene Eigenschaft gedacht werden. Erst die Subjektivität macht es erklärlich, dass Sozialität nicht in Systemen und Handeln nicht in Praktiken aufgeht, während die Kommunikation dafür sorgt, dass Sozialität alles umfasst, worüber kommuniziert werden kann. Auch wenn wir grundbegrifflich nur von einer Subjektivität ausgehen, so haben wir es im Alltagsleben empirisch immer mit Subjekten, Selbsten und Identitäten zu tun. Diese sind aber keine vorgängigen Substanzen, sondern leiten sich aus dem kommunikativen Handeln ab. Dieser Prozess, der einst als Sozialisierung eines als abgeschlossen gedachten Individuums genannt wurde, lässt sich als Subjektivierung beschreiben. Im abschließenden Teil soll diese durchaus ungewöhnliche Begriffsverwendung kurz skizziert werden, wobei ich auf die besonderen Formen der Subjektivierung unter den Bedingungen der gegenwärtigen Mediatisierung eingehe, die ich als doppelte Subjektivierung bezeichnen möchte.
Hubert Knoblauch
Von der sozialen Interaktion zur digitalen Vernetzung: Prozesse der Mediatisierung und die Transformationen des Selbst
Zusammenfassung
In der Tradition des Pragmatismus und des Symbolischen Interaktionismus konstituiert sich das Selbst in der sozialen Interaktion. Nach einer Darstellung dieses Zusammenhangs untersucht der Beitrag die Folgen der audiovisuellen Mediatisierung in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und die Implikationen der digitalen Mediatisierung im 21. Jahrhundert für das Selbst, das durch diese Entwicklungen infrage gestellt wird. Es wird gezeigt, dass es zu medial bedingten Transformationen des Selbst kommt. Dennoch hat es weiterhin eine wichtige Bedeutung für die Initiierung von kreativen Prozessen und für die Möglichkeit von Emanzipation.
Rainer Winter
Materialität, Technik und das Subjekt: Elemente kritischer Kommunikations- und Medienanalyse
Zusammenfassung
Der Beitrag zeigt auf, dass die Konzeptionen von Subjektivität und Materialität wechselseitig aufeinander verweisen, dies allerdings weder in der traditionellen Kommunikations- und Medienforschung noch in der Diskussion um Praxistheorien, Science and Technology Studies (STS) und Akteur-Netzwerk-Theorien (ANT) angemessen berücksichtigt wird. Zunächst werden einige Grundannahmen traditioneller Kommunikationsanalysen diskutiert, denen ein psychologisch verkürztes Verständnis von Subjekten und ein allenfalls undifferenzierter Umgang mit medialen Objekten bzw. Medienmaterialität zu unterstellen ist. Ebenfalls kritisch wird den Praxistheorien ein Bias auf Reproduktion und Ordnung sowie ein allenfalls defizitäres Subjektkonzept nachgewiesen. Mit Hilfe von STS und ANT werden zudem analytische Modelle sowie Befunde zur Bedeutung medialer Objekte und Materialität vorgestellt. Schließlich wird mithilfe der Technikanalysen Martin Heideggers ein Weg für die kritische Adaption von practice und material turn für Kommunikations- und Medienanalysen skizziert.
Peter Gentzel
Mediennutzung und Psychoanalyse: Theoretische und Empirische Perspektiven
Zusammenfassung
Dieser Beitrag verfolgt das Ziel aufzuzeigen, inwieweit die Psychoanalyse, insbesondere nach Sigmund Freud, die Kommunikationswissenschaft und speziell Mediennutzungsforschung bereichern kann. Ausgehend von dem Argument, dass die Kommunikationswissenschaft über inadäquate Subjekttheorien verfügt, argumentiere ich, dass psychoanalytische Konzepte und Ideen sowohl für theoretische als auch empirische Fragen wertvoll sein können. Anschließend werden drei psychoanalytische Konzepte – das Unbewusste, freie Assoziation, und Affekt – genauer definiert und anhand eines empirischen Beispiels einer Studie zur Rezeption von Reality-TV veranschaulicht. Ein Ausblick auf die Zukunft einer psychoanalytischen Kommunikationswissenschaft schließt das Kapitel ab.
Jacob Johanssen
Subjektivierung in datafizierten Gesellschaften – Dividualisierung als Perspektive auf kommunikative Aushandlungsprozesse in datengetriebenen Zeiten
Zusammenfassung
In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, welche Folgen die Datafizierung der Gesellschaft für Prozesse der Subjektivierung hat. Subjekte können als Ergebnis von kommunikativen Klassifikationsleistungen begriffen werden, welche sich in Zeiten einer ‚tiefen‘ Mediatisierung verändern. Aspekte der interaktiven Kommunikation mit einer übergeordneten, digitalen Infrastruktur und ihrer distinkten Rechen- und Verarbeitungslogik, werden zu einem zentralen Modus der Subjektivierung. Gleichzeit sickern Regierungsrationalitäten in alltägliche kommunikative Handlungen ein und beeinflussen so unseren Horizont des Denk- und Machbaren. Vor dem Hintergrund aktueller Subjekttheorien und dem Konzept der Gouvernementalität soll Modulation als Form der Klassifikation in datafizierten Gesellschaften beschreiben, wie algorithmische Verarbeitungsprozesse Teil von kommunikativen Handlungen und Praktiken der Selbst- und Fremdführung werden. Die Ausführungen verweisen dabei auf einen Prozess der Dividualisierung, bei dem digitale Abdrücke von Individuen zunehmend zu kommunikativen Bausteinen der digitalen wie analogen Aushandlung von Subjekten werden. Deren Verhandlung muss im Rahmen einer kontextsensiblen Mediatisierungsforschung kritisch mitgedacht werden.
Jakob Hörtnagl

Empirische Analysen der Bedeutung von Subjektivität und Identität in und für digitale(r) Kommunikation in mediatisierten Welten

Frontmatter
Das erzählte Selbst: Narrative Subjektkonstruktionen im Zeichen medialen und gesellschaftlich-kulturellen Wandels
Zusammenfassung
Welche Narrationen erzählen Menschen, die die digitalen Medien als Instrumente und Bühnen des Erzählens nutzen oder sie zum Gegenstand des Erzählens machen? Diese Frage steht im Zentrum dieses Beitrags, der eine Sekundärauswertung der Studie ‚Kommunikative Öffentlichkeiten im Cyberspace‘ zugrunde liegt, in die Netzakteur_innen und Blogger_innen aus verschiedenen Teilen der Welt einbezogen waren. Es wurden sechs Narrationstypen identifiziert: Vernetzungs-, Selbstinszenierungs-, Händler- und Verkäufer-, Grenzmanagement-, Verwandlungs-, Auf- und Ausbruchsnarrationen. Diese Narrationstypen werden aus der Perspektive intersubjektiver und narrationsbezogener Theorieansätze analysiert. Sie stellen Antworten auf biografische und gesellschaftlich-kulturelle Provokationen dar und geben Einblicke in die Sehnsüchte der Netzgeneration, in ihre Orientierungssuche sowie in ihre Subjektkonstruktionen. Die digitalen Medien zeigen sich in den Narrationen nicht nur als Instrumente des Erzählens, sie formen das Was und Wie des Erzählens mit.
Christina Schachtner
Vom Subjekt zum User – und zurück?
Zusammenfassung
Derzeitiger Schwerpunkt digitaler Vernetzungen ist die datentechnische Globalisierung des Sozialen. Dazu gehört die Durchsetzung eines latenten, anpassungssensiblen Konzepts von User. Plaudernde digitale Programme und interaktiv sich wähnende Menschen bringen neue soziotechnische Formate von Abhängigkeit, Vertrauen, Wahrheit, Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit hervor. Dinge, gegenständlich und ungegenständlich, visuell, virtuell, mit enormen Reichweiten und Geschwindigkeiten suchen nach Partnermenschen. Subjekt wird transformiert zum Prakteur.
Manfred Faßler
Die Geschichte medienbasierter Selbsttechnologien von Rousseau bis Runtastic
Zusammenfassung
Im Rahmen des Beitrags wird die mediale Verfasstheit von Selbsttechnologien in den Fokus gerückt. Dies soll zum einen in Form eines allgemeinen theoretischen Konzepts erfolgen, zum anderen entlang der Fallbeispiele des Tagebuchs und der digitalen Selbstvermessung. Selbstführung, wie sie von Foucault unter dem Begriff der Technologien des Selbst erfasst wurden, weisen eine starke medienbezogene Komponente auf. Sie findet einerseits über den medialen Austausch mit anderen statt, andererseits aber auch in direkter Auseinandersetzung mit medialen Artefakten, ihren gegebenen technischen Strukturen und damit ihren konkreten materiellen Eigenschaften und Affordanzen. So evoziert das Tagebuch, basierend auf Schrift und Narration, andere Formen der Selbsterforschung und begünstigt somit andere Subjektformen als die digitale Selbstvermessung, bei welcher die Selbstthematisierung vor allem in Auseinandersetzung mit Zahl und Algorithmus stattfindet. Entlang dieser und weiterer Beispiele soll am Konzept der medienbasierten Selbsttechnologien aufgezeigt werden, wie mediensoziologische Ansätze für eine Soziologie des Subjekts fruchtbar gemacht werden können.
Gerrit Fröhlich
Subjektinszenierung und Kommunikationsmacht digital
Zusammenfassung
Im Gegensatz zur Face-to-Face-Kommunikation entbehrt digitale Kommunikation konventioneller Sprecherpositionen. Diese müssen erst durch soziale Praktiken der Kommunikation hergestellt werden. Dies gilt insbesondere für sehr gering strukturierte, diskursive Medienformate wie Online-Kommentarbereiche. Unser Beitrag fragt danach, wie es Akteuren und Akteurinnen in einem solchen Setting gelingt, eine intelligible Subjektpositionierung herzustellen. Dazu führen wir eine Fallanalyse anhand des Online-Kommentarbereichs der ZEIT online (ZON) durch. Wir gehen dabei davon aus, dass den Diskursteilnehmenden daran gelegen ist, als souveräne Subjekte in Erscheinung zu treten, indem es ihnen gelingt, Gesprächsrahmungen zu setzen, denen andere Teilnehmende folgen. Gelingt es Akteuren und Akteurinnen einen solchen Gesprächsrahmen zu etablieren, sprechen wir in Anlehnung an Jo Reichertz von der Erlangung von Kommunikationsmacht.
Holger Herma, Laura Maleyka
Zur Medialität pädagogischer Beziehungen und der medialen Seite der Bildung
Zusammenfassung
Der Beitrag beleuchtet aus einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive den Zusammenhang von Bildung, Subjekt und Medialität. Ausgehend von den gegenwärtigen Entwicklungen im Lichte digitalisierter Medien wird erörtert, wie die Bildung des Subjekts kategorial und prozedural mit Medialität verbunden ist. Aufgezeigt wird, dass Bildungsprozesse grundlegend eine mediale Seite besitzen. Deutlich wird dies unter anderem daran, dass Technologien des Selbst und des Wissens historisch und systematisch mit Bildung verwoben sind, wie auch pädagogische Beziehungen über Vermittlungsprozesse Gestalt annehmen. Im Ergebnis wird gezeigt, wie die relationierende Vermittlung im ‚Zwischen‘ für Bildungsprozesse grundlegend ist.
Kerstin Jergus
Friendzone Level 5000. Memes als bildvermittelte Subjektivierungspraktiken
Zusammenfassung
Memes sind Internet‐Phänomene, genauer gesagt: Nutzergenerierte Inhalte verschiedenster Art (Bilder, Videos, Texte), die sich insbesondere durch die Art ihrer Verbreitung und Weiterverarbeitung auszeichnen. Es handelt sich dabei überwiegend um bildbasierte Formen der Massenkommunikation. Damit einhergehen sowohl die Verbreitung von Werten, Normen, Ansichten und Idealen wie auch von Identitätskonzepten und Selbstentwürfen. Der Beitrag befasst sich mit Memes als visuellen Subjektivierungspraktiken und Diskursen. Exemplarisch hierzu wird der überwiegend über Bilder transportierte Friendzone‐Diskurs innerhalb der Online‐Community 9gag rekonstruiert und gezeigt, wie in diesem Diskurs eine bestimmte Form des männlichen Subjekts konstituiert und zugleich Aussagen über Geschlechterbeziehungen produziert und etabliert werden. Die kommunikativen und medialen Eigenschaften der Memes sowie ihr Auftreten und Zirkulieren in einem ganz spezifisch strukturierten digitalen Raum sorgen dabei für veränderte Wahrnehmungsschemata und neue Techniken der Selbstthematisierung.
Sascha Oswald
Metadaten
Titel
Das vergessene Subjekt
herausgegeben von
Dr. Peter Gentzel
Prof. Dr. Friedrich Krotz
Jeffrey Wimmer
Prof. Dr. Rainer Winter
Copyright-Jahr
2019
Electronic ISBN
978-3-658-23936-7
Print ISBN
978-3-658-23935-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23936-7