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2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

2. Forschungsstand der digitalen Parteienforschung

verfasst von : Dennis Michels

Erschienen in: Digitaler Wandel in der SPD

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Der Forschungsstand dient der Kontextualisierung des Untersuchungsgegenstands. Das Forschungsvorhaben wird außerdem durch den Forschungsstand begründet, indem die Forschungslücken aufgezeigt werden, die die Studie füllt. In drei Abschnitten wird die relevante Literatur beschrieben, um daran anschließend die adressierten Forschungslücken zu benennen: Es geht um die historische Entwicklung des Forschungsfelds digitale Parteienforschung, fallspezifische Erkenntnisse aus dem In- und Ausland und Erkenntnisse zum Organisationswandel der SPD.

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Fußnoten
1
Das Forschungsfeld, das sich mit der Digitalisierung von Parteien befasst, wird hier als digitale Parteienforschung bezeichnet. Diese Bezeichnung existiert bislang in der Parteienforschung nicht, wird aber als gerechtfertigt angesehen, da sich das Feld als gemeinsames Merkmal mit dem Zusammenhang von Digitalisierung und Parteien befasst, dabei aber Subdisziplinen wie Parteiorganisationsforschung oder Parteienwandelforschung nicht eindeutig zugeordnet werden kann. Sie ist zugleich eine Referenz an das gleichnamige Forschungsprojekt Digitale Parteienforschung (DIPART) Parteien im digitalen Wandel der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen, in dessen Kontext die Studie entstanden ist.
 
2
Die Zunahme der digitalen Aktivitäten der Parteien in den sozialen Medien wie Facebook oder Twitter hat mittlerweile eine praktisch unüberschaubare Anzahl von Studien nach sich gezogen, die die Interaktionen der Parteien mit den dort aktiven Bürger*innen nachvollziehen und sich dabei insbesondere auf die Wahlkampfkommunikation beziehen (Bernhard et al. 2016; Caton et al. 2015; Geise und Podschuweit 2019; Fitzpatrick 2018; Gibson 2013; Gibson und McAllister 2011; Hinz 2015; Jungherr 2015; Kalsnes et al. 2017; Koc-Michalska et al. 2016; Lachapelle und Maarek 2015; Lilleker 2016; Nielsen und Vaccari 2013; Quinlan et al. 2018; Schwanholz und Busch 2016; Schweitzer und Albrecht 2011; Stier et al. 2018). Diese Studien zum Thema digitale Kommunikation der Parteien, die sowohl von politikwissenschaftlicher als auch von kommunikationswissenschaftlicher Seite publiziert werden, bleiben in dieser Aufarbeitung unberücksichtigt, da sie nur wenig zum Erkenntnisinteresse der innerparteilichen Organisation von Digitalisierung, der Ausrichtung von Digitalisierung in Bezug auf innerparteiliche Entscheidungen oder der Begründung von Digitalisierung in Parteien beitragen.
 
3
Unter diesen wird bis heute insbesondere Robert Michels ehernes Gesetz der Oligarchie breit rezipiert, eine umstrittene These auf Basis einer Untersuchung der SPD im Kaiserreich, nach der sich mit Blick auf das Verhältnis von Parteiführung und Parteibasis zwangsläufig oligarchische Strukturen entwickeln, sobald die Partei einen gewissen Organisationsgrad erreicht hat. Diese These wurde auch von Michels persönlichem Bekannten Max Weber gestützt, der von einer Bürokratisierung der Parteien sprach, d. h. einer „legale[n] Herrschaftsform einer nach verfahrensmäßigen Regeln operierenden Verwaltungstätigkeit, welche den persönlichen Freiheitsraum immer stärker einschränke”, was zur „Herausbildung bürokratischer Eliten” führe und der Idee einer innerparteilichen Demokratie widerspreche (Llanque 2007, S. 491).
 
4
Hier wird darüber hinaus deutlich, dass auch die mangelhafte Spezifikation des Konzepts Digitalisierung die Ausdifferenzierung in verschiedene Perspektiven begünstigt. Berg, Rakowski und Thiel (2020) können mit ihrem vielversprechenden Ansatz der „digitalen Konstellation” Abhilfe schaffen.
 
5
Die erste Parteiwebseite der im deutschen Bundestag vertretenen Parteien eröffnete die SPD unter der noch immer bestehenden Adresse spd.de im August 1995. Es folgten die CDU mit cdu.de im Oktober 1995 und die FDP mit fdp.de im Dezember 1995. Mit einem Jahr Abstand wurde die Webseite von Bündnis 90/Die Grünen, gruene.de, im November 1996 eröffnet und noch einmal anderthalb Jahre später, im April 1998, die Seite pds-online.de der damaligen PDS und heutigen Linke (Bieber 2001, S. 10).
 
6
Im Jahr 2000 besuchten nur etwa 10 % der Menschen mit Internetzugang in der EU überhaupt Parteiwebseiten, darunter hauptsächlich Sympathisant*innen (Ward et al. 2003, S. 24–25).
 
7
Eine ausführliche Analyse des virtuellen Parteitags von Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg im November/Dezember 2000 liefert Westermayer (2001).
 
8
Seit ca. 2005 entwickelte sich der Begriff als „Chiffre für eine Reihe von Veränderungen […], die die gegenwärtige Gestalt des Internet prägen“, so Schmidt (2009, S. 11–12). Dies beinhaltete unter anderem die stärker verbreitete Bereitstellung von Software-Anwendungen über das Internet, z. B. Tabellen- und Textverarbeitung oder Kalender sowie eine vereinfachte Kombinierbarkeit von Internet-Diensten (Schmidt 2009, S. 13–14). Möglich wurde dies durch die Weiterentwicklung von Technologien der Datenübertragung (ISDN, DSL), die höhere Datenübertragungsgeschwindigkeiten boten. Neuartige Formen des Informationsaustausches und auch hierdurch entstehende soziale Beziehungen und kollaborative Gemeinschaften wurden im Sinne einer kommunikationssoziologischen Perspektive als „Social Web“ bezeichnet (Schmidt 2009, S. 21). Der Begriff beinhaltete zudem neue Möglichkeiten des Beziehungsmanagements, Identitätsmanagements und Informationsmanagements (Schmidt 2009, S. 71–103).
 
9
Obwohl der Ausdruck 2.0 einen plötzlichen Entwicklungssprung suggeriert, kommt Schmidt (2009, S. 21) zu dem Schluss, dass es sich dabei keinesfalls um einen Bruch mit früheren Entwicklungen handelt, sondern stattdessen viele der als neu bezeichneten Möglichkeiten Vorläufer seit den 1990er Jahren hatten. Somit ist der Begriff Web 2.0 für ihn vor allem ein Mythos des Fortschritts, der eine neue Entwicklungsstufe des Internets suggeriert, die Hoffnungen auf wirtschaftlichen Erfolg und positive gesellschaftliche Entwicklungen schürt. Als neue Entwicklungen galten nichtsdestotrotz die Produktion kollaborativer Wissensbestände wie Wikipedia, aber auch Netzwerkplattformen wie Facebook oder Twitter, Multimediaplattformen wie YouTube sowie Weblogs, Podcasts oder Instant Messenger.
 
10
Nach ihrer Gründung im September 2006 fristete die Partei in Deutschland eher ein Nischendasein, was sich im Jahr 2009 im Zuge der sogenannten Zensursula-Debatte um einen Gesetzesentwurf der Familienministerin Ursula von der Leyen zur Ermöglichung von Netzsperren sowie nach dem Einzug der Partei in das Berliner Abgeordnetenhaus 2011 schlagartig änderte. Die Piraten erhielten in der Folge massiven Zulauf und vervielfachten ihre Mitgliederzahlen (Niedermayer 2013b, S. 91; Bieber 2012, S. 28–29; Klecha 2013, S. 208–215).
 
11
Im Zuge der stark ausgeweiteten digitalen Parteiarbeit während der Corona-Pandemie im Jahr 2020 flammte die Diskussion um eine Änderung des Parteiengesetzes wieder auf. Besonders die Ermöglichung von digitalen Abstimmungen bei Personenwahlen und Satzungsänderungen auf digital organisierten Parteitagen stand dabei im Mittelpunkt der Gespräche zwischen den Generalsekretär*innen der Parteien. Für die Piraten kam diese Initiative allerdings ca. acht bis zehn Jahre zu spät.
 
12
Eine detaillierte Zusammenschau der Beteiligungszahlen verschiedener Online-Beteiligungsinstrumente der Piratenpartei auf Bundes- und Landesebene liefert Koschmieder (2016, S. 123–137). Alle betrachteten Beteiligungsinstrumente wiesen Beteiligungsraten zwischen ca. 0,1 % und 10 % auf, sowohl was abgegebene Stimmen als auch Erarbeitung von Anträgen und weitere Formen der Beteiligung anging.
 
13
Ebenso wie für Beteiligung in physischer Präsenz bereits nachgewiesen, beteiligten sich auch online eher Menschen mit höherem Einkommen und höherem Bildungsabschluss, d. h. eine sozioökonomische Elite. Zusätzlich spielte der Faktor Internetaffinität eine Rolle für die Wahrscheinlichkeit, sich online zu beteiligen. Diese Affinität war bei jungen, urbanen, einkommensstarken und hochgebildeten Menschen höher ausgeprägt. Fazit war somit, dass Instrumente der Online-Beteiligung in der Piratenpartei kein Mittel zur Durchbrechung sozialer Ungleichheit in der innerparteilichen Beteiligungsstruktur darstellten.
 
14
Textuelle Kommunikation beziehe sich stark auf eine „besonders abstrakte Rationalitätsebene“ (Klecha und Hensel 2013, S. 71), wodurch Rhetorik, Charisma, Emotionen, habituelle Gemeinsamkeiten, Vertrauen, gemeinsame Erfahrungen und damit auch Glaubwürdigkeit und Seriosität von Redner*innen mindestens nachgeordnet behandelt, wenn nicht sogar ausgeblendet würden.
 
15
Für eine Unterscheidung von innerparteilichen Entscheidungsinhalten siehe Treibel (2012).
 
16
Die in der SPD praktizierte Online-Abstimmung rief Kritik, u. a. des Chaos Computer Clubs hervor, da die Wahlgrundsätze der geheimen und zugleich nachvollziehbaren Wahl mit Wahlcomputern nicht realisierbar seien. Das Verfahren wurde jedoch trotz dieser Kritik durch die Partei durchgeführt und für gültig befunden (Peteranderl 2019).
 
17
Die Geschichte der SPD beschreiben z. B. Grunden (2017a), Spier und Alemann (2013), Jun (2018b) und Walter (2018).
 
18
Es werden hier nur solche Merkmale aufgegriffen, die als Besonderheit der SPD gelten. Für eine allgemeine Beschreibung von Organisationsmerkmalen deutscher Parteien siehe Korte et al. (2018), Bukow und Poguntke (2013) sowie Jun (2010).
 
19
In der SPD sei die Untergliederung stärker von programmatisch-ideologischen Unterschieden geprägt, weniger von sozialstrukturellen Unterschieden, anders als z. B. in der CDU. Kennzeichnend für die SPD seien daher die informellen, programmatische Richtungen repräsentierenden Flügel, d. h. der als konservativ geltende Seeheimer Kreis, die Parlamentarische Linke und die den Seeheimern nahe stehenden Netzwerker (Grunden 2017a, S. 58). Laut Grunden verläuft die „ideologisch-programmatische Fragmentierung der SPD […] quer durch die regionalen Untergliederungen und Arbeitsgemeinschaften und bildet somit eine eigene Ebene der sozialdemokratischen Stratarchie” (Grunden 2017a, S. 58). In der Bundestagsfraktion sei sie formalisiert und kenne offizielle Mitgliedschaften, in den Landtagsfraktionen und Landesverbänden sei sie informell vorhanden. In der Entscheidungsstruktur der Partei hänge der Einfluss von der persönlichen Stellung ihrer Führungsfiguren ab – der linke Flügel der SPD gelte seit dem Rücktritt Oskar Lafontaines zwar als kritisches Korrektiv, konnte aber keine Führungspositionen mehr in der Partei bekleiden, sodass aktuell von einer Dominanz der Seeheimer und der Netzwerker auszugehen sei. Seit der Wahl der neuen Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken Ende 2019 könnte sich dies allerdings ändern, da beide als Vertreter des linken Flügels gelten, Esken auch als offizielles Mitglied der Parlamentarischen Linken in der Bundestagsfraktion. Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles von Partei- und Fraktionsvorsitz im Juni 2019 wurde außerdem der Fraktionsvorsitz zunächst kommissarisch, ab September 2019 dann formal von Rolf Mützenich übernommen, der ebenfalls Mitglied der Parlamentarischen Linken ist.
 
20
Dies gilt nur insofern die Funktionär*innen nicht selbst öffentliche Amtsträger*innen sind.
 
21
Grunden (2017b) kritisiert insbesondere Walter (2018, 2010) für seine Erzählung der dauerhaften Krise der SPD, die in seiner verengten theoretischen Perspektive begründet sei.
 
22
Letzteres zeigte sich zum Beispiel in neuen Möglichkeiten der Direktwahl von „Wahlkreiskandidaten für Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen” (Jun 2009, S. 196) und auch in der Urwahl des Kanzlerkandidaten oder der Kanzlerkandidatin (Jun 2018a, S. 947).
 
23
Zum zweiten Mal nach der Wahl Rudolf Scharpings 1993 (Jun 2018a, S. 940) wurde 2019 eine Mitgliederbefragung über den Parteivorsitz durchgeführt, die faktisch als Mitgliederentscheid behandelt wurde. Somit scheint sich diese Reform in der Praxis als wirkungsvoll zu erweisen.
 
24
Hier weist Bukow (2014, S. 143–144) darauf hin, dass dies dem per Umfrage ermittelten Wunsch der Mitgliedschaft entspräche, die „Meinungsbildung im Web 2.0“ nicht auszuweiten. Zumindest stehen sich in dieser Frage im Jahr 2010 etwa gleich viele Befürworter*innen und Gegner*innen gegenüber.
 
25
Allerdings schien in den Folgejahren weiter über eine zufriedenstellende Zahl von Vorstandsmitgliedern gerungen zu werden, da bereits auf dem Parteitag 2013 das Präsidium wieder eingeführt wurde, auf dem Parteitag 2017 der Vorstand wieder auf 45 Mitglieder erweitert (Jun 2018a, S. 949) und auf dem Parteitag 2019 wieder auf 34 Mitglieder verkleinert wurde.
 
Metadaten
Titel
Forschungsstand der digitalen Parteienforschung
verfasst von
Dennis Michels
Copyright-Jahr
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-35517-3_2