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2022 | Buch

Differenz im Raum

Sozialstruktur und Grenzziehung in deutschen Städten

herausgegeben von: Dr. Hanno Kruse, Prof. Dr. Janna Teltemann

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Über dieses Buch

Soziale Grenzziehungen prägen das Zusammenleben in Städten. Wie diese Einsicht in der quantitativen Stadtsoziologie berücksichtigt werden kann, thematisiert dieser Sammelband. Beispielhaft vermitteln dessen Beiträge die Bedeutung von gruppen- und raumbezogener Kategorisierung für die Analyse räumlicher Sozialstruktur. Anhand verschiedener empirischer Studien zu Ausmaß, Ursachen und Konsequenzen von Segregation und räumlicher Ungleichheit liefern sie gleichzeitig eine Bestandsaufnahme räumlicher Differenz in Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einführung

Frontmatter
Wo und wie Grenzen ziehen? Soziale Kategorisierung in der quantitativen Stadtsoziologie
Zusammenfassung
Die quantitative Stadtsoziologie fußt auf der Annahme, dass interessierende Sachverhalte – z. B. Einkommensklassen, ethnische Gruppen oder räumliche Einheiten – messbar, zählbar und damit klar voneinander abgrenzbar sind. Mit diesem Beitrag gehen wir der Frage nach, wie die quantitative Stadtsoziologie Kritik an dieser Sichtweise auf gruppen- und raumbezogene Kategorisierung besser berücksichtigen und dennoch ihrer Aufgabe gerecht werden kann, mit standardisierten und vergleichenden Befunden wissenschaftliche und öffentliche Debatten zu informieren. Hierzu stellen wir dem analytisch orientierten Standardvorgehen quantitativer Ansätze eine primär lebensweltliche Sichtweise auf Kategorisierungen gegenüber, die die alltäglichen Erfahrungen der Handelnden ins Zentrum rückt. Wir zeigen exemplarisch, dass eine lebensweltliche Sicht auf gruppen- und raumbezogene Kategorisierung Fehlinterpretationen vermeiden, neue Untersuchungsfelder eröffnen und Antworten auf ungeklärte Frage liefern kann. Andererseits verkompliziert eine lebensweltliche Sichtweise aber sowohl Theoriebildung als auch empirisches Arbeiten und kann ebenfalls nicht zuverlässig verhindern, dass Erkenntnisse womöglich zur Verfestigung gesellschaftlicher Stereotype beitragen. Angesichts dieses Zielkonfliktes bieten wir eine konkrete Entscheidungshilfe, bei welchen Untersuchungszielen die theoretische und empirische Berücksichtigung lebensweltlicher Kategorisierung in quantitativen stadtsoziologischen Ansätzen dringend notwendig ist – und wann eher nicht. Der Beitrag schließt mit einer Übersicht über den vorliegenden Sammelband.
Hanno Kruse, Janna Teltemann

Räumliche Segregation

Frontmatter
Die sozialräumliche Verteilung von Zugewanderten in den deutschen Städten zwischen 2014 und 2017
Zusammenfassung
Deutschland ist ein Zuwanderungsland. Die größte Gruppe von Zugewanderten stellen EU-Binnenmigrant*innen – im Jahr 2015 waren es jedoch mehrheitlich Schutzsuchende. Wir untersuchen, wo die Zugewanderten der vergangenen Jahre in den deutschen Städten wohnen. Dabei legen wir das Augenmerk auf die sozialräumliche Verteilung: Inwieweit hängt die soziale Zusammensetzung eines Quartiers mit dem Zuzug von Zugewanderten zusammen? Für unsere Analysen verwenden wir Daten zu 86 Groß- und Mittelstädten mit insgesamt 3770 Stadtteilen. Sie stammen aus der Innerstädtischen Raumbeobachtung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung und aus direkten Datenlieferungen der Städte. Anhand von linearen (Mehrebenen-)Regressionen untersuchen wir den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Anteile ausländischer Personen in den Stadtteilen zwischen 2014 und 2017 und der sozialen Zusammensetzung der Stadtteile im Jahr 2014. Wir stellen fest, dass der Anteil ausländischer Personen in den am meisten sozial benachteiligten Stadtteilen deutlich stärker zugenommen hat – vor allem in Ostdeutschland. Bei einer detaillierten Betrachtung der einzelnen Städte zeigt sich eine ausgeprägte geografische Varianz: Besonders im Osten, Norden und Westen beobachten wir einen starken Zusammenhang beider Indikatoren, wohingegen in den Städten am südlichen Niederrhein und südlich des Mains nur mittlere oder gar keine Zusammenhänge existieren. Die Unterschiede zwischen den Städten können zum Teil durch den Wohnungsleerstand und die Steuereinnahmen der Kommunen erklärt werden.
Stefanie Jähnen, Marcel Helbig
Muster ethnischer Segregation in Deutschland – Ein Vergleich anhand räumlicher Segregationsmaße
Zusammenfassung
Ethnische räumliche Segregation in Großstädten stellt eine mögliche Dimension der sozialen Abgrenzung zwischen Bevölkerungsgruppen dar und kann weitere Dimensionen der Ungleichheit in anderen Bereichen der Gesellschaft beeinflussen. Aufgrund unterschiedlicher räumlicher Einteilungen ist es oft jedoch schwierig das Ausmaß an Segregation über Stadtgrenzen hinweg zu vergleichen. Basierend auf Daten des Zensus 2011 verwendet dieser Beitrag räumliche Segregationsmaße auf verschiedenen geographischen Ebenen um so einen vergleichenden Überblick über die räumliche Segregation und deren Formen in Deutschland zu geben. Die Ergebnisse zeigen erhebliche Variation in der Stärke der räumlichen Trennung von Minderheiten. Außerdem verdeutlicht der Beitrag, dass verschiedene deutsche Städte unterschiedliche Muster der Segregation aufweisen. Während manche Städte besonders auf der kleinräumigen geographischen Ebene segregiert sind, erfolgt die Trennung in anderen Städten auf einer großräumigen Ebene. Dadurch zeigt der Beitrag, dass räumliche Segregation auch in Deutschland unterschiedliche Muster und Dimensionen annimmt, die mit unterschiedlichen Folgen und Ursachen verbunden sein können.
Tobias Rüttenauer

Wohnorte und Bildung

Frontmatter
Nachbarschaften als Bildungskontexte und die Dynamiken räumlicher Mobilität von Familien
Zusammenfassung
In dieser Studie wird anhand von Ereignisdaten untersucht, ob kleinräumige Wanderungen von Familien von Merkmalen der Nachbarschaft, nämlich der Abwesenheit der gewünschten Grundschule sowie Anzeichen physischer und sozialer Unordnung, beeinflusst werden. Nach unseren Befunden erhöht das Fehlen der Wunschgrundschule in der nahen Wohnumgebung die Umzugsrate nach Beginn der ersten Schwangerschaft drastisch, während der Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von physischer und sozialer Unordnung und der Umzugsmobilität nicht eindeutig ist. Eine vermutete Moderation des Zusammenhangs zwischen der räumlichen Nähe zur Wunschgrundschule und der Umzugsrate durch die elterlichen Bildungsaspirationen sowie durch die rechtlichen Regelungen zum Schulzugang zeigt sich empirisch ebenfalls nicht. Unterscheiden wir die Mobilitätsprozesse danach, ob die Wunschschule in der Zielregion liegt oder nicht, kann keine höhere Rate für Umzüge in jene Wohngegenden mit präferierter Bildungsstätte festgestellt werden. Somit ist festzuhalten, dass für Eltern die räumliche Ausstattung mit lokalen Bildungseinrichtungen zwar ein relevanter Faktor für Umzüge ist, aber dies in der Regel nicht bedeutet, dass diese durch Umzüge den Zugang zur Wunschgrundschule realisieren können.
Mareike Oeltjen, Michael Windzio
„Ethnic Choice Effects“: Welche Rolle spielt die räumliche Verfügbarkeit anspruchsvoller Bildungsalternativen?
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag untersucht die Frage, ob sich die üblicherweise bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund gefundenen, relativ optimistischen Übergangsentscheidungen zum Teil dadurch erklären lassen, dass Migranten und deren Nachkommen eher in (groß)städtischen Milieus leben, in denen die Angebotsstruktur weiterführender Schularten eher vorteilhaft ist im Vergleich zum ländlichen Raum. Auf Basis des deutschen Teils der Studie Children of Immigrants Longitudinal Survey in Four European Countries (CILS4EU) zeigt sich zunächst deskriptiv, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund tatsächlich in deutlich geringerer Distanz zu einer Schule mit einer gymnasialen Oberstufe wohnen. Allerdings spielt diese Nähe nur bei dem Zustandekommen von Plänen eine Rolle, nach der Sekundarstufe I eine weiterführende Schulart zu besuchen, nicht aber bei den tatsächlich getroffenen Bildungsentscheidungen. Neben dem Einfluss der Verfügbarkeit von weiterführenden Schularten in der Wohnumgebung auf das Entscheidungsverhalten soll zudem auch die Situation auf dem Ausbildungsmarkt beleuchtet werden. So könnte argumentiert werden, dass es ein Mangel an Ausbildungsplätzen im Wohnumfeld wahrscheinlicher macht, nach der Sekundarstufe I die Schulkarriere fortzuführen. Für das zur Prüfung dieser Forschungsfrage eingesetzte Kontextmerkmal der Relation zwischen freien Stellen und Bewerberinnen und Bewerbern ergeben sich analoge Befunde wie zur Entfernung zur weiterführenden Schulart: Eine ungünstigere Stellen-Bewerber-Relation im Landkreis führt eher dazu, dass nach der Sekundarstufe geplant wird, die Schule fortzuführen. Es zeigt sich allerdings kein Einfluss auf die tatsächlich getroffenen Bildungsentscheidungen nach der Sekundarstufe I.
Jörg Dollmann, Markus Weißmann

Wohnorte und Einstellungen

Frontmatter
Ethnische Nachbarschaftskomposition und die Entwicklung einwanderungsbezogener Sorgen in Zeiten starker Zuwanderung
Zusammenfassung
Lokale Erfahrungen mit Gruppen anderer ethnischer Herkunft werden von Kontakt- und Bedrohungsansätzen als ein wichtiger Erklärungsfaktor für Einstellungen gegenüber ethnischen Minderheiten genannt. Beide Ansätze gehen auch davon aus, dass Einstellungen zu bestimmten ethnischen Gruppen auf allgemeinere Herkunftsgruppen, wie etwa Einwanderer im Allgemeinen, übertragen werden. In diesem Beitrag wird untersucht, ob die wahrgenommene ethnische Vielfalt in Wohnvierteln von Einzelpersonen die Reaktion auf die europäische Flüchtlingskrise in Bezug auf zuwanderungsbezogene Sorgen verändert. Anhand Daten des sozioökonomischen Panels von 2009 bis 2016 werden Verläufe zuwanderungsbezogener Sorgen untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass alle Personen unabhängig von ihrer wahrgenommenen Nachbarschaftskomposition ähnliche Aufwärtstrends in zuwanderungsbezogenen Sorgen zeigen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass frühere Erfahrungen mit ethnischen Herkunftsgruppen im eigenen sozialen Umfeld die Reaktionen auf größere, politisch saliente Einwanderungsströme nur geringfügig moderieren.
Stephan Dochow-Sondershaus
Der Halo-Effekt in Deutschland – Revisited. Sind Menschen, die in der Nähe von – aber nicht in – ethnisch diversen Nachbarschaften leben, besonders xenophob und rassistisch?
Zusammenfassung
Sind Menschen, die in einheimisch-homogenen Nachbarschaften wohnen, die an ethnisch-divers zusammengesetzte Nachbarschaften angrenzen oder von diesen sogar umgeben sind, besonders xenophob und rassistisch? Eine erste Untersuchung dieser Frage auf Basis von Umfragedaten aus Deutschland bestätigt die sogenannte Halo-Effekt Hypothese nicht. In diesem Beitrag replizieren wir die Ergebnisse basierend auf einer neuen Stichprobe und erweitern die ursprünglichen Analysen um drei wichtige Fragen: Welche Rolle spielt die kleinräumige Skalierung von Halo-Konstellationen für die Ergebnisse? Haben Einheimische, die in Halo-Konstellationen wohnen tatsächlich besonders wenig positive Kontakterfahrungen mit Menschen mit Migrationshintergrund? Zeigen sich konstante Muster über verschiedene Dimensionen von Xenophobie und Rassismus hinweg? Für alle drei Fragen bestätigen unsere Ergebnisse das Resultat der ursprünglichen Studie: In Deutschland scheint es keine Halo-Effekte zu geben.
Stefan Jünger, Merlin Schaeffer

Wohnorte, Identitäten und Netzwerke

Frontmatter
Kulturelle und ethnische Definitionen von Zugehörigkeit in Ost- und Westdeutschland und im Stadt-Land-Vergleich
Zusammenfassung
Der Beitrag beschäftigt sich mit räumlichen Dimensionen symbolischer Grenzziehungen. Im Mittelpunkt stehen dabei Unterschiede in der Salienz kultureller und ethnischer Definitionen von nationaler Zugehörigkeit zwischen Ost- und Westdeutschland sowie zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. Als zentrale Erklärungsansätze wird die Bedrohungshypothese sowie die Kontakthypothese herangezogen, die sich insbesondere auch auf die räumliche Verteilung von Migrant*innen und daraus resultierende Wahrnehmungs- und Interaktionsprozesse zwischen Mehrheitsangehörigen und Minderheitengruppen beziehen lässt. Basierend auf den Allbus-Daten von 2016 zeigen die Befunde der Regressionsanalysen, dass die ethnische Diversität im Wohnumfeld der Befragten und der Kontakt zu Ausländer*innen kulturelle und ethnische Grenzziehungen reduzieren und damit auch, zumindest teilweise, die räumlichen Unterschiede erklären können. Insgesamt bleiben jedoch gerade im Stadt-Land-Vergleich unterschiedliche kulturelle Grenzziehungen bestehen, die auf weitreichendere Unterschiede im Umgang mit pluralen Lebensformen und Diversität verweisen.
Sabine Trittler, Thomas Wöhler
Welche kontextuellen Faktoren beeinflussen interethnische Beziehungen in der Schule? Eine explorative Netzwerkanalyse
Zusammenfassung
Bezüglich der Frage, wie eine Gesellschaft mit ethnischer Vielfalt umgeht, kommt Schulen eine zentrale Rolle zu. Sie können auf der einen Seite Räume für einen Austausch zwischen Mitgliedern verschiedener ethnischer Gruppen schaffen oder die allgemeine Relevanz von Gruppenzugehörigkeit verringern. Aber auf der anderen Seite können sie auch dazu beitragen, dass eine zunehmende Segregation entlang von Gruppenmitgliedschaften entsteht. In dem folgenden Beitrag untersuchen wir, inwiefern positive sowie negative soziale Beziehungen zwischen 3000 Jugendlichen aus 39 siebten Jahrgangsstufen in Nordrhein-Westfalen durch ihre ethnische Gruppenzugehörigkeit strukturiert sind. Dabei verwenden wir subjektivistische sowie objektivistische Messungen der ethnischen Gruppenzugehörigkeit, um Unterschiede zwischen einer üblichen Einteilung nach Geburtsland mit der selbst berichteten Gruppenzugehörigkeit in Beziehung zu setzen. Zur Analyse der sozialen Beziehungen greifen wir auf netzwerkanalytische Verfahren in Kombination mit Meta-Regressionen zurück. Dies ermöglicht uns festzustellen ob ethnisch diverse Jahrgänge klarere ethnische Grenzen in Freundschaftswahlen und mehr Antipathie Beziehungen über Gruppengrenzen hinweg zeigen. Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Jugendliche mit übereinstimmender ethnischer Gruppenzugehörigkeit sich in Jahrgangsstufen mit einem hohen Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund zwar verstärkt befreunden, jedoch auch mehr Antipathiebeziehungen untereinander ausbilden. Dieser Befund ist konträr zu der Annahme, dass zunehmende Segregation in positiven Beziehungen auf Bedrohungsgefühle und Spannungen zwischen ethnischen Gruppen hindeuten. Zukünftige Forschung sollte verstärkt positive und negative Beziehungen gleichzeitig untersuchen, um besser zu verstehen welche Mechanismen zu der Ausbildung von ethnischen Grenzen und Vorurteilen führen.
Mark Wittek, Sven Lenkewitz, Andrea Wingen, Kathrin Lämmermann, Heike Krüger, Agnes Tarnowski
Metadaten
Titel
Differenz im Raum
herausgegeben von
Dr. Hanno Kruse
Prof. Dr. Janna Teltemann
Copyright-Jahr
2022
Electronic ISBN
978-3-658-35009-3
Print ISBN
978-3-658-35008-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-35009-3