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Open Access 15.02.2024 | HAUPTBEITRAG

Eine Plattform zur Erstellung und Verwendung komplexer virtualisierter IT-Strukturen in Lehre und Forschung mit Open Source Software

Erfahrungen bei der Entwicklung und Nutzung einer neuen Plattform zur Digitalisierung der Hochschullehre

verfasst von: Christian Baun, Martin Kappes, Henry-Norbert Cocos, Malte Martin Koch

Erschienen in: Informatik Spektrum

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Zusammenfassung

In diesem Artikel wird eine an der Frankfurt University of Sciences entwickelte virtuelle Plattform für die Hochschullehre beschrieben, die insbesondere die Erstellung und Verwendung komplexer IT-Strukturen auch für Nichtexperten erlaubt. Bisher waren komplexe Netzwerkstrukturen in der Lehre meist weder virtuell noch physisch mit vertretbarem Aufwand realisierbar, obwohl sie zentraler Bestandteil fundamentaler Lehrveranstaltungen wie Rechnernetze, Verteilte Systeme oder IT-Sicherheit sind. Die hier beschriebene Plattform ermöglicht ein flexibles und praxisnahes Angebot für Dozenten, Wissenschaftler und Studentinnen und Studenten zugleich, indem kurzfristig und einfach komplexe IT-Infrastrukturen virtuell verfügbar gemacht werden. Sie bietet so neue Möglichkeiten zur Gestaltung und Nutzbarmachung virtueller Ressourcen und basiert ausschließlich auf freien Softwarekomponenten. Eingesetzt werden u. a. die Hypervisor-Technologie Proxmox Virtual Environment, die zusammen mit der verteilten Speicherlösung Ceph als Objektspeicherdienst eine Virtualisierungsplattform zur Bereitstellung virtueller Ressourcen anbietet.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Digitalisierung ist eines der wichtigsten Themenfelder unserer Zeit. Entsprechend sieht die im August letzten Jahres vorgestellte Digitalstrategie der Bundesregierung große Vorhaben zur Modernisierung der Infrastruktur vor und hat sich die Erarbeitung von neuen digitalen Diensten und Inhalten für die Verwaltung, das Gesundheitssystem und die Bildung zum Ziel gesetzt. Nicht zuletzt durch die Coronapandemie ist die Akzeptanz digitaler Angebote in der Bildung stark gestiegen. Sie sind mittlerweile auch ein unverzichtbarer Bestandteil hochwertiger und flexibler Lehre, die zeit- und ortsungebunden genutzt werden können. Sie eröffnen sowohl Chancen für Menschen, die nicht in Präsenz studieren oder forschen können, als auch die Gestaltung innovativer Präsenzveranstaltungen unter Einbezug digitaler Komponenten. Elementar für den Nutzen in der Praxis und die Akzeptanz durch die Benutzer ist es, dass die zugrundeliegenden IT-Infrastrukturen einfach benutzbar und hochperformant sind. Dies erfordert einerseits die Gestaltung entsprechender Benutzerschnittstellen, andererseits auch eine hohe Elastizität, um schwankenden Ressourcenanforderungen der Benutzer kurzfristig gerecht werden zu können.
Die Digitalisierung eröffnet in der Hochschullehre vielfältige Chancen, althergebrachte Lehrkonzepte durch moderne Methoden zu ergänzen. So können Laborpraktika durch digitale Angebote, wie Online-Tests oder mediale Inhalte unterstützt werden [3]. In der Praxis finden sich bereits viele Ansätze zur Unterstützung der Hochschullehre durch digitale Inhalte wie die Erstellung von digitalisierten Lehrkonzepten und die Gestaltung von Online-Kursprogrammen [6]. Wichtig sind hierbei die Eignung des Lehrangebots durch die Auswahl einer geeigneten Lehrveranstaltung, die Auswahl der Lehrinhalte und nicht zuletzt die geeignete Bereitstellung der digitalisierten Elemente [4]. Digitale Werkzeuge zur Unterstützung der Lehre wie beispielsweise Moodle [7] entsprechen nicht dem Konzept von virtuellen Lehrangeboten. Solche etablierten Werkzeuge legen den Fokus auf einzelne Aspekte der Organisation und Durchführung von Lehrangeboten wie z. B. die Teilnehmererfassung oder die Organisation von Übungsaufgaben. Das Projekt SKILL/VL konzentriert sich auf die Gestaltung von virtuellen Lehrangeboten, wodurch die Lehre durch Angebote des technologiebasierten Lernens ohne den Zwang von Präsenzunterricht erweitert wird [5].
Während die Bereitstellung virtueller Maschinen und Anwendungen in der Lehre bereits Standard ist, bieten die bestehenden Lösungen nur sehr beschränkte Möglichkeiten, auf einfache Weise komplexe IT-Infrastrukturen für Lehre und Forschung zu konzipieren, zu betreiben und zu nutzen. Doch gerade weil komplexe Infrastrukturen bestehend aus mehreren Rechnern physisch aufgrund des großen Aufwands an Hardware und Platz nur sehr beschränkt in der Lehre realisiert werden können, bietet diese Lücke großes Potenzial für Innovationen in Lehre und Forschung, in den vielen Bereichen wie beispielsweise Rechnernetze, Verteilte Systeme, Internet of Things (IoT), Industrie 4.0 und IT-Sicherheit. Das hier beschriebene Projekt schließt diese Lücke und ermöglicht die intuitive Konfiguration, Bereitstellung und Nutzung komplexer IT-Szenarien auch durch Nutzer mit geringen Vorkenntnissen durch Virtualisierung.
Im Folgenden werden zunächst der technische Aufbau und die praktische Nutzung der Infrastruktur sowie die damit einhergehenden Designentscheidungen bzgl. elementaren Aspekten wie Funktionsumfang, Performance, Skalierbarkeit, Sicherheit, Autorisierung und Authentifizierung beschrieben. Im Anschluss werden Beispiele für den Einsatz der Plattform in der Lehre gegeben.

Infrastruktur

Die im Projekt entwickelte Virtualisierungsplattform wird auf einer Infrastruktur bestehend aus 10 leistungsstarken Servern betrieben, die in einem sog. Clusterverbund vernetzt sind. Bei der Konzeption und Entwicklung des Gesamtsystems steht das Ziel im Vordergrund, dass eine Plattform für virtuelle Lehre aller Fachdisziplinen und perspektivisch für die gesamte Hochschule entwickelt wird. Dieses Fernziel setzt hohe Anforderungen u. a. an die Nutzbarkeit, Skalierbarkeit und Sicherheit des Gesamtsystems.
Um eine zukunftsfähige und flexible Lösung zu schaffen, basiert der genutzte Software Stack der entwickelten Plattform ausschließlich auf freien Softwarekomponenten. Dadurch werden komplizierte und unter Umständen kostenintensive lizenzrechtliche Fragestellungen vermieden. Zudem wird die Virtualisierungsplattform als Cloud-Dienst entwickelt [15], der von der Hochschule selbst auf einer eigenen Hardware-Infrastruktur betrieben und automatisiert eingerichtet wird, prinzipiell aber auch als öffentlicher Public-Cloud-Dienst realisierbar wäre.
Das Kernelement der Plattform ist die Virtualisierungsplattform Proxmox [8]. Diese basiert auf dem Betriebssystem Debian-Linux in Verbindung mit der Hypervisor-Lösung KVM/QEMU (Kernel-based Virtual Machine/Quick Emulator) und bietet zusätzlich Dienste zur Netzwerkvirtualisierung und einen verteilten Objektspeicherdienst. Da Proxmox einen Betrieb auf mehreren Knoten eines Clusters unterstützt und umfangreiche Steuerungswerkzeuge mit sich bringt, eignet es sich ideal als Basis für den Betrieb virtueller Maschinen im professionellen Rahmen und für die Entwicklung einer virtuellen Lernplattform [11, 12].
Die technische Infrastruktur ist als hyperkonvergente Infrastruktur ausgeführt. Unter einer hyperkonvergenten IT-Architektur versteht man eine IT-Infrastruktur, bei welcher alle zum Betrieb der Infrastruktur benötigten IT-Komponenten zentral zur Verfügung stehen und durch softwaredefinierte Komponenten abgebildet werden. So wird beispielsweise auf ein Storage-Netzwerk, welches exklusiv die Speicherung von Daten verantwortet, verzichtet. Das führt zu einer zentralisierten Anordnung von Rechen‑, Speicher‑, Netzwerk- und Virtualisierungstechnologien, wodurch eine Konsolidierung der Komponenten stattfindet und hierdurch Kosten und administrative Aufwände reduziert werden können. Abb. 1 zeigt die Komponenten der Infrastruktur.
Als Lösung zur persistenten Datenhaltung kommt der Objektspeicherdienst Ceph [9] zum Einsatz, welcher als verteilter Speicher die Daten der betriebenen virtuellen Maschinen vorhält. Dieser wird von Proxmox automatisch zur Vergütung gestellt und bietet durch die interne Replikation der Daten und deren Verteilung über die einzelnen Clusterknoten ein sehr hohes Maß an Datensicherheit und eine erhöhte Zuverlässigkeit beim Betrieb. Dazu implementiert Ceph das Backend RADOS (Reliable Autonomic Distributed Object Store), welches die autonome Verteilung der Daten übernimmt und über die Schnittstelle RBD (RADOS Block Device) virtuelle Festplatten der betriebenen virtuellen Maschinen nativ in KVM einbinden kann.
Aufbauend auf der Virtualisierungslösung Proxmox nutzt die Plattform das Protokoll VXLAN (Virtual Extensible Local Area Network) [10] zur Vernetzung der virtuellen Maschinen. Dadurch können virtuelle Netzwerke rein softwaremäßig erstellt, korrigiert und wieder entfernt werden. Das ermöglicht einen weitgehend isolierten Betrieb der virtuellen Maschinen der einzelnen Benutzer. Das Protokoll VXLAN ermöglicht den Betrieb von bis zu 16.777.215 unabhängigen IP-Netzwerken. So können unabhängig von der zugrundeliegenden physischen Netzwerkkonfiguration der Server eigene Netzwerkbereiche für virtuelle Maschinen konfiguriert werden. Nachteile aus Benutzersicht ergeben sich dadurch nicht und es können kurzfristig große, individuelle Netzwerke realisiert werden.
Ein weiteres Kernelement ist die neuartige Weboberfläche (siehe Abb. 2), über die Nutzer einfach auf das digitale Angebot zur virtuellen Lehre zugreifen können. Darüber können Nutzer unabhängig vom Verständnis der zugrundeliegenden technischen Komponenten und IT-Infrastruktur komplexe Szenarien mit virtuellen Maschinen und virtuellen Netzen jeder Größe aufbauen, verwalten und nutzen. Dafür muss der Nutzer lediglich die Komponenten per Drag-and-drop auswählen und kann diese auf übersichtliche Art und Weise zu einem komplexen Netzwerk zusammenfügen und konfigurieren. Zusätzlich können per Knopfdruck virtuelle Festplatten und Netzwerkkarten zu den jeweiligen VMs hinzugefügt werden. Abb. 2 zeigt den Creator zur Erstellung von virtuellen Lernräumen. Vorlagen virtueller Lernräume können mit anderen Nutzern geteilt werden. Durch das Ausführen einer Vorlage werden die VMs und virtuellen Netzwerke automatisch erstellt und konfiguriert. Darauf aufbauend soll es zukünftig Nutzern möglich sein, komplett vorkonfigurierte VMs zur Verfügung zu stellen. Diese intuitive Weboberfläche richtet sich an Personen aller Fachrichtungen, unabhängig von der Tiefe ihres Verständnisses von Informatik. Die Weboberfläche basiert auf dem Webentwicklungs-Framework NextJS [13] und nutzt das Framework ReactFlow [14].
Die Oberfläche bietet Studentinnen und Studenten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Lehrkräften einen einfachen Zugang zum Gesamtsystem und somit die Möglichkeit, in kürzester Zeit komplexe IT-Szenarien zu entwickeln und zu nutzen. Das vereinfacht die Ausgestaltung von neuartigen Lehrveranstaltungen und gleichzeitig die Modernisierung bestehender Module. Mit der Bereitstellung virtueller Ressourcen bekommen Studentinnen und Studenten neue Möglichkeiten zur ortsunabhängigen Bearbeitung von praktischen Lehrinhalten. Außerdem sind die physischen Ressourcen so gestaltet, dass ein hohes Maß an Zuverlässigkeit besteht. Aktuell besteht kein weiteres freies System mit vergleichbaren Eigenschaften.

Interaktion der einzelnen Komponenten

Eine Grundphilosophie besteht in der konsequenten Nutzung freier Software. Daher wird großer Wert auf die Auswahl von etablierten und zuverlässigen Software Frameworks gesetzt. Abb. 3 zeigt die einzelnen Komponenten der Infrastruktur und deren Zusammenspiel. Ein Beispiel für solch einen Dienst innerhalb der Plattform ist Keycloak als Dienst zur Authentifikation der Benutzer. Dieser vermittelt zwischen den einzelnen Ressourcen der Infrastruktur (virtuelle Maschinen, Netzwerke, Lernräume) und dem zentralen Authentifikationsdienst der Hochschule. Der Einsatz von Keycloak steigert die Flexibilität der Plattform, da sich hierdurch ein Single-Sign-On-Dienst realisieren lässt, der zentral innerhalb der Plattform administriert, flexibel erweitert und an andere Authentifikationsdienste externer Dienstleister angebunden werden kann.
Wie bereits beschrieben, wird die Interaktion der Nutzer über eine auf dem Framework NextJS basierende Weboberfläche realisiert. Die hier von den Nutzern erstellten Vorlagen für virtuelle Lernräume können mit anderen Nutzern geteilt und ausgeführt werden. Das Teilen von Ressourcen wird über den Dienst Keycloak mithilfe des Protokolls UMA [22] umgesetzt. Für das Speichern und Ausführen virtueller Lernräume (und Vorlagen) wird mit einem in Python entwickelten Backend kommuniziert. Dieses Backend nutzt das Framework FastAPI zur Kommunikation mit dem Hypervisor Proxmox und realisiert eine REST-Schnittstelle. Auf diese Weise werden die virtuellen Maschinen und VXLANs des virtuellen Lernraums automatisch erstellt und konfiguriert. Jeder virtuelle Switch in einem Lernraum stellt eine eigene VXLAN Bridge dar, wodurch jeder individuelle Lernraum für sich gekapselt ist (siehe Abb. 4). Das zu installierende Betriebssystem kann der Nutzer in der Weboberfläche aus vorkonfigurierten (preseeded) ISOs auswählen. Bei diesen Betriebssystemen ist der QEMU Guest Agent [23] bereits vorinstalliert. Dieser wird vom Backend genutzt, um die Konfigurationen des Nutzers (wie z. B. statische IP-Adressen) anzuwenden. Zusätzlich forciert das Backend (im Livebetrieb eines Lernraums) die Rechte der Nutzer für die einzelnen VMs. So können Nutzer z.B. nicht auf alle VMs in einem Lernraum per VNC zugreifen. Auf diese Weise kann z. B. ein Webserver, den die Studenten nur per API ansprechen können, Teil eines Lernraums sein. Das Backend ist so entwickelt, dass es sich einfach erweitern lässt und auch andere Oberflächentechnologien zum Einsatz kommen können. So ließe sich der Dienst über das jetzige Rechenzentrum hinaus mit Cloud Service Providern wie Amazon Web Services, Google Cloud Plattform oder Microsoft Azure zusammenschalten und zu einem Hybrid-Cloud bzw. Multi-Cloud-Szenario erweitern.

Anwendungsbeispiel und gewonnene Erfahrungen

Ein in der Praxis bereits evaluiertes Anwendungsbeispiel für die Plattform ist die Realisierung von praktischen Übungen im Rahmen eines Moduls zum Thema Rechnernetze.
Abb. 4 zeigt beispielhaft die logische Anordnung der Einrichtung von virtuellen Ressourcen zur Abbildung eines virtuellen Labors. Hierbei sind virtuelle Maschinen mit virtuellen Netzwerkkomponenten verbunden, um den Nutzern eine vollständige Umgebung für Ihre Versuche zur Verfügung zu stellen. Das in Abb. 4 dargestellte Szenario zeigt die Nutzung virtueller Maschinen innerhalb, dank VXLAN, isolierter Netze. Die virtuellen Maschinen sind in jedem virtuellen Lernraum mit einem virtuellen Switch verbunden.
Die einzelnen Maschinen, die Gestaltung des Netzwerks und der Betrieb der virtuellen Ressourcen zeigen die Möglichkeiten der Infrastruktur auf. Eine physische Repräsentation des dargestellten Netzwerks würde für jeden Nutzer (in Abb. 4 Lehrende, Studierende und Mitarbeitende) jeweils vier Rechnerarbeitsplätze und verschiedenste Netzwerkkomponenten (Switch, Router, Kabel etc.) beinhalten, wodurch dieser Versuch im Labor sehr umfangreich und kompliziert wird. So lassen sich an der Frankfurt University of Applied Sciences im normalen Hochschulbetrieb maximal 24 Rechnerarbeitsplätze parallel im physischen Labor für Rechnernetze betreiben, wodurch die Kapazität des Labors sehr eingeschränkt ist. Dagegen bietet die Infrastruktur Kapazität für eine sehr viel größere Anzahl an Studierenden und kann dadurch den Hochschulbetrieb entlasten. Außerdem ist durch die Nutzung von VXLAN jeder virtuelle Raum voneinander gekapselt, wodurch jeder virtuelle Raum einen eigenen logischen Netzbereich erhält. Durch die logische Kapselung der Netze sind die Nutzer frei in der Konfiguration ihrer Netze und es besteht keine Gefahr von Kollisionen auf den Ebenen der Sicherungs- und Vermittlungsschicht, also konkret bei den IP- oder MAC-Adressen. Deshalb eignet sich diese Technik ideal für die Nutzung im Rahmen einer praktischen Netzwerklehrveranstaltung zum Aufbau und Experimentieren mit großen Netzwerken. Eine Abbildung und Simulation eines großen Unternehmensnetzwerks ist so problemlos ohne viel Aufwand auf Knopfdruck möglich. Die Studierenden können dabei entweder in Teams arbeiten oder auch einzeln ein eigenes Unternehmensnetzwerk untersuchen.
Die Untersuchung im Vorfeld durch Lehrende konzipierter Netzwerke ist ein weiterer praktischer Anwendungsfall für die Lehre. Solche Szenarien können beispielsweise mit beabsichtigten Fehlkonfigurationen gespickt sein, um die strukturierte Fehlersuche in realitätsnahen Netzwerken zu trainieren oder um das Aufdecken von Sicherheitsschwachstellen zu vermitteln. Des Weiteren kann auch die Konfiguration von Sicherheitsmechanismen wie Paketfiltern und Firewalls im tatsächlichen praktischen Einsatz erprobt werden.
Im Sommersemester 2023 fand ein erster Testlauf der Plattform mit Bachelorstudierenden der Informatik im Rahmen der Lehrveranstaltung Rechnernetze statt. Die Nutzer absolvierten dabei Laboraufgaben, welche zu Beginn des Semesters auf physischer Hardware absolviert wurden, nochmals in der virtuellen Infrastruktur des Projekts [16]. Konkret wurde ein einfaches Netzwerk bestehend aus vier virtuellen Maschinen mit dem Betriebssystem Debian-Linux konfiguriert und der Netzwerkverkehr zwischen den Maschinen mithilfe des Werkzeugs Wireshark analysiert.
Das Ergebnis dieses Tests war sehr aufschlussreich für die weitere Entwicklung der Plattform hinsichtlich Benutzerfreundlichkeit, Performance und Anwendbarkeit. Ein Problem stellte für viele Studierende anfangs die Umstellung von der physischen zur virtuellen Verkabelung dar, da diese ein erhöhtes Abstraktionsvermögen verlangt. Außerdem gab es unter den Teilnehmern anfangs Herausforderungen beim Verständnis der Weboberfläche, da diese zum Teil noch in einem experimentellen Stand war. Weiter kam es bei der Nutzung der virtuellen Maschinen bei manchen Studierenden zu verzögerten Interaktionen (sog. Lags) mit dem verwendeten VNC-Client noVNC, der serverseitig die Interaktion via VNC-Protokoll mit den Betriebssysteminstanzen auf den virtuellen Maschinen übernimmt und die grafische Ausgabe in einen Webstream für den Browser auf dem Endgerät des Nutzers umwandelt. Die Verzögerungen werden unter anderem auf die zur Verfügung gestellte Netzwerkbandbreite des Netzwerklabors zurückgeführt.
Die Evaluation der Infrastruktur durch die Studierenden hat in Bezug auf die Benutzerfreundlichkeit und Barrierefreiheit zu Erkenntnissen geführt, die in die weitere Entwicklung der Plattform fließen. Darüber hinaus eröffnet das Projekt und die damit einhergehenden Entwicklungsaufgaben vielfältige Möglichkeiten für Abschlussarbeiten [17] aus der Lehreinheit Informatik. Zahlreiche Abschlussarbeiten konnten bereits erfolgreich abgeschlossen werden.

Weitere Anwendungsbeispiele in der Lehre

Der Praxiseinsatz im Modul Rechnernetze hat nur ein erstes Anwendungsbeispiel in der Lehre gezeigt. Weitere Module profitieren von der Nutzung von virtuellen Lernräumen. Eine Anwendung in den Lehrveranstaltungen Verteilte Anwendungen lässt den Entwurf von verschiedenen verteilten Architekturen zu. Das ermöglicht Studierenden einerseits eine grafische Darstellung der Architekturen und andererseits eine Interaktion mit den Softwarekomponenten der einzelnen Ebenen der Architektur. Schichtenarchitekturen wie die Drei-Schichten-Architektur lassen sich ebenso gut darstellen wie komplexe serviceorientierte Architekturen [18].
Die virtuelle Lernplattform des Projekts kann auch weitere Aspekte verteilter Systeme darstellen. So können Anwendungen aus dem Themenkomplex des verteilten und parallelen Rechnens in den gängigen Programmiersprachen wie C oder Python und mit der Bibliothek MPI (Message Passing Interface) [19] auf der Plattform entwickelt, ausgeführt und untersucht werden. Durch die Möglichkeiten der automatisierten Erstellung komplexer Infrastrukturen eignet sich die Plattform zur virtuellen Abbildung von Rechnerclustern. Hierdurch kann der Aufwand beim Aufbau und Betrieb eines Clusters sowohl für Studierende als auch für Lehrende erheblich reduziert werden. Naheliegend ist auch die Anwendung in der Lehrveranstaltung Cloud Computing. Der Aufbau und Betrieb von Diensten kann mit der Plattform ideal abgebildet werden und so das Verständnis der Studierenden in praktischen Übungen fördern. Cloud-Architekturen lassen sich grafisch abbilden und verringern dadurch die Abstraktion bei der Übertragung von theoretischen Lehrinhalten in die Praxis.
Ein weiterführendes Beispiel ist die Anwendung im Zusammenhang mit Internet of Things (IOT). Physische Sensoren können über das Netzwerk mit virtuellen Knoten in der Plattform kommunizieren. Dadurch kann Studierenden eine praktische Abbildung von Cyber Physical Systems (CPS) [20] zur Verfügung gestellt werden. Der logische Fluss von Daten von Sensoren zur Cloud kann auf einfache Weise dargestellt werden. So können auch Industrie‑4.0‑Szenarien Anwendung finden und die Komplexität der Thematik durch den Einsatz eines grafischen Editors (siehe Abb. 2) reduziert werden.

Zukünftige Erweiterungen

Der bisherige Projektstand dokumentiert bereits die Realisierbarkeit der im Vorhaben gesteckten Ziele. Aufbauend hierauf sollen noch weitere innovative Konzepte evaluiert und implementiert werden. Weitere Verbesserungen der Weboberfläche, die eine noch intuitivere und einfachere Benutzung ermöglichen, wurden bereits erarbeitet. Eine barrierefreie Version der Plattform, welche die WCAG 2.1 (Web Content Accessibility Guidelines) [21] berücksichtigt, wäre ebenfalls wünschenswert, um Studierende und Lehrende mit Einschränkungen die uneingeschränkte Nutzung des Diensts zu ermöglichen. Die Nutzung von weiteren Image-Varianten soll den Anwendungsbereich der Plattform erweitern. So sollen den Nutzern unter anderem verschiedene Linux-Distributionen zur Verfügung gestellt werden. Die Einbindung von Windows VMs in das System ist grundsätzlich möglich. Aufgrund der Fokussierung auf Open-Source-Komponenten wurden VMs mit proprietären Betriebssystemen aber bisher nicht priorisiert betrachtet.

Fazit

Die im Projekt angestrebte Realisierung einer virtuellen Lernplattform für die Hochschullehre, die insbesondere die Erstellung und Verwendung komplexer IT-Strukturen auch für Nichtexperten in der Lehre erlaubt, konnte unter ausschließlicher Verwendung von freier Software erfolgreich realisiert werden. Die entwickelte Weboberfläche und die Einrichtung der zugrundeliegenden Infrastruktur sind bereits durch Studierende erfolgreich evaluiert worden. Im nächsten Schritt ist der produktive Einsatz der Plattform in verschiedenen Lehrveranstaltungen vorgesehen. Dabei ist eine engmaschige Begleitung durch Performancemessungen und Evaluationen geplant, um sowohl Daten über die technischen Charakteristika wie u. a. Zuverlässigkeit und Skalierbarkeit des Dienstes zu erhalten sowie Verbesserungswünsche der Nutzer zu erhalten. Diese sollen dann in die nächste Version der Plattform einfließen.

Förderung

Das in diesem Artikel beschriebene Projekt SKILL/VL ist Teil des Projektverbunds SKILL (Strategische Kompetenzplattform – Innovativ Lernen und Lehren) [1], welches durch die Initiative Hochschullehre durch Digitalisierung stärken der Stiftung Innovation in der Hochschullehre [2] an der Frankfurt University of Applied Sciences gefördert wird.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
3.
Zurück zum Zitat Lermen M (2017) Digitalisierung der Hochschullehre. Handbuch Kompetenzentwicklung im Netz: Bausteine einer neuen Lernwelt. Stuttgart, Bd. 338 Lermen M (2017) Digitalisierung der Hochschullehre. Handbuch Kompetenzentwicklung im Netz: Bausteine einer neuen Lernwelt. Stuttgart, Bd. 338
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Zurück zum Zitat Handke J (2015) Handbuch Hochschullehre Digital. Leitfaden für eine moderne und mediengerechte Lehre. Tectum, Marburg Handke J (2015) Handbuch Hochschullehre Digital. Leitfaden für eine moderne und mediengerechte Lehre. Tectum, Marburg
6.
Zurück zum Zitat Beckmann A (2020) Digitalisierung in der Hochschullehre: Erfahrungen mit dem MathEdu Digital-Lehrkonzept und zur Akzeptanz digitaler Lehrelemente durch die Studierenden. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und. Praxis, der Medienbildung, S 1–20 Beckmann A (2020) Digitalisierung in der Hochschullehre: Erfahrungen mit dem MathEdu Digital-Lehrkonzept und zur Akzeptanz digitaler Lehrelemente durch die Studierenden. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und. Praxis, der Medienbildung, S 1–20
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Zurück zum Zitat Athaya, H., Nadir, R. D. A., Indra Sensuse, D., Kautsarina, K., & Suryono, R. R. (2021). Moodle Implementation for E‑Learning: A Systematic Review. Proceedings of the 6th International Conference on Sustainable Information Engineering and Technology, 106–112. Presented at the Malang, Indonesia. https://doi.org/10.1145/3479645.3479646 Athaya, H., Nadir, R. D. A., Indra Sensuse, D., Kautsarina, K., & Suryono, R. R. (2021). Moodle Implementation for E‑Learning: A Systematic Review. Proceedings of the 6th International Conference on Sustainable Information Engineering and Technology, 106–112. Presented at the Malang, Indonesia. https://​doi.​org/​10.​1145/​3479645.​3479646
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Zurück zum Zitat Mahalingam, M., Dutt, D., Duda, K., Agarwal, P., Kreeger, L., Sridhar, T., ... & Wright, C. (2014). Virtual extensible local area network (VXLAN): A framework for overlaying virtualized layer 2 networks over layer 3 networks (No. Rfc7348). Mahalingam, M., Dutt, D., Duda, K., Agarwal, P., Kreeger, L., Sridhar, T., ... & Wright, C. (2014). Virtual extensible local area network (VXLAN): A framework for overlaying virtualized layer 2 networks over layer 3 networks (No. Rfc7348).
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Zurück zum Zitat Richards M, Ford N (2021) Handbuch moderner Softwarearchitektur : Architekturstile. Patterns (und Best Practices) Richards M, Ford N (2021) Handbuch moderner Softwarearchitektur : Architekturstile. Patterns (und Best Practices)
20.
Metadaten
Titel
Eine Plattform zur Erstellung und Verwendung komplexer virtualisierter IT-Strukturen in Lehre und Forschung mit Open Source Software
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verfasst von
Christian Baun
Martin Kappes
Henry-Norbert Cocos
Malte Martin Koch
Publikationsdatum
15.02.2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Informatik Spektrum
Print ISSN: 0170-6012
Elektronische ISSN: 1432-122X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00287-024-01559-x