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1998 | Buch

Fraktionen im Deutschen Bundestag 1949 – 1997

Empirische Befunde und theoretische Folgerungen

verfasst von: Suzanne S. Schüttemeyer

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Vorwort

Vorwort
Zusammenfassung
Mit guten Gründen wurde die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland von Anfang an als “parlamentarisch” klassifiziert, der Deutsche Bundestag seit mehr als zwanzig Jahren als “Fraktionenparlament” gekennzeichnet. Erstaunlicherweise blieb die gleichermaßen entschieden aus dieser Perspektive analysierende Studie aus. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Teil von der hier entstandenen Bringeschuld der politologischen Parlamentarismusforschung abzutragen. Mit ihr sollen gleichzeitig Bedingungen weiter erhellt und reflektiert werden, unter denen Parlamente zu wirksamen und akzeptablen Regelungen für eine komplexe Gesellschaft kommen können. Sind dazu professionelle Parlamentarier und professionelle parlamentarische Institutionen und Strukturen unabdingbar? Oder stehen in jeder Hinsicht professionell betriebene Politik und demokratische Repräsentation in — theoretischem wie praktischem — Widerspruch zueinander?
S. S. Schüttemeyer

Fraktionen — Stiefkinder der Parlamentsforschung: Ein Problemaufriß

I. Fraktionen — Stiefkinder der Parlamentsforschung: Ein Problemaufriß
Zusammenfassung
“Ein Fraktionschef ist einer, ein Minister ist nur ein Zwanzigstel.”1 So wie Helmut Schmidt dies 1966 formulierte und es vorzog, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag zu werden, anstatt als Ressortchef in der Großen Koalition zu wirken, so empfanden es auch Bundestagskollegen anderer Parteien, als sie vor die Wahl zwischen Ministeramt und Fraktionsvorsitz gestellt waren. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Barzel nahm Bundeskanzler Kiesingers Angebot, in sein Kabinett einzutreten, nicht an, weil er “die Arbeit im Parlament und mit der Fraktion… für dringlicher”2 hielt. Hans-Dietrich Genscher wäre 1969 “am liebsten… Vorsitzender der F.D.P.-Bundestagsfraktion geworden”, hätte dies als “durchaus folgerichtig” angesehen, “denn seit 1965, seit meinem Einzug als Abgeordneter ins Parlament, war ich als Parlamentarischer Geschäftsführer tätig”3. Und erst als der amtierende Fraktionsvorsitzende Wolfgang Mischnick seine Position nicht gegen einen Sitz im Kabinett eintauschen wollte, wurde Genscher Innenminister. Wolfgang Schäuble verließ sogar das Innenministerium, um 1991 Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU zu werden; in Bonn wurde dies als notwendiger und/oder logischer nächster Schritt auf dem Weg zu Schäubles Kanzlerschaft interpretiert4.
Suzanne S. Schüttemeyer

Fraktionen als zentrale Aktionseinheiten des Bundestages

1. Die Fraktionen als Organisation
Zusammenfassung
Politische Ziele und Methoden von Mehrheitsfraktionen und Oppositionsfraktionen im Alltagsgeschäft des parlamentarischen Regierungssystems sind verschieden. Die Regierungsmehrheit fungiert in erster Linie als “Resonanzboden des politisch Zumutbaren”1, während die Aufgabe der Opposition darin liegt, Kritik und Kontrolle zu üben, sachliche und personelle Alternativen darzustellen. Folgerichtig ist die Initiative zur Gesetzgebung bei der Regierung zu verorten und ansonsten als Reserve- und Restfunktion zu verstehen, die seitens der Opposition als Kontrolle gegenüber einer aus ihrer Sicht handlungsunfähigen Regierung aktualisiert wird, während die Mehrheit bestrebt ist, “die Initiative des Parlaments zu erübrigen”, indem sie “beständig die Initiativfähigkeit, das heißt die Konzeptions- und Handlungsfähigkeit der Regierung zu gewährleisten versucht und damit der Regierung die Wahrnehmung der Initiativfunktion geradewegs aufzuzwingen sich bemüht”2.
Suzanne S. Schüttemeyer
2. Die Fraktionen im Prozeß der Wahl und Rekrutierung von Kanzlern und Ministern
Zusammenfassung
Im parlamentarischen Regierungssystem ist das auf den kontinental-europäischen Konstitutionalismus zurückgehende dualistische Gewaltenteilungsmodell mit seinem Gegenüber von Parlament und Regierung zwar nicht vollständig verschwunden — vor allem nicht in der Perzeption vieler Beobachter und (mindestens partiell und temporär) auch Akteure. Es ist aber so weitgehend modifiziert worden, daß es schwerfällt, Steffanis systematisch gewiß zutreffender Einschätzung zu folgen, die alte Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative sei lediglich “überlagert”, nicht jedoch “verdrängt” worden. Zuvor bezeichnet er selbst den neuen gewaltenteilenden Dualismus als “grundverschieden von dem, der zuvor das Wechselverhältnis von ‘Exekutive’ und ‘Legislative’ kennzeichnete”1.
Suzanne S. Schüttemeyer
3. Die Fraktionen als Opportunity Structure: Handlungsmöglichkeiten und Handlungsrestriktionen für die Abgeordneten
Zusammenfassung
Allenthalben stößt man auf journalistisch vermittelte Impressionen aus und über Fraktionen. Ein aktuelles und besonders gelungenes Beispiel aus der 13. Legislaturperiode:
“Irgendwann während der Fraktionssitzung leimte sich Kurt Faltlhauser, der Staatssekretär im Finanzministerium, hinüber zu Wolfgang Schäuble und raunte ihm zu: Wolfgang, Du bist a Schachspieler.’ Das muß ungefähr zu dem Zeitpunkt gewesen sein, als Wolfgang Bötsch, der Postminister, die Diskussion im Saal mit den Worten kommentierte, nun sei alles gesagt — nur noch nicht von allen. Und dies war dann auch der Moment, in dem das wohl größte sozialpolitische Reformwerk der Legislaturperiode von der CDU/CSU-Fraktion akzeptiert wurde und ein monatelanges Ringen um das Kindergeld zwischen den Familien- und Finanzpolitikern ein Ende fand.
Ein Ringen, ein Taktieren und Finassieren, wie es typischer kaum sein kann für die komplizierte Art, mit der in der Koalition und ihren vielen Gremien Politik gemacht wird. Es ist dieses Geflecht von Arbeitsgruppen und Koalitionsrunden, das Schäuble wie kein zweiter durchschaut, und durch dessen Verdrahtungen er Signale zu senden versteht, die schließlich — wenn sich alles fügt — den Organismus in einem Takt schlagen lassen. Jetzt, wo sich die Koalition in ihrem Erfolg sonnt, wird er wieder als Meistertaktierer gelobt.
In der Tat hat Schäuble in den vergangenen zwei Wochen auf ein Kindergeldmodell hingearbeitet, das er dann in nur zwei Tagen schier handstreichartig in der Koalition durchsetzte. Eine Arbeitsgruppe zur Familienpolitik hatte in quälenden Sitzungen Modell nach Modell diskutiert, Tabellen gewälzt und Rechnungen angestellt. Den gordischen Knoten aber durchschlug Schäuble, der ... ein neues Modell entstehen ließ....
Schäuble mußte nun seinen Vorschlag in das Koalitionsgeflecht einspeisen. Ende der vergangenen Woche begann er mit seiner Überzeugungstour, informierte wohl Helmut Kohl und Kanzleramtsminister Bohl. Bohl jedenfalls verschickte einen von ihm ausgearbeiteten Vorschlag an die schwer ackernde Kindergeld-Arbeitsgruppe — ein geschickt eingefädeltes Manöver, um von Schäubles Vorstoß öffentlich abzulenken. Wie zu erwarten, wurde das Papier vom familienpolitischen Sprecher der Union, Walter Link, am Wochenende herausposaunt.
Während die Nation noch über der ausgelegten Fährte rätselte, ging Schäuble am Montag im Präsidium der CDU in die Offensive und traf auf großen Zuspruch. Wenige Stunden später bearbeitete er die nächste Ebene im Geflecht, die Arbeitsgruppe, in der auch FDP und CSU versammelt waren. Hier argumentierte er vorsichtiger, kleidete seinen Vorschlag in eine Frage....
Am Dienstagmorgen wurde Schäubles Plan in der Koalitionsrunde gutgeheißen — dann ging es Schlag auf Schlag: Schäuble änderte die Tagesordnung der Fraktionssitzung, zog die Debatte über die Familie um Stunden vor, massierte und bearbeitet die Abgeordneten, wägte, erklärte. Gerhard Stoltenberg, früher mal Finanzminister, investierte viel Herzblut gegen die Reform, konnte aber nicht überzeugen. Zu stark war die Phalanx der Familienpolitiker. Und Helmut Kohl? Der war gar nicht erst gekommen...”1
Suzanne S. Schüttemeyer
4. Zusammenfassung: Die empirischen Befunde im Lichte von Spannungsfeldern des Parlamentarismus
Zusammenfassung
Im folgenden werden die empirischen Befunde, wie sie im Verlauf der Studie herausgearbeitet worden sind, zusammengefaßt. Insofern handelt es sich um eine Chronologie der Erkenntnisse; sie folgt dem Aufbau der Arbeit, intendiert also keine Prioritätenfolge im Sinne des Voranschreitens vom weniger Wichtigen über Wichtigeres zum Wichtigsten. Die einzelnen Punkte der Zusammenfassung stellen zunächst unterschiedslos Mosaiksteine dar. Diese sind erst einmal überhaupt zu erfassen. Sodann sind sie gegeneinander in ihrer äußerst differierenden Bedeutung zu gewichten, um endlich zum Bild der Fraktionen im Bundestag zusammengefügt zu werden.
Suzanne S. Schüttemeyer

Professionalisierung der Politik — Verdrossenheit der Bürger: Repräsentationspraktische und repräsentationstheoretische Dimensionen des Themas

III. Professionalisierung der Politik — Verdrossenheit der Bürger: Repräsentationspraktische und repräsentationstheoretische Dimensionen des Themas
Zusammenfassung
Skepsis und Kritik gegenüber Repräsentation kommen aus verschiedenen Richtungen: Seit den achtziger Jahren und verstärkt nach dem als Epoche machend empfundenen Jahr 1989 wird aus demokratie- und gesellschaftstheoretischer Perspektive normativ die Angemessenheit, empirisch die Funktionsfähigkeit der repräsentativen Demokratie diskutiert, zuweilen gar manches Ende beschworen oder befürchtet — das Ende der Geschichte1, das Ende der Demokratie2, das Ende der Utopie3. Aus Sicht von Akteuren, Teilnehmern, Betroffenen und Beobachtern wird gleichermaßen — teilweise konkret, teilweise diffus — Klage geführt über alltägliche wie strukturelle Fehlentwicklungen in den Kommunikationsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Politik, zwischen Bürgern und Politikern, insbesondere über Defizite in der Vertretung von Interessen, in der Vermittlung und Verantwortung von Politik. Repräsentative Demokratie mit ihren Institutionen erscheint vielen Bürgern zunehmend als (theoretisch mehr schlecht als recht verbrämter) Demokratie-Ersatz, in dem eine politische Klasse dominiert, die -abgekoppelt von der “normalen” Lebenswelt — vor allem an ihrer Selbsterhaltung interessiert ist.
Suzanne S. Schüttemeyer
Backmatter
Metadaten
Titel
Fraktionen im Deutschen Bundestag 1949 – 1997
verfasst von
Suzanne S. Schüttemeyer
Copyright-Jahr
1998
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-80352-8
Print ISBN
978-3-531-13046-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-80352-8