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Open Access 2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

3. Frieden durch Recht – Recht durch Krieg?

verfasst von : Ines-Jacqueline Werkner

Erschienen in: Gerechter Frieden

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Das Paradigma „Frieden durch Recht“ gehört – wie zu Beginn des Beitrages bereits ausgeführt – zu den Grundpfeilern des Leitbildes des gerechten Friedens; es prägt in hohem Maße die Friedensdenkschrift der EKD. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass das Recht sowohl im innergesellschaftlichen und -staatlichen Bereich als auch in den internationalen Beziehungen das Zusammenleben der Menschen ordnen und divergierende Interessen zur Deckung bringen kann. Für internationale Zusammenhänge kommt daher dem Völkerrecht eine wichtige friedenssichernde Funktion zu.
Hinweise
Diese Überschrift ist dem Titel von Lothar Brock (2020) entnommen.
Das Paradigma „Frieden durch Recht“ gehört – wie zu Beginn des Beitrages bereits ausgeführt – zu den Grundpfeilern des Leitbildes des gerechten Friedens; es prägt in hohem Maße die Friedensdenkschrift der EKD. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass das Recht sowohl im innergesellschaftlichen und -staatlichen Bereich als auch in den internationalen Beziehungen das Zusammenleben der Menschen ordnen und divergierende Interessen zur Deckung bringen kann. Für internationale Zusammenhänge kommt daher dem Völkerrecht eine wichtige friedenssichernde Funktion zu. Es schafft die institutionellen Rahmenbedingungen für die Begrenzung von – oder gar den Verzicht auf – Gewalt und damit die Schaffung von Frieden, indem es Regeln und Verfahren zur Austragung von Konflikten bereitstellt. Wie stark dieser Rechtsgedanke insbesondere auch in hiesigen friedensethischen Debatten verankert ist, bringt der Völkerrechtler Stefan Oeter (2020, S. 138) zum Ausdruck:
„Rechtsdenken in Deutschland trägt bis heute tief einkodierte Züge eines idealistischen Denkens. Recht wird dabei als eine Sphäre des Guten wahrgenommen, die für sich die Welt schon besser werden lässt.“
In diesem Rechtsdenken stecke jedoch – so Oeter (2020, S. 138) – „ein fataler Kategorienfehler“; die Welt werde „nicht allein dadurch besser, dass man eine neue Rechtsnorm setzt – und sei diese auch noch so gut gemeint“.
Wie stehen also Frieden und Recht zueinander? Welche Tragfähigkeit und Bedeutung kommen dem Ansatz „Frieden durch Recht“ zu? Wo liegen seine Stärken, aber auch seine Herausforderungen und Anfragen? Die Symbiose beider Termini ist nicht so eindeutig wie es sich zunächst vermuten lässt. Einerseits dient Recht dazu, Willkür einzuschränken und zu überwinden und Frieden zu befördern. Ohne Recht lässt sich kein Frieden stiften (vgl. Brock 2020, S. 154). Andererseits muss Recht auch durchgesetzt werden. In diesem Sinne schließen sich Recht und Gewalt einander nicht aus, ganz im Gegenteil: „Gewalt ist nicht Gegenbegriff, sondern Konstituens des Rechts“ (Brücher 2020, S. 92). Bereits Walter Benjamin (1965) verwies auf diese rechtinhärente Logik. Vor diesem Hintergrund sind „Gewaltapparate und Formen militärischer Durchsetzung […] notwendige Bestandteile einer jeden Ordnung des ‚Friedens durch Recht‘“ (Oeter 2020, S. 136). Jüngste kirchliche Verlautbarungen wie beispielsweise der Kundgebungstext der Friedenssynode der EKD von 2019 mit seinem konsequenten Eintreten für den Weg der Gewaltfreiheit blenden diesen Zusammenhang aus. Wenn die EKD-Synode konstatiert: „Das Leitbild des Gerechten Friedens setzt die Gewaltfreiheit an die erste Stelle“ (EKD 2019, S. 3), aber in keiner Weise ausführt, wie Rechtsnormen auf internationaler Ebene auch umgesetzt werden können, wird sie dem Ansatz „Frieden durch Recht“ in seiner Komplexität kaum angemessen begegnen können:
„‘Frieden durch Recht‘ ist ein Projekt, das sich nicht nur auf das Setzen von Rechtsnormen wird beschränken können, sondern das auch systematisch daran wird arbeiten müssen, die akzeptierten Rechtsnormen gegenüber Rechtsbrechern und zynisch am Recht vorbei agierenden Akteuren durchzusetzen“ (Oeter 2020, S. 135).
Angesichts der Ambivalenz des Verhältnisses von Recht und Gewalt ist der Ansatz „Frieden durch Recht“ aber auch stets kritisch zu prüfen. Der Philosoph Christoph Menke (2012, S. 7 f.) spricht von „der Legitimation des Rechts als Gewaltüberwindung und der Kritik des Rechts als Gewaltanwendung“ (vgl. auch Brock und Simon 2018). Dabei ist nicht nur zwischen der Willkür (violentia) und der rechtserhaltenden Gewalt zu ihrer Einhegung (potestas) zu differenzieren; auch die Ausübung von Recht wird von Willkür begleitet (vgl. Brock 2020, S. 164). Da das Recht in konkrete politische und soziale Kontexte eingebettet ist, ist es „immer auch als Produkt der bestehenden Gewaltverhältnisse zu verstehen […], unter denen es der Gewalt Einheit gebieten soll“ (Brock 2019, S. 141). Das gilt auch für das Völkerrecht:
„Wie alles Recht erhebt es [das Völkerrecht, Anm. d. Verf.] den Anspruch, die Machtverhältnisse und Interessenkonstellationen zu transzendieren, aus denen es hervorgegangen ist, bleibt diesen aber immer auch verhaftet“ (Brock 2019, S. 139 f.).
So ist Recht stets auch mit Komponenten von Herrschaft, Ungleichheit und Interessendurchsetzung „verunreinigt“ (Oeter 2021, i.E.). Diese bestehenden Verknüpfungen stellen eine der zentralen Herausforderungen des Ansatzes „Frieden durch Recht“ dar. Sie zeigen sich sehr deutlich an der UN-Charta. Insbesondere die Konstellation des UN-Sicherheitsrates mit dem Vetorecht seiner fünf ständigen Mitglieder – allesamt Atommächte – verweisen auf internationale Machtverhältnisse. Bis heute führen sie dazu, dass kollektive Sicherheit an ihre Grenzen stößt, wenn Partikularinteressen von ständigen Sicherheitsratsmitgliedern betroffen sind.
Institutionell kommt ein weiterer limitierender Faktor der Verrechtlichung als Friedensstrategie zum Tragen: das fehlende Gewaltmonopol. Hier gilt es allerdings zu spezifizieren: So verfügen die Vereinten Nationen mit dem Sicherheitsrat durchaus über das „legitimierende Gewaltmonopol“. Angesichts fehlender Stand-by-Forces und entsprechender Abkommen nach Art. 43 UN-Charta fehlen ihnen bislang jedoch die Mittel, es auch durchzusetzen. Das Manko liegt damit im „possessiven Gewaltmonopol“ (vgl. Jaberg 2013, S. 243). Die Vereinten Nationen sind, soll ihr System kollektiver Sicherheit funktionieren, auf die Solidarität ihrer Mitglieder angewiesen. Diesbezüglich sind es häufig gerade die ressourcenstarken Länder, die aufgrund innenpolitischer Befindlichkeiten ihre Solidarität verweigern und sich auf diese Weise ihrer Verantwortung entziehen (vgl. Oeter 2020, S. 134). Exemplarisch zeigt es sich an UN-Einsätzen zum Schutz der zivilen Bevölkerung (Protection of Civilians), die sich in der Regel durch eine weitgehende Abstinenz der Industrienationen – auch Deutschlands – auszeichnen. Die Gründe hierfür sind zumeist innenpolitische:
„Durch ein derartiges Engagement wäre angesichts der stark pazifistisch grundierten Strömungen in diesen Staaten innenpolitisch kostspielig – man riskierte nicht nur relevante Opferzahlen unter den eingesetzten Soldaten, sondern auch lautstarke Proteste prinzipieller Gewaltgegner“ (Oeter 2020, S. 131).
Diese ungerechte Lastenverteilung bleibt nicht ohne Folgen; sie führt zu einer Verantwortungserosion und geht zulasten der zu schützenden Zivilbevölkerung (vgl. Oeter 2020, S. 130). Zu fordern wäre hier eine Stärkung der – auch militärischen – Strukturen des Systems kollektiver Sicherheit. Denn ein zu wenig an kollektiver Sicherheit führt zwangsweise zu „einer übersteigerten Bedeutung des Rechts der Selbstverteidigung“ (Oeter 2020, S. 124).
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Metadaten
Titel
Frieden durch Recht – Recht durch Krieg?
verfasst von
Ines-Jacqueline Werkner
Copyright-Jahr
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-34366-8_3

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