Skip to main content

2018 | Buch

Der theoretische Krankheitsbegriff und die Krise der Medizin

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

Das biomedizinische Verständnis der modernen (Schul-)Medizin darf als Resultat einer seit über 160 Jahren andauernden Ver-Naturwissenschaftlichung der Medizin verstanden werden. Infolgedessen resümiert Petra Lenz eine „Krise der Medizin“, die sich im Vertrauensverlust der Menschen in das Medizinsystem zeigt. Es wird gezeigt, dass der theoretische Krankheitsbegriff als sinnspezifischer Faktenbegriff der Naturwissenschaften nicht als Hoffnungsträger für Medizin und Gesundheitspolitik infrage kommt, sondern erst durch ihn medizinethische und gesundheitspolitische Herausforderungen entstehen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Einleitung
Zusammenfassung
Die gegenwärtige (Schul-)Medizin mit ihrem biomedizinischen Verständnis ist das Ergebnis einer seit über 160 Jahren andauernden Ver-Naturwissenschaftlichung der Medizin. Die Trennung von Medizin und Theologie bereitete dieser Entwicklung den Weg. Standen bis zur Mitte des 19. Jhs. unterschiedliche Krankheits- und Medizinkonzepte gleichberechtigt nebeneinander, hat die naturwissenschaftlich geprägte Medizin im Laufe der Zeit andere Medizinkonzepte an den Rand gedrängt und dominiert seit ca. 1850 die Heilkunde.
Petra Lenz
Kapitel 2. Kulturelle und medizinhistorische Antwortversuche auf die Frage nachder Krankheit
Zusammenfassung
Gegenstand des ersten Unterkapitels ist die Rekonstruktion der historischen Genese des Krankheitsbegriffs, wie er im europäischen Denkraum unter dem Einfluss griechisch-römischer Ideengeschichte entstand. Der Einfluss der Naturphilosophie auf den Krankheitsbegriff in der griechisch-römischen Antike markiert den ersten Orientierungsrahmen. Mit dem Zusammenbruch des Römischen Imperiums im 3./4. Jh. n. Chr. erfuhr die Tradierung medizinischen Wissens in Europa eine erste Erschütterung. Durch den Verlust der griechischen Sprache drohte auch das antike medizinische Wissen in Vergessenheit zu geraten.
Petra Lenz
Kapitel 3. Die philosophische Diskussion um den Krankheitsbegriff
Zusammenfassung
Krank zu sein, bedeutet nicht gleichsam, sich die Frage zu stellen, was Krankheit ist. Der kranke Mensch in seiner subjektiv-existentiellen Betroffenheit von Krankheit fragt danach, welches Mittel oder welcher Umstand sein Leid lindern kann und welche Person ihm dabei beizustehen vermag. Der medizinhistorische Abriss im ersten Kapitel macht deutlich, dass dies die zentrale Frage der Menschen in Bezug auf Gesundheit und Krankheit war und ist. Vom subjektiven Betroffen-Sein als Krank-Sein sind Krankheitsbezeichnungen als begriffliche Kategorien auf der Grundlage bestimmter (historischer) Krankheitskonzepte zu unterscheiden. Sie sind eine Abstraktion vom Sein und stellen Antwortversuche auf die Frage dar, was Krankheit ist. Gross/Löffler stellen über den Begriff der Krankheit den des Syndroms als „eine[r] Gruppe in sich gleichartiger Krankheitserscheinungen“.
Petra Lenz
Kapitel 4. Die gegenwärtige Krise der Medizin
Zusammenfassung
Der medizinhistorische Abriss des ersten Kapitels endet mit der These, dass sich die Medizin in einer Krise befindet. Doch ist es tatsächlich gerechtfertigt, von einem Vertrauensverlust in die Medizin zu sprechen? Verlust von Vertrauen setzt voraus, dass es eine Zeit gegeben haben muss, in der die Menschen der Medizin mehr Vertrauen schenkten als heute. Doch wäre ein solches einstiges Vertrauen überhaupt mit dem heutigen vergleichbar? Immerhin hat sich nicht nur die Medizin tiefgreifend verändert, sondern auch das, was wir für „wahr“ und „richtig“ halten.
Petra Lenz
Kapitel 5. Die Erklärungslücke am Beispiel der Migräne
Zusammenfassung
Der Zweifel an der Plausibilität reduktionistischer Erklärungen physischer Krankheiten nährt sich daraus, dass wir uns nicht sicher sein können, dass eine reduktionistische Erklärung mentaler Krankheiten durch physische Vorgänge überhaupt möglich ist. Dies macht nötig, sich noch einmal hinein in die klinische Praxis zu begeben. Die Migräne, eines der weltweit am meisten verbreiteten Leiden, erscheint für die Erläuterung dieses Zweifels besonders geeignet, weil sie die Verbindung physischer (bspw. Veränderungen des Sehvermögens und der Darmtätigkeit) und psychischer Symptome (bspw. Stimmungsschwankungen, Affektstörungen usw.) besonders eindrücklich zeigt und zusätzlich Phänomene auftreten, die sich kaum mit Worten beschreiben lassen (Aura-Phänomene der Halluzinationen).
Petra Lenz
Kapitel 6. Der substantielle Gesundheitsbegriff – Ein Vorschlag
Zusammenfassung
Die Geschichte der Medizin spiegelt nicht nur die Rationalisierung der Lebenswelt als Rationalisierung des Sozialen exemplarisch wider, sondern legt auch die Dominanz und den erdrückenden Einfluss der wissenschaftlich-theoretischen Rationalität und ihrer fortschreitenden Theoretisierungen offen. Im Gesundheitssystem als sozialem System, dessen Aufgabe im praktischen Tun zum Wohle der Patienten besteht, hat sich immer stärker eine theoretisch-reduktionistische Rationalität durchgesetzt. Wenn der Krankheitsbegriff im Sozialrecht ein unbestimmter Rechtsbegriff ist und durch die Rechtsprechung seine Interpretation erfährt, dann ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vermuten, dass die durch einen naturwissenschaftlich-theoretischen Krankheitsbegriff charakterisierte medizinische Praxis die Interpretationsspielräume der Rechtsprechung bestimmt.
Petra Lenz
Backmatter
Metadaten
Titel
Der theoretische Krankheitsbegriff und die Krise der Medizin
verfasst von
Petra Lenz
Copyright-Jahr
2018
Electronic ISBN
978-3-658-21539-2
Print ISBN
978-3-658-21538-5
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-21539-2

Premium Partner