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29.08.2016 | Getriebe | Interview | Online-Artikel

"Zukünftig werden vermehrt dedizierte Hybridgetriebe zum Einsatz kommen"

verfasst von: Christiane Köllner

4:30 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Dr.-Ing. Burkhard Pollak

ist Interim-Manager und geschäftsführender Gesellschafter der pi³ GmbH.

Effizienz und Hybridisierung stehen im Entwicklungsfokus der Getriebetechnik. Warum mit dem Auftreten der Hybridtechnik noch mehr Leben in die Getriebewelt gekommen ist, erklärt Burkhard Pollak im Interview.

Springer Professional: Im Vorwort zum Getriebebuch steht, dass Getriebe in der Wechselwirkung mit dem gesamten Antriebsstrang und dem Gesamtfahrzeug zunehmend wichtiger werden. Die Rolle des Getriebes im Gesamtsystem mit dem Motor scheint sich zu wandeln. Was sind die neuen Aspekte?

Burkhard Pollak: Die Kombination und Integration eines Antriebsstrangs bestehend aus eigenständig entwickelten Motoren und Getrieben in ein Fahrzeug wird den heutigen Anforderungen an Effizienz, Komfort, Dynamik, Robustheit etc. nicht gerecht. Die systemische Betrachtung und Abstimmung auf das spezifische Fahrzeugsegment, den Zielmarkt und die Zielkunden ermöglicht weitere Potenziale zu erschließen. Insbesondere die Emissions- und Verbrauchsziele beziehungsweise gesetzliche und steuerliche Vorgaben stehen dabei im Mittelpunkt der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Ein sparsames Fahrzeug mit einem modernen, effizienten Getriebe muss dennoch spontane und agile Schaltabläufe beziehungsweise Fahrmanöver ermöglichen – eine "rollende Verzichtserklärung" ist in der Breite nicht marktfähig. 

Empfehlung der Redaktion

2016 | Buch

Das Getriebebuch

Die Getriebetechnik hat einen bedeutenden Einfluss auf Verbrauch, Fahrbarkeit, Gewicht und Kosten von Fahrzeugen. Die Relevanz dieser Eigenschaften hat in der jüngeren Vergangenheit wesentlich zugenommen, und in der Wechselwirkung mit dem gesamten Antriebsstrang bzw. dem Gesamtfahrzeug werden Getriebe zunehmend wichtiger.

Was sind aus Ihrer Sicht die kommenden großen Trends im Bereich Getriebetechnik?

Das sind Hybridisierung, bedarfsgerechte Betätigungs- und Hilfssysteme sowie intelligente Steuerungs- und Regelungssysteme.

Die Hybridisierung von Fahrzeugen und Antriebssträngen findet in der Regel im Getriebe statt. Die Vielzahl der heutigen Anwendungen baut auf existierenden oder neu zu entwickelnden konventionellen Getrieben auf und ergänzt elektrische Maschinen und Schaltelemente in modularer Bauweise. Das ermöglicht die Nutzung von Synergien bei der Entwicklung und Skaleneffekten bei der Produktion. Zukünftig werden vermehrt "dedizierte Hybridgetriebe" (DHT) zum Einsatz kommen, die mit Nutzung der integrierten elektrischen Maschine alle Getriebefunktion erfüllen und bei den zunehmenden Marktanteilen kompakter und kostengünstiger herstellbar sind. Für den Gesamtwirkungsgrad im Antriebsstrang ist es wichtig, die Leistungsbedarfe der Betätigungs- und Hilfssysteme zu minimieren. Entsprechend werden zukünftig Pumpen und Aktuatoren zum Einsatz kommen, die – meist mit elektrischem Antrieb – nur dann Leistung benötigen, wenn tatsächlich eine Betätigungsaufgabe oder Kühlungsaufgabe zu erfüllen ist.

Die steigenden Anforderungen an die Fahrbarkeit (Komfort, Dynamik und Spontanität von Übersetzungswechseln) zusammen mit zunehmender Zahl von nutzbaren Übersetzungsstufen – meist als Folge größerer Spreizung – führt zu zunehmender Komplexität bei der Steuerungssoftware und einem nahezu explosionsartigen Anstieg von Applikations- und Kalibrationsaufgaben. Zusätzlich sorgt die Diversifizierung in weitere (Nischen-)Modelle bei den Fahrzeugen zu einem Anstieg der Aufgaben. Methodisch und softwaretechnisch muss der Aufwand für Applikations- und Kalibrationsaufgaben auf ein leistbares Maß reduziert werden.

Getriebesteuerungen werden immer öfter mit Assistenzsystemen verknüpft. Welche Aufgaben ergeben sich für den Getriebeentwickler?

Je nach Automatisierungsgrad durch Assistenzsysteme – bis hin zum autonomen Fahren – wird auch von den Getrieben die vollautomatische Übersetzungswahl gefordert. Das ist prinzipiell mit den heute bekannten automatisch schaltenden Getrieben durchaus möglich. Für die Getriebesteuerung werden sich aus der Kommunikation mit den Assistenz- und Autonomiesystemen sicherlich zusätzliche Anforderungen an die Kommunikation der Teilsysteme untereinander und die Sicherheits- und Überwachungsfunktionen ergeben. Das Getriebe muss in noch stärkerem Maße die Aspekte der funktionalen Sicherheit im Verbund mit den Assistenzsystemen erfüllen.

Leichtbau macht auch vor dem Getriebe nicht Halt. Wo gibt es noch Potenziale zu heben?

Um die Anforderungen nach größerer Spreizung und mehr Übersetzungsstufen zu erfüllen, werden die Getriebe eher größer und damit auch schwerer. Auch die Integration einer elektrischen Maschine bei der Hybridisierung führt zur Gewichtszunahme. Die Ansatzpunkte, um dies zu kompensieren, sind Materialauswahl und optimierte Auslegung. Insbesondere neue Materialien und Kombination unterschiedlicher Materialien bieten Potenziale, sind aber derzeit aus Kostengründen schwer realisierbar. Die Reduktion der Anzahl der Übersetzungsstufen wird als gegenläufiger Trend schon diskutiert, ähnlich dem "Downsizing" bei den Verbrennungsmotoren. Und mit "dedizierten Hybridgetrieben" werden oft redundante Funktionen eliminiert und die Getriebestruktur entsprechend einfacher.

Nicht nur Verbrennungsmotoren, auch Getriebe werden elektrifiziert. Wie lässt sich die Komplexität beherrschen?

Ich fasse die Elektrifizierung des Getriebes als die Einführung bedarfsgerechter Betätigungs- und Hilfssysteme auf, wie oben bei den großen Trends schon genannt. Die Komplexität lässt sich über einen systemischen Ansatz beherrschen, die Schlagworte sind "System Engineering" und "Requirement Engineering". Daneben müssen Entwicklungsaufgaben konsequent mit virtueller Erprobung und (numerischer) Simulation begleitet werden, um Kosten- und Zeitaufwand auf ein zumutbares Niveau zu senken. Zu der Komplexität der mit der Elektrifizierung eingeführten Steuerungs- und Regelungssysteme möchte ich auf das oben zu den Trends Gesagte verweisen.

Welche Märkte sind aus Sicht der Getriebetechnik in Zukunft spannend?

Aus meiner Sicht alle. Insbesondere in den entwickelnden Märkten werden Effizienz und Hybridisierung die großen Entwicklungsschwerpunkte bleiben. Im Hinblick auf (teil-) autonomes Fahren und weitreichende Steuerung durch Assistenzsysteme werden die heute teilweise noch verbreiteten manuell betätigten Getriebe verschwinden und automatische Übersetzungsänderung zum Standard. Auch für die aufstrebenden Märkte werden aufgrund der hohen Verkehrsdichte (teil-) automatisierte Getriebe zunehmenden wichtiger, um die zahlreichen Anfahrten im dichten Verkehr für die Fahrer erträglich und komfortabel zu gestalten. Dies geschieht unter hohem Kostendruck. Letztlich sind auch bei reinen Elektrofahrzeugen Getriebe erforderlich, wenn auch mit geringerer Komplexität, aber durchaus höheren Anforderungen, zum Beispiel beim Geräuschverhalten.

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Die Hintergründe zu diesem Inhalt

2016 | OriginalPaper | Buchkapitel

Getriebekonstruktionen für Pkw-Anwendungen

Quelle:
Das Getriebebuch

2016 | OriginalPaper | Buchkapitel

Elektrifizierung des Antriebsstrangs

Quelle:
Das Getriebebuch

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